Subhash Pokhrel, PhD, MSc
Zentrale Lerninhalte
Wirtschaftliche Überlegungen von Müttern
Auswirkungen des Stillens auf die Gesundheitssysteme
Analyse, inwieweit Massnahmen zur Förderung und Unterstützung des Stillens ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten
Wirkungsvolle Investitionen in die Stillförderung
Ansätze zu einen Business Case zur Förderung und Unterstützung des Stillens, in Ermangelung einer verlässlichen ökonomischen Bewertung
Das Thema Muttermilch kann aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Je nach Standpunkt hat die Fütterung von Säuglingen mit Alternativen zur Muttermilch in der Vergangenheit bereits so manche hitzige Debatte entfacht. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die aktuelle Literatur zum wirtschaftlichen Nutzen des Stillens und analysiert exemplarisch, wie ökonomische Argumente für Maßnahmen zur Stillförderung aussehen könnten.
Welchen wirtschaftlichen Nutzen könnte die Muttermilch haben? Diese Frage wird sowohl in akademischen als auch in politischen Kreisen seit Langem diskutiert. Einem Standpunkt zufolge schützt die Muttermilch vor bestimmten Erkrankungen und kann daher von erheblichem wirtschaftlichem Nutzen sein. Das Stillen wirkt sich nicht nur günstig auf die Gesundheit und das Wohlergehen von Mutter und Kind aus, sondern sorgt auch im staatlichen Gesundheitswesen für erhebliche Kosteneinsparungen. Mit einer höheren Stillprävalenz müssten die Gesundheitssysteme weniger Mittel für die Behandlung von Säuglings- und Kinderkrankheiten sowie Erkrankungen der Mütter bereitstellen [1], [2]. Darüber hinaus argumentieren manche AutorInnen, dass Frauen, die sich für das Stillen entscheiden, Muttermilch bilden und abgeben und somit erheblich zur nationalen Wirtschaftsleistung beitragen [3], [4]. Werden die Kosten einer Umsetzung von politischen Maßnahmen zur Stillförderung betrachtet, so dürfte das Stillen gesamtgesellschaftlich eher eine positive Rendite (Return on Investment, ROI) mit sich bringen [2].
Andererseits wird das Stillen auch als Aktivität betrachtet, für die Frauen einen hohen Preis zahlen. Wenn sie sich dafür entscheiden, ihr Baby zu stillen, bringe dies erhebliche persönliche Kosten mit sich, um das Abpumpen von Muttermilch zu ermöglichen [5]. Wie das Füttern von Säuglingsmilchnahrung, ist auch das Stillen mit persönlichen Kosten verbunden. Darüber hinaus kann das Stillen Auswirkungen auf die Einkünfte und die Produktivität berufstätiger Frauen haben: Möglicherweise müssen sie länger Mutterschaftsurlaub nehmen, in Teilzeit arbeiten oder entgangene Aufstiegschancen in Kauf nehmen [6], [7], [8]. Außerdem kostet das Stillen die Mutter eine Menge Zeit [9]. Daher kann die Stillentscheidung für Frauen mit erheblichen persönlichen Kosten verbunden sein und einen Verzicht auf berufliche Entwicklungschancen bedeuten.
Diesen individuellen Kosten-Nutzen-Abwägungen liegt eine Frage zugrunde, die wahrscheinlich die tiefgreifendsten Konsequenzen für jede stillfördernde Politik hat. Kann ein Gesundheitssystem von Frauen verlangen, mit dem Stillen anzufangen und anschließend über einen längeren Zeitraum und ausschließlich zu stillen, insbesondere, wenn wir als Gesellschaft anerkennen, dass es der einzelnen Frau selbst überlassen bleiben sollte, solche Entscheidungen zu treffen? Für diese Fragestellung scheint es von zentraler Bedeutung zu sein, welche Faktoren die Entscheidung einer Frau bestimmen, mit dem Stillen zu beginnen (oder aufzuhören), und in welchem Zusammenhang diese Faktoren mit der Logik eines Gesundheitssystems stehen [10]. Darum ist es wichtig zu klären, ob das Stillen für Frauen sowie für andere AkteurInnen tatsächlich eine „ökonomische” Entscheidung darstellt.
Zu stillen ist eine ökonomische Entscheidung, ihr Wesen hängt jedoch von der jeweiligen Perspektive ab. Berufstätige Frauen dürften bei der Entscheidung für oder gegen das Stillen über die Konsequenzen des Stillens nachdenken (d. h. verpasste Chancen und/oder finanzielle Belastungen durch das Stillen im Vergleich zum Füttern von Säuglingsmilchnahrung). Eine wichtige Überlegung für ArbeitgeberInnen und die Gesundheitssysteme dagegen dürfte die Notwendigkeit einer Unterstützung von stillenden Frauen durch Mutterschaftsgeld und die Schaffung von stillfreundlichen Arbeitsplätzen und Krankenhäusern sein [11].
Die Beschäftigungsquote von Müttern scheint mit dem Stillbeginn und der Stilldauer negativ zu korrelieren [12]. Das ist von besonderer Relevanz, da Mütter, die ausschließlich stillen, wesentlich mehr Zeit pro Woche für das Füttern ihres Babys aufwenden müssen als andere Mütter [9]. Es ist daher von zentraler Bedeutung, die positiven und negativen Anreize zu kennen, welche die Entscheidungen von Frauen über Stillbeginn und Stilldauer (wie lange insgesamt oder ausschließlich?) beeinflussen können.
Wirtschaftstheorien helfen uns zu verstehen, worin diese positiven und negativen Anreize bestehen und wie sie sich auf die Entscheidung einer Frau auswirken könnten, ob und wie lange sie ihr Baby stillt bzw. mit Säuglingsmilchnahrung füttert. Eine dieser Theorien ist die individuelle Nettonutzenmaximierung. Diese geht davon aus, dass ein Individuum eine Entscheidung trifft (z. B. mit dem Stillen zu beginnen), wenn es das für sich selbst als nutzbringend betrachtet und daran festhält, solange der Nutzen die Kosten überwiegt [10]. In diesem Rahmen gilt jeder Faktor als Kostenpunkt, der von der Mutter als Hindernis oder negativer Anreiz empfunden wird, z. B. finanzieller oder zeitlicher Aufwand und negative Rückmeldungen von FreundInnen oder Angehörigen. Umgekehrt gilt jeder Faktor als Nutzen, der von der Mutter als Erleichterung oder positiver Anreiz wahrgenommen wird, etwa das Einsparen von Kosten für Säuglingsmilchnahrung, gesundheitlicher Nutzen für das Kind, die Mutter-Kind-Bindung und der Zugang zu Unterstützung für stillende Mütter. Das Modell geht außerdem davon aus, dass sich positive und negative Stillanreize mit der Zeit verändern können.
Abb. 11.1 zeigt diesen von Racine und KollegInnen wahrgenommenen Entscheidungsfindungsprozess [10]. Bei diesem Konzept werden Entscheidungen unter ökonomischen Gesichtspunkten getroffen: Nach der Entbindung wägt die Frau den Nutzen des Stillens gegen die Kosten ab, die ihr durch das weitere Stillen bzw. Abstillen entstehen. Einige Faktoren, die positive Anreize für Gesundheitssysteme darstellen (z. B. der gesundheitliche Nutzen des Stillens für Säuglinge/Kinder und für Mütter), sind auch für Frauen ein positiver Anreiz. Auch wenn die Bereitstellung einer unterstützenden Infrastruktur für stillende Mütter auf Seiten der Gesundheitssysteme mit Kosten verbunden ist, stellt diese Unterstützung für Frauen einen positiven Anreiz dar, da sie in ihrem Entschluss zu stillen bestärkt werden.
Racine und KollegInnen untersuchten dieses Modell bei einer Stichprobe von 1595 einkommensschwachen Familien in den USA. Sie stellten fest, dass die Entscheidung abzustillen mit den folgenden negativen Anreizen signifikant assoziiert war: Teilnahme am WIC-Programm (Special Supplemental Nutrition Program for Women, Infants, and Children im 2.–4. Monat), beruflicher Wiedereinstieg der Mutter mit 20–40 Arbeitswochenstunden; Nichtwahrnehmung des ärztlichen Nachsorgetermins durch die Mutter; Abwesenheit des Vaters zu Hause; ein Raucher im Haushalt; fehlende Stillberatung beim Kinderarzt bzw. der Kinderärztin; ÄrztInnen, die das Stillen nicht unterstützten; depressive Symptome der Mutter [10]. Im Wesentlichen heißt dies, dass Stillförderprogramme negativen Anreizen entgegenwirken müssen, die dazu führen, dass Frauen abstillen. Daher ist es hilfreich, wenn sich politische EntscheidungsträgerInnen über die wirtschaftlichen Aspekte von Stillentscheidungen im Klaren sind.
