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1 Einführung

Published onJul 01, 2018
1 Einführung

Historisch betrachtet gab es im Hinblick auf die Ernährung von Säuglingen lediglich 2 Möglichkeiten, die das Überleben des Kindes sicherten: die Milch der Mutter oder die Milch einer Amme. Die Entwicklung der Landwirtschaft und die damit einhergehende Domestizierung von Tieren eröffneten eine neue Möglichkeit – die Milch von Tieren. Die Mehrzahl der Säuglinge, die tierische Milch erhielten, überlebte jedoch nicht. Dies lag hauptsächlich an der für den Menschen ungeeigneten Zusammensetzung (so enthält z. B. Kuhmilch zu viel Natrium und Casein) und den schlechten hygienischen Zuständen. Heute empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO, Säuglinge ab 1–2 Stunden nach der Geburt bis zu einem Alter von 6 Monaten ausschließlich zu stillen und sie dann über die folgenden 2 Jahre und darüber hinaus schrittweise zu entwöhnen.

Der erste Teil des vorliegenden Buches führt in das Thema ein und liefert Hintergrundinformationen, die es den LeserInnen ermöglichen, ein Verständnis für die essenzielle Bedeutung des Stillens zu entwickeln. Es wird erklärt, welche Vorgänge im Körper einer Frau ablaufen, um eine derart komplexe Bio-Flüssigkeit zur Ernährung von Säuglingen zu produzieren. Außerdem wird ein Einblick in die Welt der Datenerhebung in den Bereichen Stillen und Muttermilch gewährt.

Teil I (siehe Kapitel 2) beginnt mit einem Kapitel von Leith Greenslade, CEO, JustActions LLC, New York. Sie erläutert die Bedeutung des Stillens und inwiefern die Produktion von Muttermilch – einer außerordentlich schützenden und nahrhaften Substanz zur gesunden Ernährung ihres Babys – die Mutter stärkt. Die Autorin untersucht die Bedeutung des Stillens für die weltweite Gesundheit und eine nachhaltige Entwicklung. Abschließend geht Greenslade auf zahlreiche Probleme rund um das Thema Stillen ein, etwa die unterschätzte Bedeutung des Stillens oder das gemeinsame Versagen von Gesellschaft und Wissenschaft, angemessen auf die niedrigen Stillraten zu reagieren. Nicht zuletzt befasst sie sich mit fehlenden Investitionen in Innovationen, die es Frauen ermöglichen würden, die Anforderungen des Stillens und die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren. Alle diese Probleme sind nach wie vor ungelöst.

Informationen, also Daten, sind der Schlüssel zum Verständnis der unzähligen Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Stillen und zur Entwicklung von Strategien und Maßnahmen zu deren Lösung. Maria Quigley, Professor of Statistical Epidemiology an der National Perinatal Epidemiology Unit, University of Oxford, gibt einen Überblick über die Erhebung und Verarbeitung von Stilldaten (siehe Kapitel 3). Anhand dieser Daten lassen sich die Muster der Säuglingsernährung in verschiedenen Ländern und Situationen miteinander vergleichen. Die Daten dienen aber auch dazu, Fortschritte bei der Umsetzung längerfristiger globaler Gesundheitsziele zu verfolgen. Ohne konsistente und vergleichbare statistische Daten wäre es nicht möglich, Maßnahmen zur Überwindung von Stillhindernissen zu erarbeiten und deren Durchführung auszuwerten. Die Konsistenz von Erhebungen und epidemiologischen Studien setzt eine präzise Definition der Daten voraus. Prof. Quigley befasst sich mit der Frage, welche Art von Daten erforderlich ist, um die Langzeitwirkungen des Stillens sowohl für die Mutter als auch für den Säugling beurteilen zu können. Des Weiteren geht sie auf die Qualität von Meldedaten zum ausschließlichen Stillen ein und erläutert, welche Daten für wirtschaftliche Fragestellungen, die Erarbeitung von Strategien sowie zu Aufklärungs- und Implementierungszwecken von wem und auf welche Weise erhoben werden sollten. Schließlich weist sie darauf hin, dass gegebenenfalls randomisierte kontrollierte Studien erforderlich sind, um Beobachtungsstudien zu untermauern und konsistente, vergleichbare statistische Daten zu gewinnen.

