Maureen Minchin, MA (Melb), BA Hons
Zentrale Lerninhalte
Bedeutung der Laktation für das Überleben des Kindes
Warum viele Kinder keine Muttermilch- oder Spenderinnenmilch erhalten
Geschichte des Stillens im Laufe der Jahrhunderte – ein Überblick
Hauptgründe für das wiedererstarkte Interesse am Stillen
Mögliche Massnahmen, damit Mütter eine fundierte Still-Entscheidungen treffen können
Die Laktation gewährleistet bei allen Säugetieren die zuverlässige Versorgung des Nachwuchses mit hochwertiger Nahrung und war ein entscheidender Faktor für den evolutionären Erfolg dieser Klasse. Vor etwa 13 Millionen Jahren begann die sich neu entwickelnde Spezies Mensch, wie die ihr verwandten Primaten, ihren Nachwuchs für einen Zeitraum von 2–7 Jahren zu stillen. Dies blieb bis zum Beginn der Zeitaufzeichnung unverändert. Die Laktation ist ein robuster, widerstandsfähiger und zuverlässiger Überlebensmechanismus [1]. Die Muttermilch ist in hohem Maße artenspezifisch und passt sich sowohl der Umgebung als auch den Bedürfnissen des Nachwuchses an. An der Brust die Milch der eigenen Mutter (oder bei Bedarf die einer anderen Frau) zu trinken, sollte daher das selbstverständliche universelle Geburtsrecht jedes Kindes sein und war es im Laufe der Geschichte in aller Regel auch [1], [2]. Wenn dies nicht der Fall ist, egal in welchem Kontext, steigen die Säuglingssterblichkeitsraten.
Doch durch den Druck, den der soziale und kulturelle Status von Frauen mit sich bringt, blieb dieses Geburtsrecht im Laufe der Menschheitsgeschichte vielen Babys verwehrt. In vielen Kulturen verzeichnete man eine kommerziell organisierte Säuglingsernährung durch Ammen oder mit anderen Nahrungsmitteln als Muttermilch. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert und die zunehmende Autorität von Angehörigen der Heilberufe zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten zu einer massiven Abwendung vom Stillen zugunsten von kommerziellen Produkten: Infolge von gezielten Werbemaßnahmen der Säuglingsnahrungsindustrie in Krankenhäusern lag der Anteil der zumindest teilweise gestillten Säuglinge im Jahr 1960 in einigen Ländern unter 20%. In den sogenannten WEIRD-Ländern (WEIRD steht für westlich, gebildet, industrialisiert, reich und demokratisch, in Englisch: western, educated, industrialized, rich, democratic) wurden praktisch alle Neugeborenen zu einem mehr oder weniger großen Anteil mit Säuglingsmilchnahrung aus Kuhmilch ernährt. In diesen Ländern werden Babys zwischenzeitlich vorrangig mit Milch- und „Suppen“-Produkten auf tierischer oder pflanzlicher Basis gefüttert. Die Folge sind neuartige Krankheitsepidemien, die sich zum großen Teil auch auf nachfolgende Generationen auswirken. All das hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Umwelt und das Bevölkerungswachstum, die jedoch lange unerkannt geblieben sind [3].
Durch Marketing in Kooperation mit Fachpersonal im Gesundheitswesen hat sich der Irrglaube etabliert, dass die Fütterung mit Säuglingsmilchnahrung vollkommen sicher und effektiv sei [4]. Die ersten, die auf Muttermilchersatznahrung umgestiegen sind und diese zur neuen Norm werden ließen, waren privilegierte Frauen aus dem westlichen Kulturkreis. Diese Frauen vertrauten darauf, dass ÄrztInnen und Krankenhauspersonal am besten wussten, was ihre Kinder brauchten. In den 1970er Jahren war es wiederum diese Bevölkerungsgruppe, die bei der Rückkehr zum Stillen voranging, nun allerdings in einem kulturellen Kontext, in dem Mutter und Kind immer öfter täglich über einen längeren Zeitraum räumlich voneinander getrennt waren [5]. In einem solchen Kontext reicht es zur Steigerung der Stillraten und der Stilldauer nicht mehr aus, lediglich das Stillen als die bestmögliche Ernährungsform zu promoten. Das beste Mittel gegen niedrige Stillraten sind strukturelle Veränderungen, die das Stillen begünstigen – z.B. angemessene Mutterschutzregelungen. Diese wurden in Ländern wie Finnland implementiert, in denen das staatliche Gesundheitssystem für die Folgekosten der steigenden Erkrankungsraten aufkommen muss, die auf die Fütterung mit Muttermilchersatzprodukten und die Außer-Haus-Betreuung zurückzuführen sind [4]. Der hohe zeitliche und finanzielle Aufwand dieser Strategie übersteigt die Möglichkeiten vieler Frauen und wird erst allmählich als unfaire Belastung der Mütter und vernachlässigte gesellschaftliche Aufgabe erkannt (siehe Kapitel 8 und 9). Außerdem hat die Gewinnung von Muttermilch auch den Einsatz von Fläschchen und Saugern für die Säuglingsernährung mit Muttermilch legitimiert, womit die Bedeutung des Stillvorgangs an sich in den Hintergrund gerückt ist.
Industrielle Innovationen haben also Lösungen hervorgebracht, mit denen die mütterliche Brust von der Säuglingsernährung und die Mutter vom Kind getrennt wird. Damit wurden neue Normen und Erwartungen geschaffen, die weit von dem entfernt sind, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ideal empfiehlt: ausschließliches Stillen für ca. 6 Monate, dann weiteres Stillen bis ins 2. Lebensjahr oder darüber hinaus. Im 21. Jahrhundert erkennt die Wissenschaft nun die entscheidende Bedeutung des ausschließlichen Stillens für die Entwicklung des Mikrobioms, die lebenslange Gesundheit und den Schutz vor vertikal übertragbaren entzündlichen Erkrankungen wie Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die positiven biologischen Effekte des Stillens und die negativen Auswirkungen der frühen Gabe von Säuglingsmilchnahrung erzeugen also gegenwärtig den Druck, möglichst jeden Säugling nur mit Muttermilch zu ernähren. Eine Folge davon ist, dass begüterte Eltern heute auch die neuen Medien nutzen, um sicherzustellen, dass ihr Baby den bestmöglichen Start ins Leben bekommt. Immer mehr Mütter geben Milch informell an andere weiter, und auch die Zahl der Milchbanken steigt (siehe Kapitel 12 und 17). Hier sind Brustpumpen und Trinkfläschchen von hohem Wert, denn sie ermöglichen eine Ernährung von Babys mit artspezifischer Muttermilch – wenn auch nicht direkt an der Brust – falls deren Mütter keine oder nicht genug Milch bilden können.
In diesem Kapitel kann nur ein allgemeiner Überblick über ein großes Themenfeld gegeben werden; die zahllosen nationalen und regionalen Besonderheiten und deren Auswirkungen würden den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Umfassendere und eingehendere Darstellungen finden sich in den Werken von Valerie Fildes [3], [6], Rima Apple [7], Jacqueline Wolf [1], [8], Christina Hardyment [9], Philippa Mein-Smith [10], Florence Williams [11] und Maureen Minchin [4] sowie deren Quellen. Darüber hinaus werden die geschichtlichen Aufzeichnungen in den faszinierenden Arbeiten von Sarah Blaffer-Hrdy [12] und Wenda Trevathan [13] in ihren evolutionären und biologischen Kontext eingebettet. In den nachfolgenden, grob chronologisch geordneten Abschnitten sind nur einige der wichtigsten Personen und Ereignisse aufgeführt.
3500 v. Chr.: In ägyptischen Papyri werden die heilenden Kräfte der Muttermilch gepriesen und Mittel zur Anregung des Milchflusses beschrieben [13].
2000 v. Chr.: In den Gräbern von Neugeborenen aus der Zeit ab 2000 v. Chr. werden längliche Trinkgefäße aus Ton mit einer Tülle in Form einer Brustwarze gefunden. Caseinrückstände weisen darauf hin, dass die Kinder mit Tiermilch ernährt wurden, was möglicherweise die Ursache für ihren Tod war [14].
1550 v. Chr.: In der ältesten bekannten medizinischen Enzyklopädie, dem Papyrus Ebers aus Ägypten, werden bereits Laktationsstörungen beschrieben [15]. In solchen Fällen galt das Stillen durch eine Amme (mit fließendem Übergang zur Zieh-/Adoptivmutter) als natürliche Alternative, damit das Kind nicht verhungerte.
950–625 v. Chr.: Griechische Frauen von höherem sozialem Status beschäftigten häufig Ammen. Den Empfehlungen des Griechen Paulus von Aigina zufolge sollte eine Amme 25–35 Jahre alt sein, über gut entwickelte Brüste und Brustkorb verfügen und kurz zuvor einen Jungen geboren haben (andere widersprachen dem letzten Punkt). Sie sollte salziges und scharfes Essen ebenso meiden wie sexuelle Aktivität, und sie sollte regelmäßig ihre Arme und Schultern trainieren, z.B. durch Arbeiten wie Mahlen oder Weben [14].
400–200 v. Chr.:
Ayurvedische Texte empfehlen ein ausschließliches Stillen für mindestens 6 Monate, bis das Kind zu zahnen beginnt. Illustrationen veranschaulichten die Wichtigkeit und den Wert der Muttermilch und des Stillens.
Die Byzantiner fütterten ihre Neugeborenen in den ersten 4 Lebenstagen mit Honig. Aëtios (2. Jahrhundert v. Chr.) und Oreibasios (320–403 v. Chr., Griechenland) erachteten das Kolostrum als ungeeignet für Neugeborene und empfahlen, zwischen dem 3. und 5. Lebenstag mit dem Stillen zu beginnen. Aristoteles (384–322 v. Chr.) teilte dieses Vorurteil, betrachtete das Stillen jedoch als mütterliche Pflicht und wusste um seine empfängnisverhütende Wirkung [16].
300 v. Chr.–400 n. Chr.: Zur Blütezeit des Römischen Kaiserreiches wurden Ammen in schriftlichen Verträgen verpflichtet, ausgesetzte Säuglinge zu stillen – eine billige Quelle für neue Sklaven [6].
ca. 100–400 n. Chr.:
Medizingelehrte wie Soranos von Ephesos, Galenos von Pergamon und Oreibasios (griechischer Leibarzt von Kaiser Julian) verfassten Schriften über das Stillen und die Ammenpflege einschließlich der Qualifikationen für den Ammenberuf [14].
Soranos beschrieb einen Test für die Qualität von Muttermilch: Wenn man einen Tropfen Milch auf einen Fingernagel gibt und den Finger bewegt, sollte die Milch so dick sein, dass sie nicht über die Nagelfläche rinnt. Wenn man den Finger Richtung Boden wendet, sollte die Milch jedoch dünnflüssig genug sein, dass sie nicht am Nagel haften bleibt [14].
Auch Soranos hielt das Kolostrum für unverdaulich und riet daher Müttern, in den ersten 2 Tagen nach der Geburt nicht zu stillen – ein weit verbreiteter Irrglaube, der großen Schaden angerichtet hat. Das Kolostrum galt als schädlich, möglicherweise wegen seiner abführenden Eigenschaften, und die Mütter gaben ihren Babys stattdessen Kuhmilch, Wasser und Honig [17], [18].
609–632 n. Chr.: Im Koran, der in dieser Zeit entstanden ist, steht viel über das Stillen. Ihm zufolge haben Kinder ein Anrecht darauf, 2 Jahre lang gestillt zu werden. Zudem begründet das Stillen durch eine andere Frau als die Mutter eine Art von Verwandtschaft.
In dieser Zeit war die Mutter eines Säuglings in der Regel die wichtigste Betreuungsperson und Säuglinge wurden unter Mithilfe der größeren Kinder und weiblicher Verwandter innerhalb der Familie großgezogen. Dies hat sich in vielen Kulturen bis heute nicht geändert [2]. Die Kirche ermutigte Mütter, ihre Kinder zu stillen. Sie wertschätzte die Muttermilch als Nahrung, die das Jesuskind heranwachsen ließ, und das Stillen wurde als Akt der Nächstenliebe angesehen. In den Kirchen des Okzidents wurden Darstellungen der stillenden Muttergottes (Maria lactans) angebetet. Eine Mutter, die ihr Kind stillte, galt als tugendhaft [19]. In der Gesellschaft wurde die Kindheit als Zeit der Gefährdung und Anfälligkeit angesehen, und es herrschten große Vorbehalte gegen den Einsatz von Ammen. Man nahm an, dass mit der Muttermilch sowohl physische als auch psychische Eigenschaften auf das Kind übertragen würden. Aus diesem Glauben heraus wurde dagegen protestiert, Frauen als Ammen zu beschäftigen, und man zweifelte an ihrer moralischen Integrität [17]. Wie in allen Regionen mit hohen Kindersterblichkeitsraten aufgrund von Infektionskrankheiten wurde jedoch großer Wert darauf gelegt, viele Kinder zu haben. Fruchtbarkeit war ein hohes Gut. Nicht selten bekamen Frauen 10–20 Kinder, von denen nur wenige bis ins Erwachsenenalter überlebten. Die empfängnisverhütende Wirkung der Laktation war bereits bekannt; viele Ehemänner sahen die Rolle ihrer Frauen darin, Kinder zu gebären, die dann von anderen gestillt und durch die gefährliche Phase der frühen Kindheit gebracht werden konnten.
