Rebecca Mannel, MPH, IBCLC, FILCA
Zentrale Lerninhalte
Die Wichtigkeit des Zugangs zu sicheren Brustpumpen
Richtlinien für die sichere Zufütterung
Bedeutung von Spenderinnenmilch
Warum der Zugang zu qualifizierter Stillberatung wichtig ist, und wer sie leisten sollte
Jede Diskussion über Themen der öffentlichen Gesundheit hat auch einen kommerziellen Aspekt. Das Stillen bildet hier keine Ausnahme. Wie bei den Themen Geburt und Kindererziehung hat auch bei dem an sich natürlichen biologischen Vorgang des Stillens eine übermäßige Kommerzialisierung stattgefunden. Fachpersonal im Gesundheitswesen, das sich auf das Stillen spezialisiert hat, ist sich einig, dass für eine erfolgreiche Stillbeziehung eigentlich nur ein Baby und eine laktierende Brust benötigt werden. Im Einzelhandel und in Onlineshops wird jedoch eine unüberschaubare Fülle von Produkten für Mütter und Babys angeboten, die stillende Mütter „brauchen“. Die Zielgruppe auf diesem Markt ist in der Regel die sozioökonomische Mittel- bis Oberschicht, die sich auch Dinge leisten kann, die nicht unbedingt notwendig sind. Familien mit einem niedrigeren sozioökonomische Status geben ihre knappen Mittel eher nicht für Stillprodukte aus. Und wenn der Kauf dieser so „dringend notwendigen“ Produkte gar nicht zur Debatte steht, stärkt das möglicherweise auch das Vertrauen der Mutter in ihre Stillfähigkeit [1], [2].
Manche Stillpaare stoßen aber auch auf Probleme, die nur mit Hilfe einer professionellen Stillbetreuung und/oder durch Spezialprodukte zu lösen sind. Mütter mit einem höheren Einkommen haben hier eher die Möglichkeit, auf Dienstleistungen und Produkte zurückgreifen, die ihnen ein fortgesetztes Stillen ermöglichen. Dies wiederum ist Müttern mit einem niedrigeren Einkommen nicht immer möglich, weshalb diese eher vorzeitig abstillen. Weltweite Statistiken zu Stillbeginn und -dauer unterstreichen, wie weit die Stillraten in vielen Ländern auseinandergehen [3]. In einigen Ländern lässt sich diese Disparität sogar an der Geburtsklinik festmachen. Kliniken, in denen mehrheitlich Mütter aus höheren Einkommenssegmenten entbunden werden, folgen eher den neuesten Best Practices zur Etablierung eines erfolgreichen Stillens. In Krankenhäusern dagegen, die mehr Familien mit einem niedrigen Einkommen aufnehmen, wird eher an überholten Praktiken festgehalten, was niedrigere Stillraten und eine kürzere Stilldauer zur Folge hat [4].
In diesem Kapitel werden gängige Produkte und Dienstleistungen rund um das Stillen vorgestellt – von Stillhilfsmitteln und Muttermilchprodukten bis zur Stillberatung. Mütter können Stillzubehör und andere Dinge kaufen, die ihnen hilfreich für das Stillen erscheinen, oder sie erhalten im Rahmen eines Behandlungsplans bestimmte Hilfsmittel, um ein Stillproblem zu lösen. Es kann vorkommen, dass Säuglinge Muttermilchprodukte unterschiedlicher Art benötigen, entweder zusätzlich zu oder anstelle der Milch ihrer Mutter. Praktisch alle stillenden Mütter und ihre Kinder werden in irgendeiner Form durch Fachpersonal im Gesundheitswesen betreut, das auf das Thema Stillen spezialisiert ist. Die Betreuung reicht von der Vorbereitung und Aufklärung bis hin zur komplexeren bzw. klinischen Versorgung. EntscheidungsträgerInnen in Politik und Gesundheitswesen sind gut beraten, sich umfassend mit den wichtigsten Produkten und Dienstleistungen sowie den entsprechenden Zugangsbarrieren auseinanderzusetzen.
Zu den meistgekauften Stillprodukten zählen mechanische Pumpen zur Gewinnung von Muttermilch aus der Brust [5]. Brustpumpen können sehr sinnvoll für Frauen sein, die regelmäßig Milch abpumpen müssen. Das Ausstreichen von Hand ist allerdings für viele Frauen weltweit effektiver und effizienter. Während weltweit insgesamt 54% aller Mütter berufstätig sind, kehren in den USA 64% aller Mütter von Säuglingen an den Arbeitsplatz zurück und müssen daher regelmäßig jeden Tag Milch abpumpen, um die Milchproduktion aufrechtzuerhalten und ihre Kinder mit Milch zu versorgen [6], [7] (siehe Kapitel 9). Auch Mütter von Frühgeborenen oder schwer kranken Babys, die noch nicht an der Brust trinken können, müssen die Laktation durch Abpumpen und/oder Ausstreichen einleiten und aufrechterhalten (siehe Kapitel 16). Die Frühgeburtenraten liegen zwischen 5 und 18%; der weltweite Durchschnitt beträgt 11% [8]. Diese besonders schutzbedürftigen Kinder haben bessere Chancen, zu überleben und an Gewicht zuzunehmen, wenn sie mit der Milch ihrer Mutter gefüttert werden. Eine häufigere Gewinnung von Muttermilch wird auch Müttern empfohlen, deren Milchbildung aus verschiedenen Gründen zurückgegangen ist (z. B. aufgrund von Schwierigkeiten beim Anlegen des Neugeborenen oder einer frühen Zufütterung von Säuglingsmilchnahrung).
Das Ausstreichen mit der Hand (manuelle Gewinnung) stellt für die meisten Mütter eine Option dar. Dazu werden weder besondere Hilfsmittel noch Strom oder Akkus benötigt und es ist kostenlos. Wenn die Mutter vom Säugling getrennt ist, wird eine doppelseitige elektrische Brustpumpe für wechselnde Benutzerinnen oft als unerlässlich angesehen, um die Milchbildung in den ersten Wochen in Gang zu bringen und aufrechtzuerhalten. Neuere Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass selbst die teuersten und hochwertigsten Pumpen die Brust weniger effektiv entleeren als das Ausstreichen von Hand [9], [10], [11]. Die Kombination aus manuellem Ausstreichen und elektrischer Pumpe hat sich als sehr effektiv erwiesen und kann die Zeit verkürzen, die für die Gewinnung von Muttermilch benötigt wird [10]. Die Verwendung einer Pumpe kann insbesondere für Mütter mit stark geschwollenen Brüsten oder gewissen körperlichen Einschränkungen angenehmer sein. Zudem können Mütter, die sexuellen Missbrauch erlebt haben, eine Pumpe als weniger psychisch belastend empfinden [12], [13].
Das Angebot von mechanischen Brustpumpen reicht von preisgünstigen manuellen Pumpen zur gelegentlichen Nutzung bis hin zu verschiedenen Arten von elektrischen Pumpen. Höherpreisige elektrische Brustpumpen bieten besondere Funktionen, wie z.B. automatisierte Unterdruck- und Geschwindigkeitszyklen. Bei elektrischen Pumpen im unteren Preissegment müssen die Unterdruck- und Geschwindigkeitsphasen manuell eingeleitet werden, und wenn das Vakuum nicht korrekt gelöst wird, können die Brustwarzen geschädigt werden. Jede Brustpumpe kann Schmerzen und Verletzungen hervorrufen, wenn sie nicht sachgerecht bedient wird. Wenn Mütter im effektiven Abpumpen von Muttermilch nicht ausreichend geschult sind, besteht die Gefahr, dass sie zu lange oder mit zu starkem Unterdruck pumpen – beides erhöht die abgepumpte Milchmenge nicht, kann aber zu Schmerzen und Verletzungen führen [14]. Der Teil des Pumpensystems, der auf der Brustwarze sitzt (Brusthaube oder Trichter genannt), muss der Brust der Mutter angepasst werden. Ein zu eng sitzender Trichter kann Schmerzen und Verletzungen der Brustwarze verursachen und den Milchfluss behindern, sodass insgesamt weniger Milch abgepumpt und letztlich auch weniger Milch gebildet wird [15].
