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17 Muttermilchbanken aus Sicht von ExpertInnen

Published onJul 01, 2018
17 Muttermilchbanken aus Sicht von ExpertInnen
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17 Muttermilchbanken aus Sicht von ExpertInnen


João Aprigio Guerra de Almeida, Ben Hartmann, Kiersten Israel-Ballard, and Guido E. Moro

Zentrale Lerninhalte

  • Definition von Muttermilchbanken

  • Bedeutung von Muttermilchbanken

  • Überlegungen bei der Einrichtung einer Muttermilchbank

  • Kostenaspekte

  • Richtlinien und Standards, die Aufbau und Betrieb einer Milchbank unterstützen

17.1. Einführung

Der Ernährung mit Muttermilch wird eine zunehmend große Bedeutung beigemessen, insbesondere für kranke und schwache Säuglinge, und entsprechend gewinnen Muttermilchbanken immer mehr an Popularität. Doch es gibt für den Aufbau und den Betrieb einer Milchbank keine festen Regeln und keine standardisierten globalen Leitlinien; gleichzeitig spielen zahlreiche kulturelle und regionale Faktoren eine Rolle. In diesem Kapitel kommen renommierte Fachleute für Milchbanken zu Wort:

  • Prof. João Aprigio Guerra de Almeida, Instituto Nacional de Saúde da Mulher, da Criança e do Adolescente Fernandes Figueira, Brasilien

  • Dr. Ben Hartmann, King Edward Memorial Hospital for Women, Neonatology Clinical Care Unit, PREM Milk Bank, Australien

  • Dr. Kiersten Israel-Ballard, PATH, USA

  • Prof. Guido Moro, Associazione Italiana delle Banche del Latte Umano Donato (AIBLUD), Italien

Dieses Kapitel enthält einige gemeinsame Stellungnahmen der ExpertInnen, zumeist handelt es sich aber um individuelle Antworten im Rahmen eines Interviews (Gesprächsführung: Janet Prince, Lactation Consultant bei der Familie Larsson-Rosenquist Stiftung).

17.2. Was ist eine Muttermilchbank?

17.2.1. Definition einer Muttermilchbank

Kiersten Israel-Ballard: Eine offizielle Definition für Frauen- oder Muttermilchbanken gibt es nicht, und in meinen Augen lässt sich der Begriff auf mehrere Arten definieren. Die historische Definition lautet, dass es sich lediglich um eine Einrichtung handelt, einen Raum im Krankenhaus, in dem Muttermilch verarbeitet und behandelt wird. Hier werden in einem sicheren Rahmen Spenderinnen rekrutiert und untersucht; Milch wird gelagert, pasteurisiert, kontrolliert und wieder eingelagert, und schließlich wird die Ausgabe an die einzelnen Krankenstationen organisiert.

Man kann Muttermilchbanken aber auch eher als Dienstleistungsangebot für Mütter betrachten und weniger als reine Verarbeitungseinrichtung. Der physische Raum für die Verarbeitung kann als sicherer Ort gestaltet werden, an den Frauen kommen, um sich Unterstützung zu holen – ein Unterstützungszentrum für Mutter und Kind also. So sehen wir Muttermilchbanken: als Anlaufstelle für Mütter zu allen Aspekten des Stillens, unabhängig davon, ob sie selbst spenden wollen oder nicht. Und auch die Verbindung zur Känguru-Methode ist uns wichtig. Das Gesamtpaket nennen wir dann „Mother-Baby Friendly Initiative plus“ (MBFI plus). Wenn wir über ein Milchbankenprogramm sprechen, meinen wir das MBFI-plus-Programm – „plus“ steht hier für die Milchbank. Die Milchbank ist hier nur ein Teil eines viel weiter gefassten, ganzheitlichen Ansatzes der Versorgung von Neugeborenen.

Guido Moro: Eine Muttermilchbank ist eine Einrichtung mit dem Zweck, Muttermilchspenden auszuwählen, zu sammeln, zu untersuchen, zu lagern und weiterzugeben. Die Milch ist hauptsächlich für Frühgeborene bestimmt, aber auch für kranke Säuglinge, wenn ÄrztInnen aus dem Gesundheitssystem spezifische Anfragen stellen.

Ben Hartmann: Eine Definition des Begriffs „Muttermilchbank“ ist insofern schwierig, als die Umsetzung je nach Land sehr unterschiedlich ist. Eine sehr grundlegende und weitestgehend allgemeingültige Definition wäre eine Einrichtung, in der Muttermilch gelagert wird, damit diese bei Bedarf genutzt werden kann. Das klingt vielleicht vereinfacht, wirft aber gleich mehrere Fragen auf, die für eine Definition zu klären wären. Erstens: Welche Anforderungen werden an geeignete Spenderinnen gestellt und welche Sorgfaltspflichten hat die Milchbank ihnen gegenüber? Zweitens, zum letzten Teil der Definition („bei Bedarf genutzt werden“): Wie sind geeignete EmpfängerInnen definiert (für welche Zwecke wird also Spenderinnenmilch abgegeben) und welche Sorgfaltspflichten hat die Milchbank gegenüber den EmpfängerInnen? Ich bin nicht sicher, ob das für Milchbanken klar definiert ist, aber es sind in jedem Fall Punkte, über die wir nachdenken müssen.

João Aprigio: Das brasilianische Gesundheitsministerium und die Gesundheitsministerien der 23 Mitgliedsländer des Global Network of Human Milk Banks (Angola, Argentinien, Bolivien, Belize, Kap Verde, Kolumbien, Costa Rica, Kuba, Guatemala, Ecuador, El Salvador, Spanien, Honduras, Panama, Peru, Mexiko, Mosambik, Nicaragua, Paraguay, Portugal, Dominikanische Republik, Uruguay und Venezuela) definieren die Muttermilchbank offiziell als eine spezialisierte Einrichtung für Maßnahmen zur Förderung, zum Schutz und zur Unterstützung des Stillens, die Maßnahmen zur Sammlung, Aufbereitung, Qualitätssicherung und Distribution der Milch laktierender Mütter durchführt.

17.2.2. Geschichte und Zukunft

Wie sind Muttermilchbanken entstanden?

Kiersten Israel-Ballard: Wenn man bedenkt, dass Ammen schon im Koran, in der Bibel und in anderen religiösen Schriften beschrieben werden, wird deutlich, dass das Prinzip der Weitergabe von Muttermilch an unterversorgte Kinder so alt ist wie die menschliche Zivilisation selbst. Das stärker formalisierte Konzept der Muttermilchbanken entstand vor gut 100 Jahren als klinische Maßnahme, um bedürftige Kinder auf sichere Weise mit Muttermilch zu versorgen.

Guido Moro: Ammen sind die ersten Vorläufer der heutigen Muttermilchbanken. Wenn eine Mutter ihr Kind nicht stillen konnte, gab es andere Frauen, die gerade ein Kind stillten und überschüssige Milch hatten. Die Mutter mit der mangelnden Milchbildung brachte ihr Baby zu dieser Amme, die sowohl ihr eigenes als auch das fremde Kind mit Milch versorgte. Diese Ammen wurden im 17. und 18. Jahrhundert sehr gut bezahlt; damals existierte für Frauen überhaupt keine besser bezahlte Tätigkeit. Die Ammen verdienten also gutes Geld damit, dass sie die Babys anderer Frauen mit ihrer Milch versorgten. Im Laufe des 18. Jahrhunderts schwand allerdings die Popularität der Ammen, als sie für höhere Löhne streikten. Die Lage verschlechterte sich, sobald die Geldfrage im Raum stand. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Ammen in Europa ihre Popularität weitgehend eingebüßt und wurden durch die Verbreitung regulärer Muttermilchbanken verdrängt. Im Jahr 1909 wurde in Wien die 1. Milchbank eröffnet, im Jahr darauf die 2. in Boston, und danach stieg die Zahl der Muttermilchbanken rapide an, vor allem in Europa. Mit der HIV-Krise ging ihre Beliebtheit etwas zurück, aber heute sind sie überall auf der Welt wieder auf dem Vormarsch, je mehr den Menschen bewusst wird, wie lebenswichtig Muttermilch gerade für schwache und kranke Kinder ist.