Es wurden Fütterungshilfen aus Holz, Keramik und Tierhörnern erfunden. Ein durchstochenes Kuhhorn war im Mittelalter der wohl gängigste Vorläufer der Babyflasche [15]. Alle diese Fütterungshilfen und auch viele ihrer Nachfolger führten bei manchen Kindern zu tödlichen Infektionen. Schiffchenförmige und andere offene Fütterungsgefäße waren (und sind) besser zu reinigen als Schnabeltassen oder Flaschen.
1472: Im italienischen Padua verfasste Paulus Bagellardus die Schrift „De infantium aegritudinibus et remediis“, ein frühes pädiatrisches Werk, in dem die Merkmale einer guten Amme beschrieben und Ratschläge zu Darmleiden erteilt wurden.
1545: Thomas Phayer beschrieb im ersten englischsprachigen Lehrbuch „The Boke of Chyldren“ neben dem Nageltest auch Kriterien für die Auswahl einer Amme und Mittel zur Anregung der Milchbildung. Zudem war er der Auffassung, dass die Milch der Stillenden das Temperament und die Moral sowie die Krankheitsanfälligkeit des Kindes beeinflusse [14].
1565: Im ersten pädiatrischen Lehrbuch aus Frankreich, „Cinq Livres de la Manière de Nourrir et Gouverner les Enfants dès Leur Naissance“ von Simon de Vallambert, wurde die Fütterung mit Kuh- oder Ziegenmilch nach dem 3. Lebensmonat empfohlen. Der Autor erwähnte auch erstmals die mögliche Übertragung von Syphilis von der Stillenden auf den Säugling [14].
1577:
In „De Arte Medica Infantium“ schrieb Omnibonus Ferrarius, dass das Stillen durch die Mutter die beste Säuglingsernährung sei und – wenn die Mutter nicht stillen konnte – das Stillen durch eine Amme die zweitbeste. Im letzteren Fall könnte es dazu kommen, dass das Kind die Amme der Mutter vorzieht. In seinem Buch ist auch eine frühe Form einer Vakuum-Milchpumpe abgebildet: ein Gefäß mit einer Öffnung für die Brustwarze und einem langen Saugrohr bis zum Mund der Mutter [14].
Jacques Guillemeau (1550–1630) erhob 4 Einwände gegen das Stillen durch eine Amme: Das Kind – das oft im Säuglingsalter zur Amme kam und erst als Kleinkind zur leiblichen Mutter zurückgebracht wurde – könnte gegen ein anderes Kind ausgetauscht werden; die Liebe zwischen Mutter und Kind könnte Schaden nehmen; das Kind könnte unerwünschte Eigenschaften von der Amme annehmen; und es könnte sich mit einer übertragbaren Krankheit anstecken [20].
1584: Thomas Muffett empfahl in seinem Buch „De jure et praestantia chemicorum medicamentorum“, die Gabe von Muttermilch an kranke ältere Menschen, und er erachtete Eselsmilch als besten Muttermilchersatz für jedes Alter.
16. Jahrhundert: Tintoretto und Rubens malten beide den kraftvollen Milchspendereflex, der gemäß der klassischen Mythologie die Milchstraße hervorgebracht hat.
In Europa stillten die meisten Mütter, viele allerdings von Anfang an nicht ausschließlich. In einigen Regionen (meist in kälteren Klimazonen, in denen Tiermilch verfügbar war) wurde die ausschließliche Fütterung mit Muttermilchersatznahrung zur Regel, und hohe Sterberaten im Säuglings- und Kindesalter wurden hingenommen. Bei den überlebenden Kindern handelte es sich vermutlich um diejenigen, die als Babys gestillt wurden und das stärkste Immunsystem hatten.
Das Stillen durch Ammen wurde weiterhin akzeptiert. Wohlhabende Familien beschäftigten mitunter gleich mehrere Ammen. Für unverheiratete oder arme Mütter gehörte die Tätigkeit als Amme in einem Haushalt der Oberschicht oft zu den wenigen Möglichkeiten, einen einigermaßen auskömmlichen Lebensunterhalt zu verdienen, manchmal jedoch auf Kosten der Gesundheit oder des Lebens ihrer eigenen Kinder. Da Ammen für das Überleben der Kinder wichtig waren, hatten sie einen höheren sozialen Status als andere Bedienstete. Häufig entwickelten die Kinder eine enge Bindung zu ihrer Amme, die in manchen Fällen mehrere Jahre bei der Familie lebte. In England ordneten die königlichen Leibärzte im Jahr 1688 an, dass der neugeborene Prince of Wales nicht gestillt werden sollte. Als er nach 7 Wochen ausschließlicher Fütterung mit Muttermilchersatznahrung ausgehungert und dem Tod nahe war, wurde sein Leben von einer Amme gerettet. Dass die königlichen Leibärzte der Fütterung mit Muttermilchersatzprodukten gegenüber dem Stillen durch eine sozial niedriggestellte Frau den Vorzug gaben, könnte zum Anstieg der Säuglingssterblichkeit beigetragen haben, der in den letzten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts verzeichnet wurde[6]. Im Zeitraum von ca. 1500–1700 stillten nur sehr wenige wohlhabende englische Frauen, doch gegen Ende des 18. Jahrhunderts setzte hier ein Wandel ein.
Nur die wenigsten konnten sich jedoch eine Amme leisten, die im Haus der Familie lebte. Viele gaben ihre Kinder in das Haus der Amme – oft in einem Dorf in einiger Entfernung vom Wohnort der Familie. Die Säuglingssterblichkeit war in diesen Fällen hoch, da die Lebensbedingungen schlechter waren und die Kinder nicht immer gestillt und gut versorgt wurden. Zudem wurden sie mit Opiaten und Alkohol ruhiggestellt. Findel- und ungewollte Kinder wurden fast nie von einer Amme gestillt, sondern mit Milchersatzprodukten gefüttert, und fast alle verstarben. Die hohen Sterberaten führten schließlich dazu, dass einige Regierungen gesetzliche Regelungen für das Ammenwesen erließen [3], [16], [21]. Die Förderung des Stillens durch die Mutter ging dann in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts mit einem Rückgang der Säuglingssterblichkeit einher.
Ende des 18. Jahrhunderts waren in Europa 4 Grundarten der Säuglingsernährung gebräuchlich: Stillen durch die Mutter, Stillen durch eine Amme, Fütterung mit Tiermilchprodukten und Fütterung mit Brei und/oder einer Art Panade (breiiges Gemisch aus Brot oder Mehl mit Milch, Wasser oder Ei, zum Teil auch in Brühe gekocht) [16]. Die Fütterung mit weicher Nahrung mit hohem Stärkegehalt, hergestellt aus Grundnahrungsmitteln der jeweiligen Region, war in weiten Teilen der Welt gebräuchlich und trug durchgängig zu einer höheren Sterberate bei. Nicolas Brouzet, Leibarzt von Ludwig XV, formulierte in seinem Aufsatz „An Essay on the Medicinal Education of Children“ 3 Fragen: Sollten Säuglinge mit Milch ernährt werden? Sollte diese Milch von einer Frau sein? Sollte diese Milch von der Mutter des Kindes sein? In einigen Regionen der Welt wurden Säuglinge kaum gestillt; in begüterten isländischen Familien z.B. fütterte man die Kinder vorzugsweise mit rohem Fisch und Sahne. Andere beliebte Nahrungsmittel, mit denen Säuglinge gefüttert wurden, waren u. a. Tiermilch, Saft von rohem Fleisch und Eier. Die Tatsache, dass einige Kinder dies überlebten, zeugt von der Anpassungsfähigkeit des Menschen als wahrem Allesfresser und nicht etwa davon, dass diese Ernährung für Säuglinge geeignet wäre. Ebensowenig sind das Überleben und das Wachstum von Kindern, die Säuglingsmilchnahrung erhalten, ein Beweis für deren ideale Zusammensetzung, insbesondere dann nicht, wenn Antibiotika zur Behandlung von Infektionen verfügbar sind. Die Fütterung mit Muttermilchersatznahrung setzte sich als akzeptierte Alternative zum Stillen durch, sodass die durchschnittliche Stilldauer von rund 18 Monaten im frühen 16. Jahrhundert auf rund 7 Monate im späten 18. Jahrhundert zurückging [6].
1662: Die Dowager Countess of Lincoln, eine einflussreiche Adelige, verfasste eine Schrift über die Pflicht der Mütter, ihre Kinder zu stillen, nachdem sie selbst 18 Kinder geboren hatte, von denen 17 gestorben waren, während ihr Enkelkind gestillt wurde und gesund aufwuchs.
1668: François Mauriceau riet in seinem Buch „Les Maladies des Femmes grosses et accouchées“ zum ausschließlichen Stillen für mindestens 2–3 Monate und warnte vor der frühen Zufütterung mit Breikost. Er beobachtete, dass die Milch des ersten Lebenstages abführend wirkt und schlug vor, nach dem ersten Tag bei Bedarf Milch von Hand zu gewinnen und dem Baby in den Mund zu geben und danach kleine Mahlzeiten in kleinen Abständen zu füttern, Tag und Nacht, wann immer das Baby danach verlangte.
1676 In seinem Werk „A Directory for Midwives“ gab Nicholas Culpepper Ratschläge zum Vorgehen bei zu geringer oder zu hoher Milchproduktion sowie ein Rezept für Brei aus Gerstenbrot, das in Wasser eingeweicht und in Milch gekocht wird – im Grunde ähnlich wie die ersten Muttermilchersatzprodukte des 19. Jahrhunderts.
1712–1778: Jean Jacques Rousseau schilderte in seinen Schriften, wie sehr die Säuglingssterblichkeit durch Stillen zurückging. Und je einflussreicher seine Philosophie wurde, desto beliebter wurde auch die natürliche Säuglingsernährung [6].
1748: William Cadogan veröffentlichte eine Schrift mit dem Titel „An Essay upon Nursing and the Management of Children, from their Birth to Three Years of Age“ [22] auf Grundlage seiner Erfahrungen als Vater und als Arzt am London Foundling Hospital. Er befürwortete das Stillen und empfahl nachdrücklich die frühe Gabe von Kolostrum. Zugleich unterminierte er aber eine sinnvolle Stillpraxis, indem er sich für eine Höchstzahl von 4 Stillmahlzeiten pro Tag aussprach.
1760: In seinem „Traité sur l’éducation corporelle des enfants en bas âge“ verglich Jean Charles des Essartz die Zusammensetzung der Muttermilch mit der von Kuh-, Schafs-, Esels-, Stuten- und Ziegenmilch und argumentierte so für Muttermilch als beste Säuglingsnahrung [23].
18. Jahrhundert: Die katastrophalen Erfahrungen mit dem Füttern von Muttermilchersatznahrung in Findelhäusern der englischsprachigen Welt belegten die Bedeutung der Muttermilch. Die schlechteste Bilanz wurde in einem im Jahr 1702 gegründeten Heim in Dublin verzeichnet, wo 99,6% aller Kinder vor ihrem ersten Geburtstag starben und keines von ihnen durch eine Amme gestillt wurde. Das Heim wurde 1829 geschlossen.