Der Zugang zu sicheren Brustpumpen von guter Qualität ist eine gesundheitspolitische und wirtschaftliche Frage. In einigen Ländern gelten Brustpumpen als Konsumgüter und nicht als Medizinprodukte [16]. Die Qualität von Brustpumpen unterliegt in den meisten Ländern keiner Regulierung, obwohl in manchen Ländern Systeme für die Überwachung und Meldung von Sicherheitsproblemen existieren [17]. Sozioökonomisch bessergestellte Familien greifen eher zu den höherwertigen Brustpumpen, während Familien mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status eher eine billigere Pumpe kaufen und dann womöglich feststellen müssen, dass sie nicht effektiv funktioniert oder sogar zu einer Verletzung der Brust bzw. Brustwarze führt. In ressourcenarmen Ländern sind auch der Zugang zu hochwertigen Brustpumpen, Ersatzteilen, unterschiedlichen Trichtergrößen und Batterien sowie eine durchgehende Stromversorgung nicht immer gewährleistet. Wenn das Abpumpen mit Schmerzen, einem zu hohen Zeitaufwand am Arbeitsplatz oder auch mit einem Rückgang der Milchproduktion verbunden ist, erscheint es vielen Frauen letztlich einfacher, abzustillen und auf die überall erhältliche und stark beworbene Säuglingsmilchnahrung zurückzugreifen.
In Krankenhäusern, die als babyfreundlich zertifiziert sind, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Mütter gleich nach der Entbindung durch speziell geschultes Krankenhauspersonal beim Stillen unterstützt und auch im Ausstreichen angeleitet werden. Auch Mütter, die aus medizinischen Gründen von ihrem Neugeborenen getrennt werden, müssen rechtzeitig lernen, ihre Brust effektiv zu entleeren [3]. In einer Klinik, die nicht das Qualitätssiegel „babyfreundlich“ führt, werden Mütter seltener fachkundig beim Stillen unterstützt und in der Gewinnung von Muttermilch unterwiesen. Wenn es in solchen Krankenhäusern überhaupt Brustpumpen gibt, ist das Personal eher nicht in ihrer Nutzung geschult. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Mütter standardmäßig Säuglingsmilchnahrung zur Zufütterung erhalten und mit Stillproblemen nach Hause entlassen werden.
Wenn Säuglinge nicht direkt an der Brust trinken, muss man ihnen die Milch auf anderen Wegen füttern. Sobald das Stillen und die Milchbildung etabliert sind, kann das Kind in der Regel auch mit der Flasche gefüttert werden, wenn die Mutter abwesend ist (z. B. bei der Arbeit). In der Phase unmittelbar nach der Geburt hingegen, in der die Milchproduktion noch entscheidend davon abhängt, dass der Säugling erfolgreich angelegt wird und trinkt, kann der Rückgriff auf Fläschchen und Schnuller zahlreiche Stillprobleme verursachen [18]. Mütter sollten in dieser Zeit möglichst ausschließlich stillen und die Zufütterung mit Säuglingsmilchnahrung ebenso vermeiden wie die Verwendung künstlicher Sauger [19], [20]. Wenn Neugeborene Säuglingsmilchnahrung bekommen, trinken sie seltener an der Brust und die Milchbildung wird entsprechend weniger angeregt. Darüber hinaus steigt das Risiko von akuten und chronischen Erkrankungen. Außerdem führt die Verwendung von künstlichen Saugern und Schnullern dazu, dass das Kind weniger lange an der Brust saugt und dass es die Brust anders erfasst, was wiederum schmerzhaft für die Mutter sein kann.
Die Richtlinien der Initiative Babyfreundliches Krankenhaus sehen vor, dass die Mutter aufgeklärt wird und zustimmen muss, bevor das Baby zusätzlich mit anderer Milchnahrung oder auf anderem Wege gefüttert wird. Wenn eine Zufütterung medizinisch angezeigt ist, sollte sie auf andere Weise als mit der Flasche erfolgen, und die Mutter sollte unverzüglich in der Gewinnung von Muttermilch geschult werden [3]. Alternative Methoden der oralen Fütterung, die eine Fortsetzung des Stillens fördern, wurden bislang nur wenig erforscht. Häufig beschriebene Methoden sind u.a. die Fütterung mit einem Becher oder schnabelförmigen Trinkbehältnis (Paladai), über ein Schlauchsystem an der Brust oder am Finger – oder auch per Pipette oder Löffel (Abb. 12.1, Abb. 12.2). Babys, die überhaupt nicht in der Lage sind zu trinken, werden meist über eine Magensonde ernährt; auf diese invasive Methode wird hier nicht weiter eingegangen. Am besten erforscht ist die Becherfütterung – eine Methode, die einfach, nicht invasiv, leicht zu erlernen, hygienisch und kostengünstig ist, denn man braucht dafür lediglich einen kleinen Becher wie z. B. die 30-ml-Kunststoffbecher, die in Krankenhäusern für die Medikamenteneinnahme gebräuchlich sind. Aus Indien kommt der Paladai, eine Art offenes Schnabeltässchen, das die Milch kanalisiert und so dem Kind das Trinken erleichtert.
In ihrer Musterrichtlinie zur Förderung des Stillens auf der Wochenstation empfiehlt die Academy of Breastfeeding Medicine die Becherfütterung, wenn bei gestillten Neugeborenen medizinische Gründe für eine Zufütterung vorliegen [21]. In ihrem Protokoll Nr. 3 zur Zufütterung bei gesunden, reif geborenen Neugeborenen im Krankenhaus aus dem Jahr 2009 gibt die Akademie einen kurzen Überblick über die Risiken und Vorteile der verschiedenen Techniken und gelangt letztlich zu dem Schluss, dass bis jetzt „noch keine optimale Methode identifiziert“ wurde [22]. Mit einem Brusternährungsset wird über einen Schlauch zugefüttert, der unmittelbar neben der Brustwarze endet; so kann das Kind zumindest ähnlich wie beim Stillen angelegt werden und saugen. Diese Systeme sind teuer, wenig verbreitet, zum Teil kompliziert zu verwenden und aufwendig zu reinigen. Manche hoch motivierte Mütter, z.B. solche, die ein Kind adoptiert haben oder körperlich nicht in der Lage sind, Milch zu bilden, entscheiden sich für ein solches Brusternährungsset, damit das Kind an ihrer Brust liegend trinken kann [23]. Bei der Fingerfütterung saugt das Baby an einem Schlauch, der am Finger der Betreuungsperson befestigt wurde. Die Fütterung über Schlauchsysteme wurde bisher generell nur in sehr begrenztem Umfang erforscht [22].
Stillhütchen wurden ursprünglich für Mütter mit Hohl- oder Schlupfwarzen entwickelt, damit der Säugling die Brustwarze leichter mit dem Mund erfassen und halten kann. Die meisten Modelle bestehen heute aus einer dünnen Silikonschicht und werden unmittelbar auf die Brustwarze der Mutter aufgelegt (Abb. 12.3). Wenn der Säugling die Brustwarze einschließlich Vorhof richtig erfasst, werden die Brustwarze und das umliegende Brustgewebe der Mutter weit in den Mund des Säuglings eingesaugt und beim Trinken rhythmisch komprimiert. Stillhütchen können in bestimmten Situationen sehr sinnvoll sein, werden aber auch oft vorschnell eingesetzt [24], [25]. Am besten ist ihre Anwendung bei Frühgeborenen auf der Neugeborenen-Intensivstation (NICU) belegt [26]. In Krankenhäusern werden sie jedoch häufig auch bei Müttern angewendet, die keine Anomalie der Brustwarzen aufweisen, deren Kind aber in den ersten Lebensstunden sehr schläfrig ist oder sich nicht immer gut anlegen lässt. Stillhütchen haben sich außerdem bei Säuglingen als hilfreich erwiesen, die sich an Flaschen- und Beruhigungssauger gewöhnt und verlernt haben, das Saugen an der Brust aufrechtzuerhalten. Und nicht zuletzt können Stillhütchen helfen, auch bei hochgradig wunden Brustwarzen weiter direkt an der Brust zu stillen.