Ben Hartmann: Soweit wir wissen, wurden die ersten Milchbanken in Europa eröffnet. Sie entstanden aus dem Zusammentreffen zweier Umstände: Erstens hatten die Forschung und klinische Erfahrung belegt, wie wichtig Muttermilch für Säuglinge im Krankenhaus ist, und zweitens wurden die technischen Voraussetzungen geschaffen, um die Milch zu sammeln, zu lagern und zu verarbeiten.

Was die Gegenwart betrifft, so standen wir bei der Eröffnung unserer Milchbank in Perth vor 10 Jahren vor der Situation, dass es in ganz Australien seit 25 Jahren gar keine Milchbank mehr gegeben hatte. Wir konnten uns daher frei überlegen, welche Art von Leistungen wir anbieten wollten, und wir konnten unsere Lösung auf ein ganz konkretes Problem zuschneiden, das wir mit der Wiedereinführung von Milchbanken lösen wollten.

João Aprigio: Muttermilchbanken stellen in Brasilien seit 20 Jahren ein ganz wesentliches strategisches Element der öffentlichen politischen Kampagne zur Förderung des Stillens dar. Dessen ungeachtet war die gesellschaftliche Wahrnehmung von Muttermilchbanken im Laufe ihrer Geschichte durchaus Schwankungen unterworfen. Seit Eröffnung der ersten Milchbank in Brasilien haben gesellschaftliche AkteurInnen und Gruppen je nach dem spezifischen Zeitpunkt in der geschichtlichen Entwicklung den Muttermilchbanken eine unterschiedliche Bedeutung zugeschrieben. So wurden sie zeitenweise als Unterstützungsstruktur in Ausnahmefällen bei der kommerziell beförderten Abwendung vom Stillen betrachtet, in anderen Phasen jedoch auch als Einrichtungen zur Förderung des direkten Stillens.

Die Gründung der ersten Muttermilchbank Brasiliens erfolgte im Oktober 1943 unter dem Dach des Nationalinstituts für Kinderpflege, das heute Instituto Fernandes Figueira (IFF) heißt und zur Fundação Oswaldo Cruz (Fiocruz) gehört. Ihre Hauptaufgabe war es, Muttermilch zu sammeln und in bestimmten Sonderfällen abzugeben, etwa zur Ernährung von Frühgeborenen sowie Kindern mit Ernährungsstörungen oder Allergien gegen heterologe Proteine. Bis Anfang der 1980er Jahre wurden in Brasilien noch 5 weitere Muttermilchbanken gegründet, die dem gleichen Ansatz folgten. Dieser Zuwachs vollzog sich kontinuierlich von 1943–1979; im Schnitt kam alle 10 Jahre eine neue Muttermilchbank hinzu. Im Lauf der 1980er dann, insbesondere ab 1985, beschleunigte sich die Entwicklung rapide, und es wurden 47 neue Muttermilchbanken eingerichtet. Weitere 56 Muttermilchbanken wurden in den 1990er Jahren eröffnet, und gegen Ende des Jahrzehnts waren landesweit insgesamt 104 Milchbanken in Betrieb (Schätzung anlässlich des ersten Brasilianischen Muttermilchbank-Kongresses, der im Juli 1998 in der Hauptstadt Brasília stattfand).

Die Geschichte der Muttermilchbanken in Brasilien lässt sich in 2 Phasen unterteilen. Die erste reicht von 1943, dem Jahr der Gründung der Muttermilchbank am Instituto Fernandes Figueira, bis 1985, als eine Abkehr vom alten Paradigma hin zu dem neuen Modell erfolgte, das bis heute angewendet wird.

Der Hauptzweck von Muttermilchbanken besteht darin, die grundlegende Herangehensweise an Stillprobleme zu verändern. Hierzu bieten sich 3 grundlegende Stoßrichtungen an: (1) Programme entwickeln, die den Zugang des Fachpersonals im Gesundheitswesen zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema Muttermilch verbessern und so eine Verbindung zwischen den einzigartigen biologischen Eigenschaften der Muttermilch und der ökologischen Perspektive der menschlichen Entwicklung herstellen; (2) Wege aufzeigen, um den Ausbau wissenschaftlicher Expertise zu fördern und jener Speerspitze der Wissenschaft entgegenzuwirken, deren Sachkenntnis vom Marketing der Säuglingsnahrungsindustrie gespeist wird; (3) dem dogmatischen und ideologischen Diskurs über das Stillen wissenschaftlich fundierte Positionen entgegensetzen, die sich auf Erkenntnisse aus unterschiedlichen Fachgebieten stützen.

Die Schulung des Fachpersonals im Gesundheitswesen muss eine Priorität für Muttermilchbanken im neuen Jahrtausend sein, denn dieses Personal wird maßgeblich für eine Konsolidierung von Exzellenzzentren für das Stillen sein, die sich nicht nur als Dienstleister begreifen, sondern auch die dynamische Veränderung in der Bedeutung der Muttermilchbanken mitgestalten, die das Stillen als Hybrid aus Natur und Kultur prägen.

Wie sieht die aktuelle Situation aus?

Kiersten Israel-Ballard: Gegenwärtig ist das System der Muttermilchbanken global betrachtet unzusammenhängend und unzureichend zur Deckung des weltweiten Bedarfs der Säuglinge. Es ist ein Skandal, dass es ganze Regionen der Welt ohne eine einzige Milchbank gibt, obwohl dafür evidenzbasierte Richtlinien und eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorliegen. Ostafrika, und überhaupt ein Großteil von Afrika, verfügen über keinerlei Milchbanken; und in Indien steht eine sehr kleine Zahl von Milchbanken einem massiven Bedarf gegenüber Diese in hohem Maß bedürftigen Regionen verfügen über keinerlei Strukturen, um ihre am meisten gefährdeten Säuglingspopulationen zu unterstützen. Brasilien verfügt über ein hocheffektives staatliches Netzwerk von Muttermilchbanken, doch selbst unter diesen beispielhaften Rahmenbedingungen gibt es immer noch Säuglinge, die keinen Zugang zu einer Muttermilchbank haben.

Warum gibt es so wenige Milchbanken?

Kiersten Israel-Ballard: In den 1980er Jahren wurde HIV in der Muttermilch entdeckt, was das Vertrauen in Muttermilchbanken erschütterte, weil man eine Übertragung des Virus fürchtete. Das blieb für viele Muttermilchbanken nicht ohne Folgen.

Die Angst vor einer HIV-Übertragung ist aber nicht der einzige Grund dafür, dass das Muttermilchbanksystem nicht stärker ausgebaut wird. Da es keine global gültigen Standards für Sicherheit und Qualitätskontrolle gibt, ist es mitunter eine große Herausforderung, adäquate Richtlinien und Betriebsabläufe zu entwickeln. Außerdem müssen globale und regionale Richtlinien für Neugeborene und deren Ernährung übereinstimmend darauf ausgerichtet werden, dass diese Ernährung vorzugsweise mit Muttermilch erfolgen sollte – idealerweise mit der Milch der leiblichen Mutter oder bei Bedarf mit Spenderinnenmilch. Darüber hinaus müssen die Muttermilchbanksysteme so gestärkt werden, dass sie im Sinne des Schutzes, der Förderung und Unterstützung des Stillens effektiv integriert werden. Und nicht zuletzt werden dringend Innovationen benötigt, um die Qualität und Sicherheit der Verarbeitung von Spenderinnenmilch zu erhöhen – neuartige Technologien könnten hier die Kosten senken und die weltweite Verfügbarkeit verbessern.

Guido Moro: Die Zahl der Muttermilchbanken ist ja schon stark gestiegen; es gibt über die Welt verteilt aktuell mehr als 500 Milchbanken. Die meisten davon befinden sich allerdings in Europa, den USA und Brasilien. Brasilien ist das Land mit den meisten Muttermilchbanken, dort gibt es über 200.