Auch wenn das Modell der Nettonutzenmaximierung ein wertvolles Instrument darstellt, um Determinanten der Stillentscheidungen von Frauen zu identifizieren (d. h. was sie bewegt, mit dem Stillen zu beginnen, weiter zu stillen oder abzustillen; überhaupt oder ausschließlich zu stillen), ist die Entscheidung selbst doch äußerst komplex. Eine Entscheidung gegen das Stillen ist zugleich eine Entscheidung für Säuglingsmilchnahrung oder Muttermilchersatzprodukte. Säuglingsmilchnahrung wird häufig über die Märkte bereitgestellt. Wenn wir die effiziente Bereitstellung von Ressourcen den Märkten überlassen, dann müssen VerbraucherInnen, in diesem Fall Mütter von Neugeborenen, fundierte (rationale) Kaufentscheidungen treffen können. Dies setzt voraus, dass die Mütter von Neugeborenen mit den kompletten Kosten und dem gesamten Nutzen der von ihnen gewählten und gekauften Säuglingsnahrung vertraut sind. Das kulturelle Wissen über die gesundheitlichen Risiken von Säuglingsmilchnahrung beruht zu einem großen Teil auf ungenauen oder einseitigen Informationen. Dieser Umstand, in Kombination mit kommerziellen Partikularinteressen, macht es den Frauen schwer, eine fundierte (rationale) Entscheidung zu treffen [13]. Es ist bekannt, dass eine Entscheidung gegen das Stillen der Gesundheit von Mutter und Kind abträglich ist und somit den Gesundheitssystemen Kosten in Millionenhöhe verursacht [1], [14]. Diese Gesundheitskosten werden in der Regel von den SteuerzahlerInnen (wie im Falle des National Health Service, NHS, im Vereinigten Königreich) oder anderen Stellen (z. B. den gesetzlichen bzw. privaten Krankenversicherungen) getragen und nicht von den Frauen, die Kaufentscheidungen treffen (Kauf von Muttermilchersatzprodukten). Dieses Phänomen wird als externer Effekt bezeichnet (ein Merkmal von Marktversagen). Dies ist von besonderer Bedeutung, da noch unklar ist, inwieweit Frauen diese Kosten willentlich in Kauf nehmen, wenn sie sich für Muttermilchersatzprodukte entscheiden. Im vorliegenden Fall führt der externe Effekt dazu, dass der Marktpreis von industriell hergestellter Säuglingsmilchnahrung für die Frauen, die diese kaufen möchten, weit unterhalb der tatsächlichen wirtschaftlichen Kosten liegt. Dies macht das Stillen als Option weniger attraktiv [13].
Ein weiterer kritischer Aspekt des Umstands, die effiziente Versorgung mit Säuglingsnahrung den Märkten zu überlassen, ist die Handlungsmacht. Im Fall der Säuglingsernährung könnte man argumentieren, dass die eigentlichen KonsumentInnen die Säuglinge und nicht deren Mütter sind. Mütter treffen Entscheidungen stellvertretend für ihre Säuglinge – aus ökonomischer Sicht ein klassisches Prinzipal-Agenten-Verhältnis [15]. Treffen Agentinnen (Mütter) Entscheidungen im Namen ihrer Prinzipale (Säuglinge), ist es wahrscheinlich, dass die Mütter im eigenen besten Interesse anstatt im besten Interesse ihrer Prinzipale handeln. Zudem wird argumentiert, dass die Interessen von Mutter und Kind wahrscheinlich nicht immer deckungsgleich sind, da es schwierig ist, den Bedürfnissen stillender Mütter im Kontext institutioneller Rahmenbedingungen gerecht zu werden [13].
Die Entscheidung für oder gegen das Stillen, die Frauen nach der Entbindung treffen müssen, gestaltet sich also komplex. Sie müssen die positiven Anreize (Nutzen) und negativen Anreize (Kosten) des Stillens gegenüber denen von Säuglingsmilchnahrung abwägen. Beim Stillen geht es nicht um eine Entweder-oder-Entscheidung. Vielmehr müssen Frauen eine ganze Reihe von komplexen Entscheidungen treffen, die neben dem Stillen an sich auch dessen mögliche Zeitdauer und Ausschließlichkeit betreffen. Für welche Form der Säuglingsernährung sich Frauen entscheiden, kann weitreichende Auswirkungen über die eigene Familie hinaus haben.
Zu den negativen ökonomischen Anreizen (Kosten), die mit den Entscheidungen einer Frau über die Säuglingsernährung verbunden sind, gehören die persönlichen Kosten [10]. Auch wenn Muttermilch als optimale Ernährung für Säuglinge betrachtet wird und gewöhnlich über die ersten Lebensmonate in ausreichender Menge zur Verfügung steht, hat das Stillen für Frauen, die sich dazu entschließen, einen gewissen Preis. Das Stillen ist mit persönlichen Kosten verbunden. Insbesondere 2 Arten der persönlichen Kosten sind vorherrschend: finanzieller und zeitlicher Aufwand.
Im Rahmen einer im englischen Liverpool durchgeführten Studie wurden 149 Frauen im Alter von 18–43 Jahren um Angaben über ihre Einkäufe im Zusammenhang mit der Fütterung ihres Säuglings gebeten (durchschnittliches Säuglingsalter: 13 Wochen) [5]. In der Studie wurde eine Reihe von Ausstattungsartikeln ermittelt, die Frauen zum Stillen benötigten. Hierzu zählten Still-BHs, Nachthemden, Stilleinlagen, antiseptisches Brustwarzenspray, Brustcreme, Brustwarzenschutz, Stillhütchen, Milchpumpe, Behälter zum Aufbewahren von Muttermilch, Gefrierbeutel für Muttermilch, Sterilisator und Stillkissen. Die durchschnittlichen Kosten der Ausstattung wurden anhand zweier unterschiedlicher Modelle (Hoch- und Niedrigpreismodell) geschätzt. Der Preis für ein Stillset lag demnach pro Woche bei 34,60 GBP (Hochpreismodell) bzw. 2,40 GBP (Niedrigpreismodell). Mütter, die Säuglingsmilchnahrung fütterten, hatten ihrerseits Flaschen, Sauger, Dampfsterilisatoren, Säuglingsmilchnahrung, Flaschenwärmer, Flaschenträger, Milchpulverdosierer und Flaschen-/Saugerbürsten gekauft. Ein Ausstattungsset zur Fütterung von Säuglingsmilchnahrung, einschließlich Milchpulver, kostete pro Woche 31,43 GBP (Hochpreismodell) bzw. 6,30 GBP (Niedrigpreismodell).
Im Durchschnitt lagen die Kosten des Stillens bei wöchentlich 11,58 GBP, die Kosten der Ernährung mit Säuglingsmilchnahrung bei 9,60 GBP pro Woche (Preise im Zeitraum 2002–2003). Allerdings wurde in der Studie festgestellt, dass Frauen in beiden Gruppen, insbesondere Erstgebärende, „Geld für Artikel ausgaben, die unnötig waren bzw. nur 1- oder 2-mal verwendet wurden“ [5]. Höhere Ausgaben korrelierten mit dem Bildungsniveau, dem sozioökonomischen Status und dem Alter der Frau. Auch wenn die in die Studie aufgenommenen Frauen pro Woche mehr für Stillprodukte als für Produkte im Zusammenhang mit Säuglingsmilchnahrung ausgaben, hätte ein besseres Unterstützungsangebot (Aufklärung) möglicherweise dazu geführt, dass die Frauen weniger unnötige Artikel oder gegebenenfalls die kostengünstigere Alternative gekauft hätten.
Je nach Gesundheitssystem können den Frauen weitere finanzielle Aufwendungen in Verbindung mit der Säuglingsernährung entstehen. In Ländern ohne staatliches Gesundheitssystem bzw. Kostenübernahme durch Krankenversicherungen können laut Frick und KollegInnen auch Nahrungsmittel für die Mutter selbst und die medizinische Versorgung von Mutter und Kind zu den persönlichen Kosten gezählt werden, die stillenden Müttern entstehen [16].
Bei der Wahl der Säuglingsernährung spielt auch der zeitliche Aufwand eine Rolle. Insbesondere „das ausschließliche Stillen ist zeitintensiv, was für Frauen mit hohen ökonomischen Kosten verbunden ist“ [9]. In einer australischen Umfrage (2005–2006) wurden 139 Mütter von Neugeborenen gebeten anzugeben, wie viel Zeit sie durchschnittlich pro Woche für das Füttern (Milch oder feste Nahrung), die Vor-/Zubereitung und für beides insgesamt aufgewendet haben. Mütter, die ausschließlich stillten, verbrachten pro Woche durchschnittlich 7 Stunden mehr mit der Milchfütterung ihrer Säuglinge als andere Mütter. Dieser Unterschied war statistisch signifikant und legt die Vermutung nahe, dass „Frauen, die unter Zeitdruck stehen, im Haushalt nicht von der Familie entlastet werden oder sich keine bezahlte Hilfskraft leisten können“, wahrscheinlich vorzeitig abstillen [9].
Die zeitlichen Kosten des Stillens haben noch weitere Auswirkungen. Da das ausschließliche Stillen mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden ist, müssen insbesondere berufstätige Mütter unter Umständen Einkommens- und Produktivitätseinbußen hinnehmen. Die Entscheidung für das Stillen bedeutet für die Betroffenen, länger Mutterschaftsurlaub zu nehmen oder in Teilzeit zu arbeiten und möglicherweise Aufstiegschancen zu verpassen [6], [7], [8]. Andere könnten die Zeit, die sie mit dem Stillen verbringen, anderweitig nutzen [10]. Frauen, die sich für das Stillen entscheiden, müssen daher unter Umständen in erheblichem Maß auf andere Dinge verzichten. Daher müssen politische Strategien zur Stillförderung die entstehenden Kosten abfedern, indem verschiedene Leistungen wie Kinderbetreuung, Haushaltshilfen und ein längerer Mutterschaftsurlaub angeboten werden. Außerdem müssen Mütter, die ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen, am Arbeitsplatz Stillpausen einlegen können [13].