Wenn frühzeitig Stillhütchen verwendet werden, sollte die Brust durch Abpumpen oder Ausstreichen regelmäßig entleert werden, um die weitere Milchbildung aufrechtzuerhalten [27]. Stillhütchen werden in unterschiedlichen Größen angeboten und müssen an die Brustwarze der Mutter ebenso angepasst werden wie an die Mundhöhle des Kindes. Der frühe Einsatz von Stillhütchen kann auch dazu führen, dass das Kind das Trinken ohne sie verweigert, was wiederum die Mutter in eine schwierige Lage bringen kann, wenn sie einmal kein Hütchen zur Hand hat. Stillhütchen werden in zahlreichen Verkaufsstellen angeboten, und manche Mütter kaufen sie in der Hoffnung, damit ein Stillproblem auf eigene Faust zu lösen. Eine unsachgemäße Nutzung von Stillhütchen kann jedoch die Milchbildung und das effektive Anlegen des Kindes beeinträchtigen. Wenn Stillhütchen verwendet werden, sollten examinierte Still- und LaktationsberaterInnen (International Board Certified Lactation Consultant, IBCLC) beobachten, wie sich die Milchaufnahme und das Körpergewicht des Kindes sowie die Milchproduktion der Mutter entwickeln, und ob das ursprüngliche Problem gelöst ist. Die Mütter brauchen Unterstützung dabei, die Kinder vom Stillhütchen zu entwöhnen und sie ohne Stillhilfe anzulegen [27].
Brustwarzenformer sind eine relativ neue Produktentwicklung, um Schlupf- und Hohlwarzen zu korrigieren, ohne auf Stillhütchen zurückgreifen zu müssen. Unmittelbar vor dem Anlegen des Säuglings übt man damit direkt auf die Brustwarze einen konzentrierten Sog aus. Brustwarzenformer bestehen typischerweise aus einem Trichter und einem Ball. Ihre Wirksamkeit wurde bisher nicht wissenschaftlich untersucht. In Ermangelung evidenzbasierter Optionen empfehlen manche StillberaterInnen auch, die Brustwarze mit einer mechanischen Milchpumpe hervorzulocken und zugleich die Milchbildung aufrechtzuerhalten.
Gelauflagen sind Gelpads auf Glycerin- oder Wasserbasis, die bei einer mittelschweren bis schweren Warzenverletzung auf den Brustwarzenbereich aufgelegt werden, um die feuchte Wundheilung zu fördern. Die Gelpads sind luftdurchlässig, beschleunigen die Gewebeheilung, schützen die Haut vor einer weiteren Schädigung und lindern die Schmerzen. Gelpads können zwar recht teuer sein, doch kann ein Set (Paar) mehrere Tage lang immer wieder verwendet werden, und diese Anwendungsdauer ist oft schon ausreichend. Wenn eine Wundinfektion vorliegt, dürfen keine Gelpads verwendet werden. Zudem können sie bei unsachgemäßer Verwendung die Vermehrung von Pilzen oder Bakterien fördern. Zu ihrer Wirksamkeit liegen widersprüchliche Forschungsergebnisse vor [28].
Schnuller (Beruhigungssauger) sind ein weltweit allgegenwärtiges Babyprodukt. Im Prinzip kann jede Betreuungsperson einem Baby einen Schnuller geben. Oft werden sie jedoch von stillenden Müttern als notwendiges Hilfsmittel angesehen, basierend auf dem verbreiteten Irrglauben, dass häufig gestillte Kinder die Mutterbrust „als Schnuller gebrauchen“. In Kulturen, in denen Kinder früh zur Selbständigkeit erzogen werden, wird häufiges Stillen eher mit klammernden und fordernden Babys in Verbindung gebracht und nicht als normale, physiologische Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind angesehen [29], [30]. Werden Schnuller wegen zugrunde liegender Stillprobleme verwendet, so können sie diese noch verstärken [31], [32]. Wenn vor der erfolgreichen Etablierung des Anlegens und der Milchbildung bereits Schnuller verwendet werden, kann dies dazu führen, dass Stillmahlzeiten entfallen, dass die Mutter weniger Milch bildet und vermehrt Brustwarzenschmerzen hat und dass das Kind weniger Muttermilch aufnimmt und Schwierigkeiten beim Erfassen und Ansaugen hat [33], [34]. Der langfristige Gebrauch von Schnullern kann das Risiko von Ohrinfektionen erhöhen, die Mundhöhle verformen und die Stilldauer verkürzen [35].
Sinnvoll können Schnuller hingegen sein, wenn das Kind einer schmerzhaften Maßnahme unterzogen werden muss, wenn es nicht eigenständig trinkt und lernen soll, das Saugen mit der Milchaufnahme zu assoziieren, oder wenn es beruhigt werden soll und die Mutter nicht unmittelbar verfügbar ist. Nach der Etablierung des Stillens wird auch empfohlen, Schnuller beim Einschlafen einzusetzen, um das Risiko eines unerklärlichen plötzlichen Kindstods (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS) zu vermindern [36], [18]. Das Regelwerk der Initiative Babyfreundliches Krankenhaus schreibt vor, Mütter über die Risiken von Beruhigungssaugern aufzuklären und Neugeborenen nicht automatisch den Schnuller zu geben.
Still-BHs, Stillkleidung, Wickel- und Tragetücher sowie Stillkissen sind weitere allgemein erhältliche Babyprodukte, die bei stillenden Müttern stark beworben werden. Sie alle können für Mütter, die es sich leisten können, ein nettes Extra sein; notwendig für ein erfolgreiches Stillen sind sie jedoch nicht. Mütter brauchen keine Spezialkleidung zum Stillen, auch wenn ein gut sitzender BH, der ein bequemes Stillen ermöglicht, durchaus praktisch ist. Sehr nützlich sind Tragetücher, in denen die Mutter ihr Kind unterwegs und bei verschiedensten Tätigkeiten eng am Körper tragen und bei Bedarf leicht stillen kann. Tragetücher sorgen für körperliche Nähe, beruhigen das Kind und lassen sich mit einem großen Stück Stoff leicht und kostengünstig selbst herstellen. In Bolivien und anderen Ländern der Andenregion tragen die meisten Mütter ihre Babys und kleinen Kinder in den landestypischen bunten Aguayo-Tüchern (Abb. 12.4). Spezielle Stillkissen, die sich die Mutter umlegen kann, um das Kind zu stützen, sind sehr beliebt und können insbesondere Erstgebärenden und Müttern von Zwillingen das Stillen erleichtern. Ein ähnlicher Stützeffekt lässt sich auch mit haushaltsüblichen Gegenständen wie Kopfkissen oder aufgerollten Decken erzielen.
Die Praxis, ein Baby mit der Milch einer anderen Frau als seiner Mutter zu füttern, ist so alt wie die Menschheit selbst. Der Kodex Hammurabi aus dem Jahre 2250 v. Chr. ist das erste bekannte Schriftstück, das auf das Stillen und die Qualitäten einer guten Amme eingeht [37]. In vergangenen Jahrhunderten waren die Stillfähigkeit und die Muttermilch wertvolle Güter, die es Frauen mit einem niedrigen Einkommen ermöglichten, sich als Ammen zu verdingen [38]. Das Konzept der Muttermilchbanken entstand erst in der jüngeren Vergangenheit, als industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung in Konkurrenz zum Stillen trat und Ammen zunehmend schwer zu finden waren. Die erste Muttermilchbank der Welt wurde im Jahr 1909 in Wien eingerichtet; der erste Prototyp in den USA wurde im Jahr 1910 von einem Arzt in Boston, Massachusetts, eröffnet [39]. Das Boston Directory for Wet Nurses hatte zum Ziel, dem plötzlichen Rückgang der Stillraten entgegenzuwirken, indem man die Vermittlung von Ammen förderte und entstigmatisierte. So erhielten „bedürftige Frauen mit Kind die Möglichkeit, auf ehrbare Weise ihren Lebensunterhalt zu verdienen“, indem man ihnen ihre gewonnene Milch ab- und diese weiterverkaufte [40]. Die Erfindung der Kältetechnik machte es möglich, gewonnene Milch in Milchbanken und Krankenhäusern sicher zu lagern, sodass noch mehr Mütter mit einem niedrigen Einkommen einer respektablen Berufstätigkeit nachgehen konnten, indem sie ihre Muttermilch an Milchbanken verkauften und zugleich zu Hause ihre eigenen Kinder versorgten.