In Europa ist Frankreich mit 36 Milchbanken führend; hier wurde auch das erste Gesetz zur Regulierung der Muttermilchbanken erlassen. Auf dem 2. Platz mit 33 Milchbanken liegt Italien, wo im Jahr 2014 ebenfalls ein einschlägiges nationales Gesetz erlassen wurde. Die Zahl der Muttermilchbanken steigt in ganz Europa, einschließlich Russland, wo im Jahr 2015 eine erste Milchbank eröffnet wurde. In den 1970er und 1980er Jahren gab es in Russland sehr viele Milchbanken, die jedoch im Zuge der HIV-Krise alle geschlossen wurden. Nach langen Diskussionen erteilte die Regierung dann die Erlaubnis, in einem großen Krankenhaus in Moskau probeweise eine Milchbank einzurichten. Angesichts der positiven Ergebnisse – steigende Stillraten und immer weniger Fälle von nekrotisierender Enterokolitis (NEC) und Sepsis – bin ich zuversichtlich, dass noch weitere Milchbanken in ganz Russland genehmigt werden. Auch Polen und andere osteuropäische Länder beginnen derzeit mit dem Aufbau von Milchbanken, was zweifellos positiv zu werten ist.

Ben Hartmann: Ich sehe die Milchbanken derzeit in einer sehr spannenden Phase. Heutzutage gibt es ja ein riesiges Spektrum von Aktivitäten, die alle unter dem Schlagwort Muttermilchbank laufen. Bei uns in Australien herrscht auf jeden Fall allgemein eine gewisse Unklarheit dahingehend, was genau eine Milchbank ausmacht und welche Leistungen sie anbietet. Wir beobachten derzeit auch viele verwandte Aktivitäten, z. B. Muttermilchbörsen oder den Kauf und Verkauf von Muttermilch. Alle diese Aktivitäten werden unter dem Schlagwort Muttermilchbank zusammengefasst. Meiner Ansicht nach erzeugt das für die eigentlichen Milchbanken eine Art Identitätsproblem, das derzeit weitgehend ungelöst ist. Das wiederum könnte das Vertrauen in klinische Muttermilchbankeinrichtungen beschädigen.

Was erwarten Sie für die Zukunft?

Kiersten Israel-Ballard: Wir beobachten global eine verstärkte Fokussierung auf eine Grundversorgung von Neugeborenen, die über das reine Überleben und die verstärkte Aufmerksamkeit auf das physische Gedeihen hinausgeht. So wird in offiziellen Dokumenten wie dem Every Newborn Action Plan die Einleitung des Stillens als zentrale Maßnahme für die Gesundheit von besonders gefährdeten Neugeborenen bezeichnet. Insofern sind die Muttermilchbanken in einer spannenden Phase, denn sie können diese verstärkte Fokussierung auf eine qualitativ hochwertige Ernährung Neugeborener auch für sich nutzen. Hierbei ist aber entscheidend, dass Muttermilchbanken als Teil eines Gesamtpakets für die frühe und essenzielle Neugeborenenversorgung eingerichtet werden und nicht als separate Maßnahme, die ausschließlich der Bereitstellung von Spenderinnenmilch dient. Insgesamt scheint das Bewusstsein für die Bedeutung von Spenderinnenmilch immer größer zu werden. Verschiedene Gesundheitsministerien äußern inzwischen die Absicht, Milchbanken in ihrem Land mehr Priorität einzuräumen – das hat man noch vor wenigen Jahren so nicht gehört. Das ist ein echter Fortschritt. Auf nationaler Ebene besteht definitiv eine steigende Nachfrage, und diese ist auch notwendig, um Forderungen zu untermauern, dass das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), die WHO, andere großen Organisationen und Geldgeber Milchbanken auf ihre Prioritätenliste setzen sollten.

Notwendig ist auch eine bessere Kommunikation und Vernetzung der Programme untereinander, gerade in der heutigen Zeit mit ihren technischen Möglichkeiten. Es finden zwar gelegentlich Konferenzen statt; diese sind aber eher klein und lokal begrenzt. Wer in diesem Bereich aktiv ist, hat tendenziell kein Budget für Reisen zu Konferenzen. Ein Lösungsansatz wäre ein globales Netzwerk, in dem Leitlinien, Best Practices, Forschungsergebnisse, Fallstudien und Lehrmaterialien ausgetauscht werden können. Man findet im Internet schon sehr hilfreiche Ressourcen, diese reichen aber bei weitem nicht aus. Auch gibt es keine leicht verständliche Plattform, was im heutigen Zeitalter der Kommunikationstechnologie nicht der Fall sein sollte. Es müsste einen globalen Verband oder Ähnliches geben, einen Zusammenschluss engagierter Menschen mit gemeinsamen Zielen, die hier transparent zusammenarbeiten und einander unterstützen, ohne Konkurrenzdenken.

Guido Moro: Ich sehe die Zukunft als sehr interessant und positiv. Überall in Europa steigt die Zahl der Muttermilchbanken. Ich beziehe mich hier auf Europa, weil ich die Situation dort wesentlich besser kenne als die in anderen Ländern. Die Zahl der Milchbanken wird auch weiter zunehmen, und entsprechend wird die Zahl der Säuglinge steigen, die mit Spenderinnenmilch versorgt werden – das ist auf jeden Fall positiv. Vor 2 Jahren haben wir in einer Studie in Italien ermittelt, dass mit der gegenwärtig vorhandenen Menge an Spenderinnenmilch die Bedürfnisse von einem Drittel aller Neugeborenen mit sehr niedrigem Geburtsgewicht (VLBW; Geburtsgewicht < 1500 g) in unserem Land gedeckt werden können. Jetzt müssen wir überlegen, ob neue Milchbanken eröffnet oder die Kapazitäten der vorhandenen ausgebaut werden sollen. Manchmal ist es besser, die Kapazitäten vorhandener Milchbanken zu vergrößern, da die Eröffnung einer neuen sehr viel Geld kostet.

Über den italienischen Milchbankverband AIBLUD (Associazione Italiana delle Banche del Latte Umano Donato), der im Jahr 2005 gegründet wurde, kann Spenderinnenmilch an Säuglinge in ganz Italien vermittelt werden. Die erste Wahl für die Ernährung von VLBW-Säuglingen ist natürlich die Milch der leiblichen Mutter. Doch wenn diese nicht oder nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht, ist Spenderinnenmilch aus der Muttermilchbank die zweitbeste Option. In Zukunft wird industriell hergestellte Säuglingsmilch- und sonstige künstliche Milchnahrung in Europa also nicht einmal mehr in Betracht gezogen. Die Zukunft liegt darin, ausschließlich diese beiden Optionen anzubieten – die Milch der leiblichen Mutter oder Muttermilch aus einer Milchbank. Und um dies zu ermöglichen, muss sorgfältig ermittelt werden, was für das betroffene Land sinnvoll ist: neue Milchbanken eröffnen oder die vorhandenen ausbauen.

Ben Hartmann: Muttermilchbanken haben eine große Zukunft. Meiner Meinung nach muss aktuell der Nachweis erbracht werden, dass Milchbanken sicher sind. Das gelingt meiner Meinung nach auch schon ganz gut. Außerdem müssen wir zeigen, dass wir effektiv, ethisch und nachhaltig arbeiten und dass wir genau wissen, wer dieses Angebot braucht und wann. Ich bin nicht sicher, ob das klar definiert ist, aber es sind eindeutig Punkte, über die wir nachdenken müssen. Außerdem ist zu bedenken, dass jede Gerichtsbarkeit, in deren Zuständigkeitsbereich Milchbanken betrieben werden, andere Problemstellungen haben kann, die zu lösen sind. Eine allgemeingültige Praxis des Milchbankwesens ist daher vielleicht unerreichbar.

17.3. Warum Muttermilchbanken?

Welchen Nutzen haben Muttermilchbanken und wie können sie dazu beitragen, Leben zu retten, Kosten einzusparen und den Gesundheitszustand von Menschen zu verbessern?