Das 19. Jahrhundert war ein Zeitalter des schnellen technologischen Wandels, der Urbanisierung, des Bevölkerungswachstums und der Mobilität Die Menschen zogen vermehrt in städtische Gebiete, denn in der Landwirtschaft gingen Arbeitsplätze verloren, während in den Fabriken neue entstanden. Mütter gingen – zum Teil als Alleinverdienerinnen – zum Arbeiten für viele Stunden aus dem Haus, was häufiges Stillen unmöglich und Muttermilchersatznahrung unvermeidlich machte [16]. Armut und Mangelernährung der Mutter gingen mit einer hohen Säuglingssterblichkeit einher, in erheblich geringerem Maße jedoch dort, wo das Stillen üblich war. In armen Familien aßen Frauen oft als letzte und am wenigsten, was in patriarchalischen Gesellschaften auch heute noch häufig der Fall ist. Trotz der ständigen Fortschritte im Bereich der sanitären Einrichtungen und der städtischen Wasserversorgung blieb die hohe Säuglingssterblichkeitsrate während des 19. Jahrhunderts überwiegend bestehen. In England stieg sie in der 2. Hälfte des Jahrhunderts sogar noch an, parallel zur Fütterung mit Muttermilchersatzprodukten Es ist allgemein anerkannt, dass dieser Anstieg auf die hohe Inzidenz von Gastroenteritis zurückzuführen war [24]. In armen Familien wurden Säuglinge in der Regel erst relativ spät mit anderen Nahrungsmitteln als Flüssigkeiten und Brei ernährt: Wo das Essen knapp war, galt das Stillen als Weg, Geld zu sparen. Stillen bis ins 2. Lebensjahr hinein konnte daher ein Zeichen von Armut darstellen.
1835: William Newton erfand und patentierte die Kondensmilch [15].
Ab 1838: Chemiker wie Justus von Liebig und Arthur V. Meigs führten erstmals chemische Analysen von Milch durch, und auf der Basis ihrer wenig belastbaren Informationen wurden Produkte wie „Milchsuppe“ oder „Kindersuppe“ entwickelt, die angeblich perfekt bzw. praktisch identisch mit Muttermilch sein sollten [15].
1845:
Im Zuge des technischen Fortschritts wurden Sauger für die Fütterung von Säuglingen entwickelt. Im Jahr 1845 wurde erstmals ein Sauger aus Naturkautschuk vorgestellt [19], der an die Stelle von Hilfsmitteln aus Leder, Stoff oder Kork treten sollte. Sauger aus Latex mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung und Behandlung waren dann die Norm, bis ein Jahrhundert später Sauger aus Silikon entwickelt wurden. Latexallergien wurden nicht sofort als Problem erkannt.
In einigen Findelhäusern in Europa wurden Säuglinge direkt aus den Eutern von Ziegen oder Eseln ernährt [6]. Das Überleben und das Wachstum der Kinder wurden bisweilen protokolliert, ihre langfristige Entwicklung jedoch nicht – trotz des damals herrschenden Glaubens, die Milch würde den Charakter beeinflussen.
1851: Die ersten Babyflaschen aus Glas wurden entwickelt. Die im Jahr 1851 in Frankreich entwickelten Fläschchen hatten einen Korksauger und Lufteinlässe mit Elfenbeinstiften, um den Milchfluss zu regulieren [15]. In England wurde im Jahr 1896 ein einfacheres, offenes, schiffchenförmiges Trinkgefäß entwickelt. Es erfreute sich großer Beliebtheit und wurde bis weit in die 1950er Jahre hinein verkauft [25]. Andere Flaschen bestanden aus einem Glasrohr, das mit einem langen Gummischlauch verbunden war. An dessen Ende befand sich ein Sauger, über den sich das Baby selbst versorgen sollte. In Frankreich wurden diese „Mörderflaschen“ im Jahr 1912 verboten [4], entsprechende Varianten sind jedoch bis heute auf dem Markt.
1853: Der Texaner Gale Borden füllte Milch mit Zuckerzusatz (als Konservierungsmittel) in Dosen ab und verkaufte sie als Eagle Brand Condensed Milk, die schon bald zu einer beliebten Säuglingsnahrung wurde [15]. Aufgrund ihrer Defizite kam es zu Epidemien von Skorbut, Rachitis, Krampfanfällen, Mangelernährung und Anämie. Die Ursache wurde jedoch jahrzehntelang nicht erkannt oder beseitigt. Damit stand auch der steigenden Popularität der Fütterung mit Muttermilchersatznahrung nichts im Wege.
Ab den 1860er Jahren: Nachdem Louis Pasteur (1822–1895) und Robert Koch (1843–1910) auf die Gefahr von Mikroorganismen in der Milch aufmerksam machten, wurde sterilisierte, unverdünnte Kuhmilch von manchen als beste Alternative angesehen, wenn keine Muttermilch zur Verfügung stand.
Ab 1865: Justus von Liebig patentierte und vermarktete Säuglingsnahrungsprodukte in Granulatform zum Auflösen in heißem Wasser; dem gelösten Granulat wurde dann Milch zugegeben (die oft unhygienisch war). Milchsuppe nach von Liebigs Rezept – mit den Zutaten Kuhmilch, Weizen- und Malzmehl sowie Kaliumbikarbonat – galt schon bald als das Nonplusultra der Säuglingsnahrung [23], Ihren Erfolg verdankte sie der Werbung in den zeitgenössischen Medien und der Tatsache, dass sowohl in Fachkreisen als auch unter Laien Leichtgläubigkeit und Unwissenheit zum Thema Muttermilch vorherrschten. Die modernen Epidemien der Überempfindlichkeit gegen Milchprodukte und Weizen sollten sich von nun an über Generationen entwickeln.
1866:
William Newton brachte die Herstellung von Milchpulver voran, indem er ein Vakuum-Extraktionsverfahren anwandte. Das unsterile Resultat wurde in „Blechbüchsen“ abgefüllt und verkauft [16]. Parallel zum Milchpulver wurden zahlreiche Säuglingsnahrungsprodukte entwickelt und als modern und sicher angepriesen.
Bis zum Jahr 1883 gab es bereits nicht weniger als 27 patentierte Marken kommerzieller Säuglingsnahrung [26]. Alle wurden aus Getreide und/oder Milch hergestellt und enthielten zugesetzte Kohlenhydrate z. B. in Form von Zucker, Stärke oder Dextrinen; einige enthielten außerdem Ei. Zu diesen Marken zählten Nestlé’s Food, Horlick’s Malted Milk, Hill’s Malted Biscuit Powder, Mellin’s Food, Eskay’s Food, Imperial Granum oder Robinson’s Patent Barley.
In einer Zeit, in der pummelige Babys als erstrebenswert galten, führten die Säuglingsnahrungsprodukte zwar zur gewünschten Gewichtszunahme, wiesen aber sonst ernsthafte Defizite auf. Damals wie heute wurde es hauptsächlich an der Gewichtszunahme festgemacht, ob eine Ernährungsform angemessen erschien; für andere, vielleicht subtilere negative Effekte gab es praktisch kein Bewusstsein und daher auch keine entsprechenden Kontrollen (was sich mancherorts bis heute nicht geändert hat).
1868: Henri Nestlé begann mit dem Verkauf seiner Säuglingsnahrung – Zwiebackbrösel, die in gesüßter Kondensmilch eingeweicht und zu braunem Granulat getrocknet wurden – in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und England sowie ab 1873 auch in den USA [8]. Bei diesem Produkt musste nach dem Auflösen des Granulats in heißem Wasser keine Milch zugegeben werden, was dazu beitrug, dass es rasch Marktanteile eroberte.
1885: Meyenberg entwickelte eine Kondensmilch, die ohne Zuckerzusatz auskam. Von Kinderärzten sehr empfohlen, war dieses Produkt in den USA bis mindestens in die 1940er Jahre hinein sehr beliebt, um damit Säuglingsmilchnahrung selbst herzustellen [8].
1894: Erstveröffentlichung von L. Emmett Holts Buch „The Care and Feeding of Children: A Catechism for the Use of Mothers and Children’s Nurses“. Dieses Buch sollte später durch „Psychological Care of Infant and Child“ von Watson (1928) sowie „Baby and Child Care“ von Spock (ab 1946) als Standardwerke für die USA abgelöst werden [9]. Sie alle haben auf jeweils unterschiedliche Weise das Stillen praktisch unterminiert, obwohl sie es theoretisch unterstützten.
1892: Pierre Budin (Arzt am berühmten Pariser Krankenhaus Charité und später an der dortigen Maternité-Klinik, wo man über umfassende Erfahrungen mit Ammen verfügte) gründete die erste Klinik für Säuglingsernährung und -gesundheit, die Consultation des Nourrissons. Hier wurden Mütter beim Stillen unterstützt, und es wurde sterilisierte Kuhmilch in versiegelten Einwegflaschen ausgegeben [16]. Sein Buch „Le Nourrisson“ wurde ein Klassiker und im Jahr 1907 ins Englische übersetzt. Es enthält detaillierte Wachstumskurven von Säuglingen, die von der Mutter gestillt, von einer Amme gestillt oder mit Muttermilchersatzprodukten gefüttert wurden.
Mit der Entwicklung der Babyflasche und der Verfügbarkeit von keimärmerer Tiermilch sank die Nachfrage nach Ammen. Gleichzeitig nahmen sowohl die Arbeitsbelastung der Mütter als auch die Morbidität und Mortalität der Säuglinge zu. Um 1900 wurde das Stillen durch Ammen immer seltener. In einigen Krankenhäusern, die den Nutzen dieser Praxis für Frühgeborene erkannt hatten, wurde das Stillen durch Ammen jedoch bis Mitte des 20. Jahrhunderts fortgeführt Dort, wo die lebensrettenden Eigenschaften der Muttermilch erkannt wurden, begannen sich Milchbanken zu entwickeln. Wo immer keine Muttermilch genutzt wurde, griff eine Epidemie von nekrotisierender Enterokolitis (NEC) um sich, an der in den 1970er und 1980er Jahren bis zu 7% aller Frühgeborenen und auch einige Reifgeborene erkrankten. (Zum Vergleich: In einigen europäischen Krankenhäusern, die nur Muttermilch verwendeten, lag die NEC-Rate bei 0,05%, und die Erkrankungsursachen waren z. B. Asphyxie oder Transfusionen [27].) Die Sterberate der NEC liegt bei 20–25%. Im Jahr 1990 kam Lucas zu der Schätzung, dass die NEC allein im Vereinigten Königreich für zusätzliche 500 Erkrankungs- und 100 vermeidbare Todesfälle pro Jahr verantwortlich war.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte aufgrund der hohen Säuglingssterblichkeitsraten im westlichen Kulturkreis ein struktureller Wandel ein Die Kinderwohlfahrtsbewegung entstand aus mehreren Beweggründen, nicht zuletzt angesichts der erschreckenden gesundheitlichen Verfassung der Rekruten, die für die vielen Kriege des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts benötigt wurden [29]. Der Schwerpunkt lag auf der Reinheit und qualitativen Verbesserung der Milchversorgung, z. B. durch bessere Haltungsbedingungen für Milchvieh und den Aufbau von Säuglingsmilchkliniken, um saubere Milch an die Bevölkerung auszugeben [15]. Auch aufgrund von Fortschritten im Sanitärwesen, die eine Versorgung mit sauberem Trinkwasser ermöglichten, begann in diesem Zeitraum ein stetiger Rückgang der Säuglingssterblichkeit, die zuvor auf Rekordniveau gelegen hatte. In neu eingerichteten Wohlfahrtskliniken wurden Mütter darüber aufgeklärt, wie wichtig und wertvoll das Stillen ist und wie die Verwendung von Milchpulver sicherer gemacht werden kann. Mangelndes Wissen im Hinblick auf die natürliche Laktation führte allerdings häufig dazu, dass die gut gemeinten Ratschläge eine Laktationsinsuffizienz zur Folge hatten [4], [30].
Die Steuerung der Säuglingsernährung war wesentlich für die Entstehung und den Erfolg des medizinischen Fachgebiets der Kinderheilkunde [8]. Die ÄrztInnen wussten wenig über Stillprobleme, empfahlen Müttern aber weiterhin nachdrücklich das Stillen und galten als ExpertInnen – wenngleich ihr ärztlicher Rat das Stillen oft unterminierte. Die Fütterung mit Muttermilchersatzprodukten konnte häufige Arztbesuche erforderlich machen, was nur für privilegierte Frauen praktikabel war. Viele neue Säuglingsmilchnahrungsprodukte wurden von angesehenen KinderärztInnen in den USA bzw. mit deren Hilfe entwickelt [31] [32]. Diese enge Beziehung, verbunden mit dem hohen Ansehen, das ÄrztInnen damals genossen, überzeugte viele Menschen davon, dass die von WissenschaftlerInnen entwickelte moderne Säuglingsmilchnahrung besser – oder zumindest verlässlicher – war als Muttermilch.