In Australien begann die Weitergabe von Muttermilchspenden auf informeller, gemeinnütziger Basis in den 1970er Jahren, als einige Krankenhäuser in Partnerschaft mit der Nursing Mothers Association of Australia Mitglieder anwarben und dazu aufriefen, gewonnene Muttermilch für kranke Säuglinge zu spenden [41]. Die Human Milk Banking Association of North America (HMBANA) wurde im Jahr 1985 gegründet, um Standards für Milchbanken in Kanada, Mexiko und den USA zu etablieren. Die Organisation setzte sich außerdem dafür ein, dass Milch gespendet und nicht gegen Bezahlung abgegeben wird. Wie bei den meisten Milchbanken wurde die Milch vor der Entdeckung des HI-Virus nicht pasteurisiert. Die Spenderinnen wurden allerdings auf Infektionskrankheiten untersucht. Bei gemeinnützigen Milchbanken ist es heute allgemein üblich, dass die Milch gespendet werden muss, damit keine finanziellen Anreize für Mütter geschaffen werden, ihre Milch zu verkaufen, statt ihr eigenes Kind zu versorgen, oder die Milch mit anderen Flüssigkeiten zu strecken. Die Milchspenden werden in den Banken meist nach dem Holder-Verfahren pasteurisiert, einer bewährten Methode zur Pasteurisierung von Muttermilch [42], [39]. Obwohl auf diesem Gebiet weiter aktiv geforscht wird, ist die Sicherheit der aktuell gebräuchlichen Verfahren gut belegt. Von der HMBANA gibt es aus den 30 Jahren ihrer Tätigkeit keinen einzigen Bericht über unerwünschte Folgen bei Säuglingen, die mit Milch aus einer HMBANA-Milchbank gefüttert wurden.
In Kapitel 14 wird das Thema Muttermilchbanken ausführlich behandelt. In diesem Abschnitt geht es um die steigende Nachfrage nach sicherer, pasteurisierter Spenderinnenmilch zur Verwendung in Krankenhäusern und um die aktuelle Debatte um die Gemeinnützigkeit bzw. Gewinnorientierung von Milchbanken. Seit die Vorzüge der Fütterung von frühgeborenen und schwer kranken Säuglingen mit Spenderinnenmilch wissenschaftlich nachgewiesen sind, hat die Zahl der Milchbanken stark zugenommen [43], [44]. In mindestens 37 Ländern der Welt gibt es Milchbanken; die führende Position hält Brasilien mit 215 Einrichtungen [45]. Das Land führt die erhebliche Senkung seiner Säuglingssterblichkeitsrate um 73% in weniger als 30 Jahren im Wesentlichen auf dieses gut ausgebaute Netz von Milchbanken zurück [46]. Das brasilianische Modell veranschaulicht, wie wirkungsvoll eine staatliche Förderung sein kann, um zügig eine adäquate landesweite Milchbank-Infrastruktur aufzubauen (Abb. 12.5). Die HMBANA, die ohne staatliche Förderung auskommen muss, konnte die in ihren Einrichtungen ausgegebene Menge pasteurisierter Spenderinnenmilch von rund 41,000 Litern im Jahr 2008 auf rund 109,000 Liter im Jahr 2014 steigern. Doch auch diese imposante Zunahme deckt noch lange nicht den für das Jahr 2011 geschätzten Bedarf von ca. 270,000 Litern allein für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht unter 1500 Gramm in den USA [39], [44].
Die meisten Milchbanken weltweit sind gemeinnützige Einrichtungen mit vergleichbaren Standards für die Auswahl der Spenderinnen und die Aufbereitung und Weitergabe der Spenderinnenmilch. In der International Milk Banking Initiative haben sich viele dieser Milchbanken zusammengeschlossen, um „hohe Standards für die Sicherheit, Ethik und Rückverfolgbarkeit in weltweiten Muttermilchbanken zu fördern“ [45]. Gemeinnützige Milchbanken gehören in vielen Ländern nationalen Organisationen an. Diese geben standardisierte Best Practices vor, wie im Fall der European Milk Banking Association, oder fördern die internationale Zusammenarbeit in der Forschung und im Bereich der Verfahrensweisen in Muttermilchbanken, z. B. in Form von gemeinsamen Stellungnahmen der EMBA und HMBANA [47].
Gesunde stillende Mütter spenden den Milchbanken ihre Muttermilch ohne Bezahlung, während die Milchbanken für die Ausgabe der pasteurisierten Milch eine Gebühr erheben, die zur Deckung der Kosten für Screenings, Tests und Verarbeitung beiträgt. Die Vorgehensweise ähnelt also jener, die sich auch bei Blutbanken bewährt hat. Viele Milchbanken erhalten auch Spenden, staatliche Zuschüsse und sonstige Fördermittel zur Deckung ihrer Betriebskosten. Die primären Zielgruppen für die Versorgung mit pasteurisierter Spenderinnenmilch sind frühgeborene und schwer kranke Säuglinge im Krankenhaus. Manche Milchbanken geben Spenderinnenmilch auch auf ambulanter Basis ab, d. h. für Säuglinge mit einem entsprechenden medizinischen Bedarf. Die niedrigste Priorität haben angesichts der aktuellen Versorgungssituation gesunde, reif geborene Säuglinge, deren Mütter nicht genug Milch produzieren können. Idealerweise sollten alle Babys, die nicht mit der Milch ihrer Mutter ernährt werden können, als zweitbeste Option Spenderinnenmilch bekommen. Die weltweiten Kapazitäten der Milchbanken müssen erheblich ausgebaut werden – Brasilien könnte hierfür ein nachahmenswertes Modell sein, insbesondere für ressourcenärmere Länder.
Angesichts des hohen Bedarfs an Muttermilchprodukten, der fehlenden Regulierung in einigen Ländern und des hohen Gewinnpotenzials sind auch verschiedene Modelle von profitorientierten Milchbanken entstanden. Das in den USA ansässige profitorientierte Unternehmen Prolacta Bioscience produziert vorwiegend Muttermilchbasierte Nahrungszusätze (Muttermilchsupplemente). Diese werden der Mutter- oder Spenderinnenmilch für Kinder mit sehr niedrigem Geburtsgewicht auf der NICU zugegeben. Muttermilchsupplement ist ein Konzentrat, das aus etwa der 10-fachen Menge an Spenderinnenmilch gewonnen wird. Prolacta arbeitet mit anderen Organisationen zusammen, um Spenderinnen anzuwerben, und bezahlt 1 USD pro Unze (33 ml) Spenderinnenmilch bis zu einer Obergrenze von 300 Unzen (knapp 9 Litern) pro Spenderin [48]. Die gesamte Milch wird zur Verarbeitung an den Hauptstandort von Prolacta in Kalifornien versandt und von dort aus vertrieben. Die Prolacta-Produkte werden bevorzugt den Partnerorganisationen zur Verfügung gestellt. Prolacta hat sowohl eigene Forschungsarbeiten als auch mehrere klinische Studien finanziert und veröffentlicht, die in mittels Peer Review geprüften medizinischen Fachzeitschriften erschienen sind [49].
Zwei weitere Unternehmen sind Medolac und die International Milk Bank [50], [51]. Medolac stuft sich selbst als „Public Benefit Corporation“ ein – im US-System ein profitorientiertes Unternehmen, das laut seinen Statuten neben der Gewinnmaximierung auch einen Nutzen für die Allgemeinheit anstrebt. Medolac bietet ein Spenderinnenmilchprodukt an, das als „handelsüblich steril“ und bei Raumtemperatur 3 Jahre lang haltbar beworben wird; die Zusammensetzung und gesundheitlichen Auswirkungen des Produkts wurden jedoch bisher nicht von unabhängiger Seite untersucht. Die International Milk Bank (IMB) befindet sich derzeit im Aufbau und bezeichnet sich als privatwirtschaftliches Unternehmen, das ebenfalls „handelsüblich sterile“ Milch anbieten wird. Die IMB kooperiert mit Only The Breast, einer reinen Onlineorganisation. Auf deren Internetplattform können Frauen ihre Muttermilch landesweit an jede beliebige Person verkaufen, für die Anwendung bei Erwachsenen oder Kindern (siehe Kapitel 12.3.4).
Die Kommerzialisierung von Muttermilch wirft die Frage auf, wie diese ganz besonders knappe und schützenswerte Ressource genutzt werden sollte. Im Gegensatz zu einer Blut- oder Organspende hat eine Muttermilchspende (ob gegen Bezahlung oder nicht) die Besonderheit, dass sie sich potenziell nicht nur auf die Spenderin selbst, sondern auch auf deren Kind auswirkt. Gemeinnützige Milchbanken berücksichtigen daher bei der Spenderinnenauswahl schon seit langem nicht nur den Gesundheitszustand der potenziellen Spenderin, sondern auch den ihres Babys [39]. Die meisten gemeinnützigen Milchbanken weltweit gehören einem nationalen oder regionalen Netzwerk an, in dem sich die Milchbanken gegenseitig unterstützen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Säuglinge mit den ernsthaftesten Erkrankungen mit pasteurisierter Spenderinnenmilch versorgt werden, unabhängig von der finanziellen Situation der Familie. Viele HMBANA-Milchbanken leisten in ihrer jeweiligen Kommune auch eine karitative Versorgung.