Kiersten Israel-Ballard: Es ist bekannt, dass Stillen Leben rettet und der allgemeinen Gesundheit förderlich ist. Stillen schützt u.a. vor Allergien, Krebs und Übergewicht und hat positive Auswirkungen auf den IQ. Es ist wichtig hervorzuheben, dass Milchbanken gerade solchen Kindern helfen, die nicht von ihrer leiblichen Mutter mit Milch versorgt werden können; dies gilt umso mehr für besonders gefährdete Kinder: Frühgeborene, Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht, Waisen und ausgesetzte Kinder. Muttermilch ist die optimale Anfangsnahrung; sie sollte als essenzielle Medizin betrachtet und als Grundrecht jedes Kindes geschützt werden. Wenn die Milch der leiblichen Mutter keine Option ist, empfiehlt die WHO eindeutig Spenderinnenmilch als bessere Alternative gegenüber industriell hergestellter Säuglingsmilchnahrung. Letztlich müssen wir uns mit ganzer Kraft dafür einsetzen, den Müttern das Stillen zu ermöglichen. Gibt es Unterstützungssysteme für Mütter, deren Babys auf der NICU behandelt werden? Allzu oft werden Säuglinge mit Säuglingsmilchnahrung (oder auch Spenderinnenmilch) ernährt, obwohl sie Milch von ihrer leiblichen Mutter hätten haben können. Die Kernaufgabe einer Muttermilchbank ist es, sichere Spenderinnenmilch bereitzustellen – bei richtiger Implementierung sollte Spenderinnenmilch die Säuglingsmilchnahrung ersetzen, nicht die Milch der leiblichen Mutter.

Wenn Muttermilchbanken Teil eines umfassenden Programms zur Stillförderung sind, dann lässt sich ihr Erfolg letztlich am Anstieg der Stillrate innerhalb der Einrichtung und des Einzugsgebiets messen. Dadurch steigt die allgemeine Wertschätzung für Muttermilch und alle Säuglinge innerhalb des Gemeinwesens sollten davon profitieren. Das wiederum verbessert den Gesundheitszustand der gesamten Bevölkerung und verringert die Belastung des Gesundheitssystems. Richtig angewandt kann diese Maßnahme Leben retten und Kosten sparen.

Guido Moro: Es ist international anerkannt, dass Muttermilch die beste Nahrung für Säuglinge ist – nicht nur für termingerecht geborene Kinder, sondern auch für Frühgeborene. Ebenso wissen wir, dass viele Mütter von Frühgeborenen ihre Kinder nicht stillen können, weil sie keine oder zu wenig Milch bilden. In diesem Fall ist Muttermilch, die von einer anderen Mutter an eine Milchbank gespendet und dort aufbereitet wurde, nachweislich die nächstbeste Option für die Ernährung von Frühgeborenen. Der Hauptzweck von Muttermilchbanken besteht darin, frühgeborene und kranke Säuglinge mit Muttermilch zu versorgen.

Wie kann eine Muttermilchbank Leben retten?

Guido Moro: In den letzten Jahren sind zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten erschienen, die belegen, dass Muttermilch Frühgeborene vor verschiedenen Krankheiten schützt, insbesondere NEC. Bei Frühgeborenen, die mit Säuglingsmilchnahrung ernährt werden, beläuft sich die NEC-Rate auf nicht weniger als 7%. Diese Zahl stammt vom Vermont Oxford Network und basiert auf Daten von Neugeborenen-Intensivstationen (NICUs) in aller Welt. Bei Säuglingen, die mit der Milch ihrer leiblichen Mutter oder mit Spenderinnenmilch ernährt werden, tritt NEC hingegen mit einer Häufigkeit von nur 1–2% auf. Das entspricht einer erheblichen Senkung der NEC-Rate Außerdem wurde nachgewiesen, dass Spenderinnenmilch vor der Früh- und Spätform der neonatalen Sepsis, bronchopulmonaler Dysplasie und Frühgeborenen-Retinopathie schützt. Neben diesen kurzfristigen Vorteilen gibt es auch einen langfristigen Nutzen, etwa die Verhinderung von Stoffwechselerkrankungen. Es liegt auf der Hand, dass mit der Verhinderung solcher Krankheiten auch Kosten eingespart werden.

Leben zu retten hat natürlich oberste Priorität, denn die Sterblichkeit von Säuglingen mit NEC beläuft sich auf rund 30%. Doch sekundär kommt es dadurch auch zu Kosteneinsparungen. Anhand von Daten aus der Literatur und aus Italien habe ich berechnet, dass man bei jedem Säugling mit einem Geburtsgewicht unter 1500 g, der mit Muttermilch statt mit Säuglingsmilchnahrung ernährt wird, über 8000 USD spart. Auch die Gesamtzahl der Säuglinge mit einem sehr niedrigen Geburtsgewicht (VLBW) in einem Land lässt sich berechnen. In Italien sind das etwa 8250 pro Jahr. Wenn bei jedem dieser Neugeborenen über 8000 USD weniger Kosten anfallen, ergeben sich jährliche Einsparungen in Höhe von 67 Millionen USD bzw. 52 Millionen EUR. Das ist eine eindrucksvolle Summe. Mit solchen Zahlen kann man EntscheidungsträgerInnen in Politik und Krankenhausmanagement davon überzeugen, das Stillen und die Ernährung mit Muttermilch bei allen Frühgeborenen, insbesondere aber VLBW-Säuglingen, stärker zu unterstützen. Solche Berechnungen sind daher extrem wichtig.

Wie wichtig sind Muttermilchbanken?

Ben Hartmann: Mich stört das Wort „wichtig“ im Zusammenhang mit Muttermilchbanken. Aus Sicht eines Biologen ist es schlichtweg eine physiologische Tatsache, dass wir von der Evolution her dazu bestimmt sind, unseren Nachwuchs zu säugen. Und wir sollten alles dafür tun, dass jede Mutter ihr Baby erfolgreich stillen kann. Wenn das nicht möglich ist, kann die Fütterung mit Spenderinnenmilch in manchen Situationen Vorteile gegenüber anderen Milchalternativen haben. Es ist aber klar, dass auch Spenderinnenmilch eine Alternative zur biologischen Norm der Säuglingsernährung beim Menschen darstellt. Spenderinnenmilchbanken haben in meinen Augen definitiv einen Platz, allerdings einen streng definierten Platz, und das muss ganz klar herausgestellt werden.

Seit wir unsere erste Milchbank in Perth eröffnet haben, hat sich sehr viel getan. Anfangs verfolgten wir das Ziel, dass möglichst viel Spenderinnenmilch produziert wurde. Mittlerweile sehe ich das Thema differenzierter; das primäre Ziel von Milchbanken sollte der größtmögliche Stillerfolg der Mütter sein. In der Neugeborenen-Intensivpflege bei uns in Australien stellt Spenderinnenmilch erst dann eine Lösung dar, wenn wir alles dafür getan haben, um die Mutter zu unterstützen, und auch dann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Man kann diese Voraussetzungen der vorliegenden klinischen Literatur entnehmen, und die Forschung wird in Zukunft zweifellos noch weitere mögliche Anwendungsfälle für Spenderinnenmilch aufzeigen. Milchbanken bewegen sich auf einem schmalen Grat, das ist eine echte Herausforderung, der sie sich sehr genau bewusst sein müssen.

Zehn Jahre nach Eröffnung der Milchbanken sind die KrankenhausärztInnen daran gewöhnt, dass Spenderinnenmilch eigentlich immer leicht zu bekommen ist. Deshalb müssen wir darauf achten, immer die Unterstützung der Mütter obenan zu stellen und erst dann auf Spenderinnenmilch auszuweichen, wenn dieser Ansatz fehlgeschlagen ist.

Wie können Muttermilchbanken besonders gefährdeten Säuglingen helfen?

Kiersten Israel-Ballard: Wir verfügen über Daten zum Einfluss von Muttermilch auf NEC und Sepsis – wenn hingegen Säuglingsmilchnahrung gefüttert wird, sehen die Zahlen völlig anders aus. Bedarf an Spenderinnenmilchfütterung besteht zum Teil nur für 24 Stunden, oder aber über einen längeren Zeitraum hinweg, in dem sich die Mutter erholt und die Milchbildung aufbaut – und gelegentlich noch langfristiger, etwa wenn das Kind ausgesetzt wurde oder wenn die Mutter schwerkrank oder verstorben ist. Hier bestehen ganz erhebliche Unterschiede, und warum sich die meisten Programme für Säuglings- und Kinderernährung damit nicht befassen, ist mir ein Rätsel.