Wie oben beschrieben, treffen Frauen eine ökonomische Entscheidung, wenn sie beschließen zu stillen. Daher sollten Frauen dabei unterstützt werden, so lange zu stillen, wie sie selbst es wählen. Es scheint so, dass die meisten Frauen, die abstillen, dies nicht aus freien Stücken tun und häufig über eine Inanspruchnahme von Hilfe und Unterstützung nachdenken, die es ihnen ermöglichen würde, länger und ausschließlich zu stillen [17]. Eine Unterstützung von Frauen, die sich für das Stillen entscheiden, würde daher dazu beitragen, die Interessen der Mutter, des Säuglings und des Gesundheitswesens in Einklang zu bringen. Infolge dieser Unterstützung kann mit einer Zunahme des Stillens (ausschließlich und/oder über längere Zeit) gerechnet werden, was auch einen weitreichenderen wirtschaftlichen Nutzen mit sich bringt [2], [14].
Ein zentraler Gedanke bei jeder politischen Debatte über das Thema sollte sein, dass die Entscheidung zu stillen allein bei der Mutter liegt. Jegliche politische Strategie zur Unterstützung des Stillens muss sich daher dazu bekennen, dass alle Neu-Mütter, die beschließen zu stillen, gut informiert, gut geschult und adäquat unterstützt werden, und zwar über den gesamten Zeitraum, in dem sie (ausschließlich oder nicht ausschließlich) stillen möchten. Eine Politik zur Stillförderung kann dazu beitragen, dass Neu-Mütter mit dem Stillen beginnen. Der gesundheitliche und wirtschaftliche Nutzen für Mutter und Kind sowie für das Gesundheitswesen ergibt sich jedoch erst aus der nachfolgenden Unterstützung, die es den Frauen ermöglicht, ihr Kind über einen längeren Zeitraum zu stillen.
Wir haben also festgestellt, dass die Unterstützung von Frauen, die sich für das Stillen entscheiden, wirtschaftlich sinnvoll ist. Nun ist es wichtig, anhand der Evidenzbasis zu klären, welchen gesundheitlichen Nutzen das Stillen für Mutter und Kind haben kann. Wie werden sich die positiven gesundheitlichen Auswirkungen des Stillens in wirtschaftlichem Nutzen niederschlagen, sowohl für die nationalen Gesundheitssysteme als auch für die Gesellschaft insgesamt? Und bieten Maßnahmen zur Unterstützung des Stillens auf Mikroebene ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis?
Das Stillen bietet erwiesenermaßen Schutz vor einer Reihe von Krankheiten im Säuglings- und Kindesalter. Allerdings variiert der Evidenzgrad je nach Krankheitsbild. Für gastrointestinale Infektionen, Infektionen der unteren Atemwege und akute Otitis media bei Säuglingen sowie für nekrotisierende Enterokolitis bei Frühgeborenen liegen überzeugende Belege dafür vor, dass das Stillen das Auftreten dieser Erkrankungen verhindern kann [2]. In Tab. 11.1 findet sich eine Übersicht dieser Belege.
Erkrankung | Bevölkerungs-gruppe | Risikomaß* Mittelwert (95-%-KI) | Quelle |
---|---|---|---|
Gastrointestinale Infektion | Säuglinge | Ausschließliches Stillen: Stationäre Aufnahme: 0,39 (0,18–0,85) Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin: 0,28 (0,11–0,69) Stillen insgesamt: Stationäre Aufnahme: 0,52 (0,30–0,87) Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin: 0,36 (0,18–0,74) | [20] [21] [20] [21] |
Infektion der unteren Atemwege | Säuglinge | Ausschließliches Stillen: Stationäre Aufnahme: 0,70 (0,49–0,98) Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin: 0,69 (0,47–1,0) Stillen insgesamt: Stationäre Aufnahme: 0,67 (0,52–0,88) Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin: 0,65 (0,43–0,96) | [20] [22] [20] [23] |
Akute Otitis media | Säuglinge | Ausschließliches Stillen: Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin: 0,50 (0,37–0,70) Stillen insgesamt: Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin: 0,40 (0,21–0,76) | [24] [23] |
Nekrotisierende Enterokolitis | Säuglinge | Überhaupt Muttermilch erhalten: 0,19 (0,05–0,73) | [25] |
Brustkrebs bei der Mutter | Mütter | Überhaupt gestillt vs. nie gestillt: 0,96 (0,92–0,99) Über < 6 Monate gestillt vs. nie gestillt: 0,98 (0,95–1,01) Über 7–18 Monate gestillt vs. nie gestillt: 0,94 (0,91–0,97) Über 18+ Monate gestillt vs. nie gestillt: 0,89 (0,84–0,94) | [26] |
KI = Konfidenzintervall
* Odds Ratio (OR) oder relatives Risiko (RR) zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit der oben aufgeführten Erkrankungen in der Stillgruppe im Vergleich zur Gruppe, in der nicht gestillt wurde. Mittelwerte sind fett gedruckt. Ein Quotient unter 1,0 zeigt eine protektive Wirkung des Stillens an. Liegen beide Werte in Klammern unter 1,0, lässt das den Schluss zu, dass das angegebene mittlere Risikomaß kein Zufallsergebnis ist.
In einer früheren Übersichtsarbeit zum Nutzen des Stillens wurden 3 Kategorien von Evidenzdaten ermittelt: überzeugend (signifikanter Zusammenhang, durch systematische Übersichtsarbeiten/Metaanalysen nachgewiesen), wahrscheinlich (Zusammenhang in mehreren Studien festgestellt, aber weitere Nachweise erforderlich) und möglich (Zusammenhang in wenigen Studien von minderer Qualität festgestellt) [18]. Gemäß dieser Evidenzhierarchie wurde eine Vielzahl von Erkrankungen ermittelt, bei denen das Stillen eine protektive Wirkung haben könnte (Abb. 11.2).
Diese Ergebnisse werden durch aktuellere systematische/evidenzbasierte Übersichtsarbeiten untermauert [2], [19]. Je mehr Studien durchgeführt werden, desto klarer wird sich der Zusammenhang zwischen dem Stillen und diesen Gesundheitsfolgen darstellen. Besonders hervorzuheben sind die 3 Gesundheitsfolgen kognitive Leistung, plötzlicher Kindstod und Adipositas im Kindesalter. Hier zeichnet sich in Studien zunehmend eine negative Korrelation zwischen dem Stillen und der Inzidenz dieser Gesundheitsfolgen ab [2].
Die vorliegenden Belege stützen demnach die These, dass sich das Stillen vorteilhaft auf die Gesundheit von Säuglingen und Kindern auswirkt. Uneinigkeit besteht, wenn überhaupt, dahingehend, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Zusammenhang bei vielen dieser Erkrankungen als kausal zu werten ist. Denn trotz aller Bemühungen könnte es in einzelnen Studien möglicherweise nicht gelungen sein, den Effekt von etwaigen Störfaktoren (Confounder) vollständig herauszurechnen [19]. Nichtsdestotrotz sollte der Wissensstand auf diesem Gebiet politischen EntscheidungsträgerInnen eine ausreichende Grundlage für die Entwicklung evidenzbasierter Strategien bieten, um Frauen zu unterstützen, die sich zum Wohle der Gesundheit ihrer Säuglinge und Kinder für das Stillen entschieden haben.
Während der Nutzen des Stillens für Säuglinge und Kinder gut dokumentiert ist, erscheinen zunehmend Publikationen zu der Fragestellung, in welchem Ausmaß die Frauen selbst vom Stillen profitieren. Es gibt überzeugende Belege für eine negative Korrelation zwischen dem Stillen und einer Brustkrebserkrankung (Mammakarzinom) der Mutter. Bei Frauen, die im Laufe ihres Lebens mindestens 18 Monate lang gestillt haben (ein oder mehrere Babys), fällt das Brustkrebsrisiko signifikant niedriger aus als bei Frauen, die niemals gestillt haben. In einer Studie in den USA wurde festgestellt, dass eine suboptimale Gesamtstilldauer mit annähernd 5000 zusätzlichen Fällen von Brustkrebs assoziiert war [14]. Im Vereinigten Königreich hätte eine optimale Gesamtstilldauer zu 865 weniger Brustkrebsfällen bei 313 000 Erstgebärenden bzw. einem Gewinn von 512 qualitätsadjustierten Lebensjahren geführt [2].