In Kapitel 4 erörtern Melinda Boss, Leiterin einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, die evidenzbasierte Behandlungsprotokolle erarbeitet, und ich Fragen in Zusammenhang mit der Schaffung eines einheitlichen Verständnisses der menschlichen Laktation unter Berücksichtigung der tatsächlichen anatomischen und physiologischen Funktionsweisen des Stillens. Außerdem diskutieren die AutorInnen die Entwicklungen auf verwandten Forschungsgebieten. Bis zum Beginn dieses Jahrhunderts wurde die einzige konkrete Forschungsarbeit zur Anatomie der laktierenden weiblichen Brust im Jahre 1840 durchgeführt. Die AutorInnen zeigen auf, inwieweit das Fehlen von Forschungsarbeiten ein zunehmendes Verständnis der Anatomie und Physiologie der menschlichen Laktation verhindert hat. So weiß man heute, dass die laktierende Brust ein äußerst komplexes Stoffwechselorgan ist, auf das etwa ein Drittel des täglichen Energieaufwands einer Mutter entfällt. Im Anschluss daran umreißen die AutorInnen die erste Phase des Laktationszyklus – ein längerer Prozess, der mit der Empfängnis beginnt und sich während der Schwangerschaft und in den ersten 3 Tagen nach der Geburt in unterschiedlichen Phasen fortsetzt. Auf diesen Überblick folgt eine Zusammenfassung der eigentlichen Laktationsphase, in der die Milchproduktion über einen autokrinen (lokalen) Mechanismus durch den Appetit des Säuglings gesteuert wird. Der Zyklus endet mit der Entwöhnung, dem Abstillen, und der Rückbildung der Brustdrüse, sobald die Brust nicht mehr regelmäßig entleert wird.

Zum Abschluss von Teil I (siehe Kapitel 5) beantwortet Prof. Berthold Koletzko, Dr. v. Haunersches Kinderspital und Kinderpoliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Frage: Warum Stillen? Er gibt den LeserInnen Einblicke in die evolutionäre Entwicklung der Laktation und veranschaulicht das empfindliche Gleichgewicht zwischen einer sinnvollen Begrenzung des mütterlichen Energieaufwands bei gleichzeitiger Optimierung der Überlebenschancen des Säuglings. In diesem Rahmen geht er auch auf den umfangreichen Datenbestand ein, der die positiven gesundheitlichen Auswirkungen und den Nutzen des Stillens für Mutter und Kind belegt. So profitieren stillende Frauen unter Umständen von einer verstärkten Rückbildung des in der Schwangerschaft gebildeten Fettgewebes und einem verminderten Risiko, an Brust- und Eierstockkrebs zu erkranken. Er erläutert, dass das Risiko von akuten Infektionen, wie Mittelohrentzündung und Gastroenteritis, bei gestillten Kindern reduziert ist. Zudem erkranken diese Kinder im späteren Verlauf ihres Lebens u. a. seltener an Brust- und Eierstockkrebs. Des Weiteren befasst sich der Autor mit ersten Belegen für einen zwar geringen, aber dennoch nicht unbedeutenden Nutzen, den das Stillen für die späteren kognitiven Fähigkeiten des Kindes haben kann. Dies wiederum wirkt sich später signifikant auf Bildungsniveau und Einkommen aus. Zudem geht der Autor kurz auf die Rolle des Stillens für die Stärkung der Mutter-Kind-Bindung ein. Abschließend erläutert Prof. Koletzko, inwiefern derartige Erkenntnisse Fachpersonal im Gesundheitswesen auf der ganzen Welt dazu veranlassen sollten, die Gesundheit von Frauen vor und in der Schwangerschaft sowie während der gesamten Laktation zu fördern, da der Verlauf jeder einzelnen Phase unmittelbare Auswirkungen auf die Stillresultate hat.

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