Vielleicht kann das folgende Beispiel etwas Klarheit bringen. Wir waren in Südafrika und fragten „Wie viele Babys? Wie rechtfertigen wir eine Milchbank, wenn wir nicht über alle Babys sprechen?“ Auf der NICU, wo der Schwerpunkt unserer Arbeit lag, stellten wir diese Fragen der Neonatologin. Ein paar Tage lang befragte sie ihrerseits bei den Visiten ihre Kolleginnen und Kollegen vom ärztlichen und Pflegepersonal: „Wie würde eine Milchbank diesen Kindern helfen? Wie viele der Kinder auf der Station könnten davon profitieren, wenn es eine Milchbank gäbe?“ (Unabhängig davon, ob sie die Spenderinnenmilch nur kurzzeitig oder für längere Zeit bräuchten).

Hierbei fand die Neonatologin heraus, dass rund 40% der Kinder auf ihrer Station über einen mehr oder weniger langen Zeitraum Spenderinnenmilch hätten gebrauchen können. Das war eine unglaubliche Aufgabe. Ansonsten wurden bisher von den meisten NICUs 15% genannt, d.h. 15% der Kinder brauchten zu irgendeinem Zeitpunkt während ihres Aufenthalts Spenderinnenmilch, sei es für eine Dauer von 24 Stunden oder 2 Monaten. Der Anteil der Kinder, die Spenderinnenmilch benötigen, liegt also irgendwo zwischen 15 und 40%, je nach Standort und Gegebenheiten der jeweiligen Einrichtung. Hierbei ist auch zu bedenken, dass die HIV-Prävalenz in Südafrika sehr hoch ist; diese Babys waren somit möglicherweise Sonderfälle. Doch die Zahlen liegen nun einmal vor, und es besteht ein echter Bedarf an Spenderinnenmilch. Sehen wir uns nun den weiteren gesundheitlichen Verlauf an. Gehen wir davon aus, dass 15% der bedürftigen Babys keine Spenderinnenmilch bekommen, sondern industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung, die dann Komplikationen hervorruft. Sie bleiben 2 Wochen länger auf der Station, womöglich sterben sie. In diesem Szenario entstehen neben den Gesundheitsschäden und verlorenen Leben, deren Wert man nicht ermessen kann, auch handfeste Kosten. Politische EntscheidungsträgerInnen werden immer fragen, wie viel eine Milchbank kostet und wie die Kosten-Nutzen-Rechnung aussieht, doch bereits mit der Verkürzung stationärer Aufenthalte spart eine Einrichtung Geld.

Guido Moro: Wenn es gelingt, die NEC-Rate bei Säuglingen zu senken, sinkt damit auch die Säuglingssterblichkeit. Ich habe ein paar Berechnungen angestellt, wie viele Todesfälle sich vermeiden lassen und welche wirtschaftlichen Vorteile das hat. Unseren Daten aus Italien zufolge erkranken z. B. 7% der Frühgeborenen, die mit Säuglingsmilchnahrung gefüttert werden, an NEC; bei Fütterung mit Muttermilch liegt die Rate zwischen 1 und 2%. Die Sterberate bei NEC beträgt 30%. Von 1000 Frühgeborenen versterben also 21 an NEC, wenn sie mit Säuglingsmilchnahrung ernährt werden, und 3–6, wenn sie Muttermilch bekommen. Das bedeutet, dass das Leben von 15–18 Neugeborenen gerettet werden kann, wenn wir Muttermilch verwenden. Das ist eine sehr eindrucksvolle Zahl geretteter Leben, und sie geht auch mit wirtschaftlichen Vorteilen einher.

Ben Hartmann: Ich kann mich hier nur zur Situation auf einer australischen NICU äußern (natürlich arbeiten Milchbanken weltweit in ganz unterschiedlichen Kontexten). Wir stützen uns im Hinblick auf die Fragestellungen, welchen Nutzen Spenderinnenmilch haben kann und welche Voraussetzungen dafür gelten sollten, auf die vorliegende klinische Fachliteratur. Demnach lässt sich die NEC-Rate senken, wenn Säuglinge mit sehr niedrigem Geburtsgewicht mit pasteurisierter Spenderinnenmilch statt mit industriell hergestellter Säuglingsmilchnahrung gefüttert werden.

Das war unser vordringliches Ziel, als wir am King Edward Memorial Hospital das Angebot einer Milchbank einführten. Mit nun 10 Jahren Erfahrung an diesem Krankenhaus können wir die NEC-Inzidenz in unserer Einrichtung mit der im restlichen Land vergleichen. In Australien sind noch nicht viele Milchbanken in Betrieb, insofern gibt es einen großen Unterschied zwischen der Versorgung in Westaustralien und im Rest des Landes. Es werden landesweit Daten über alle Babys erhoben, die vor Vollendung der 28. Schwangerschaftswoche geboren werden. Bevor im Jahr 2005 die erste Milchbank eingerichtet wurde, lag die NEC-Inzidenz bei Kindern, die vor der 28. Woche geboren wurden, für ganz Australien zwischen 8% und 11%. Seit der Einrichtung von Milchbanken im Jahr 2005 verzeichnen wir einen Rückgang der NEC-Inzidenz. Die aktuellsten nationalen Daten stammen aus dem Jahr 2012. Am King Edward Memorial Hospital beträgt die NEC-Inzidenz in der 28-Wochen-Population zwischen 2 und 5%. Im Rest des Landes liegt die Inzidenz noch auf dem Niveau von 2005, also zwischen 8 und 11%. Auch wenn bisher nicht im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie untersucht wurde, besteht der Hauptunterschied in der Versorgung zwischen Westaustralien und dem restlichen Land zweifellos im Zugang zu Spenderinnenmilch, und die Inzidenz von NEC-Erkrankungen in unserem Krankenhaus scheint sich deutlich von jener im Rest des Landes zu unterscheiden.

Wenn man nun die Daten von 2012 auf den Rest des Landes überträgt, d. h. wenn die NEC-Raten im Rest des Landes denen des King Edward Memorial Hospital mit seiner Milchbank entsprächen, so hätte es im Jahr 2012 rund 40 diagnostizierte NEC-Fälle weniger gegeben. Basierend auf dem in Australien beobachteten typischen Verlauf der NEC bedeutet das, es hätte 16 Todesfälle, 16 chirurgisch und 8 medikamentös zu behandelnde NEC-Fälle weniger gegeben, wenn im ganzen Land derselbe Zugang zu Spenderinnenmilch gewährleistet wäre und damit dieselben Ergebnisse erzielt würden wie im King Edward Memorial Hospital. Dann kommen noch die Kosten für die pflegerische Versorgung dieser Fälle hinzu. Wenn also im ganzen Land Spenderinnenmilch bzw. Milchbanken gleichermaßen zugänglich gewesen wären, so hätte dies Einsparungen in Höhe von 3,5 Millionen AUD mit sich gebracht, und darüber hinaus hätten 16 Todesfälle vermieden werden können.

Und hier werden lediglich die unmittelbaren Kosten der Versorgung auf der NICU veranschlagt. Es können jedoch noch vielfältige weitere Konsequenzen entstehen. Eine NEC-Diagnose ist mit einer beeinträchtigten verhaltensneurologischen Entwicklung assoziiert, insofern birgt die Bereitstellung von Spenderinnenmilch auf der NICU ein beträchtliches langfristiges Einsparpotenzial. Diese Einsparungen werden durch einen solchen Vergleich nicht angemessen erfasst, doch selbst konservative Schätzungen gehen davon aus, dass der Zugang zu Spenderinnenmilch über Frauenmmilchbanken in ganz Australien enormen Nutzen mit sich bringen würde – im Hinblick auf klinische Resultate, Kosten und die öffentliche Gesundheit im erweiterten Sinne.

Das sind sehr beeindruckende Zahlen. Es ist auch ein wenig erschreckend, wenn man diese Zahlen hört und an die Babys denkt, deren Leben hätten gerettet werden können.