Als die Entbindung im Krankenhaus zur Regel wurde, entwickelte sich ein von Ignoranz geprägter Umgang mit natürlichen Vorgängen zur Norm, denn dort wurde die Aufnahme des Stillens sabotiert und die Nutzung kommerzieller Produkte als normal und mustergültig vorgelebt Laut der National Fertility Study (USA) ist der Anteil der anfänglich gestillten Säuglinge stetig zurückgegangen, von geschätzten 40–70% in den 1930er Jahren auf nur 20–50% in den Jahren 1946–1950 [16]. Bis 1960 wurden mehr als 80% der mit der Flasche gefütterten Säuglinge noch mit Kondensmilchmischungen ernährt. Bis zum Jahr 1970 ging dieser Anteil auf 5% zurück, da die Krankenhäuser damit begannen, Marken-Säuglingsmilchnahrung zu verwenden, die damit auch massenhaft an gebärende Frauen vermarktet wurde. Einer Quelle aus der Branche zufolge lag die Markentreue zum im Krankenhaus verwendeten Produkt bei 93% [4]. In den 1970er Jahren war Säuglingsmilchnahrung in großen Krankenhäusern praktisch allgegenwärtig und die Stilldauer nahm ab, da die Mütter abstillten und auf Säuglingsmilchnahrung als sichere und der Muttermilch gleichwertige Alternative umstiegen.
Es wurde festgestellt, dass diese Mütter länger Säuglingsmilchnahrung fütterten als Mütter, die gleich bei der Geburt damit begonnen hatten. Letztere stiegen typischerweise nach 3 Monaten auf Kuhmilch und andere Nahrungsmittel um. In den 1980er Jahren wurde das Füttern von Säuglingsmilchnahrung über das gesamte erste Lebensjahr statt nur über die ersten 3 oder 6 Monate zum Normalfall, und die sogenannte Folgenahrung („Zweiermilch“ für Säuglinge ab 3 oder 6 Monaten) kam auf den Markt. Diese Produkte wurden 1986 von der Weltgesundheitsversammlung als unnötig verurteilt, und verschiedene Gesundheitsbehörden im pädiatrischen Bereich kamen zu dem Schluss, dass diese Produkte für die ersten 12 Monate weniger gut geeignet waren als Anfangsmilchnahrung. In den 1990er Jahren verlängerte sich die Dauer der Fütterung mit Muttermilchersatzprodukten erneut – für das 2. Lebensjahr wurde die sogenannte Kindermilch („Dreiermilch“) eingeführt. Diese Entwicklung wäre wahrscheinlich ohnehin eingetreten, wurde aber auch als Versuch der Industrie interpretiert, die Beschränkungen für die Vermarktung von Säuglingsmilchnahrung zu umgehen. Diese waren seit der Verabschiedung des Internationalen Kodexes für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten durch die Weltgesundheitsversammlung (WHA) im Jahr 1981 in Kraft. Neue Probleme traten auf, welche die Bedenken der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezüglich der angemessenen Beikostfütterung verstärkten [33].
Im frühen 20. Jahrhundert wurde bei voll gestillten Kindern im Alter von unter 6 Monaten, gelegentlich sogar unter 9 Monaten, im Allgemeinen noch keine Beikost zum Abstillen eingeführt Der Aufstieg der Konservenindustrie und ihr Massenmarketing [34] führten in einigen Ländern zu rasanten Veränderungen und auch zu unerwarteten Krankheitsepidemien.
Frühes 20. Jahrhundert:
Mit Einführung der Walzentrocknung wurde es möglich, Milchpulver in großem Umfang kostengünstiger herzustellen. Bessere Transportbedingungen, Eisboxen und später Kühlschränke sorgten dafür, dass sich Mikroorganismen in der Milch nicht mehr so schnell vermehren konnten. (Damals wie heute kann Milchpulver nie vollkommen steril sein.)
Regierungsbehörden in westlichen Ländern begannen damit, für die Säuglingsernährung als geeignet ausgewiesene Milchpulverprodukte zu kaufen und an bedürftige Familien weiterzugeben – in manchen Fällen gleichermaßen zur Subventionierung der Landwirtschaft wie zur Förderung der Säuglingsgesundheit.
Die frühen Säuglingsmilchnahrungsprodukte riefen bei einem Teil der Kinder Mangelerkrankungen hervor. Daher wurde ab den 1920er Jahren Orangensaft verordnet, um Skorbut vorzubeugen; ab den 1930ern kam Lebertran zur Vorbeugung von Rachitis hinzu; dann Vitamin C, um die Bioverfügbarkeit von Eisen zu erhöhen. Ende der 1950er Jahre wurde eine Form von Eisen entdeckt, die der Säuglingsmilchnahrung zugesetzt werden konnte, um Anämien vorzubeugen. Diese Eisenzusätze waren sehr unterschiedlich und reichten von 1–12 mg/l. Eisenmangel ist gesundheitsschädlich, eine Eisenüberladung allerdings ebenfalls – sie begünstigt Störungen der Darmflora und wurde mit einem Absinken des IQ um bis zu 12 Punkte in Verbindung gebracht (ausführlich behandelt in dem Buch „Milk Matters“ [82]).
1909–1910: Im Jahr 1909 wurde im österreichischen Wien die erste Muttermilchbank – und übrigens auch die erste Blutbank – gegründet. 1910 wurden 2 weitere Milchbanken eröffnet: eine im US-amerikanischen Boston und eine im deutschen Magdeburg. Darüber hinaus wurden Muttermilch-Sammelstellen eingerichtet, in denen die Muttermilch von mehreren Frauen zusammengeführt und vor der Weitergabe pasteurisiert wurde. Die ersten dieser Einrichtungen wurden 1910 in Boston und in London am Queen Charlotte’s Hospital eingerichtet, danach folgten zahlreiche weitere in ganz Europa [16]. Das Interesse an Milchbanken wurde immer größer, da dank des medizinischen Fortschritts und der Ernährung mit Muttermilch immer mehr Frühgeborene mit einem geringeren Gestationsalter und Säuglinge mit komplexen Krankheiten überlebten [35].
1919: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sprach in ihrem „Übereinkommen über den Mutterschutz“ [36] Müttern das Recht auf Stillpausen während der Arbeitszeit zu. In den folgenden Jahrzehnten setzten allerdings nur wenige Länder dieses Recht auch tatsächlich um. Den Anfang machte Italien mit dem entsprechenden Regio Decreto [37].
1920–1950:
Die Säuglingsmilchnahrung etablierte sich in den USA und wurde von ÄrztInnen und VerbraucherInnen gleichermaßen als bekannter, beliebter und sicherer Ersatz für Muttermilch angesehen [26].
Die US-Regierung gab den kostenlosen Elternleitfaden „Infant Care“ heraus, in dem „Lebertran, Orangensaft und Muttermilchersatznahrung hervorgehoben wurden“ [38].
In den britischen Ländern förderten und unterminierten die klinischen Arbeiten von Sir Frederick Truby King (1858–1938) das Stillen bis weit in die 1960er Jahre und darüber hinaus gleichermaßen, da sie ohne wissenschaftliche Grundlage ein regelmäßiges Stillen nach Zeitplan propagierten [9], [10].
1929: Die American Medical Association (AMA) gründete das Committee on Foods, das die Sicherheit und Qualität von Muttermilchersatzprodukten prüfte, und zwang so die Produzenten dazu, sich um das Gütesiegel des Komitees zu bemühen [15]. Um dieses Siegel zu erhalten, mussten die Produzenten sämtliche Zubereitungshinweise von der Verpackung entfernen. So sollte sichergestellt werden, dass Eltern, die ihrem Kind die Flasche gaben, regelmäßig ÄrztInnen aufsuchten, da bei diesen Kindern ein höheres Krankheitsrisiko bestand. Wer sich diese Arztbesuche nicht leisten konnte, war einem erhöhten Risiko ausgesetzt. In anderen Ländern sahen die Regierungen untätig zu, wie die Produzenten von Säuglingsmilchnahrung die Eltern regelmäßig mit kostenlosen „Aufklärungsmaterialien“ versorgten und Serviceleistungen anboten, die sich direkt an die VerbraucherInnen wandten, um sie unter Umgehung der ÄrztInnen in ihrem Sinne zu schulen und für sich zu gewinnen.
1932: US-Produzenten durften, um das AMA-Siegel zu erhalten, nur bei ÄrztInnen Direktwerbung betreiben [15]. Der kostengünstige Massenvertrieb an Fachpersonal und über Krankenhausverträge gewann an Bedeutung, ebenso wie bezahlte Werbung in Fachzeitschriften und das Sponsoring von Konferenzen und Verbänden. Exklusivverträge mit Krankenhäusern konnten Millionen von USD wert sein und entschieden letztlich darüber, welche Marken bei den Müttern eingeführt wurden [1], [7].
1939: Cicely Williams sprach in ihrer Rede „Milk and Murder“ in Singapur darüber, dass die Fütterung mit Muttermilchersatznahrung Kinder tötete. Während des folgenden Krieges stillten alle 11 Frauen, die mit ihr im gleichen Gefangenenlager interniert waren und dort entbunden hatten, und alle Babys überlebten bis zur Befreiung. Die Laktation hat eine Schutzwirkung – sowohl für die Mutter als auch für das Kind [1], [41].
1941: Das Verbraucherschutzgesetz der USA schrieb für Säuglingsnahrungsprodukte lediglich Angaben zum Gehalt an den folgenden Inhaltsstoffen vor: Feuchtigkeit, Energie, Protein, Fett, Kohlenhydrate, Ballaststoffe, Kalzium, Phosphor, Eisen sowie Vitamin A, B1, C und D. Diese weitgehend unregulierte Kennzeichnung trug zu der allgemeinen Wahrnehmung bei, dass die Fütterung mit Säuglingsmilchnahrung genauso sicher und gesund wäre wie das Stillen [16]. Das Bewusstsein für die zahlreichen Defizite dieser Produkte war wenig ausgeprägt.
1950–1960:
Um 1950 stellte die Fütterung mit Muttermilchersatznahrung in den USA die kulturelle Norm dar. Das Stillen wurde immer noch als das Beste für das Kind bezeichnet, was jedoch ein reines Lippenbekenntnis war. Denn in Wirklichkeit galt das Stillen als unvereinbar mit der modernen Welt und als unanständig, da die weibliche Brust als Sexualobjekt betrachtet wurde [41], [42].
Andere vom 2. Weltkrieg betroffene Länder hinkten bei der Akzeptanz der Säuglingsmilchnahrung etwas hinterher, folgten aber schon bald dem amerikanischen Beispiel. Das Marketing und die Verfügbarkeit von Säuglingsmilchnahrung nahmen in der Nachkriegszeit weltweit zu. Sie trugen maßgeblich zum drastischen Rückgang der Stillraten in den Entwicklungsländern und zum Anstieg der Sterbe- und Krankheitsraten bei Säuglingen und Müttern bei.
In Branchenpublikationen wurden diese negativen Entwicklungen auf die Armut und den Mangel an sauberem Wasser zurückgeführt, aber auch auf Nachlässigkeiten der Mütter bei der Zubereitung. Leider haben viele BefürworterInnen des Stillens diese Argumentation unkritisch übernommen, obwohl Milchpulver naturgemäß gar nicht steril sein kann.
1950er bis 1970er Jahre:
Dr. Mavis Gunther stellte originäre Überlegungen zur menschlichen Laktation an und weckte auch bei TierphysiologInnen ein verstärktes Interesse an der Laktation. Ihre Arbeit und das daraus hervorgehende Buch „Infant Feeding“ (1970) waren äußerst einflussreich und trugen u.a. dazu bei, dass die überhöhten Natriumkonzentrationen in Säuglingsmilchnahrungsprodukten reduziert wurden, die alljährlich im Sommer zu Hypernatriämie-Epidemien führten.
Die Einführung von neuen, hochdosierten hormonellen Verhütungsmitteln ging mit der Empfehlung einher, nicht zu stillen, und führte zu Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung des Stillens.
Studien ergaben, dass das Stillen nach Bedarf und Rooming-in die Etablierung des Stillens erleichtern und Krankenhäuser ihre Regeln zur Fütterung nach Plan (z. B. alle 4 Stunden) überdenken sollten [4]. Die meisten folgten diesem Rat jedoch nicht.
1952–1954: Es wurden weitere Probleme der Säuglingsmilchnahrung festgestellt: Durch die hohen Verarbeitungstemperaturen wurden B-Vitamine zerstört, was bleibende neurologische Schäden zur Folge hatte. Im Jahr 1981 trat ein Opfer im Fernsehen auf, woraufhin ein vertraulich gehaltener Vergleich geschlossen wurde [4].