Von der US-Aufsichtsbehörde FDA (Food and Drug Administration) gibt es derzeit keine Vorschriften für Muttermilchbanken, jedoch hat man damit begonnen, HMBANA-Milchbanken durch Inspektionen vor Ort zu begutachten. Medolac und IMB halten sich nach eigenen Angaben an die FDA-Verordnung für pasteurisierte Milch, die sich eigentlich auf die Tiermilchindustrie bezieht. Prolacta gibt an, dass das Unternehmen bei der FDA als Nahrungsmittelhersteller registriert ist und seine Produkte als Säuglingsmilchnahrung eingestuft sind.
Das meistverwendete Milch-Zusatzprodukt ist Muttermilchsupplement. Es wird typischerweise verwendet, um gewonnene Muttermilch für Säuglinge mit einem sehr niedrigen Geburtsgewicht von unter 1500 g mit Nährstoffen anzureichern. Dank der modernen Neonatalmedizin sind die Überlebensraten dieser winzigen Babys deutlich gestiegen, und auch zur optimalen Ernährung dieser um Monate zu früh geborenen Kinder wird geforscht. Die derzeitige Standardversorgung auf NICUs weltweit besteht in der Fütterung mit Muttermilch, insbesondere Milch der leiblichen Mutter [52]. Bei Babys mit sehr niedrigem Geburtsgewicht wird auch häufig eine Anreicherung der Muttermilch empfohlen, um ihren Mehrbedarf an Protein, Kalzium und Phosphor zu decken. Während die optimalen Wachstumsraten (Gewicht versus Körperlänge) noch umstritten sind, wird eine Supplementierung dringend empfohlen [43]. Bis Prolacta kürzlich das erste Muttermilchbasierte Supplement auf den Markt brachte, stellte die Säuglingsnahrungsindustrie alle Muttermilchsupplemente aus Rohstoffen bovinen Ursprungs her. Diese Produkte stehen im Verdacht, die Entstehung von nekrotisierender Enterokolitis zu begünstigen, selbst wenn das Kind ansonsten ausschließlich mit Muttermilch gefüttert wird. Weitere Informationen zu Muttermilchsupplementen auf der NICU finden sich in Kapitel 13.
Da die Herstellung von Supplement auf Muttermilchbasis sehr teuer und ressourcenintensiv ist, haben NeonatologInnen eine individualisierte Anreicherung von Muttermilch vorgeschlagen. So liegen bereits einige Forschungsergebnisse zur separaten Supplementierung mit Kalzium und Phosphor anstelle eines „Einheitspakets“ vor. Andere WissenschaftlerInnen haben die Protein-Supplementierung mit hydrolysierten Proteinen bovinen Ursprungs untersucht. Bei einer individualisierten Säuglingsernährung wäre auch eine Analyse der Muttermilch vor der Supplementierung sinnvoll, um die Anreicherung möglichst passgenau abzustimmen. Die meisten NICUs sind derzeit nicht für solche Muttermilchanalysen ausgestattet, doch wird diese Option von einigen NICUs in Zusammenarbeit mit örtlichen Milchbanken geprüft [53].
Kolostrumkapseln und -pulver bovinen Ursprungs sind seit über 20 Jahren auf dem Markt und werden als hoch wirksame Immunbooster beworben. Im Internet und in den sozialen Medien wurde Werbung für Kolostrum und Muttermilch, die von Frauen verkauft werden, zwischenzeitlich legalisiert. Manche Krebspatienten versuchen, durch die regelmäßige Zufuhr von Spenderinnenmilch ihre Krebserkrankung zu bekämpfen und die Nebenwirkungen der Chemotherapie abzumildern. Zwar deuten Laboruntersuchungen darauf hin, dass bestimmte Proteine in der Muttermilch Krebszellen abtöten können [54], [55], jedoch liegen keine publizierten Studien vor, die nachweisen, dass Muttermilch bei Erwachsenen eine therapeutische oder prophylaktische Wirkung gegen Krebs besitzt. Muttermilch wurde außerdem als Ernährungstherapie für Transplantatempfänger propagiert, ebenso zur topischen Anwendung bei Verbrennungen und akuten Infektionen verschiedener Art. Einige Verkäufer bewerben Muttermilch mit Attributen wie 100% biologisch, kuhmilchfrei, nikotinfrei, glutenfrei usw. Ein neuerer Trend besteht darin, dass Sportler Muttermilch zu noch höheren Preisen kaufen, in der Absicht, damit ihre Ausdauer und Energie zu steigern [56]. Es gibt jedoch bislang keinerlei Belege, die für einen Nutzen von Muttermilch bei Erwachsenen sprechen, weder als Teil der Ernährung noch als topische Therapie. Vielmehr gibt der Verkauf von Muttermilch ohne belegten Nutzen Anlass zur Sorge, dass manche Frauen ihre Milch aus finanziellen Gründen verkaufen, statt damit ihr Baby zu füttern oder ihre Milch einer Milchbank zu spenden, um bedürftigen Frühgeborenen zu helfen.
Eine historisch schon lange gängige Praxis ist es hingegen, Muttermilch informell an andere Angehörige, enge FreundInnen oder NachbarInnen weiterzugeben. Diese Praxis bezeichnet man heute als informellen Milchaustausch, um sie vom Spenden von Milch an eine Milchbank zu unterscheiden. Bei Milchspenden von einer laktierenden Frau aus dem persönlichen Umfeld ist das Risiko geringer, dass die Milch verschmutzt oder „gestreckt“ ist, oder dass die Spenderin raucht oder sonstige Substanzen zu sich nimmt, die in die Muttermilch übertreten können. Die Weitergabe von Milch oder das Stillen durch eine Amme erfolgte in der Vergangenheit meist dann, wenn die Mutter krank oder verstorben war, und die Familie den Säugling auf keine andere Weise sicher ernähren konnte.
Heutzutage, da die Vorzüge der Muttermilch und des Stillens zu einem starken Gesundheitsthema geworden sind, gibt es immer mehr Frauen, die zwar stillen wollen, aber nicht können, weil gesellschaftliche Barrieren unserer Zeit sie davon abhalten (z. B. wenig stillfreundliche Praktiken im Krankenhaus, Hindernisse am Arbeitsplatz, fehlender oder unzureichender Mutterschaftsurlaub). In vielen Ländern fangen die meisten Frauen an, ihre Kinder zu stillen. Doch nach 6 Monaten stillt nicht einmal mehr die Hälfte der Frauen, und schon gar nicht ausschließlich, wie es für die ersten 6 Monate empfohlen wird [57], [58]. Mütter, die für ihre Babys eine optimale Ernährung wünschen, ihnen diese aber nicht bieten können, suchen heute bei Freundinnen und Angehörigen Hilfe bei der Milchversorgung. Die EMBA und die HMBANA haben eine gemeinsame Stellungnahme zum informellen Milchaustausch herausgegeben (online abzurufen unter www.europeanmilkbanking.com). Wenn Mütter und ihre jeweiligen Babys einander persönlich kennen, ist es wahrscheinlicher, dass sie einander unentgeltlich helfen und dass die gespendete Milch frei von schwerwiegenden Risiken für das Empfängerbaby ist – es sei denn, sie leben in einer Region, in der Frauen trotz HIV-Infektion stillen [39], [59].