Abgesehen von Brustkrebserkrankungen bei Müttern scheint zum Zusammenhang zwischen dem Stillen und anderen Gesundheitsfolgen bei Müttern keine qualitativ hochwertige Evidenz vorzuliegen. Das Stillen ist wahrscheinlich nicht nur mit Eierstockkrebs (Ovarialkarzinom) und rheumatoider Arthritis assoziiert, sondern möglicherweise auch mit verschiedenen anderen Gesundheitsfolgen bei der Mutter, z. B. Depression, Endometriumkarzinom, Osteoporose und Knochenfrakturen [18]. Laut einer relativ aktuellen Übersichtsarbeit liegen Studien vor, die einen Zusammenhang zwischen dem Stillen und Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck (Hypertonie) bzw. koronarer Herzkrankheit belegen [19]. Überträgt man diese Evidenz auf die USA, so hätten durch optimales Stillen 8500 zusätzliche Fälle von Myokardinfarkt und über 36 000 zusätzliche Fälle von Bluthochdruck verhindert werden können [14].
An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass das Fehlen einer qualitativ hochwertigen Evidenz einen Zusammenhang zwischen dem Stillen und den oben aufgeführten Erkrankungen nicht notwendigerweise ausschließt. In weiteren methodisch ausgereiften Studien wird in Zukunft zu prüfen sein, ob sich die wahrscheinlichen bzw. möglichen Zusammenhänge bestätigen. Bis dahin dürfte der aktuelle Wissensstand politischen AkteurInnen ausreichen, um Strategien zur Unterstützung des Stillens zu entwickeln und umzusetzen und damit den Gesundheitszustand von Müttern zu verbessern.
Welcher Nutzen würde sich für die staatlichen Gesundheitssysteme ergeben, wenn zunehmend mehr Frauen zu stillen beginnen, weiter stillen bzw. ihre Säuglinge ausschließlich stillen und dadurch die Inzidenz der oben aufgeführten Erkrankungen sinkt? Laut einer systematischen Übersichtsarbeit zu diesem Thema waren höhere Stillraten in einer Reihe von Ländern mit potenziellen Kosteneinsparungen im staatlichen Gesundheitssystem verbunden [2]. Über die Auswirkungen des optimalen Stillens wurde in den in dieser Übersichtsarbeit berücksichtigten Studien zwar unterschiedlich berichtet (Tab. 11.2), die Schlussfolgerung war aber dennoch aussagekräftig: Eine Unterstützung des Stillens ist wirtschaftlich sinnvoll.
Studie | Land | Berichtete wirtschaftliche Auswirkungen |
---|---|---|
Ball und Wright 1999 [27] | USA | Jährliche Zusatzkosten von 331 USD pro nicht gestilltem Säugling |
Barton et al. 2001 [28] | USA | Mittlere Differenz von 3366 USD zwischen gestillten und nicht gestillten Säuglingen während des Aufenthalts auf der Neugeborenenstation für das betreffende Jahr |
Buchner et al. 2007 [29] | Niederlande | Einsparung von 250 EUR pro Neugeborenem und Jahr im günstigsten Fall, d.h. bei einer Stillrate von 100% über mindestens 6 Monate |
Cattaneo et al. 2006 [30] | Italien | Mittlere Differenz von 160 EUR pro Säugling und Jahr |
Wight 2001 [31] | USA | Mittlere Differenz von 200 USD pro Säugling in den ersten 6 Lebensmonaten; Zusatzkosten von 9669 USD pro Säugling bei Nichtverwendung von Muttermilch auf der Neugeborenenstation bzw. Einsparung von 11 USD für jeden in Muttermilch investierten US-Dollar |
Bartick und Reinhold 2010 [32] | USA | Einsparung von 3,35 Mrd. USD an Behandlungskosten und von 13 Mrd. USD bei Berücksichtigung der Kosten für vorzeitige Todesfälle, bei einer Stillrate von 90% |
Drane 1997 [33] | Australien | Behandlungskosten von 9 Mio. australischen Dollar (AUD) und 11,5 Mio. AUD bei Berücksichtigung von Kosten für gezielte Aufklärung, bei einer Stillrate von 80% |
Riordan 1997 [34] | USA | Zwischen 1,2 und 1,3 Mrd. USD an Behandlungskosten, die auf das Füttern von Säuglingsmilchnahrung zurückzuführen sind |
Weimer 2001 [35] | USA | Einsparung von 3,6 Mrd. USD bei Berücksichtigung der Kosten für vorzeitige Todesfälle, bei einer Stillrate von 75% |
Smith et al. 2002 [36] | Australien | 1,5 Mio. AUD allein im australischen Hauptstadtterritorium für die Behandlung von 4 Erkrankungen bei Kindern im Alter von 0–4 Jahren – gastrointestinale Infektionen, Atemwegserkrankungen, Ekzem und nekrotisierende Enterokolitis |
Hoey und Ware 1997 [37] | USA | Einsparung von 200 USD pro Säugling im Vergleich zu Flaschenfütterung |
Seit der Veröffentlichung der obigen Übersichtsarbeit im Jahr 2012 wurden weitere ökonomische Studien publiziert. Tab. 11.3 zeigt einen Querschnitt der neuen Studien (an denen mehr als ein Land beteiligt war), die den wirtschaftlichen Nutzen des optimalen Stillens belegen. Obwohl in den jeweiligen Studien unterschiedliche Zielparameter untersucht wurden, die Modellierung der Kosteneinsparungen auf unterschiedlichen Annahmen beruhte und leicht voneinander abweichende Methodiken verwendet wurden, unterstreichen sie allesamt die aktuell beobachteten ökonomischen Aufwände infolge des suboptimalen Stillens. Mit anderen Worten: Wenn die Stillraten in Ländern mit einer niedrigen Stillrate auf ein angemessenes bzw. realistisches Niveau steigen würden, so ginge dies in jedem dieser Länder mit erheblichen Kosteneinsparungen im staatlichen Gesundheitssystem einher.
Ein methodisches Problem bei der Analyse der wirtschaftlichen Auswirkungen des suboptimalen Stillens bestand darin, dass die Schätzung der Auswirkungen mit einer gewissen Unsicherheit behaftet war. In den meisten Studien wurde mit Punktschätzungen gearbeitet. Bei jedweder Methode müssen bekanntlich jedoch verschiedene Annahmen zugrunde gelegt werden, um die Auswirkungen zu modellieren. Diese Annahmen können ihrerseits zu Unsicherheitsfaktoren in Bezug auf die prognostizierten Auswirkungen führen. Einige WissenschaftlerInnen [1], [14] haben sich mit diesem wichtigen methodischen Problem befasst. Laut den neuesten Schätzungen in den USA belaufen sich die direkten medizinischen Kosten des suboptimalen Stillens auf 2,6 Mrd. USD (95-%-Konfidenzintervall 2,3–2,9 Mrd. USD), von denen 79% auf die Mutter entfallen [14]. Auch unter Berücksichtigung der Unsicherheit in Bezug auf verschiedene Annahmen bestätigen die Ergebnisse das, was sich seit langem immer wieder zeigt: Das suboptimale Stillen ist mit erheblichen Kosten für das staatliche Gesundheitssystem verbunden. Die Unsicherheitsanalysen liefern also den EntscheidungsträgerInnen eher Gründe, auf die Ergebnisse zu vertrauen und politische Strategien zur Unterstützung des Stillens zu entwickeln und umzusetzen.
Wenn das Stillen „die Lebensqualität von Frauen im Sinne einer niedrigeren Inzidenz von Brustkrebs und die Lebensqualität von Kindern im Sinne von weniger akuten und chronischen Erkrankungen“ [2] verbessert, dürfte sich dies auch gesamtgesellschaftlich auswirken. Eine Bevölkerung, die gesünder ist und eine bessere Lebensqualität aufweist, könnte auch wirtschaftlich und sozial produktiver sein. Diese weiter gefassten gesellschaftlichen Auswirkungen von höheren Stillraten müssen noch weiter wissenschaftlich untersucht werden.
Es gibt bereits einige Hinweise darauf, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen des Stillens weitreichender sind. Laut einer aktuellen Studie von Rollins und KollegInnen hätte ein optimales Stillszenario, bei dem jeder Säugling mindestens über die ersten 6 Lebensmonate gestillt worden wäre, weltweit wirtschaftliche Aufwände in Höhe von 302 Mrd. USD (0,49% des Bruttonationaleinkommens [BNE]) aufgrund von kognitiven Defiziten verhindern können [38]. Der überwiegende Teil der volkswirtschaftlichen Kosten entfiel dabei auf Länder mit hohem Pro-Kopf-Einkommen (231,4 Mrd. USD bzw. 0,53% des BNE verglichen mit 70,9 Mrd. USD bzw. 0,39% des BNE in Ländern mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen). Eine weitere aktuelle Schätzung von Walters und KollegInnen für 7 südostasiatische Länder belegt ebenfalls die hohen volkswirtschaftlichen Aufwände (1,63 Mrd. USD), die in Ländern mit suboptimalen Stillpraktiken auf kognitive Defizite zurückzuführen sind [39]. Dies stützt die vergleichbaren Ergebnisse von Renfrew und KollegInnen für Großbritannien [2] (Tab. 11.3).