Ben Hartmann: Ja, und diese Berechnung sieht für jedes Land anders aus. In Australien haben wir auf allen NICUs sehr hohe Stillraten und landesweit relativ niedrige NEC-Inzidenzen, selbst bei den Hochrisiko-Babys, auch in Regionen ohne Zugang zu Milchbanken. Die Berechnungen unterscheiden sich auch im Hinblick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Muttermilchbanken. In Australien müssen sich die Einrichtungen sehr stark auf die Fälle mit dem höchsten Risiko konzentrieren, was an der sehr niedrigen Inzidenz der NEC und der geringen Bevölkerung liegt – der Nutzen ist immer noch sehr signifikant, aber er beschränkt sich auf eine kleine Anzahl von Patientinnen und Patienten. Die Differenz zwischen den Kosten für den Betrieb einer Einrichtung und dem potenziellen Nutzen ist relativ gering; wir müssen uns also sehr stark an der Population der Hochrisiko-Frühgeborenen ausrichten. In anderen Ländern, in denen die NEC-Rate vielleicht höher ist, mag der Kreis der potenziellen EmpfängerInnen von Spenderinnenmilch etwas flexibler gefasst sein. Das sind Fragen, die jede Milchbank für sich beantworten muss.

Um auf die von mir genannte Definition zurückzukommen und auf die Frage, wie zu entscheiden ist, wann Spenderinnenmilch notwendig ist: Dies verhält sich bei jedem Projekt und in jedem Rechtssystem anders. Die Definition der konkreten Ziele, die man mit einer Milchbank erreichen möchte, muss in der Planungsphase der Einrichtung erfolgen.

Es ist wahrscheinlich, dass es immer einen Bedarf an Milchbanken geben wird, gerade im Kontext der Neugeborenen-Intensivpflege. Derzeit bietet sich folgendes Bild: In Einrichtungen, in denen eine frühe und aggressive enterale Ernährung Usus ist, werden die meisten physiologisch normalen Mütter nicht in der Lage sein, die Milchmenge zu produzieren, die der Arzt oder die Ärztin für ihre Kinder vorschreibt. In diesen Fällen besteht definitiv ein Bedarf an Spenderinnenmilch. Wir müssen danach streben, die Verwendung von Spenderinnenmilch in unserer Einrichtung auf ein Minimum zu begrenzen. Das ist momentan unser klares Ziel: Mütter darin zu unterstützen, ihr Potenzial zur Milchbildung optimal auszuschöpfen und dadurch so wenig wie möglich auf Spenderinnenmilch zurückzugreifen.

João Aprigio: Muttermilchbanken können die Dauer des Aufenthalts von Neugeborenen auf der NICU verkürzen, die Versorgungskosten senken, die Lebensqualität steigern, die Häufigkeit von Krankenhausinfektionen verringern und sowohl septische als auch mikrobielle Enterokolitis verhindern. In manchen Ländern sind die Ergebnisse besonders frappierend. In Asunción, der Hauptstadt von Paraguay, wurde z. B. 6 oder 8 Monate nach der Einrichtung einer Milchbank gar keine Säuglingsmilchnahrung mehr verwendet. In Kap Verde ging die Zahl der Todesfälle unter Säuglingen auf der NICU im 1. Jahr nach Inbetriebnahme einer Milchbank um 55% zurück. Auch die Stillraten stiegen bei Müttern von Frühgeborenen und allgemein für den Zeitraum nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in signifikantem Maß an.

17.4. Verkauf von Muttermilch

17.4.1. Gemeinsame Stellungnahme der ExpertInnen

Welche Probleme ergeben sich, wenn Muttermilch verkauft wird?

Privatwirtschaftliche und öffentliche Institutionen haben eine unterschiedliche Sicht auf Milchbanken. Erstere betrachten Spenderinnenmilch als Wirtschaftsgut und erwarten, dass ihre Investition Profit abwirft, für letztere stehen die gesundheitlichen Auswirkungen im Vordergrund. Der Verkauf von Muttermilch beschädigt die Glaubwürdigkeit von klinischen Milchbankeinrichtungen.

In manchen Ländern wurden Spenderinnen in der Vergangenheit nach der Menge der gelieferten Muttermilch bezahlt, was dazu führte, dass diese zuweilen mit Wasser oder Kuhmilch gestreckt wurde. Die italienische Gesetzgebung schreibt vor, dass Milchspenden unentgeltlich sein müssen und dass bei der Bereitstellung von Spenderinnenmilch für die Säuglingsernährung an keiner Stelle Geld fließen darf.

In Italien gibt es keine privatwirtschaftlichen Milchbanken, jedoch bestehen teilweise Verbindungen zwischen privaten Institutionen und Einrichtungen der öffentlichen Hand. So finanzieren z. B. private Institutionen den Aufbau einer Muttermilchbank und die öffentliche Hand stellt das Personal dafür bereit. Diese Joint Ventures funktionieren, weil die Spenderinnen keine Bezahlung erhalten und die privaten Institutionen zwar die Kosten tragen, aber von der Öffentlichkeitswirkung ihres Engagements profitieren. Derzeit existieren 2 derartige Einrichtungen; eine in Bologna und eine in Vicenza. Beide werden von privatwirtschaftlichen Unternehmen aus dem Bereich der Milchindustrie finanziert; eine von Granarolo und eine von der Centrale di latte di Torino. Der Nutzen für die öffentliche Hand liegt darin, dass die betroffenen Städte nun über Muttermilchbanken verfügen, während die Privatunternehmen von steigenden Einnahmen aus ihren Milchprodukten profitieren. Diesbezüglich für eine gewisse Ausgewogenheit zu sorgen, ist entscheidend, aber mit Umsicht und Fingerspitzengefühl durchaus möglich.

Der Verkauf von Muttermilch über das Internet ist in den USA ein großes Problem, in Europa hingegen noch nicht. Doch wie in so vielen Fällen, in denen die USA eine Vorreiterrolle innehat, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis diese Praxis auch in Europa zum Problem wird. Aus diesem Grund hat die European Milk Bank Association (EMBA) auf ihrer Website eine Stellungnahme gegen eine solche Weitergabe von Muttermilch veröffentlicht, die gemeinsam mit der Human Milk Banking Association of North America (HMBANA) verfasst wurde. Auch die Verbände in Italien und Frankreich haben sich dieser Stellungnahme angeschlossen.

Es steht nicht zu erwarten, dass Müttern insgesamt weniger Spenderinnenmilch zur Verfügung steht, wenn von dieser Art der Weitergabe abgeraten wird. Mütter müssen davon überzeugt werden, dass diese Art der Weitergabe nicht die beste Strategie ist, um ihr Baby mit Muttermilch zu versorgen, sondern dass Spenderinnenmilch aus einer Muttermilchbank die wesentlich sicherere Option ist. Außerdem müssen Mütter davon überzeugt werden, ihr Kind selbst zu stillen, um auf diese Weise die Nachfrage nach über das Internet weitergegebener Muttermilch zu reduzieren. Wenn die Stillrate steigt, wird auch mehr Milch gespendet, und davon profitieren wiederum die Säuglinge, die auf Spenderinnenmilch angewiesen sind. Ohne diese Überzeugungsarbeit wird so manche Mutter ihre Milch eher verkaufen, als sie einer Milchbank zu spenden, trotz aller damit verbundenen Gefahren.

In Australien kommen aus der Bevölkerung oft Fragen, wie Spenderinnenmilch von Milchbanken bezogen werden kann und ob die informelle Weitergabe von Muttermilch unbedenklich ist. Das ist eine Herausforderung für die Milchbanken, da zwischen Milchbanken und anderen unter diesem Oberbegriff zusammenfassten Aktivitäten (Milchbörsen eingeschlossen) klar unterschieden werden muss. Demnach muss eindeutig definiert werden, was genau unter einer Muttermilchbank zu verstehen ist. Dies gestaltet sich jedoch schwierig, da hierbei 2 sehr unterschiedliche Problemstellungen in den Blick genommen werden müssen. Zum einen ist da die Perspektive der öffentlichen Gesundheit, wenn Muttermilchbanken zur Lösung konkreter Probleme der Gesundheitsversorgung beitragen sollen, z. B. zur Senkung der NEC-Rate auf der NICU. Zum anderen haben wir die Problematik in Entwicklungsländern, in denen es oft keine sicheren Alternativen zum Stillen an der Brust der leiblichen Mutter oder Fütterung mit Muttermilch gibt.