Der neueste Trend bei der Weitergabe von Muttermilch ist es, Muttermilch über das Internet und insbesondere über Plattformen der sozialen Medien zu verschenken oder zu verkaufen. Auf verschiedenen Internet- und Facebook-Seiten können sich Mütter mit überschüssiger Milch mit Müttern oder anderen Personen vernetzen, die Milch zur Ernährung eines Säuglings oder für andere Zwecke suchen, wie bereits erwähnt. Diese Praxis ist bisher nicht gesetzlich geregelt. Ähnlich wie beim Verkauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten über das Internet wäre es auch schwierig, gesetzliche Regelungen durchzusetzen. In aktuellen Studien, in denen die Bestandteile von im Internet gekaufter Muttermilch analysiert wurden, haben sich Hinweise auf mögliche bakterielle Verunreinigungen, mangelhafte Transportbedingungen und eine Streckung mit Produkten bovinen Ursprungs ergeben. So stellten Keim et al. fest, dass 10% der 102 Proben von im Internet erworbener Muttermilch zu mindestens 10% aus Kuhmilch bestanden, was darauf hindeutet, dass diesen vorsätzlich ein Kuhmilchprodukt hinzugefügt wurde [60]. Dieselben AutorInnen analysierten die Milchproben auch auf bakterielle Verunreinigungen und fanden heraus, dass die meisten Proben deutlich höhere Keimzahlen aufwiesen als die unpasteurisierte Milch von ausgewählten Spenderinnen einer gemeinnützigen Milchbank [61]. Ihr Fazit lautete, dass Mütter angesichts der enormen gesundheitlichen Vorteile gerne stillen würden, aber nur begrenzte Möglichkeiten haben, wenn Stillprobleme auftreten oder sie nicht genug Milch produzieren. Damit Frauen ihre eigenen Babys erfolgreich ernähren können, ist ein breiterer Zugang zu Stillberatung und -betreuung erforderlich.
Das Internationale Gremium zur Prüfung von Still- und Laktationsberater/innen (International Board of Lactation Consultant Examiners, IBLCE) ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die „höchsten Standards für Laktations- und Stillberatung weltweit“ zu etablieren und „Personen, die diese Standards erfüllen“, zu zertifizieren (www.iblce.org [62]). Das IBLCE verfügt selbst über die Akkreditierung durch die National Commission for Certifying Agencies des Institutes for Credentialing Excellence und führt diese Auszeichnung als qualitativ hochstehendes Zertifizierungsprogramm seit nunmehr über 30 Jahren. Das IBLCE nimmt im Rahmen eines weltweiten Zertifizierungsprogramms die Prüfung zum/zur durch das Internationale Gremium zertifizierten Still- und Laktationsberater/in (International Board Certified Lactation Consultant; IBCLC) ab. Derzeit gibt es über 28,000 IBCLCs in 102 Ländern.
Bei den IBCLCs handelt es sich um qualifiziertes Fachpersonal im Gesundheitswesen, das in allen Aspekten der Laktations- und Stillberatung ausgebildet ist. KandidatInnen müssen die Zugangsvoraussetzungen für ein gesundheitswissenschaftliches Hochschulstudium erfüllen, eine 90-stündige Fortbildung auf dem Gebiet Stillen und Laktation absolvieren, über klinische Praxiserfahrung verfügen und die strenge, unabhängige Prüfung des IBLCE bestehen (https://iblce.org/). Die psychometrisch evaluierte Prüfung kann weltweit abgelegt werden und wird jedes Jahr in 15–17 Sprachen übersetzt. Um ihre Zertifizierung aufrechtzuerhalten, müssen sich IBCLCs alle 5 Jahre rezertifizieren und alle 10 Jahre das Examen neu ablegen. Die Rezertifizierung nach 5 Jahren beruht auf Fortbildungsnachweisen; dies fördert die kontinuierliche fachliche Weiterentwicklung und ein lebenslanges Lernen. Im Rahmen des Examens zur Rezertifizierung nach 10 Jahren werden das aktuelle Wissen und die kognitiven Fähigkeiten getestet. Die Prüfung beruht auf einer globalen Praxisanalyse, die neue Entwicklungen im Fachgebiet abdeckt.
Die AbsolventInnen praktizieren in einem ausgewiesenen Tätigkeitsbereich von IBCLCs, müssen den Professionellen Verhaltenskodex für IBCLCs einhalten und unterliegen dem Disziplinarwesen des IBLCE. In den Klinischen Kompetenzstandards für die Praxis von IBCLCs ist detailliert aufgeführt, welche Kenntnisse und Fähigkeiten von aktuell zertifizierten IBCLCs erwartet werden. Die Praxisstandards der International Lactation Consultant Association beschreiben die Mindestanforderungen an klinische Praxis und professionelles Verhalten (www.ilca.org). Der aktuelle Zertifizierungsstand aller IBCLCs lässt sich im Onlineregister des IBLCE einsehen: https://iblce.org/public-registry/. Der IBCLC-Titel wird weltweit anerkannt, jedoch müssen IBCLCs außerdem die einschlägigen rechtlichen Vorschriften des Landes bzw. der Gerichtsbarkeit beachten, in dem/der sie tätig sind.
Als einzige Mitglieder des medizinischen Teams, die eine unabhängige Zertifizierung als Fachpersonal für Laktations- und Stillberatung besitzen, können IBCLCs präventive und diagnostische Betreuung leisten und sich für eine stärkere offizielle Unterstützung von stillenden Familien einsetzen. Außerdem können sie in Familien ebenso wie bei Fachpersonal im Gesundheitswesen und politischen EntscheidungsträgerInnen Aufklärungsarbeit über die Bedeutung und das Management des Stillens leisten. IBCLCs sind in vielen unterschiedlichen Settings der Gesundheitsversorgung tätig – von Krankenhäusern und Geburtszentren über Arztpraxen und Ambulanzen bis hin zu Hausbesuchen. IBCLCs sind nicht nur wichtige Teammitglieder bei der klinischen Gesundheitsversorgung, sondern auch von wesentlicher Bedeutung für die öffentliche Gesundheit. Die Deckung des Betreuungsbedarfs durch IBCLC-Fachpersonal ist ein wichtiges gesundheitspolitisches Thema und kann dazu beitragen, die Stillrate und -dauer zu erhöhen. Eine in der Fachzeitschrift Pediatrics erschienene Studie aus dem Jahr 2013 hat ergeben, dass 60% aller stillenden Mütter in den USA früher abstillten als geplant; in vielen Fällen aufgrund von Stillproblemen [1]. In einer Studie aus dem Jahr 2006 wurde bei Müttern mit einem niedrigen Einkommen, die über das US-Programm Medicaid versichert waren, eine 4-fache Steigerung der Stillrate bei Entlassung aus dem Krankenhaus verzeichnet, wenn in dem Krankenhaus IBCLCs tätig waren [63]. In einer Studie von Bonuck et al. hat sich gezeigt, dass Mütter fast 3-mal häufiger mit dem Stillen begannen und das Stillen über 3 Monate beibehielten, wenn sie im Durchschnitt insgesamt 3 Stunden mit einer/einem IBCLC verbracht hatten [64]. In einer früheren, ebenfalls in Pediatrics veröffentlichten Studie derselben AutorInnen führte ein IBCLC-Kontakt bei Müttern mit niedrigem Einkommen, die ethnischen Minderheiten angehörten, auch zu einer höheren Stillintensität und längeren Stilldauer [65].
Nicht nur IBCLCs sind wichtige Mitglieder des Versorgungsteams, auch sonstiges Fachpersonal kann und soll wertvolle Beiträge zur Unterstützung des Stillens leisten. Die Laktation und das Stillen werden durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Hierzu zählen physiologische, psychische, gesellschaftliche und kulturelle Faktoren. Fachpersonal, das im Bereich der Mutter-Kind-Gesundheit tätig ist, sollte zumindest in Grundzügen mit der Bedeutung des Stillens vertraut sein und wissen, wie Familien bei Bedarf Zugang zu qualifizierter Betreuung verschafft werden kann. Abhängig von seinen Kontakten zu Familien von Säuglingen und Kleinkindern sollte sich dieses medizinische Fachpersonal in den Grundlagen des Stillmanagements und insbesondere in der präventiven Versorgung fortbilden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNICEF haben einen 40-stündigen Kurs zum Thema Stillen ausgearbeitet, der für alle Stufen und Spezialisierungen von Fachpersonal im Gesundheitswesen geeignet ist [66]. Das US Breastfeeding Committee hat Grundkenntnisse zum Stillen benannt, mit denen Fachpersonal im Gesundheitswesen grundsätzlich vertraut sein sollte [67]. Die Initiative Babyfreundliches Krankenhaus schreibt für Pflegepersonal auf Entbindungs-/Neugeborenenstationen ein Minimum von 20 Stunden Schulung einschließlich einer Prüfung der Kenntnisse vor [3].