1956:
Die La Leche League wurde gegründet, um alle Mütter, die ihre Babys stillen möchten, aufzuklären und zu unterstützen [43]. In der Folge wurden weitere, ähnliche Gruppen ins Leben gerufen, z. B. im Jahr 1964 die Nursing Mothers‘ Association of Australia [44]. Mit der zunehmenden Aufmerksamkeit für Umweltfragen verbreitete sich ein naturorientiertes Denken, das auch das Stillen begünstigte. Atomtests wurden zunehmend kritisch betrachtet, und radioaktive Substanzen wurden nicht nur in Kuhmilch gefunden, sondern im Rahmen von Messungen der radioaktiven Belastung der Menschen auch in der Muttermilch.
Einer Egnell leistete Pionierarbeit bei der Entwicklung von Vakuummilchpumpen [35]. Danach entwickelten und verbreiteten sich die Geräte rasch weiter.
1959: Der Säuglingsmilchnahrung wurde Eisen mit einer höheren Bioverfügbarkeit zugesetzt, sodass Kinder, die mit diesen Produkten gefüttert wurden, seltener anämisch wurden. Zuvor wurde bereits festgestellt, dass der Mangel an Vitamin C in der Säuglingsmilchnahrung zu megaloblastärer Anämie führen konnte, nachdem das Unternehmen Ross Laboratories, der Hersteller von Similac, im Jahr 1950 eine Konferenz zu diesem Thema einberufen hatte. Dennoch wurden auch weiterhin Säuglingsmilchnahrungsprodukte mit einem zu geringen Eisengehalt verwendet, da die zulässige Spanne für die Eisenanreicherung sehr groß war und auch heute noch ist.
1970er Jahre:
Als bekannt wurde, dass der Natriumgehalt von Säuglingsnahrungsprodukten zu hoch war, wurde die Zusammensetzung der Produkte überarbeitet, um das Risiko von Nierenschäden und die bei sommerlichen Temperaturen immer wieder auftretenden Hypernatriämie-Epidemien einzudämmen.
Die Bedenken aufgrund von Blei, das aus den Dosen in die Säuglingsmilchnahrung übertrat (bis zu einem Bleigehalt von 50 µg pro 100 ml Nahrung), wurden noch verstärkt, als man feststellte, dass auch das Leitungswasser in manchen Gemeinden in den USA viel Blei enthielt (und auch heute noch enthält). Der Industrie wurde eine Frist von 10 Jahren gesetzt, um ihre Dosen ohne Bleilot herzustellen, was dank neuer Konserventechnologien auch gelang. Für das Leitungswasser legte die Aufsichtsbehörde FDA einen Grenzwert von 30 ppb fest. Blei ist auch heute noch ein Problem [45].
Säuglingsmilchnahrungen mit hohem Molkeanteil und Ölen tropischen Ursprungs, wie etwa Palmfett und Kokosöl, verdrängten zunehmend die stärker caseinhaltigen Produkte, die sowohl Öle als auch Rinderfette (Milchfett und Talg/entsteariniertes Schmalz) enthielten. US-Unternehmen waren führend bei diesem Wandel; in anderen Ländern mit Milchwirtschaft wurde noch für einige Zeit weiter Milchfett verwendet. In der Werbung wurde fälschlicherweise behauptet, dass rein pflanzliche Öle das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern. Einige frühe Säuglingsmilchnahrungen wurden später als Folgenahrungen neu vermarktet.
Nachdem Gesundheitsschäden infolge einer übermäßigen Zufuhr von fettlöslichen Vitamintropfen bekannt wurden, ging die zusätzliche Gabe von Fischlebertran zurück. Dadurch kam es zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit bei gesunden Säuglingen zu einem Mangel an langkettigen Fettsäuren, die für die optimale Entwicklung des Gehirns und des Immunsystems so wichtig sind. Später wurden diese Fettsäuren den teuren „Gold“-Säuglingsmilchnahrungen wieder zugesetzt (in den USA ab 2003, in anderen Ländern ab den 1990er Jahren).
Die ersten Säuglingsmilchnahrungen auf Sojabasis enthielten zu wenig Jod, sodass es zu Fällen von Kropfbildung kam. Auch heute noch werden Sojaprodukte im Hinblick auf Schilddrüsenprobleme kritisch betrachtet, insbesondere angesichts des sehr unterschiedlichen Jodgehalts des Wassers, mit dem die Säuglingsmilchnahrung zubereitet wird. (In Dänemark wurden in den 1990er Jahren Schwankungen um das Hundertfache festgestellt.) Arsen und andere Mineralien im Leitungswasser, das für Säuglingsnahrung verwendet wird, sind auch heute noch ein Problem. In den 1970er Jahren wurden erstmals Bedenken wegen des Mangangehalts von Säuglingsmilchnahrungsprodukten auf Sojabasis laut.
1974: Im Vereinigten Königreich legte der Oppe-Report „Present Day Practice in Infant Feeding“ den Grundstein für eine Reihe von überaus aufschlussreichen Fünfjahresberichten, die von 1975–2010 erschienen sind, bis sie im Jahr 2014 bedauerlicherweise einer unklugen Sparmaßnahme der konservativen Regierung zum Opfer fielen. Eine vergleichbare Serie von Berichten gibt es in keinem anderen Land.
1978: Das enzyklopädische Werk „Human Milk in the Modern World“ [46] von Derrick und Patrice Jelliffe erschien bei der Oxford University Press und fasste den gesamten damaligen Wissensstand zusammen. Im Hinblick auf das Bewusstsein für den Wert der Muttermilch war das Buch ein echter Meilenstein, fand allerdings keine breite Leserschaft.
1970er Jahre:
In den 1970er Jahren kämpften religiöse, medizinische und entwicklungspolitische Gruppen vehement gegen die „kommerziogene Mangelernährung“, wie Prof. Derrick Jelliffe das Problem 1968 betitelte. Im Zuge der Kennedy-Anhörungen in den USA (1978) wurde die WHO aufgefordert, ein Treffen von VertreterInnen aller beteiligten Interessengruppen einzuberufen. Dieses Treffen fand im Oktober 1979 in Genf statt. Anwesende VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen gründeten das International Baby Food Action Network (IBFAN), das sich für einen strengen und wirkungsvollen Kodex für die Vermarktung von Nahrungsmitteln einsetzte, die als Muttermilchersatzprodukte genutzt werden.
Reproduktionsbiologen wie Roger Short untersuchten die Laktation; die Laktations-Amenorrhö-Methode (LAM) wurde als weltweit nutzbare Verhütungsmethode entwickelt. Die Bedeutung der Stillförderung wurde von wichtigen Gruppen wie Family Health International und verschiedenen UN-Gremien anerkannt.
1978–1979: Chele Marmet und Ellen Shell gründeten im kalifornischen Encinodie die erste klinische Lehreinrichtung zum Thema Laktation: The Lactation Institute.
1980:
Der weltweite Umsatz mit Säuglingsmilchnahrung belief sich auf 2 Milliarden USD. Ein Viertel dieses Umsatzes wurde in den USA erzielt, wo das WIC-Programm (Women Infants and Children) des US-Landwirtschaftsministeriums den vollen Einzelhandelspreis für Muttermilchersatzprodukte bezahlte, die dann kostenlos an bedürftige Familien abgegeben wurden. Damit wurde der Verzicht auf das Stillen begünstigt.
Anders als in anderen Ländern wurde Säuglingsmilchnahrung in den USA in den 1980er Jahren vor allem in Form von sterilen Flüssigprodukten (gebrauchsfertig oder als Konzentrat) verkauft, wodurch die negativen gesundheitlichen Auswirkungen zumindest abgeschwächt wurden [47].
Nachdem es zum wiederholten Mal zu einem Rückruf von mangelhafter Säuglingsmilchnahrung kam, der von betroffenen Eltern publik gemacht wurde, empfahl die American Academy of Pediatrics (AAP), bei allen Säuglingen im Alter von 4–6 Monaten mit der Einführung fester Nahrung zu beginnen, obwohl der zuständige Ausschussvorsitzende genau wusste, dass dies für gestillte Säuglinge sehr früh und potenziell von Nachteil war [33]. Das Lebensalter von 4 Monaten wurde als Kompromiss bezeichnet, um Säuglinge, die mit Säuglingsmilchnahrung gefüttert wurden, vor einem Nährstoffmangel zu schützen, nachdem ihre im Mutterleib angelegten Reserven aufgebraucht waren [4].
Der US-Kongress verabschiedete den Infant Formula Act. Mit diesem Gesetz sollte die Zusammensetzung von in den USA verkaufter Säuglingsmilchnahrung reguliert werden; die Aufsichtsbehörde FDA wurde beauftragt, hierfür neue Standards zu entwickeln und diese umzusetzen. Bis die ersten Vorschriften ausgearbeitet waren, vergingen jedoch Jahre [33].
James P. Grant, Direktor des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF), rief zu einer Revolution auf, die dem Überleben der Kinder dienen sollte, und erklärte, dass jedes Jahr eine Million Kinder sterben, weil sie nicht gestillt werden. Die UNICEF machte die Stillförderung zu einer der strategischen Achsen ihres globalen GOBI-FFF-Programms (G für Gewichtskontrolle, O für orale Rehydratationstherapie, B für Stillen an der Brust [englisch: Breastfeeding] und I für die Impfung gegen die 6 wichtigsten Kinderkrankheiten: Tuberkulose, Kinderlähmung, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Masern; FFF steht für Nahrungsergänzung [englisch: Food Supplements], Familienplanung und Frauenbildung).
Ab den 1980er Jahren: Seit den 1960er Jahren waren Allergien in den USA sehr verbreitet. In den 1980er Jahren setzten sich Eltern-Selbsthilfegruppen in Australien, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich und Kanada für Maßnahmen gegen die zunehmende Häufigkeit von Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten ein. Stillende Mütter brachten die Fütterung von Säuglingsmilchnahrung im Krankenhaus mit dem Auftreten von Darmfunktionsstörungen nach 10–21 Lebenstagen bei Säuglingen in Verbindung. Ihre Bedenken wurden oft abgetan, gaben aber auch Anlass zu einer zunehmenden Erforschung von Nahrungsmittelallergien als einer aufkommenden Epidemie. John Gerrard [48] schrieb ein einflussreiches Büchlein über Nahrungsmittelallergien bei kanadischen Kindern, und Minchin fasste in „Food for Thought: a parent‘s guide to food intolerance“ [49] die Erfahrungen stillender Mütter in Australien zusammen und beschrieb die generationenübergreifenden Auswirkungen, für die später die Forschungsgebiete der Epigenetik und Genomik Erklärungsmechanismen liefern würden [49].
1981:
Im Jahr 1981 verabschiedete die WHA den Internationalen Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten als Empfehlung für Regierungen. Seitdem hat die WHA auch weitere einschlägige Resolutionen gefasst. Das IBFAN berichtet regelmäßig über die Umsetzung des Kodexes [50]. Die meisten Länder und Unternehmen haben wenige bis keine wirksamen Maßnahmen zur Umsetzung des Kodexes ergriffen, sodass er das Wachstum des industriellen Marktsegments kaum beeinflusst hat.
Die Codex-Alimentarius-Kommission hat weltweite Mindeststandards für Säuglingsmilchnahrung festgelegt, die regelmäßig überarbeitet und aktualisiert werden. Einige Länder haben auch darüber hinausgehende Vorschriften geschaffen.
1985:
Um den Wissensstand von Gesundheitspersonal und Betreuungspersonen zum Thema Säuglingsernährung zu verbessern, finanzierte die La Leche League International (LLLI) die Gründung des International Board of Lactation Consultant Examiners® (IBLCE®) [51]. Bald darauf folgte die Gründung einer berufsständischen Nichtregierungsorganisation, der International Lactation Consultant Association (ILCA). In den Werken „Breastfeeding: guide for the medical profession“ von Lawrence [38] und „Breastfeeding Matters: What we Need to Know about Infant Feeding“ von Minchin [4] wurde nachdrücklich für eine bessere klinische Praxis in den Gesundheitsberufen plädiert. Beide betrachteten das Scheitern des Stillens als nahezu unweigerliche Folge einer defizitären Versorgung durch Fachpersonal im Gesundheitswesen und des soziokulturellen Drucks.