Studie | Land | Berichtete wirtschaftliche Auswirkungen |
---|---|---|
Pokhrel et al. 2015 [1] Renfrew et al. 2012 [2] | Vereinigtes Königreich (England, Schottland, Wales und Nordirland) | Optimales Stillen (45% ausschließliches Stillen nach 4 Monaten, 75% der Babys auf Neugeborenenstationen werden bei Entlassung gestillt) würde zu jährlichen Einsparungen von über 17 Mio. GBP führen durch: 3285 weniger Krankenhausaufenthalte aufgrund gastrointestinaler Infektionen und 10 637 weniger Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin (Ersparnis 3,6 Mio. GBP) 5916 weniger Krankenhausaufenthalte aufgrund von Infektionen der unteren Atemwege und 22 248 weniger Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin (Ersparnis 6,7 Mio. GBP) 21 045 weniger Besuche des Hausarztes bzw. der Hausärztin aufgrund von akuter Otitis media (Ersparnis 750 000 GBP) 361 weniger Fälle von nekrotisierender Enterokolitis (Ersparnis über 6 Mio. GBP) Optimales Stillen (kumulative Gesamtstilldauer von 18 Monaten über die Lebenszeit bei 50% der Frauen, die aktuell nicht stillen) in jeder Jahreskohorte von 313 000 Erstgebärenden würde zu Einsparungen von 31 Mio. GBP führen durch: 865 weniger Fälle von Brustkrebs (Ersparnis über 21 Mio. GBP) 512 gewonnene qualitätsadjustierte Lebensjahre (Ertrag über 10 Mio. GBP) Eine Senkung der Anzahl niemals gestillter Säuglinge um 1% würde bedeuten, dass 8000 Kinder weniger an kognitiven Defiziten leiden (Gewinn 278 Mio. GBP) Durch eine moderate Verlängerung des ausschließlichen Stillens um mehr als 2 Monate könnten jährlich 3 Fälle von plötzlichem Kindstod verhindert werden (eingesparter Aufwand: 4,7 Mio. GBP) Eine moderate Steigerung der Stillraten würde dazu führen, dass 16 300 weniger Kleinkindern an Adipositas leiden (Ersparnis 1,63 Mio. GBP) |
Rollins et al. 2016 [38] | 96 Länder | Durch optimales Stillen (Stillen jedes Säuglings über mindestens die ersten 6 Lebensmonate) hätten weltweit wirtschaftliche Aufwände in Höhe von 302 Mrd. USD (0,49% des Bruttonationaleinkommens [BNE]) aufgrund von kognitiven Defiziten verhindert werden können: 70,9 Mrd. USD (0,39% des BNE) in Ländern mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen 231,4 Mrd. USD (0,53% des BNE) in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen |
Walters et al. 2016 [39] | 7 südostasiatische Länder | Durch optimales Stillen [100% der Kinder bis zum Alter von 6 Monaten zumindest teilweise gestillt (kognitive Resultate), 100% der Kinder bis zum Lebensalter von 6 Monaten ausschließlich und danach bis zum Alter von 2 Jahren zumindest teilweise gestillt (Gesundheitsfolgen) und 90% der Frauen mit einer kumulativen Gesamtstilldauer von 2 Jahren über die Lebenszeit (Folgen für die Mutter)] hätten in den 7 Ländern Kosten in Höhe von insgesamt 1,9 Mrd. USD jährlich eingespart werden können: Ersparnis von 1,63 Mrd. USD infolge besserer kognitiver Resultate Ersparnis von 294 Mio. USD infolge geringerer Gesundheitsausgaben |
Vorzeitige Todesfälle sind im weiteren Sinne ebenfalls eine Folge des suboptimalen Stillens. Laut jüngsten Schätzungen in den USA hätten durch optimales Stillen insgesamt 3340 vorzeitige Todesfälle (zwischen 1886 und 4785) verhindert werden können [14]. Insgesamt 78% dieser Todesfälle betrafen dabei die Mütter (986 durch Myokardinfarkt, 838 durch Brustkrebs und 473 durch Diabetes). Von den 721 zusätzlichen Todesfällen bei Kindern waren 492 auf plötzlichen Kindstod und 190 auf nekrotisierende Enterokolitis zurückzuführen.
Ob man vorzeitigen Todesfällen einen finanziellen Aufwand beimessen sollte, um diesen Aspekt der gesellschaftlichen Auswirkungen zum Ausdruck zu bringen, ist umstritten. Bartick und KollegInnen haben eine Methode verwendet, die ihren Schätzungen der vorzeitigen Todesfälle infolge des suboptimalen Stillens einen finanziellen Aufwand zuweist [14]. Demnach beliefen sich die Gesamtkosten durch vorzeitige Todesfälle auf 14,2 Mrd. USD (8,8–19,6 Mrd. USD), wobei sich die Kosten gleichmäßig auf Mütter und Kinder verteilten.
Es wurde argumentiert, dass Frauen, die sich für das Stillen entscheiden, tatsächlich Muttermilch bilden und abgeben und somit erheblich zur nationalen Wirtschaftsleistung beitragen [4]. Die aktuelle Muttermilchproduktion entspricht in Australien einem Wert von über 3 Mrd. AUD jährlich und potenziell 110 Mrd. USD jährlich in den USA. Durch frühzeitiges Abstillen gehen möglicherweise jedoch knapp 2 Drittel dieses Werts verloren [3]. Daher weist Smith darauf hin, dass die „Nichtberücksichtigung der Muttermilchproduktion im BIP und anderen ökonomischen Datensammlungen erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Politik hat“ [3].
Die Kehrseite der Medaille sind die negativen Auswirkungen des Stillens. Das Stillen korreliert negativ mit Arbeitsmarktdaten, insbesondere im Hinblick auf das Einkommen, die Arbeitsproduktivität und die Aufstiegschancen berufstätiger Frauen [6], [7], [8], [12]. Die entgangenen Chancen für Frauen, die sich für ein längeres Stillen entscheiden, können mitunter erheblich sein [9]. Dies gilt umso mehr, als neuere Forschungsergebnisse darauf hindeuten, dass Stillen den Babys nicht zu besseren Einkommensperspektiven verhilft [40]. Es ist wichtig, diese negativen Auswirkungen des Stillens zu berücksichtigen. Nach dem heutigen Wissensstand ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass der gesellschaftliche Nutzen des optimalen Stillens alles in allem wesentlich höher ausfällt als die gesellschaftlichen Kosten.
Bei den oben beschriebenen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen handelt es sich um „potenzielle“ Nutzen. Mit anderen Worten: Wenn wir als Gesellschaft in der Lage wären, die derzeitigen Stillraten (im Hinblick auf Beginn, Dauer und Ausschließlichkeit) auf ein optimales Niveau zu steigern (z. B. alle Babys werden 4 Monate lang ausschließlich gestillt), so würde sich aus diesem Anstieg der Stillprävalenz der genannte Nutzen ergeben. Eine Steigerung der Stillraten setzt jedoch die Einführung von wirksamen Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung des Stillens im Gesundheitswesen voraus. Dies ist mit anfänglichen Investitionskosten verbunden, die unter Umständen beträchtlich sein können. Und dann stellt sich die Frage: Fällt der oben beschriebene Nutzen nach Berücksichtigung der Kosten für die Umsetzung dieser Maßnahmen noch immer substanziell aus? Oder anders formuliert: Weisen Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung des Stillens ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis auf? Genau diese Frage stellen politische EntscheidungsträgerInnen häufig. Denn sie müssen in ihrer Funktion als InvestorInnen in das öffentliche Gesundheitswesen nachweisen, ob die Investitionen, die für die Implementierung von Programmen zur Förderung und Unterstützung des Stillens nötig sind, im Verhältnis zum oben beschriebenen Nutzen stehen.
Was sagen die wissenschaftlichen Daten? Tab. 11.4 bietet einen Überblick über einen Querschnitt der veröffentlichten Studien zur Kosteneffektivität von Maßnahmen zur Stillförderung. Laut Rice und KollegInnen ist ein verstärkter Kontakt mit speziell ausgebildetem Fachpersonal, das berät, unterstützt und einen Versorgungsplan für Mütter erstellt, im Vergleich zur üblichen Versorgung kostensparend (günstiger und effektiver) [41]. Ebenso verspricht eine proaktive telefonische Unterstützung, bei der die Mutter in der ersten Woche nach der Entlassung aus dem Krankenhaus täglich von einem Stillberatungsteam angerufen wird, Kosteneinsparungen gegenüber einer reaktiven telefonischen Unterstützung, bei der sich Frauen telefonisch an ein Stillberatungsteam wenden müssen [42]. Von Fachpersonal angeleitete wöchentliche Stillgruppen für schwangere und stillende Frauen in benachteiligten Gebieten sind hingegen nicht kosteneffektiv, da diese Maßnahme die Stillrate eher nicht erhöhen wird, die Kosten jedoch mit denjenigen einer herkömmlichen Versorgung (Hausbesuche) vergleichbar sind [43].