Weltweit werden zahlreiche Kurse zum Thema Stillbetreuung angeboten; viele davon sind bequem online zugänglich. Kurse von mindestens 45 Stunden Dauer, die den Qualitätsstandards des Lactation Education Approval and Accreditation Review Committees entsprechen, sind unter folgender Adresse zu finden: www.leaarc.org. Bei einigen Kursen wird nach Teilnahme oder Abschluss ein Titel verliehen. Diese Fortbildungskurse sind häufig anbieterspezifisch und die Titel werden nur verliehen, wenn der Kurs des jeweiligen Anbieters besucht wurde. Beispiele hierfür sind die Titel Lactation Educator (LE), Certified Breastfeeding Educator (CBE), Certified Lactation Educator (CLE) oder Certified Lactation Specialist (CLS). Manchmal umfasst der Kurs auch eine Abschlussprüfung, z. B. im Fall des Certified Breastfeeding Educators (CBE) und des Certified Lactation Counselors (CLC). Der CLC-Kurs ist eine auf 45 Stunden ausgebaute Version des 40-stündigen WHO-Kurses. Meist gelten für diese Kurse keine bestimmten Voraussetzungen; sie stehen Fach- und Hilfskräften offen.
In vielen Ländern sorgen Hilfskräfte und Gesundheitspersonal auf Gemeindeebene für einen besseren Zugang zur Versorgung und können auch grundlegende Stillunterstützung im ambulanten oder häuslichen Rahmen leisten. Auch diese Personen müssen zum Thema Stillen geschult werden. In Indien wählt jedes Dorf eine Einwohnerin, die zum Accredited Social Health Activist (ASHA) ausgebildet wird [68]. Sie versorgt dann die Dorfgemeinschaft mit Informationen und Anleitungen zu verschiedenen gesundheitsrelevanten Themen, z. B. Hygiene, Ernährung, gesunde Lebensweise und Sanitärversorgung. Die ASHA-Ausbildung umfasst auch das Thema Fortpflanzung einschließlich Entbindung und Stillen, und die ASHA-Kraft ist für viele Frauen und Kinder mit eingeschränktem Zugang zur Gesundheitsversorgung die erste Ansprechpartnerin. In vielen lateinamerikanischen Ländern und auch in lateinamerikanischen Gemeinden in den USA gibt es Frauen, die in ähnlicher Funktion tätig sind; hier werden sie als „Promotoras“ bezeichnet [69]. Bei dieser Art der Unterstützung des Stillens durch Gesundheitspersonal auf Gemeindeebene ist es von Vorteil, dass diese Menschen oft aus dem selben Kulturraum stammen wie die Familien, die sie betreuen, und einen ähnlichen persönlichen Hintergrund haben. Unterdurchschnittliche Stillraten, wie sie bei Minderheitengruppen häufig vorkommen, lassen sich steigern, wenn in der Community eine kulturell und ethnisch sensible Stillbetreuung verfügbar ist [70].
In der Vergangenheit, bevor künstliche Muttermilchersatzprodukte auf den Markt kamen, die seitdem kräftig beworben werden und das Stillen verdrängen sollen, unterstützten sich stillende Mütter gegenseitig. Heute wird diese Selbsthilfe als MTM (Stillberatung von Mutter zu Mutter) oder Peer-Beratung bezeichnet; die wohl bekannteste Organisation, die diese Art der Unterstützung leistet, ist die La Leche League International (LLLI). Gegründet wurde die LLLI im Jahr 1956 von einer kleinen Gruppe von Müttern in den USA, in der Nähe von Chicago, Illinois, als die Stillrate in den USA an einem absoluten Tiefpunkt von 20% angelangt war (http://www.llli.org/lllihistory.html). Heute, gut 60 Jahre später, ist die LLLI in fast 70 Ländern vertreten. Die ehrenamtlichen Leiterinnen der LLLI sind in der Stillberatung geschult und müssen selbst mindestens 1 Kind gestillt haben. Auch die Australian Breastfeeding Association (ABA) schult stillende Mütter, um MTM-Beratung zu leisten (https://www.breastfeeding.asn.au/).
Im Jahr 1985 erkannten die ABA (damals noch unter dem Namen Nursing Mothers Association of Australia) und die LLLI den Bedarf an Fachpersonal im Gesundheitswesen, das speziell in der Stillberatung geschult ist. Mit anfänglicher finanzieller Unterstützung der LLLI setzten sie sich dann für die Einführung des Berufsbildes des IBCLC ein. In den USA wurde das MTM- oder Peer-Beratungs-Modell vom Women, Infants and Children Supplemental Nutrition Service (WIC) übernommen und auf die WIC-Zielgruppe übertragen. So wurde damit begonnen, WIC Breastfeeding Peer Counselors (BFPC) auszubilden. Diese bezahlten Beraterinnen müssen selbst vom WIC betreut worden sein und ebenfalls 1 Kind erfolgreich gestillt haben. WIC BFPCs haben nachweislich einen starken positiven Einfluss auf die Aufnahme, die Ausschließlichkeit und die Dauer des Stillens [71]. In Oklahoma, USA, liegen die Stillraten in Bezirken mit WIC BFPCs höher als im landes- und bundesweiten Durchschnitt, obwohl WIC-Populationen sonst stark unterdurchschnittliche Stillraten aufweisen [70], [72], [73].
Alle stillenden Familien brauchen Zugang zu einer zeitnahen und angemessenen Laktations- und Stillberatung. Wie viel Betreuung sie brauchen, kann ganz unterschiedlich sein und auch vom Wissens- und Ausbildungsstand der Person abhängen, von der sie die Beratung erhalten. In manchen Ländern ist Stillberatung eher als präventive Dienstleistung angelegt, und die Familien werden über das Stillen als eine Möglichkeit der Säuglingsernährung informiert. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass das Stillen ein „natürlicher“ Vorgang ist, den jede Familie ohne besondere fachliche Unterstützung bewältigen kann. Wenn der Säugling einen erhöhten Betreuungsbedarf hat, z.B. weil sein Bilirubinwert erhöht ist und er erneut ins Krankenhaus muss, dann bekommt die Stillbetreuung auch eine diagnostische Komponente. In dieser Situation kann die „Diagnose“ eines Stillversagens gestellt und der Umstieg auf Säuglingsmilchnahrung empfohlen werden. Diese Art der suboptimalen Stillberatung kann vorkommen, wenn das jeweilige Gesundheitssystem keine Schulung von Fachpersonal zum Thema Stillen vorsieht und keine IBCLCs verfügbar sind. Eine sinnvollere Form eines präventiven/diagnostischen Modells der Stillbetreuung würde folgende Elemente beinhalten:
geschultes Fachpersonal, das vor der Entbindung effektiv über das Stillen aufklärt
Entbindung in einem babyfreundlichen Krankenhaus, das eine optimale Stillbetreuung leistet
für stillende Familien mit einem niedrigen Risiko: Zugang zu qualifizierter Unterstützung auf Gemeindeebene nach der Klinikentlassung
für stillende Familien mit hohem Risiko oder erschwerten Stillbedingungen: Zugang zu IBCLC-Betreuung im Krankenhaus und auf Gemeindeebene
In einem anderen Modell wird die notwendige Stillbetreuung nach dem Grad der Dringlichkeit definiert [74]. Die Einstufung der verschiedenen Stillsituationen dahingehend, ob der Betreuungsbedarf gering bzw. hoch ist, hilft dabei, jeweils rechtzeitig die benötigten Ressourcen bereitzustellen. Der Dringlichkeitsgrad bei PatientInnen ist in der Medizin ein weit verbreitetes Konzept, das sich auch auf die Laktation und das Stillen anwenden lässt. In ihrem Fachartikel „Defining Lactation Acuity to Improve Patient Safety and Outcomes“ aus dem Jahr 2011 [74] definierte Mannel die stillbezogenen Dringlichkeitsgrade auf Grundlage des potenziellen Risikos von ungünstigen Gesundheitsfolgen (u. a. vorzeitiges Abstillen) bei Mutter und Kind. Ein geringer Dringlichkeitsgrad (Grad I) bedeutet, dass das Stillpaar minimale Risikofaktoren aufweist und dass zum Zeitpunkt der Beurteilung erfolgreich gestillt wird. Stillpaare mit geringem Dringlichkeitsgrad können von entsprechend geschulten Fach- oder Hilfskräften betreut werden, z. B. Pflegepersonal, CLCs oder Gesundheitspersonal auf Gemeindeebene. Ein höherer Dringlichkeitsgrad liegt vor, wenn das Stillpaar mehrere Risikofaktoren oder erschwerende Faktoren aufweist; hier ist die Betreuung durch IBCLC-Fachpersonal erforderlich. Wenn unzureichend geschultes Personal oder Freiwillige versuchen, hoch akute Stillprobleme zu lösen, ist die Versorgung weniger effizient und weniger effektiv. Damit steigt wiederum die Gefahr von ungünstigen Gesundheitsfolgen, was letztlich zu höheren Kosten für das Gesundheitssystem führt [75]. Wenn die eingesetzten Ressourcen einschließlich der Art der Stillberatung auf den Dringlichkeitsgrad der Stillprobleme abgestimmt werden, so trägt dies zu einem optimalen Einsatz des Personals, einer zeitnahen und effektiven Unterstützung der stillenden Familien, besseren Stillergebnissen und einer optimalen Mutter-Kind-Bindung bei [76].