Die Human Milk Banking Association of North America (HMBANA) wurde gegründet, um die Muttermilchbank-Aktivitäten in den USA zu standardisieren [35]. Ähnliche Organisationen wurden auch im Vereinigten Königreich (UKAMB) und Europa (EMBA) gegründet und breiten sich weltweit aus. Im Jahr 2016 war Brasilien bei der strukturellen Unterstützung und der Anzahl von Milchbanken weltweit führend, während Norwegen seine Tradition der Verwendung frischer Spenderinnenmilch seit den 1920er Jahren ohne Unterbrechung beibehielt.
1988 Formelle Gründung der interdisziplinären wissenschaftlichen Gesellschaft International Society for Research on Human Milk and Lactation (ISRHML).
Ab den 1980er Jahren:
Gerade als offizielle Stellen weltweit damit begannen, das Stillen zu propagieren, berichteten Ziegler et al. in Australien von einem Einzelfall einer postnatal erworbenen HIV-Infektion [52]. Die Erkrankung wurde auf das Stillen zurückgeführt, und der Bericht fand weite Verbreitung (u.a. durch von der Säuglingsmilchnahrungsindustrie kostenlos bereitgestellte Videos). Daraufhin wurde in den USA ein generelles Stillverbot für HIV-positive Frauen erlassen, und viele Milchbanken wurden geschlossen. Bevor das Verbot erteilt wurde, wurden keine Untersuchungen zu seinen möglichen Auswirkungen durchgeführt, obwohl bekannt war, dass die Verwendung von Muttermilchersatzprodukten in NICUs die NEC- und Sepsisraten erhöhte [28]. Das Verbot schürte enorme Vorurteile über Muttermilch und verstärkte den Irrglauben an die Sicherheit von Säuglingsmilchnahrung. Dieser Effekt hielt selbst dann noch an, als ab den 1990er Jahren höhere Sterberaten bei Kindern nachgewiesen wurden, die von Nichtregierungs- und gemeinnützigen Organisationen Muttermilchersatzprodukte erhalten hatten. Ein weltweites politisches Umdenken fand erst statt, nachdem die Regierung von Botswana im Dezember 2005 die CDC (Centers for Disease Control and Prevention; die US-Bundesbehörde für Seuchenkontrolle und -prävention) ins Land holte, um nach Überschwemmungen in Mosambik und Botswana die sehr hohe Mortalitätsrate von HIV-exponierten und mit Säuglingsmilchnahrung gefütterten Säuglingen zu untersuchen (siehe Kapitel 16). Untersuchungen in Schottland [53] und Brasilien [54] ergaben, dass die Fütterung mit Säuglingsmilchnahrung an sich eine Ursache für Gastroenteritis darstellt, unabhängig vom sozioökonomischen Status.
Die WHO und UNICEF veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung mit dem Titel „Protecting, Promoting and Supporting Breastfeeding: the special role of the maternity services“. Darin wurden die 10 Schritte zum erfolgreichen Stillen aufgeführt, die die Grundlage der globalen Initiative Babyfreundliches Krankenhaus bildeten (mehr dazu s. u.).
1989: Die Generalversammlung der UNO verabschiedete die UN-Kinderrechtskonvention.
1990:
Die WHO und UNICEF sowie VertreterInnen von 32 nationalen Regierungen und Organisationen verfassten und unterzeichneten die Innocenti-Deklaration, in der strukturelle Veränderungen gefordert wurden, um die sinkenden Stillraten und -zeiträume wieder zu steigern.
Laut WHO sollten Säuglinge idealerweise in den ersten 4–6 Lebensmonaten ausschließlich gestillt werden und danach bis zum Alter von 2 Jahren und darüber hinaus zusätzlich zum Stillen geeignete Beikost erhalten [55].
1991–1992: Die WHO und UNICEF entwickelten und lancierten die Initiative Babyfreundliches Krankenhaus (BFHI) [56]. Die ersten Pilot-Evaluationen fanden im Februar 1992 in 12 Ländern statt.
1991:
Gründung der World Alliance for Breastfeeding Action (WABA). Die WABA entwickelte eine globale Strategie für die Stillförderung.
Die WHO schuf die Global Databank on Infant and Young Child Feeding. Nach wie vor wird nur in wenigen Studien erfasst, ob gestillte Säuglinge in Krankenhäusern auch Säuglingsmilchnahrung erhalten (was als unerheblich betrachtet wird, obwohl Studien aus den 1970er Jahren die Langzeitwirkungen auf die Darmflora belegen). Ebenso wird das ausschließliche Stillen nur in wenigen Studien genau definiert.
Die WHO veröffentlichte die Schrift „Infant Feeding: the Physiological Basis“. Die in 13 Sprachen übersetzte, inzwischen aktualisierungsbedürftige Broschüre war ein bahnbrechender Vorläufer der späteren WHO-Ressourcen zur Säuglingsernährung, die noch heute online angeboten werden.
1992: Die WABA rief erstmals die Weltstillwoche aus, unterstützt von UNICEF, WHO, FAO und der International Pediatric Association (IPA).
1995:
Gründung der Academy of Breastfeeding Medicine (ABM), einer globalen Organisation nur für ÄrztInnen, die das Ziel verfolgt, den Wissensstand über die Säuglingsernährung in medizinischen Fachkreisen zu erhöhen.
Papst Johannes Paul II. sprach sich öffentlich für das Stillen aus und richtete eine wichtige Vatikankonferenz zum Thema Stillen, Wissenschaft und Gesellschaft aus [57].
1990er Jahre:
In Studien im Vereinigten Königreich wurde eindeutig nachgewiesen, dass Säuglingsmilchnahrung die Inzidenzrate von NEC erhöht [58] und die durchschnittlichen IQ-Werte senkt [59]. Für welche Art der Fütterung die Mütter sich zuvor entschieden hatten, hatte dabei keinen Einfluss auf die kognitive Entwicklung; die tatsächliche Stilldauer hingegen schon [28], [59]. Es wurden spezielle Säuglingsmilchnahrungen für Frühgeborene entwickelt, die im Vergleich zur alleinigen Verwendung von Säuglingsmilchnahrungsprodukten, die sich schon länger auf dem Markt befanden, zu besseren IQ-Werten führten. Weitgehend unbeachtet blieb jedoch, dass schon eine geringe Menge an Muttermilch bei Frühgeborenen, die mit Säuglingsmilchnahrung für Reifgeborene gefüttert wurden, den Ergebnisunterschied nivelliert hatte, und dass zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Krankenhaus gestillte Kinder einen höheren IQ aufwiesen. Die Säuglingsmilchnahrung für Frühgeborene verdrängte in der Neonatologie rasch sowohl die Muttermilch als auch die Säuglingsmilchnahrung für Reifgeborene, und die NEC-Raten betrugen in einigen Abteilungen weiterhin 6–7%.
Nicht sterile Säuglingsmilchpulver wurden zum meistgenutzten Produkt in den USA, nachdem das WIC infolge eines offenen Ausschreibungsverfahrens seine Ausgaben für Säuglingsmilchnahrung reduzierte und die Preise im Einzelhandel entsprechend gestiegen waren. Zuvor hatten seit etwa 1960 endsterilisierte Flüssigkonzentrate und verzehrfertige Produkte den US-Markt dominiert, davor waren es Kondensmilchprodukte. In anderen anglophonen Ländern war die Situation aus Kostengründen anders.
Einige Produzenten begannen damit, ihrer Säuglingsmilchnahrung 5 Nukleotide zuzusetzen. Das Marketing suggerierte, dass die Säuglingsmilchnahrung dadurch der Muttermilch stärker ähneln und die Immunfunktion besser unterstützen würde. Solche Nukleotidzusätze wurden später als nutzlos erachtet [4], rechtfertigten aber Preiserhöhungen.
Unternehmen außerhalb der USA verwendeten mikroverkapselte DHA- und ARA-Zusätze, die in den USA im industriellen Maßstab aus gentechnisch veränderten Meeresalgen und Bodenpilzen hergestellt wurden. Die Kapselproteine in der Säuglingsmilchnahrung für Babys mit Milchallergie lösten Reaktionen aus. Anlass zur Sorge gaben insbesondere Spuren von neurotoxischem Hexan, das zur Extraktion von Ölen aus Biomasse verwendet wird.
Die in den 1970er Jahren begonnene Debatte über das erforderliche Maß des Selenzusatzes zur Säuglingsmilchnahrung dauert weiterhin an. Im Vereinigten Königreich schreiben die Infant Formula and Follow On Formula Regulations von 2007 einen Selengehalt von mindestens 1 µg/l und höchstens 9 µg/l vor. Die FDA prüfte die Frage im Jahr 2013 und akzeptierte das von der Industrie verwendete Niveau der Selenzusätze [4].
Die Evolutionsmedizin und die medizinische Anthropologie haben die physiologischen Muster der Säuglingsernährung ebenso erforscht, wie die physischen und psychischen Schäden, die entstehen können, wenn von diesen hoch entwickelten Mustern abgewichen wird [12]. Einschlägige aktuelle Forschungsarbeiten auf den Gebieten der Mikrobiologie, Genomik und Epigenetik unterstreichen einmal mehr, dass Muttermilch die beste Nahrung für jedes Baby in den ersten 6 Lebensmonaten und dass das Stillen auch für die Mutter von Vorteil ist. Eine zunehmende Evidenz spricht dafür, dass das ausschließliche Stillen ab der Geburt die Voraussetzung für ein gesundes Mikrobiom ist. Dieses wiederum bildet die Grundlage für eine gute Gesundheit im gesamten Leben.
Dementsprechend wird die Zusammensetzung von Säuglingsmilchnahrung immer wieder angepasst, um die Auswirkungen der Muttermilch auf das Mikrobiom des kindlichen Darms möglichst gut nachzubilden, bspw. durch neue Inhaltsstoffe wie Probiotika (Bakterien) und Präbiotika (weitgehend unverdauliche Kohlenhydrate, die diese Bakterien ernähren). Über Pressemeldungen und Marketingaktivitäten werden dann viele Menschen davon überzeugt, dass die Säuglingsmilchnahrung nun mit der Muttermilch „gleichgezogen“ hat. Diese Behauptungen werden von einer meinungsstarken Minderheit privilegierter Frauen aus dem westlichen Kulturkreis über Onlinemedien weiterverbreitet, und wenn GesundheitsexpertInnen über die wahren Risiken von und Schäden durch Säuglingsmilchnahrung aufklären, ernten diese Protest [33].
Es ist heute eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis, dass ein Mangel an Muttermilch und die Fütterung mit Säuglingsmilchnahrung das Risiko vieler schwerwiegender Erkrankungen des Säuglings erhöhen. Hierzu zählen akute Mittelohrentzündung, unspezifische Gastroenteritis, schwere Infektionen der unteren Atemwege, atopische Dermatitis, Asthma, Fettleibigkeit, Diabetes Typ 1 und 2, Leukämie im Kindesalter, plötzlicher Kindstod (Sudden Infant Death Syndrome, SIDS) und NEC [60], [61], [62]. Auch frühe biologische Unterschiede zwischen gestillten und nicht gestillten Kindern sind bereits dokumentiert, z. B. unterschiedliche Organgröße und -struktur (vergrößerte Nieren, kleinerer Thymus, unterschiedliche Herzstruktur bei Frühgeborenen), Entwicklung der weißen Hirnsubstanz, DNA-Schäden und Chromosomenbrüche, unterschiedliches Wachstum des reproduktiven Gewebes im Ultraschall im Alter von 4 Monaten sowie unterschiedliche Verläufe des Körperwachstums und Fettablagerungsmuster (alle belegt und beschrieben in dem Buch „Milk Matters“ [33]). Das allgemein anerkannte Konzept der „Programmierung“ verdeutlicht, dass das Wachstum dieser Kinder wahrscheinlich unterschiedlichen Entwicklungslinien folgt. Und die rasante Zunahme von Allergien und anderen Epedemien entzündlicher Erkrankungen seit den 1970er Jahren hat zur Folge, dass von Eltern berichtete Nahrungsmittelunverträglichkeiten bei ihren Säuglingen mittlerweile ernst genommen werden. Es gibt zwar immer mehr Allergiepraxen, doch sind diese häufig überlastet, wenn Eltern im Rahmen des staatlichen Gesundheitssystems die Möglichkeit haben, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen.
Ökonomische Forschungsarbeiten belegen, dass die Fütterung mit Muttermilchersatznahrung kurz- und langfristig zu höheren Gesundheitsausgaben und Produktivitätseinbußen führt [63]. Auf das Stillen zu verzichten, wirkt sich auch auf die Gesundheit der Frauen nachteilig aus. Mit dem Ausfall der Laktations-Amenorrhö und der physiologischen postpartalen Hormonspiegel steigt nicht nur das Risiko von postpartalen Infektionen und Anämien, sondern auch die Häufigkeit von Stress, Krebserkrankungen des Fortpflanzungstrakts, Diabetes und Osteoporose.