Auf jeden Fall muss klar zwischen Milchbanken, Milchbörsen und dem Verkauf von Muttermilch unterschieden werden. Diese 3 Aktivitäten dürfen nicht in einen Topf geworfen werden. Und nicht zuletzt dürfen Spenderinnen nicht für ihre Milch bezahlt werden.

17.5. Die rechtliche Seite: Leitlinien, Standards, Vorschriften und zuständige Gremien

Welche Unterstützung gibt es für Muttermilchbanken in Form von Leitlinien, Gesetzen und Standards?

Kiersten Israel-Ballard: Leitlinien sind ein schwieriges Thema – es gibt sie; die tragfähigsten sind wohl die des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) im Vereinigten Königreich. Diese sind auch öffentlich zugänglich, online abrufbar und zum Teil interaktiv, aber eben spezifisch auf das Vereinigte Königreich zugeschnitten. Auch in anderen Ländern gibt es Leitlinien, z. B. von der HMBANA oder den Verbänden in Italien, Australien oder Norwegen, doch diese sind für diejenigen, die neue Ansätze für die Politikgestaltung verfolgen, meist nicht ohne Weiteres zugänglich. Im Jahr 2012 trafen sich ExpertInnen aus aller Welt zur Sitzung eines globalen beratenden Fachgremiums. Damals war das Thema Milchbanken noch neu für uns und wir dachten ganz naiv, wir könnten globale Empfehlungen ausarbeiten und sie z. B. auf der Website der WHO zugänglich machen. Wir haben jedoch schnell bemerkt, dass das nicht so einfach ist – in jedem Land und für jedes Szenario gibt es unterschiedliche Risiken, Bedürfnisse und Ressourcen. Allgemeingültige Leitlinien funktionieren einfach nicht; sie müssen angepasst werden. Und dabei können wir helfen – wir können den Ländern das Rüstzeug an die Hand geben, um Leitlinien anzupassen und Grundsätze der Qualitätssicherung einzuführen. Die Qualitätsgrundsätze, an denen sich die Vorgehensweisen für die verschiedenen Szenarien ausrichten, gehen auf Ben Hartmann zurück. Wir haben im Internet ein Leitlinien-Rahmendokument bereitgestellt und hoffen, dass es anderen nutzt. Allerdings gibt es noch Verbesserungsbedarf mit Blick auf leicht zugängliche klare Vorgaben und Ressourcen.

Gibt es ein zuständiges Verwaltungsorgan für das Leitlinien-Rahmendokument?

Kiersten Israel-Ballard: Auf globaler Ebene nicht, nur auf regionaler Ebene. Außerdem existieren diese Verwaltungsorgane auch nicht flächendeckend und sie arbeiten weitgehend getrennt voneinander. In Südafrika z.B. gibt es einen Verband für Muttermilchbanken, der zwar keine staatliche Organisation ist, aber staatlichen Stellen fachliche Unterstützung bietet. Brasilien ist ein hervorragendes Vorbild für die ganze Welt, mit einem staatlichen Netzwerk und einer robusten Kommunikations- und Mentoring-Plattform.

Da keine weltweit gültigen Richtlinien für Muttermilchbanken existieren, brauchen wir einen Mechanismus, um Best Practices auszutauschen und eine Kooperation zu ermöglichen. Die Organisation PATH hat einen systematischen Ansatz herausgearbeitet, um über einen Informationsaustausch Verantwortungsbewusstsein und Nachhaltigkeit zu fördern und die Kooperation und Vernetzung zu stärken. Es wäre hilfreich, wenn es mehr regionale Verbände gäbe, die dabei eine starke Mentorenrolle übernehmen könnten. Ideal wäre außerdem ein globaler Vorstand, der in Zusammenarbeit mit fachlichen und politischen ExpertInnen Standards und Richtlinien ausarbeitet.

Guido Moro: In Europa gibt es in 2 Ländern eine einschlägige Gesetzgebung. Frankreich war das erste Land, in dem die Aktivität von Muttermilchbanken gesetzlich geregelt wurde; dies war vor 10–15 Jahren. Vor einem Jahr wurde in Italien ein Gesetz erlassen, das die Aktivitäten von Muttermilchbanken reguliert. Eine Regulierung ist nötig, um für einheitliche Standards zu sorgen. Für alle Muttermilchbanken muss es verbindliche Vorschriften geben, die genau regeln, wie gearbeitet und kontrolliert wird. Es muss eine Form von Aufsicht über die Aktivitäten von Muttermilchbanken geben, sonst droht ein Desaster. Italien ist hierfür ein gutes Beispiel: Hier gibt es einige Muttermilchbanken, die 15–20 Liter Milch pro Jahr sammeln, während es in anderen mehr als 2000 Liter pro Jahr sind. Man überlege sich, welche Kosten den jährlich 20 Litern aus einer kleinen Milchbank gegenüberstehen; das ist Unsinn! Man müsste Milchbanken, die nur wenig Milch sammeln, verpflichten können, entweder ihren Durchsatz zu erhöhen oder aber den Betrieb einzustellen.

Wer, d.h. welche Behörde oder welches Verwaltungsorgan, kontrolliert das?

Guido Moro: Das ist der nächste Schritt nach der gesetzlichen Regelung. Das Ministerium hat allen Milchbanken in Italien ein Formular geschickt, um Informationen zu ihren Aktivitäten einzuholen. Jetzt werten wir diese Daten aus, um uns ein Bild von der Situation im Land zu verschaffen. Danach wird unser Verband AIBLUD einige Vorstandsmitglieder zu den Milchbanken entsenden, um zu kontrollieren, wie aktiv sie sind und ob sie gesetzeskonform arbeiten – und um gegebenenfalls Vorschläge zu unterbreiten, was wie verbessert werden könnte. Ganz wichtig hierbei ist, dass wir keine Milchbank aufsuchen möchten, um den Menschen dort zu verkünden, dass sie nicht genug leisten und daher leider ihre Milchbank schließen müssen. Wir müssen einen positiven Einfluss ausüben und ihnen vermitteln, dass sie bereits gute Arbeit leisten, aber noch bessere leisten könnten. Und wir müssen ihnen Vorschläge unterbreiten, wie sie die Qualität ihres Angebots steigern könnten. Es ist extrem wichtig, andere Milchbanken in diese Aktivität miteinzubinden.

Kennen Sie alle Muttermilchbanken, die es in Italien gibt?

Guido Moro: Ja.

Wie könnte man in anderen Ländern vorgehen, in denen es vielleicht Milchbanken gibt, die nicht registriert sind oder von denen das Gesundheitsministerium oder sonstige staatliche Stellen nichts wissen; welches Vorgehen würden Sie empfehlen?

Guido Moro: Ich würde sagen, da wird ein regionaler Verband benötigt. Dieser Verband müsste alle Muttermilchbanken kennen und Menschen unterstützen, die eine neue Muttermilchbank eröffnen möchten. Dadurch ist eine zentrale Kontrolle gewährleistet. Der Verband kann als Schnittstelle zwischen einer Milchbank und dem Gesundheitsministerium oder LokalpolitikerInnen dienen. Ansonsten werden Menschen, die eine einzelne Milchbank leiten, kaum Gehör für ihre Anliegen finden. Ein Verband hingegen ist in einer stärkeren Position – er kann im Namen der Milchbanken mit dem Gesundheitsministerium oder LokalpolitikerInnen verhandeln. Das ist mein Ratschlag.

In Italien haben Sie nationale Leitlinien – gibt es auch internationale Leitlinien? Wie können Interessierte daran arbeiten, ihre eigenen nationalen Leitlinien zu entwickeln?