Eine Erörterung der Kostenübernahme durch Versicherungen oder der Kostenträgerschaft für Stillberatungsleistungen gestaltet sich schwierig, weil sich die Gesundheitssysteme in diesem Punkt weltweit stark voneinander unterscheiden. In Ländern mit einem mehr oder weniger stark ausgebauten staatlichen Gesundheitswesen werden Leistungen rund um die Geburt eines Kindes in der Regel übernommen – neben der eigentlichen Entbindung auch die Betreuung der Mutter und des Neugeborenen nach der Geburt. Eine qualifizierte Stillberatung ist nicht immer verfügbar. Dies hängt davon ab, wie gut politische EntscheidungsträgerInnen darüber informiert sind, welche Versorgungs- und sonstigen Leistungen sinnvoll sind [77]. Häufig gehen die EntscheidungsträgerInnen davon aus, dass alle in der Perinatalversorgung tätigen Personen auch im Stillmanagement kompetent sind, was jedoch nicht immer der Fall ist. Selbst in Ländern, in denen Niedrigrisiko-Geburten häufig durch eine Hebamme begleitet werden, ist diese Hebamme oft nicht dafür ausgebildet, Stillpaare mit akutem Beratungsbedarf zu betreuen; hierfür wird vielmehr IBCLC-Fachpersonal benötigt [78]. In Systemen mit einer allgemeinen Gesundheitsversorgung zeigt sich anhand der längeren Stilldauer und des besseren langfristigen Gesundheitszustands von Mutter und Kind deutlich, warum sich eine rechtzeitige, effektive Stillbetreuung lohnt.
Im komplizierten Gesundheitssystem der USA fällt der Zugang zu einer adäquaten Stillbetreuung sehr unterschiedlich aus [79], [80]. Familien aus dem mittleren bis oberen Einkommenssegment können sich eher eine Stillberatung leisten, wenn ihre Versicherung die Kosten nicht übernimmt. Familien mit einem niedrigen Einkommen dagegen sind auf Medicaid-Leistungen angewiesen, die möglicherweise keine IBCLC- oder sonstige qualifizierte Stillberatung umfassen. Der Affordable Care Act (auch bekannt als „Obamacare“) schreibt vor, dass Stillhilfen wie Brustpumpen und Stillberatungen zu übernehmen sind, allerdings definiert das Gesetz nicht, wer diese Stillberatung leisten soll [81]. Daher vertreten viele Versicherer den Standpunkt, dass eine Stillberatung bereits durch Kliniker in ihrem Netzwerk geleistet wird, z. B. durch ÄrztInnen und Pflegefachpersonal. Jedoch ist dieses Fachpersonal nicht immer in grundlegender Stillbetreuung geschult, geschweige denn in der Versorgung von hoch akuten Fällen.
Eine offizielle Zulassung oder staatliche Anerkennung von IBCLCs als Mitglieder des Gesundheitsteams könnte dazu beitragen, den Zugang zu Stillbetreuung zu verbessern. In einigen Ländern sind IBCLCs meist noch für andere Gesundheitsberufe qualifiziert, z. B. als ÄrztInnen, Hebammen oder KrankenpflegerInnen (wobei dies vom IBLCE nicht verlangt wird). Wenn der IBCLC-Titel nur als sekundäre Qualifikation möglich ist, schränkt das den Zugang zum Beruf ein, insbesondere für junge Menschen und Angehörige von Minderheiten. Außerdem erhöht es die Kosten für den Erwerb der IBCLC-Zertifizierung und garantiert keine Bezahlung für IBCLC-Leistungen über die im Rahmen der Erstqualifikation erbrachten Leistungen hinaus. Idealerweise sollte die Tätigkeit von IBCLCs unabhängig von anderen Qualifikationen als eigenständiger Gesundheitsberuf anerkannt werden. In den USA laufen derzeit Bestrebungen für eine offizielle Zulassung; in den Bundesstaaten Rhode Island und Georgia ist sie bereits Realität. Die Zulassung wird momentan auf bundesstaatlicher Ebene erteilt; 30 weitere Staaten treiben das Thema derzeit aktiv voran.
Der Zugang zu einer rechtzeitigen, effektiven Stillbetreuung und zu Stillprodukten ist letztlich, wie jeder andere Aspekt der Gesundheitsversorgung, mit Kosten verbunden. Diese Kosten sind jedoch geringer als die, die anfallen, wenn diese Betreuung nicht geleistet wird und entsprechende negative Folgen für Mutter und Kind eintreten [82], [83]. In einem provokanten Artikel aus dem Jahr 2013 über den potenziellen wirtschaftlichen Aufwand, der durch einen mangelnden Schutz des Stillens und der Laktation entsteht, wurde der Wert der produzierten Muttermilch auf 3 Milliarden Dollar pro Jahr in Australien und 110 Milliarden in den USA geschätzt [84]. Die Autorin gelangte zu dem Schluss, dass die „Nichtberücksichtigung der Muttermilchproduktion im BIP und anderen ökonomischen Datensammlungen erhebliche Auswirkungen auf die öffentliche Politik hat“. Dass der volkswirtschaftliche Beitrag der Muttermilch auf diese Weise entwertet oder gar nicht berücksichtigt wird, trägt dazu bei, dass Programme und gesetzliche Maßnahmen zum Schutz, zur Förderung und zur Unterstützung des Stillens nach wie vor zu wenig Priorität und zu wenig finanzielle Förderung erhalten.
Brustpumpen können sehr sinnvoll für Frauen sein, die regelmäßig Milch abpumpen müssen. Der Zugang zu sicheren Brustpumpen von guter Qualität ist eine gesundheitspolitische und wirtschaftliche Frage.
Die Richtlinien der Initiative Babyfreundliches Krankenhaus sehen vor, dass die Mutter aufgeklärt wird und zustimmen muss, bevor das Baby zusätzlich mit anderer Milchnahrung oder auf anderem Wege gefüttert wird. Die optimale Art der Zufütterung bei gestillten Babys, bei denen eine Zufütterung medizinisch angezeigt ist, muss noch weiter erforscht werden.
Wenn Stillprobleme mit Hilfe kommerzieller Stillhilfen gelöst werden müssen, brauchen Mütter Zugang zu einer qualifizierten Stillbetreuung.
Sichere, pasteurisierte Spenderinnenmilch sollte jederzeit verfügbar sein, wenn ein Säugling nicht mit der Milch seiner leiblichen Mutter gefüttert werden kann.
Gemeinnützige Milchbanken folgen bewährten und evidenzbasierten Richtlinien und vernetzen sich untereinander, um die Nachfrage nach Spenderinnenmilch bestmöglich zu befriedigen. Mit mehr staatlicher Unterstützung könnte das Milchbanksystem zügig ausgebaut werden.
Bei IBCLCs handelt es sich um qualifiziertes medizinisches Fachpersonal, das in allen Aspekten der Laktations- und Stillberatung ausgebildet ist. Die Deckung des Betreuungsbedarfs durch IBCLC-Fachpersonal ist ein wichtiges gesundheitspolitisches Thema und ein potenzieller Weg, die Stillrate und -dauer zu erhöhen.
Eine offizielle Zulassung oder staatliche Anerkennung von IBCLCs als Mitglieder des Gesundheitsteams könnte dazu beitragen, den Zugang zu Stillbetreuung zu verbessern.
Die Kosten für eine rechtzeitige, effektive Stillbetreuung und für Stillprodukte sind geringer als die, die anfallen, wenn diese Betreuung nicht geleistet wird und entsprechende negative Folgen für Mutter und Kind eintreten.