Weltweite Gesundheitsbehörden und VolkswirtschaftlerInnen [64] erkennen mittlerweile die enormen Auswirkungen des Stillens auf die Gesundheit des Individuums und der Bevölkerung insgesamt. Trotz der intensiven Bemühungen verschiedener Nichtregierungsorganisationen, das Stillen auf die internationale und nationale Gesundheitsagenda zu bringen, geht es nur langsam voran. Der Fortschritt wird durch den heftigen Widerstand von privilegierten Frauen im westlichen Kulturkreis ausgebremst und zurückgeworfen. Diese verfügen über Zugang zu Medien und glauben, dass Säuglingsmilchnahrung nur dann schädlich ist, wenn man sie falsch verwendet, ansonsten aber einen sicheren und gleichwertigen Ersatz für Muttermilch darstellt. BefürworterInnen des Stillens würden demnach nicht im Sinne der öffentlichen Gesundheit handeln, sondern Frauen an den Pranger stellen, wenn sie sich gegen das Stillen entscheiden. Zu welchem Teil dieser Widerstand auf fahrlässiger Ignoranz bzw. auf der Tatsache beruht, dass sich diese Frauen von den Eigeninteressen Dritter instrumentalisieren lassen, muss noch erforscht werden. Die Onlinepräsenz der Säuglingsmilchnahrungsindustrie ist in jedem Fall beträchtlich, mit besonderen Angeboten, Mütterclubs und vielfältigen Vermarktungs- und Bindungsmaßnahmen [65].
Als Forschungsgebiete sind die Muttermilch und das Stillen derweil noch in weiten Teilen unerschlossen, aber es gibt Fortschritte und ein hohes Potenzial für einen langfristigen Gesundheitsnutzen. Ein Großteil dieser Forschung wird jedoch von der Säuglingsmilchnahrungsindustrie finanziert, mit dem Ziel, noch mehr mögliche neue Zusatzstoffe zu finden. Diese können dann industriell hergestellt und mit dem Anspruch vermarktet werden, dass sie in der Säuglingsmilchnahrung dieselbe Wirkung entfalten wie in der Muttermilch. Dabei hat sich genau dies bis heute als unmöglich erwiesen, denn die Muttermilch ist ein komplexes lebendes Gebilde, in dem zahlreiche Inhaltsstoffe zusammenwirken, um ihre positiven Effekte zu erzielen. Kein industriell hergestelltes, wärmebehandeltes und/oder dehydriertes Produkt kann die Wirkung dieser komplexen biologischen Struktur und ihres Mikrobioms replizieren.
2000:
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) verabschiedete das Übereinkommen 183 und die Empfehlung 191 über den Mutterschutz [66].
Die Regierung des Vereinigten Königreichs finanzierte die Veröffentlichung einer strukturierten Übersichtsarbeit zu den Faktoren, die das Stillen fördern oder hemmen [67].
Trotz der wissenschaftlichen Erkenntnislage, die klar für das Stillen nach Bedarf spricht, propagierten selbst ernannte ExpertInnen und „Babyflüsterer“ das Stillen nach Zeitplan im Stil von Truby King und anderen AutorInnen der Vergangenheit.
2001: Die WHA verabschiedete die Resolution 54.2, in der sie eine verstärkte Stillförderung sowie ein ausschließliches Stillen für 6 Monate fordert, gefolgt von geeigneter Beikost zusätzlich zum Stillen bis zum Alter von 2 Jahren oder darüber hinaus.
2002:
Die WHA verabschiedete die Globale Strategie für Säuglings- und Kleinkindernährung (WHA 55.25) [68]
Beginn der Millenniumskampagne der Vereinten Nationen zur Förderung der 8 Millennium-Entwicklungsziele, die von der Halbierung der extremen Armut über die Eindämmung der Ausbreitung von HIV/AIDS bis hin zur Primarschulbildung für alle Menschen reichen. Hier werden auch Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährung von Müttern genannt, insbesondere vor, während und unmittelbar nach der Schwangerschaft; außerdem frühes und ausschließliches Stillen sowie die Einführung einer sicheren, geeigneten und hochwertigen Beikost für Säuglinge zur rechten Zeit, begleitet durch eine adäquate Versorgung mit Mikronährstoffen [69].
2002–2003: Das US Office of Women’s Health und die US Breastfeeding Coalition (gegründet 2000) lancierten eine risikobasierte professionelle Werbekampagne in Kooperation mit dem National Advertising Council; der Slogan lautete „Babies Are Born to be Breastfed“ („Babys werden geboren, um gestillt zu werden“) [70]. Durch Lobbyarbeit der Industrie bei der Regierung wurde die Kampagne unterminiert und ihre Wirkung abgeschwächt; die Fernsehspots wurden auf Drängen des Gesundheitsministeriums zurückgezogen [38].
Ab 2000: Die Industrie verstärkte zunehmend ihre Onlinepräsenz und unterstützte vorgeblich das Stillen, stellte tatsächlich aber die Fütterung mit Muttermilchersatznahrung als normal und sicher dar und förderte damit, möglicherweise unbeabsichtigt, eine zunehmende Gegenbewegung gegen die öffentliche Stillförderung. Die „Mommy Wars“ (Mutterkriege) wurden angezettelt und heizten das Mobbing gegen FürsprecherInnen des Stillens an. Das Internet entwickelte sich zu einem wichtigen Werbemedium für Säuglingsmilchnahrung, und die weltweiten Umsätze schossen in die Höhe [41].
2003:
Nach langer Vorlaufzeit wurden DHA und ARA als Zusätze für Säuglingsmilchnahrung in den USA verwendet. Diese „Gold“-Marken entwickelten sich rasch zum De-facto-Standard für Säuglingsmilchnahrung, nachdem die Bush-Regierung im Jahr 2004 beschlossen hatte, dass WIC-Programme nicht vorgeben dürfen, auf welcher Säuglingsmilchnahrung die Angebote der Produzenten für die WIC-Ausschreibungen basieren müssen [47]. Wiederholte Überprüfungen durch die Cochrane Collaboration belegten, dass diese Zusätze keinerlei Nutzen bringen [71].
Nachdem in den vorigen Jahrzehnten in Israel, Frankreich und den USA Säuglinge an Infektionen mit Cronobacter (frühere Bezeichnung: E. Sakazaakii) verstorben sind, erklärte die WHO auf ihrer Website, dass Säuglingsmilchnahrung in Pulverform nicht steril sei, und empfahl die Zubereitung mit mindestens 70° C heißem Wasser. Weitere in Säuglingsmilchnahrung dokumentierte Keime waren Salmonellen, Klebsiella, Bacillus cereus, Citrobacter und Schimmelpilze. Über die richtige Zubereitung von Säuglingsmilchnahrung wurde weiterhin kontrovers diskutiert, da Hitze auch die neuerdings gezielt zugesetzten Bakterien (Probiotika) abtöten und möglicherweise Nährstoffe zerstören würde. Da die Säuglingsmilchnahrungen sehr uneinheitlich sind, können die Auswirkungen je nach Marke oder sogar je nach Produktionscharge unterschiedlich sein.
2005: ForscherInnen der Hartmann-Arbeitsgruppe an der University of Western Australia veröffentlichten eine bahnbrechende wissenschaftliche Arbeit über die Anatomie der laktierenden Brust in der Ultraschallbildgebung [72]. Dieses Forschungszentrum brachte noch weitere evidenzbasierte Studien hervor, nachdem es zuvor neue Präzisionsmethoden zur Messung des Brustvolumens und der Milchaufnahme durch den Säugling entwickelt hatte.
2006: Die WHO veröffentlichte mit ihren Child Growth Standards die ersten normativen Wachstumstabellen auf der Basis von ausschließlich gestillten statt mit Säuglingsmilchnahrung oder gemischt ernährten Kindern.
2007: Durch das Codex-Alimentarius-Kommittee wurde eine aktualisierte Norm für Muttermilchersatzprodukte fertiggestellt; die Europäische Kommission legte die Anforderungen an die Zusammensetzung und Kennzeichnung von Säuglingsmilch- und Folgemilchnahrungsprodukte in Europa fest.
2007/2012: ForscherInnen der Hartmann-Arbeitsgruppe entdeckten Stammzellen in der Muttermilch [71] und wiesen nach, dass sie Eigenschaften von embryonalen Stammzellen besitzen [74], [75].
2007: : Das Wellcome Trust Centre for the History of Medicine am University College London hielt am 24. April 2007 in London ein „Zeitzeugenseminar“ zum Wiedererstarken des Stillens ab. Eine Mitschrift ist online verfügbar [76].
2008:
Die WHO veröffentlichte Indikatoren für die Überprüfung der Fütterungspraxis bei Säuglingen und Kleinkindern.
Es wurde eine bahnbrechende systematische Übersichtsarbeit zur Reinigung und Sterilisation von Säuglingsfütterungshilfen veröffentlicht [70].
2009: Eine von der Gates-Stiftung finanzierte Großkampagne soll zu einer Verdreifachung der Rate des ausschließlichen Stillens in Vietnam geführt haben.
1997–2009: Die WHO empfahl HIV-positiven Frauen ein ausschließliches Stillen für 6 Monate und dann ein abruptes Abstillen (auch als „frühe Entwöhnung“ bezeichnet) – außer in Regionen, in denen Fütterung mit Muttermilchersatznahrung akzeptabel, praktikabel, erschwinglich, nachhaltig und sicher war (AFASS – acceptable, feasible, affordable, sustainable, safe) [78]. Diese Befürwortung der Fütterung mit Muttermilchersatzprodukten durch HIV-positive Mütter wurde im November 2009 zurückgenommen, nachdem ForscherInnen anlässlich einer Konsultation in Genf damit gedroht hatten, durch Säuglingsmilchnahrung bedingte zusätzliche Todesfälle publik zu machen.
2010:
Die WHO empfahl für HIV-positive Frauen eine lebenslange antiretrovirale Therapie (ART) ab der Diagnose sowie ein ausschließliches Stillen für 6 Monate und danach ein fortgesetztes Stillen über bis zu 24 Monate. Diese Empfehlung beruhte auf Studien, die gezeigt haben, dass die nachteiligen Folgen des Abstillens nach 6 Monaten größer sind und eine HIV-Übertragung durch das Stillen äußerst selten vorkommt [79].
Die Facebook-Seite „Eats on Feets“ wurde eingerichtet. Sie dient dem verantwortungsvollen Muttermilchaustausch unter den Mitgliedern, nachdem privilegierte Frauen erkannt hatten, dass dies der zielführende Weg für Mütter war, die selbst nicht vollständig stillen konnten.
2011: Aufbau des globalen Milchbörsen-Netzwerks Human Milk 4 Human Babies (HM4HB).
Ab 2010:
Einige AllergologInnen und ErnährungswissenschaftlerInnen zweifelten die WHO-Empfehlung des ausschließlichen Stillens für 6 Monate an, ungeachtet der nachteiligen Folgen für Säuglinge (mehr Infektionen) und Mütter (z. B. mehr Krebserkrankungen des Fortpflanzungstrakts und Herz-Kreislauf-Krankheiten, höhere Kosten und Arbeitsbelastung). Dabei gingen sie offenbar von Untersuchungen aus, nach denen eine Toleranzentwicklung wahrscheinlicher war, wenn ein Nahrungsmittel vor dem 11. Lebensmonat eingeführt wurde und die Mutter noch stillte, verbunden mit der Annahme, dass das Stillen nach 6 Monaten beendet wurde – was in WEIRD-Ländern (s. o.) auch oft der Fall war. In Anbetracht der Bedeutung einer normalen Stilldauer könnte sich dies jedoch ändern.
Gründung der Stiftung First Steps Nutrition Trust, der ersten unabhängigen Internetseite mit evidenzbasierten, detaillierten und präzisen Informationen über aktuelle Säuglingsmilchnahrungsprodukte. Viele wertvolle Ressourcen sind hier kostenlos online abrufbar: http://www.firststepsnutrition.org/index.html
2013: Gründung der Familie Larsson-Rosenquist Stiftung (FLRF) nach schweizerischem Recht. Sie ist die einzige Stiftung zur weltweiten Förderung und Unterstützung der wissenschaftlichen Erforschung der Muttermilch und des Stillens [80].