Studie und Kontext | Intervention | Vergleichsintervention | Kosteneffektivität |
---|---|---|---|
Rice et al. 2010 [41], Krankenhaus im Vereinigten Königreich (Neugeborenenstation) | Verstärkter Kontakt mit speziell geschultem Fachpersonal. Fachpersonal informiert und unterstützt die Mütter und erstellt einen persönlichen Betreuungsplan. | Normaler Kontakt mit Krankenhauspersonal. Die MitarbeiterInnen waren nicht speziell in der Unterstützung stillender Mütter geschult | Interventionsarm: Kosten: zwischen 47228 und 86759 GBP QALYs: zwischen 14,70 und 21,92 je nach Säuglingsgewicht Vergleichsinterventionsarm: Kosten: zwischen 47294 und 87345 GBP QALYs: zwischen 14,45 und 21,91 je nach Säuglingsgewicht Intervention führte in allen Gewichtsgruppen zu Kosteneinsparungen (effektiver und kostengünstiger) |
Hoddinott et al. 2012 [42], Schottland (Wochenbettstation) | Proaktiv: Die Frauen wurden in der 1. Woche nach Entlassung aus dem Krankenhaus täglich von einem Stillberatungsteam angerufen. Die Frauen entschieden, ob sie in der 2. Woche angerufen werden wollten und wenn ja, wie oft. | Reaktiv: Die Frauen konnten das Stillberatungsteam in den ersten beiden Wochen nach Entlassung aus dem Krankenhaus jederzeit anrufen | Interventionsarm: Kosten: 41,25 GBP je Frau Effekte: Gesamtstillrate nach 6–8 Wochen 69% Vergleichsinterventionsarm: Kosten: 21,13 GBP je Frau Effekte: Gesamtstillrate 46% Inkrementelle Kosten = 87 GBP je zusätzlicher Frau, die stillte Intervention war als kosteneffektive Maßnahme „vielversprechend“ |
Hoddinott et al. 2009 [43], Vereinigtes Königreich, Primärversorgung | Stillgruppen für schwangere und stillende Frauen in benachteiligten Gegenden. Durch Fachpersonal angeleitete wöchentliche Gruppentreffen. | Herkömmliche Versorgung | Interventionsarm: Kosten: 36 GBP pro Teilnahme Effekte: Stillrate nach6–8 Wochen 26% (± 3%) Vergleichsinterventionsarm: Kosten: 31 GBP pro Teilnahme Effekte: Stillrate 30% (± 7%) Kein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis der Intervention |
* Querschnitt von Studien in der Economic Evaluation Database des National Health Services im Vereinigten Königreich (NHS EED) (www.crd.york.ac.uk).
Es gibt in diesem Bereich offenbar nur wenige wirtschaftliche Evaluationen von guter Qualität. Der Mangel an qualitativ hochwertigen Studien zur Beurteilung der Kosteneffektivität von stillfördernden Maßnahmen bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Interventionen ihr Geld nicht wert sind, sondern zeigt lediglich auf, dass in diesem Bereich derzeit kaum qualitativ hochwertige wissenschaftliche Daten vorliegen. Dennoch haben sich zahlreiche Interventionen zur Förderung und/oder Unterstützung des Stillens als effektiv erwiesen. Renfrew und KollegInnen haben sich eingehend mit Interventionen befasst, die dem Stillen oder der Muttermilchfütterung von Säuglingen auf Neugeborenenstationen zu- oder abträglich waren. Trotz der spärlichen Evidenzbasis konnten sie eine ganze Reihe von wirksamen Maßnahmen ermitteln [44]. Zu diesen Maßnahmen gehören Haut-zu-Haut-Kontakt („Känguru-Methode“), Unterstützung durch andere Mütter oder Väter („Peer-Beratung“), simultanes Abpumpen von Muttermilch, interdisziplinäre Schulungen für Fachpersonal sowie die Zertifizierung der jeweiligen Entbindungsklinik als babyfreundliches Krankenhaus [44].
In einer weiteren Studie wurde festgestellt, dass sich die Stillprävalenz durch Beratung (durch Peers oder Fachpersonal im Gesundheitswesen), Unterstützung in stillfreundlichen Krankenhäusern und Mobilisierungskonzepte auf kommunaler Ebene verbessert. Eine stärkere Wirkung lässt sich jedoch erzielen, wenn Interventionen gleichzeitig auf Ebene des Gesundheitssystems, des häuslichen und des kommunalen Umfelds erfolgen [45]. In einer weiteren systematischen Übersichtsarbeit hat sich gezeigt, dass stillbezogene Aufklärungs-/Unterstützungsmaßnahmen generell die Raten für ausschließliches Stillen erhöhen und die Zahl der Babys reduzieren, die bei Geburt, nach 4 Wochen und nach 60 Wochen nicht (mehr) gestillt werden. Dabei scheint eine Kombination aus Einzel- und Gruppenberatung mehr Wirkung zu erzielen als eine Einzel- oder Gruppenberatung allein [46]. Wichtig ist auch, dass stillbezogene Aufklärungs-/Unterstützungsmaßnahmen sowie eine Peer-Beratung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen stärkere Auswirkungen haben als in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen [46], [47].
Es gibt also eine große Vielfalt an Maßnahmen zur Unterstützung des Stillens, u. a. Peer-Beratung, Unterstützungseinheiten/-teams, Geburtsvorbereitungskurse, Beratungsangebote, Weiterbildung von MitarbeiterInnen oder Schulunterricht. Allerdings sind Angebote zur Unterstützung des Stillens, unabhängig von ihrer Form, finanziell schlecht ausgestattet [48]. Da „viele dieser Maßnahmen ineinandergreifen, ist es unwahrscheinlich, dass sich spezifische klinische Interventionen, wenn sie allein durchgeführt werden, als wirksam erweisen“ [44]. Es sind daher weitere Studien zur Kosteneffektivität erforderlich, damit die politischen AkteurInnen besser beurteilen können, ob der Gesamtnutzen dieser effektiven und vorzugsweise im Paket umgesetzten Maßnahmen den Kostenaufwand rechtfertigt.
Nach unseren bisherigen Betrachtungen gibt es eine Evidenzbasis von guter Qualität, welche die Größenordnung des potenziellen gesundheitlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzens belegt, der mit dem optimalen Stillen (d. h. einer Erhöhung der Raten für begonnenes, fortgesetztes und ausschließliches Stillen) verbunden sein könnte, selbst wenn etwaige negative Auswirkungen des Stillens berücksichtigt werden. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass dieser potenzielle Nutzen voll ausgeschöpft werden kann, ohne zuvor umfassend in Maßnahmen zur Förderung und/oder Unterstützung des Stillens zu investieren Zahlreiche Maßnahmen zur Förderung bzw. Unterstützung des Stillens sind zwar geeignet, die Stillraten für begonnenes, fortgesetztes und ausschließliches Stillen wirksam zu erhöhen. Der Grad ihrer Wirksamkeit unterscheidet sich jedoch zwischen Ländern mit niedrigem/mittlerem und Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen. Allerdings verfügen wir offenbar nicht über genügend ökonomische Studien guter Qualität, um die Kosteneffektivität dieser Maßnahmen abzuschätzen. Lassen sich insbesondere die Kosten für die Umsetzung dieser effektiven Maßnahmen zur Förderung bzw. Unterstützung des Stillens rechtfertigen?
Im Rahmen der Erarbeitung einer wirtschaftlichen Argumentationslinie wird häufig anhand eines einzelnen Parameters die Rentabilität einer aktuellen Investition innerhalb eines festgelegten Zeithorizonts kalkuliert. Anhand der zu erwartenden Rendite (Rentabilität) einer Investition in eine wirtschaftliche Aktivität (z. B. die Bereitstellung einer Unterstützung des Stillens) lässt sich entscheiden, ob diese Investition sinnvoll ist. Somit kann die Rentabilität dabei helfen, die Priorität von Investitionen zu ermitteln: Das Portfolio mit der höheren Rendite erhält Vorrang vor Portfolios mit einer niedrigeren Rendite [49]. Im Bereich der öffentlichen Gesundheit gibt es verschiedene Varianten von Rentabilität; am häufigsten ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis [50]. InvestorInnen im Bereich der öffentlichen Gesundheit können Informationen wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis dazu nutzen, explizit Argumente für Investitionen oder Desinvestitionen zu liefern. Im Rahmen der Eindämmung des Tabakkonsums hat sich bspw. gezeigt, dass 1 GBP, das in England in Anti-Rauch-Programme investiert wird, nach 10 Jahren eine Rendite von 2,82 GBP erbringt [51]. Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in England hat eine Reihe von Instrumenten zur Unterstützung von Investitionsentscheidungen entwickelt, sogenannte Return-on-Investment-(ROI)Tools, um InvestorInnen im Bereich der öffentlichen Gesundheit bei der Erarbeitung von wirtschaftlichen Argumentationslinien zu unterstützen [52]. Es gibt noch weitere Instrumente zur Unterstützung von Investitionsentscheidungen, so auch eines zur Abschätzung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses von Sozialmarketingkampagnen zur Unterstützung des Stillens. Möglicherweise wird in Zukunft jedoch ein umfassenderes ROI-Tool entwickelt, mit dem sich Maßnahmen zur Unterstützung des Stillens bewerten lassen [53].
Bis ein solch umfassendes Tool speziell für die ROI-Abschätzung von Interventionen zur Förderung und/oder Unterstützung des Stillens zur Verfügung steht, müssen wir uns bei der Erarbeitung von wirtschaftlichen Argumentationslinien für Maßnahmen zur Förderung bzw. Unterstützung des Stillens jedoch auf bereits vorhandene Daten stützen. Im Folgenden wird ein solches Beispiel vorgestellt, das auf veröffentlichten Daten aus dem Vereinigten Königreich beruht [2].