2014: Allan Walker und andere ExpertInnen auf dem Gebiet der Immunentwicklung und des Mikrobioms äußerten sich über „die Notwendigkeit des Stillens als erste Nahrung für Säuglinge“ [81]. Walker und andere WissenschaftlerInnen, die am Workshop 88 des Nestlé Nutrition Institute im September 2016 teilnahmen, waren sich einig über die Bedeutung des ausschließlichen Stillens in den ersten Lebenstagen. Ein Teilnehmer wies auf einen überraschenden Befund aus einer generationenübergreifenden Datenbank zu First Nations-Familien hin (Anm. der Übersetzerin: Nachkommen US-amerikanischer und kanadischer UreinwohnerInnen), nämlich dass unter den Nachkommen von Frauen mit Gestationsdiabetes kein einziges Kind, das auch nur 2 Tage lang ausschließlich gestillt wurde (dies war der Umfang der Datenerhebung), im Jugendalter an Diabetes erkrankte, wie es sonst häufig der Fall ist.
2015:
In einer aktualisierten Fassung der umfassenden systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse „Breastfeeding and Maternal Health Outcomes“ wurden die Risiken des Nichtstillens für Frauen aufgezeigt [63].
Papst Franziskus rief in einer Ansprache in der Sixtinischen Kapelle die Mütter zum Stillen auf und befürwortete das Stillen [82].
Die Vereinten Nationen verabschiedeten ihre Ziele für nachhaltige Entwicklung [83], um die Armut zu beenden, den Planeten zu schützen und Wohlstand für alle zu sichern. Das Stillen trägt als unerlässliche Voraussetzung zur Erreichung der meisten, wenn nicht sogar aller dieser Ziele bei, wenngleich dies nicht explizit betont wird.
In dem Buch „Milk Matters: Infant Feeding & Immune Disorder“ wurde die sogennante Milchhypothese aufgestellt. Diese besagt, dass die miteinander verflochtenen und auf Entzündungsprozessen beruhenden Epidemien von Immunerkrankungen, Fettleibigkeit, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen allesamt von einer Störung der physiologischen postpartalen Vorgänge ausgehen, die durch Säuglingsmilchnahrung bedingt ist. Die epigenetische Forschung deutet darauf hin, dass solche Effekte vererbbar sind und von Generation zu Generation stärker werden können. In dem Buch werden die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den schädlichen Auswirkungen von Säuglingsmilchnahrung auf die biologische Entwicklung und zu den Folgen des Nichtstillens bzw. der ausbleibenden Gabe von Muttermilch zusammengetragen. Darüber hinaus wird die Entwicklung der Säuglingsfütterung als Aneinanderreihung von unkontrollierten und nahezu vollständig ungeprüften Experimenten dargestellt [82].
2016:
Die UN-SonderberichterstatterInnen zum Recht auf Nahrung und zum Recht auf Gesundheit, die Arbeitsgruppe der UN zur juristischen und praktischen Diskriminierung von Frauen sowie der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie das Stillen als Menschenrecht für Mutter und Kind bekräftigten und staatliche Maßnahmen zur Förderung des Stillens forderten [84].
Die Konsenserklärung des CFAR-Gipfels zu Nahrungsmittelallergien im Mai 2016 im Royal Children’s Hospital in Melbourne, Australien, gab Anlass zur Hoffnung, dass AllergologInnen und die WHO ihre Differenzen im Hinblick auf ein empfehlenswertes Alter für die Einführung von Beikost bei gestillten Kindern beilegen können [85].
Die AutorInnen des großen, gemeinschaftlichen US-Übersichtsartikels „Suboptimal Breastfeeding in the United States: Maternal and paediatric health outcomes and costs“ gelangten zu der Einschätzung, dass ein suboptimales Stillverhalten für 3.340 zusätzliche vorzeitige Todesfälle bei Müttern und 721 zusätzliche Todesfälle bei Kindern sowie für Gesundheitskosten in Milliardenhöhe verantwortlich ist [64].
In dem anhaltenden Bestreben, die Säuglingsmilchnahrung weiter zu verbessern, wurden den Produkten wieder einige komplexe Zuckerarten und Milchfettprodukte bovinen Ursprungs zugesetzt, da viele (unterschiedliche und miteinander in Wechselwirkung tretende) Typen solcher Substanzen auch in der Muttermilch vorkommen.
Es entwickelte sich ein stärkeres Bewusstsein für die vielfältigen strukturellen Probleme, die in Ländern mit hohem Pro-Kopf-Einkommen dem erfolgreichen Stillen entgegenstehen [42].
Die Häufigkeit von Typ-1-Diabetes hat in China erheblich zugenommen, vor allem bei Kindern und am schnellsten bei Kindern unter 5 Jahren.
Die Rate des ausschließlichen Stillens in weltweiten Krankenhäusern wird nach wie vor nicht sauber erfasst und Neugeborene werden weiterhin mit Säuglingsmilchnahrung gefüttert. In Definitionen des „ausschließlichen Stillens“ wird die Exposition gegenüber Muttermilchersatzprodukten im Krankenhaus noch immer außer Acht gelassen. Den Gesundheitsbehörden gelingt es offensichtlich nicht, der Präsenz und den Marketingstrategien der Industrie etwas entgegenzusetzen. Viele sind de facto Komplizen bei der Förderung von Muttermilchersatznahrung, weil sie sich weigern, Informationen über die Risiken und schädlichen Folgen der Säuglingsmilchnahrung offenzulegen. Auf diese Informationen sind Eltern jedoch angewiesen, um eine wirklich fundierte Entscheidung treffen zu können. Die Weigerung, die Öffentlichkeit über die bekannten negativen Auswirkungen von Säuglingsmilchnahrung zu informieren, wird offiziell damit begründet, dass man bei den betroffenen Eltern keine Ängste oder Schuldgefühle erzeugen möchte. Diese Begründung ist einzigartig und findet sich bei keinem anderen wichtigen Gesundheitsthema.
In den WEIRD-Ländern (s. o.) des 21. Jahrhunderts sind es überwiegend gut situierte Frauen, die stillen und/oder ihre Milch für ihr Kind abpumpen können, oder aber – in einigen Regionen – Frauen, die aufgrund eines Mangels an finanziellen Ressourcen gar keine andere Wahl haben, als zu stillen. Umgekehrt sind es vor allem sozial schlechter gestellte Frauen mit einem gewissen frei verfügbaren Einkommen, die heutzutage ihre Kinder mit industriell hergestellten Muttermilchersatzprodukten füttern. Die Stillförderung wird von WissenschaftlerInnen zunehmend als wichtige Strategie zum Abbau von sozialer Ungleichheit angesehen. Gleiches gilt für einen großzügig bemessenen Mutterschaftsurlaub [42], [49].
In Schwellenländern begehen bessergestellte Frauen heute die gleichen Fehler wie ihre Vorgängerinnen in den Industrienationen vor einem Jahrhundert in den 1920er Jahren. Sie bezahlen viel Geld für den dehydrierten Ersatz einer unbezahlbaren, lebendigen Flüssigkeit, die Tag für Tag eine kostenlose Stammzellspende mit sich bringt. Und das Beispiel der Eliten wird auch die sozial schlechter gestellten Frauen in diesen Ländern dazu verleiten, die unerschwinglichen Statussymbole in Form von importierter Säuglingsmilchnahrung zu kaufen [39], wenn sie „das Beste“ für ihre Babys wollen. In Wirklichkeit riskieren diese Familien aber das Leben ihres Kindes und treiben die ganze Familie weiter in die Armut, indem sie die Auswege verbauen, die Bildung begabten Kindern eröffnet. Die Fütterung mit Muttermilchersatznahrung treibt so manches Kind in die Armutsfalle und hält viele, die zu früh mit teuren Industrieprodukten gefüttert wurden, in Armut gefangen, denn diese Produkte sind nur dann als Ergänzung oder Ersatz von Wert, wenn keine Muttermilch verfügbar ist.
In bitterarmen Gemeinden bekommen stillende Frauen zu sehen, was die globalen Medien ihnen vorsetzen. Für Werbung und Marketing werden Milliarden ausgegeben und Regierungen im westlichen Kulturkreis unterstützen die Ausweitung der Produktion und den weltweiten Export von Muttermilchersatznahrung. Es wird daher nicht lange dauern, bis der durch Muttermilchersatznahrung hervorgerufene Teufelskreis aus Fehlernährung, Störungen des Mikrobioms und Immunerkrankungen auch die ärmsten Teile der Weltbevölkerung erfasst. Naive Eltern glauben, Unternehmen würden durch Vorschriften und Gesetze daran gehindert, Produkte zu verkaufen, die ihren Kindern schaden: „Sowas dürften sie ja nicht sagen, wenn es nicht stimmen würde“ oder „Säuglingsmilchnahrung dürfte doch gar nicht verkauft werden, wenn sie schädlich für mein Kind sein könnte“. Ein kürzlich erschienenes Buch von George Kent zeigt jedoch anschaulich, wie sehr die Regierungen selbst bereits zu „Dealern“ für Säuglingsmilchnahrung geworden sind und dabei versagen, Säuglingsmilchnahrung zu regulieren oder das Stillen angemessen zu schützen und zu fördern. Den wenigsten Eltern ist klar, dass sich die Industrie in Wirklichkeit selbst reguliert und dass es in den meisten Ländern keine routinemäßigen unabhängigen Überprüfungen für Säuglingsmilchnahrung gibt.
Industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung konnte sich in den WEIRD-Ländern als vorherrschende Norm durchsetzen, weil die Industrie ebenso wie die Eltern, die Säuglingsmilchnahrung verwenden wollen oder müssen, seit vielen Jahrzehnten dauerhaft strukturell unterstützt werden, finanziert aus Steuermitteln. Ein führender Wissenschaftler erklärte im Jahr 1984, die FDA müsse „den Eltern versichern, dass amerikanische Säuglingsmilchnahrung sicher ist, weil die amerikanische Gesellschaft von der Flaschenernährung abhängig ist“ [4]. Das Stillen als Verantwortung der Mutter zu propagieren und zugleich Millionen Dosen Säuglingsmilchnahrung zu kaufen, zu exportieren oder zu subventionieren, ist spalterisch und scheinheilig. Die Gesellschaft nicht über die Risiken und schädlichen Folgen von Muttermilchersatzprodukten zu informieren, ist mindestens fahrlässig. Es wird eines Tages vielleicht auch als strafrechtlich relevant angesehen werden, sobald auf Sammelklagen spezialisierte Anwälte die Möglichkeiten ausgelotet haben, auf die Peter Hartmann anspielte, als er sagte: „Säuglingsmilchnahrung ist der Tabak des 21. Jahrhunderts.“
Früher stand auf jeder Dose Säuglingsmilchnahrung des Herstellers Cow and Gate zu lesen:
„Was wir ihnen jetzt geben, legt den Grundstein für ihr ganzes Leben.“
Genau so ist es. Deshalb müssen wir unsere Kinder mit Muttermilch ernähren.
„Frauen beim Stillen zu unterstützen und diejenigen, die nicht stillen können, mit Muttermilch zu versorgen, ist beides machbar, sobald es als Notwendigkeit für die normale Entwicklung und Gesundheit des Menschen anerkannt wird.“
Und die Wissenschaft hat diese Notwendigkeit klar belegt.
Das Gemeinwesen muss erhebliche Mittel investieren um das Stillen zu ermöglichen, zu fördern und zu schützen, und zwar ähnliche Beträge, wie sie für die Subventionierung von industriell hergestellten Säuglingsmilchprodukten und ihre Zutaten aufgewendet werden. Wenn es gelingt, das Stillen als weltweiten gesellschaftlichen Standard zu etablieren, so werden dadurch wesentlich mehr Kosten eingespart als verursacht.
Die Laktation ist ein robuster, widerstandsfähiger und zuverlässiger Überlebensmechanismus und war für den evolutionären Erfolg der Säugetiere entscheidend. Mit der Entwicklung von Produkten bovinen Ursprungs wurde vielen Säuglingen die wertvolle Ressource Muttermilch entzogen.
Die Industrialisierung und vielfältiger Druck in der modernen Gesellschaft haben dazu geführt, dass viele Mütter vom Stillen auf leicht verfügbare kommerzielle Produkte umgestiegen sind.
Heute, da man mehr über die positiven gesundheitlichen Auswirkungen für Mutter und Kind weiß, kehrt sich dieser Trend wieder um.
Die Bereitstellung neutraler Informationen – nicht nur über das Stillen, sondern auch über die Risiken der Fütterung mit Muttermilchersatzprodukten – ist unerlässlich, um den Fokus wieder auf das Stillen und die Ernährung mit Muttermilch zu richten.
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