Vor der Erarbeitung einer wirtschaftlichen Argumentationslinie für Programme zur Förderung/Unterstützung des Stillens muss zunächst geprüft werden, welche Evidenzdaten zu wirksamen Interventionen vorliegen und welche nationalen Leitlinien bzw. Strategien in einem bestimmten Kontext bestehen. Wie oben bereits erörtert, entfalten Programme zur Förderung und Unterstützung des Stillens eine größere Wirkung, wenn diese gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen umgesetzt werden. Dieses Konzept wurde in mehreren zentralen Dokumenten bereits berücksichtigt, z. B. in der UNICEF-Initiative Babyfreundliches Krankenhaus [54] und den NICE-Ernährungsleitlinien für Mutter und Kind [55].
Die Erarbeitung einer wirtschaftlichen Argumentationslinie zur Förderung und Unterstützung des Stillens erfolgt gewöhnlich in mehreren Schritten:
Schritt 1: Definition der Intervention In der Regel handelt es sich bei der Intervention um „ein breit gefächertes Programm von Interventionen auf verschiedenen Ebenen, das u. a. die Schulung von MitarbeiterInnen, Peer-Unterstützungsangebote und Maßnahmen zur Sensibilisierung für Stillhindernisse und deren Überwindung umfasst. Dabei ist sicherzustellen, dass Peer-UnterstützerInnen Teil eines interdisziplinären Teams sind und entsprechend geschult werden.“ [2]
Schritt 2: Ermittlung und Kalkulation der Interventionskomponenten Nach Festlegung der Intervention besteht der nächste Schritt darin, die einzelnen Komponenten des breit gefächerten Maßnahmenpakets zu ermitteln und durchzukalkulieren. Renfrew und KollegInnen präsentieren eine exemplarische Aufstellung für die britische Region Lancashire (Tab. 11.5).
Interventionskomponente | Einmalige Kosten (Preise aus 2012) | Laufende Kosten (Preise aus 2012) | Gesamtkosten (Preise aus 2012) |
---|---|---|---|
Zertifizierung von Entbindungsstationen/-kliniken im Rahmen der UNICEF-Initiative | 0 GBP | Es wird angenommen, dass diese Kosten bereits im Budget berücksichtigt sind* | 0 GBP |
Zertifizierung von Universitäten im Rahmen der UNICEF-Initiative als babyfreundlich | 0 GBP | Es wird angenommen, dass diese Kosten bereits im Budget berücksichtigt sind* | 0 GBP |
Peer-Beratung (priorisierte nationale Empfehlung) | 0 GBP | Es wird angenommen, dass diese Kosten bereits im Budget berücksichtigt sind | 0 GBP |
Schulungen für Neugeborenen-Netzwerke | 117 000 GBP** | 0 GBP | 117 000 GBP |
Bereitstellung von Spenderinnenmilch | 0 GBP | 13 300 GBP** | 13 300 GBP |
Unterstützungsdienst zur Filterung abträglicher Werbung | 0 GBP | 57 000 GBP** | 57 000 GBP |
Strategische Leitung | 0 GBP | 259 000 GBP** | 259 000 GBP |
Stillfreundliche ArbeitgeberInnen und öffentliche Räume* | Es wird angenommen, dass diese nicht in den Bereich des Gesundheitssystem fallen | 0 GBP | 0 GBP |
Unterstützung von Müttern, die Säuglingsmilchnahrung füttern | 0 GBP | In derzeitigen Dienstleistungen inbegriffen, keine zusätzlichen Kosten vermutet | 0 GBP |
Schulprogramme | Es wird angenommen, dass diese nicht in den Bereich des Gesundheitssystem fallen | 0 GBP | 0 GBP |
Gesamtkosten | 117 000 GBP | 329 300 GBP | 446 300 GBP |
* Aufwendungen für die Zertifizierung als babyfreundlich: Entbindungskliniken/Kommunale Krankenhäuser ca. 16 000 GBP, Universitäten 4000 GBP. **Ausführliche Kalkulation siehe [2], Anhang S. 202–203.
Schritt 3: Abschätzung der Folgen einer Umsetzung der Intervention Um die Folgen einer Umsetzung der Intervention abschätzen zu können, sind 3 zentrale Annahmen von Bedeutung:
Legen Sie zunächst fest, wie stark sich die aktuell beobachteten Stillraten durch das breit gefächerte Maßnahmenpaket wahrscheinlich verbessern werden. Im Beispiel Lancashire ging man davon aus, dass durch Umsetzung der oben dargestellten Intervention die Rate für ausschließliches Stillen mit 6 Monaten von aktuell 0,5 auf 7% (niedrigere Schätzung) und die entsprechende Rate mit 4 Monaten von aktuell 7 auf 65% (höhere Schätzung) steigen würde [2]. Dabei ist zu beachten, dass die Zielraten den Werten entsprechen, die derzeit nach 4 Monaten bzw. bei Geburt beobachtet werden. Es wurde also angenommen, dass Frauen, die zum Zeitpunkt der Entbindung ausschließlich stillten, durch die Intervention dabei unterstützt würden, bis zum Lebensalter von 4 Monaten weiter zu stillen (niedrigere Schätzung), während Frauen, die ihr Kind im Lebensalter von 4 Monaten ausschließlich stillten, bis zum Alter von 6 Monaten weiter stillen würden (höhere Schätzung).
Bestimmen Sie in einem 2. Schritt, wie viele Säuglinge von dieser Intervention profitieren werden. In der Regel ist dies die Anzahl der Neugeborenen, die im laufenden Jahr überleben werden (im Beispiel Lancashire: n = 13 785 Babys).
Wählen Sie drittens den von Renfrew und KollegInnen vorgeschlagenen und hier dargestellten relevanten Schätzwert für „Potenzielle Kosteneinsparungen (Mittelwert)” und multiplizieren Sie diese Zahl mit der Anzahl der Säuglinge, die von den Maßnahmen vermutlich profitieren werden. Für das Beispiel Lancashire heißt das: 9,93 GBP (höhere Schätzung) multipliziert mit 13 785 Säuglingen ergibt eine potenzielle Kostenersparnis in Höhe von rund 136.891 GBP (höhere Schätzung) bei gastrointestinalen Erkrankungen („rund”, da die in Tab. 11.6 dargestellten Werte aufgrund von Rundungsdifferenzen geringfügig von den Ergebnissen in dieser vereinfachten Kalkulation abweichen).
Gesundheitsergebnis | Potenzielle Kostenersparnis | |||
---|---|---|---|---|
Mittelwert (niedrigere Schätzung) | Mittelwert (höhere Schätzung) | Gesamt (niedrigere Schätzung) | Gesamt (höhere Schätzung) | |
Gastroenteritis bei Säuglingen | 1,11 GBP | 9,93 GBP | 15 341 GBP | 136 891 GBP |
Infektion der unteren Atemwege bei Säuglingen | 1,81 GBP | 16,12 GBP | 24 898 GBP | 222 168 GBP |
Akute Otitis media bei Säuglingen | 0,17 GBP | 1,49 GBP | 2296 GBP | 20 491 GBP |
Nekrotisierende Enterokolitis auf Neugeborenenstationen | 29,02 GBP | 125,75 GBP | 40 132 GBP | 173 904 GBP |
Potenzielle Kostenersparnis insgesamt bei akuten Säuglingserkrankungen (jährlich, Preise aus 2012) | – | – | 82 667 GBP | 553 454 GBP |
Dieser Prozess wird für sämtliche Gesundheitsfolgen, d. h. Infektion der unteren Atemwege und akute Otitis media bei Säuglingen (n = 13.785 Säuglinge in Lancashire) sowie nekrotisierende Enterokolitis bei Frühgeborenen (n = 1.383 Aufnahmen auf Neugeborenenstationen in Lancashire) wiederholt.
Schritt 4: Geschätzte Rendite (ROI) Schätzen Sie viertens das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Dividieren Sie hierzu die potenziellen Kosteneinsparungen (inkrementeller Nutzen) durch die inkrementellen Kosten, die im Zuge der Umsetzung der Intervention entstehen. Ausgehend davon, dass sich der Nutzen des Stillens auf die eingesparten Kosten für die Behandlung akuter Erkrankungen bei Kindern beschränkt (d. h. ohne Berücksichtigung des von Renfrew et al. im Jahr 2012 berichteten Nutzens in Bezug auf mütterliche Brustkrebserkrankungen [2]), bedeutet das im vorliegenden Fallbeispiel:
Potenzielle Kostenersparnis pro Jahr (B) = 82 667 GBP (niedrigere Schätzung) bzw. 553 454 GBP (höhere Schätzung Tab. 11.6).
Inkrementelle Kosten der Umsetzung der Intervention pro Jahr (C) = 446 300 GBP (Tab. 11.5).
Kosten-Nutzen-Verhältnis für das laufende Jahr = B : C = 82 667 GBP : 446 300 GBP = 0,19 (niedrigere Schätzung) bzw. = 553 454 GBP : 446 300 GBP = 1,24 (höhere Schätzung).
Nehmen wir nun an, dass die Größe der Geburtenkohorte im Folgejahr in etwa derjenigen im laufenden Jahr entspricht, die inkrementellen Kosten der Intervention jedoch niedriger ausfallen (329 300 GBP), da das Gesundheitssystem ab dem 2. Jahr lediglich für die laufenden Kosten aufkommen muss. Berechnen Sie erneut das Kosten-Nutzen-Verhältnis (die Abschläge für das 2. Jahr könnten ignoriert werden, da der Effekt relativ gering ist).
Kosten-Nutzen-Verhältnis für das Folgejahr = B : C = 82 667 GBP : 329 300 GBP = 0,25 (niedrigere Schätzung) bzw. = 553 454 GBP : 329 300 GBP = 1,68 (höhere Schätzung).
Schritt 5: Auswertung der Ergebnisse unter Vorbehalt Im letzten Schritt geht es um die Auswertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, allerdings mit gewissen Einschränkungen.
Die obigen Kosten-Nutzen-Verhältnisse legen nahe, dass sich eine breit gefächerte, evidenzbasierte Intervention zur Unterstützung des Stillens (wie oben dargestellt) wahrscheinlich als kosteneffektiv erweist. Bei der konservativsten Schätzung (d. h. der Nutzen beschränkt sich auf Einsparungen bei akuten Erkrankungen im Kindesalter, niedrigere Schätzung) würde sich demnach ein Nettoverlust ergeben (eine Investition von 1 GBP führt zu einer Rendite von 0,19 GBP in diesem Jahr). Legt man jedoch höhere Schätzungen für den gleichen Nutzen zugrunde, so ist die Intervention durchaus kosteneffektiv (eine Investition von 1 GBP bringt eine Rendite von 1,24 GBP in diesem Jahr). Da die inkrementellen Kosten für die Umsetzung der Intervention in den Folgejahren aufgrund des Wegfalls der einmaligen Kosten sinken, wird sich die Rentabilität noch erhöhen.
Einige Vorbehalte sollen hierbei nicht unerwähnt bleiben. Der Nutzen von Interventionen zur Unterstützung des Stillens geht deutlich über die reinen Kosteneinsparungen bei der Behandlung von akuten Erkrankungen im Kindesalter hinaus. Wie oben erörtert, lassen sämtliche qualitativ hochwertigen Evidenzdaten darauf schließen, dass sich die Stillraten durch Maßnahmen zur Unterstützung des Stillens potenziell steigern lassen. Eine solche Steigerung wiederum hätte einen weitreichenderen Nutzen. Der offensichtlichste Nutzen ergibt sich aus den Kosteneinsparungen bei der Brustkrebsbehandlung, da weniger Fälle von mütterlichem Brustkrebs behandelt werden müssten. Im Beispiel Lancashire könnten sich diese Einsparungen über die Lebenszeit jeder Jahreskohorte von Erstgebärenden auf 399 000–724 000 GBP belaufen [2]. Wenn dieser Nutzen zusammen mit den sonstigen Einsparungen (z. B. weniger Fälle von plötzlichem Kindstod und Adipositas im Kindesalter sowie bessere kognitive Resultate) in der oben aufgeführten Kalkulation berücksichtigt wird, so dürfte ein wesentlicher Teil der Investition durch die Rendite aufgewogen werden, und das sogar kurzfristig.
Mit der zunehmenden Kompetenz von Fachpersonal, das Mütter beim Stillen unterstützt, und den daraus resultierenden geringeren Zusatzkosten für Schulungen und Mitarbeiterführung werden die Aufwendungen für die Umsetzung der Intervention auf ein Niveau unterhalb der anfänglichen Investitionssumme sinken. Hierdurch steigt die Rentabilität der Investition noch weiter. Hier ist jedoch zu bedenken, dass es mehrere Jahre dauern kann, bevor sich eine Intervention zur Unterstützung des Stillens als rentabel erweist [48]. Die oben dargestellten Schätzungen lassen jedoch den Schluss zu, dass evidenzbasierte, breit gefächerte Interventionen zur Unterstützung des Stillens wahrscheinlich bereits nach sehr viel kürzerer Zeit einen positiven Nettonutzen versprechen.
Der Rückgriff auf Alternativen zur Muttermilch für die Säuglingsernährung hat in der gesundheitsökonomischen Literatur für heftige Debatten gesorgt. Die Antwort auf die Frage nach dem wirtschaftlichen Wert von Muttermilch fällt je nach Perspektive unterschiedlich aus. Es liegen überzeugende Belege dafür vor, dass das Stillen eine Schutzwirkung gegen eine Reihe von Erkrankungen besitzt, insbesondere gastrointestinale Erkrankungen, Infektionen der unteren Atemwege und akute Otitis media bei Säuglingen, nekrotisierende Enterokolitis bei Frühgeborenen und Brustkrebs bei der Mutter.
Wenn Frauen über das Stillen ihres Säuglings nachdenken, sind sie vor eine komplexe ökonomische Entscheidung gestellt, die durch 3 wesentliche Aspekte noch weiter kompliziert wird: Beginn, Dauer und Ausschließlichkeit des Stillens. Wenn es um die Entscheidung geht, ob sie überhaupt stillen, ob sie ausschließlich stillen und wie lange sie stillen, wägen Frauen häufig den Nutzen (positive Anreize) gegenüber den Kosten (negative Anreize) ab. Das Stillen bringt oftmals erhebliche persönliche Kosten mit sich – sowohl finanzieller als auch zeitlicher Art. Darüber hinaus korreliert die Berufstätigkeit der Mutter negativ mit der Gesamtstilldauer. Zudem wirkt sich das Stillen häufig auf die Arbeitsmarktdaten insgesamt aus, etwa in Form eines längeren Mutterschaftsurlaubs, begrenzter Aufstiegschancen und geringerer Produktivität.
Die aktuellen Stillraten sind suboptimal. Eine Steigerung der Stillprävalenz bei den Frauen, die sich für das Stillen entscheiden, könnte für die Frauen selbst, ihre Kinder, das Gesundheitswesen und die Gesellschaft als Ganzes von erheblichem Nutzen sein. Durch die Senkung des Risikos bestimmter Erkrankungen würde sich die Lebensqualität von Mutter und Kind erhöhen. Aus Sicht der nationalen Gesundheitssysteme ist der Umstand, dass bestimmte Erkrankungen in einer Bevölkerung, in der Kinder gestillt bzw. mit Muttermilch gefüttert werden, seltener behandelt werden müssen, mit erheblichen Kosteneinsparungen verbunden. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen macht sich im Lauf der Zeit bemerkbar, da in einer Bevölkerung, in der Kinder gestillt bzw. mit Muttermilch gefüttert werden, weniger vorzeitige Todesfälle auftreten und zugleich die Prävalenz von kognitiven Defiziten und Adipositas im Kindesalter niedriger ist.
Es liegen immer mehr qualitativ hochwertige Evidenzdaten sowohl zu den Auswirkungen des Stillens als auch zur Effektivität von Maßnahmen zur Förderung/Unterstützung des Stillens vor. Gemäß aktuellem Kenntnisstand würde eine Förderung aller 3 Aspekte des Stillens (Beginn, Dauer und Ausschließlichkeit) der Gesellschaft wesentlich mehr Nutzen bieten als Kosten verursachen. Daher ist es wichtig, auch aus wirtschaftlicher Sicht für eine Förderung und Unterstützung des Stillens zu argumentieren.
Während die wirtschaftlichen Folgen des suboptimalen Stillens eindeutig belegt sind, ist die Evidenzlage zur Kosteneffektivität von Interventionen zur Unterstützung des Stillens relativ spärlich. Daher sind hier weitere wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich. Eine Möglichkeit, aus wirtschaftlicher Sicht für eine Förderung/Unterstützung des Stillens zu argumentieren, besteht darin, aussagekräftige publizierte Studien zur Steigerung der Stillraten mit anderen Studien zu kombinieren, die sich mit den Auswirkungen des suboptimalen Stillens befassen. Diese Herangehensweise ermöglicht die Schätzung eines einzigen Parameters (z. B. des Kosten-Nutzen-Verhältnisses), der Aufschluss darüber gibt, welche Rendite sich je eingesetzter Geldeinheit mit Investitionen in Maßnahmen zur Unterstützung des Stillens erzielen lässt.
Frauen entscheiden sich eher für das Stillen, wenn sie den Eindruck haben, dass die positiven Anreize (Nutzen) gegenüber den negativen Anreizen (Kosten) überwiegen.
Die erwiesenen negativen wirtschaftlichen Folgen des suboptimalen Stillens lassen darauf schließen, dass die nationalen Gesundheitssysteme durch eine Steigerung der derzeitigen Stillraten jährlich Millionenbeträge einsparen könnten.
Investitionen in Stillprogramme müssen gezielt ins Auge gefasst werden. Die vorliegenden Evidenzdaten legen nahe, dass ein Gesamtpaket von mehreren, parallel durchgeführten Maßnahmen kosteneffektiver ist als eine Umsetzung der jeweiligen Einzelmaßnahmen.
Bis mehr qualitativ hochwertige Studien zur Kosteneffektivität vorliegen, könnte für EntscheidungsträgerInnen unterdessen ein Rentabilitätsansatz (ROI-Ansatz) hilfreich sein, in dessen Rahmen ein Maßnahmenpaket zur Unterstützung des Stillens bewertet wird.