Guido Moro: Viele europäische Länder verfügen über eigene Leitlinien, neben Italien auch Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die Schweiz, und mehrere wurden in englischer Sprache publiziert. Diese Leitlinien haben Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich gleichzeitig aber auch. Die Hauptaspekte sind immer ähnlich, die Unterschiede liegen meist im Detail, z.B. die Zahl der Bakterien, die vor der Pasteurisierung berücksichtigt wird. Die wichtigsten Aspekte haben alle Muttermilchbanken in Europa gemeinsam. Wenn Sie eine Muttermilchbank eröffnen wollen, müssen Sie zumindest bei den Grundanforderungen den europäischen Leitlinien folgen. Oder Sie wenden sich an die Organisation PATH. PATH hat eine Broschüre herausgebracht, die man auf deren Website herunterladen kann und in der die Unterschiede und Gemeinsamkeiten aller Leitlinien weltweit aufgeführt sind. Schauen Sie sich diese Gegenüberstellung an und beginnen Sie mit den Aspekten, die bei allen Muttermilchbanken gleich oder ähnlich sind. PATH hat hier gute Arbeit geleistet; wenn Sie also wissen wollen, wie man eine Muttermilchbank einrichtet, ist das der einfachste und kostengünstigste Weg.

Ben Hartmann: Natürlich haben schon viele Autorinnen und Autoren Leitlinien verfasst, es gibt ja mehrere nationale Leitlinien für Milchbanken. Fraglich ist jedoch, wie nützlich sie für andere Projekte und unter anderen Gerichtsbarkeiten sind. Es existiert nicht wirklich ein Verwaltungsorgan, das eine sichere Praxis von Milchbanken gewährleistet. Es gibt vielfältige Empfehlungen und Hinweise, aber keine echte Akkreditierung, kein Gütesiegel für Milchbanken – das könnte eine Maßnahme sein, um das Vertrauen in Milchbanken deutlich zu stärken. Mehrere Gruppen arbeiten an diesem Ziel, aber es ist wohl offensichtlich, dass es derzeit keinen universellen Ansatz gibt. In Australien zeigen jedenfalls weder die Zentralregierung noch die Bundesstaaten große Ambitionen, regulatorische Sicherheit für Milchbanken zu schaffen; da sind weiterhin viele Fragen offen.

In diesem Land sind für Ernährung und für Heilmittel verschiedene Behörden zuständig, was sich für Milchbanken als großes Problem erweist, da man sie beiden zuordnen könnte. Seit 10 Jahren wird darüber gestritten, ob Muttermilch nun ein Nahrungs- oder ein Heilmittel ist. Ich sehe da kein echtes Problem, sondern nur Wortklauberei. Für Milchbanken ist es meiner Ansicht nach wichtiger, dass unter jeder Gerichtsbarkeit jeweils die bestmögliche Regulierung angestrebt wird. In Australien haben wir immer sehr klar die Ansicht vertreten, dass für Milchbanken die Heilmittelbehörde zuständig sein sollte, denn sie bietet unserer Einschätzung nach die besseren regulatorischen Strukturen, um die Sicherheit der Muttermilchbanken zu gewährleisten. Für die Milchbanken selbst kann das bedeuten, dass sie aufwendigere aufsichtsrechtliche Anforderungen erfüllen müssen und dadurch geringfügig teurer werden. Aber mit Blick auf die Sicherheit der Spenderinnenmilch für die EmpfängerInnen, was ja der ausschlaggebende Aspekt sein sollte, ist die Heilmittelbehörde die deutlich bessere Wahl, um dem Ausmaß und der Natur der klinischen Risiken gerecht zu werden, die hier zu bewältigen sind. Wir schreiben unseren Produkten und dem Einsatz von Spenderinnenmilch auf der NICU deutlich mehr als nur einen ernährungsphysiologischen Nutzen zu, und das macht die Heilmittelbehörde zur sinnvolleren Option.

Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Regierung endlich gesetzliche Regelungen für Muttermilchbanken erlässt, denn das Fehlen solcher Gesetze erschwert und behindert den Aufbau von Milchbanken in Australien. Seit unserem letzten Gespräch sind kommerzielle Milchbanken auf den australischen Markt gekommen. Sie unterliegen derzeit keinerlei Regulierung, und das ist besorgniserregend.

Glauben Sie, dass es möglich ist, sich auf internationale Leitlinien zu einigen?

Ben Hartmann: Auf jeden Fall, allerdings müssen wir dabei sehr klug vorgehen, denn es gibt kein Einheitsrezept für eine gute Muttermilchbank. Es gibt nicht den einen perfekten Ansatz, der für alle Situationen der richtige ist, denn die angestrebten Ergebnisse und die Zielsetzungen von Milchbanken sehen praktisch unter jeder Gerichtsbarkeit anders aus. Dennoch sollten wir eine gemeinsame, einheitliche Grundlage haben. Wir sind uns wohl weltweit einig, dass Muttermilchbanken sicher und effektiv arbeiten sollten, sodass sie niemandem schaden und das leisten, was sie versprechen. Die konkreten Ziele sollten für jedes einzelne Projekt individuell festgelegt werden und messbar sein.

Ebenso herrscht Einigkeit darüber, dass Muttermilchbanken ethisch und nachhaltig arbeiten und an eine Klinik angeschlossen sein sollten. Und sie sollten mit ihrer nachhaltigen Arbeit einem der öffentlichen Gesundheit im erweiterten Sinne dienlich sein. Milchbanken sollten ein Geschäftsmodell haben, das ihre Existenz auch in Zukunft sichert. Wenn eine internationale Leitlinie also darlegen würde, wie eine Milchbank aufzubauen ist, um bestimmte Ziele zu erreichen, und zwar auf klinisch und gesellschaftlich verantwortungsvolle Weise, dann könnte diese Leitlinie auch an international unterschiedliche spezifische Gegebenheiten angepasst werden. Damit akzeptiert man, dass die konkrete Umsetzung je nach Rechtsordnung unterschiedlich sein wird – welche PatientInnen Spenderinnenmilch bekommen, welche Kosten die Einrichtung hat etc. Es ist vollkommen legitim, wenn diese Fragen in unterschiedlichen Rechtssystemen unterschiedlich beantwortet werden. Ich bin also überzeugt, dass eine solche Leitlinie möglich ist, aber sie sollte sich eben darauf konzentrieren, wie man eine Muttermilchbank konzipiert, aufbaut, betreibt und verwaltet, und nicht auf konkrete Arbeitsschritte oder Abläufe, denn die können von einer Gerichtsbarkeit zur anderen ganz unterschiedlich sein.

Sie haben das Thema der Einstufung angesprochen – Muttermilch wird mal als Nahrungsmittel eingestuft, mal als Gewebe, mal wird sie gar nicht klassifiziert. Warum ist das so?

Ben Hartmann: Auch hier muss global betrachtet eine gewisse Flexibilität gegeben sein. Vielleicht bedarf es einer externen Akkreditierung, mit der Milchbanken ihre Arbeitsweise gemäß ihren individuellen Anforderungen nachweisen und rechtfertigen können. Soweit ich weiß, will niemand eine „Einheitsmethode“ für den weltweiten Betrieb von Milchbanken ausarbeiten; und ich glaube auch nicht, dass das Erfolg haben würde. Bei meiner Mitarbeit an anderen Projekten unter verschiedenen Gerichtsbarkeiten habe ich erlebt, dass die AkteurInnen sehr oft darauf schauen, was in einem anderen Land gemacht wird, und dann versuchen, das zu übernehmen – oft funktioniert das, in vielen Fällen aber auch nicht. So können den Praktiken in einem Land bestimmte Voraussetzungen zugrunde liegen, die auf das andere Land gar nicht zutreffen. Beim Screening der Spenderinnen geht es ja z. B. um Risikomanagement im Hinblick auf durch Blut übertragbare Viren – und dabei können je nach Land ganz unterschiedliche Viren relevant sein. Wir müssen in der Lage sein, unsere Arbeitsweisen individuell den konkreten Gegebenheiten anzupassen. Jedenfalls gibt es meiner festen Überzeugung nach keine allgemeingültige Regel oder Herangehensweise für Milchbanken, wenn es darum geht, effektive Ergebnisse zu erzielen.

Der Aufbau von Milchbankprojekten will sehr gut durchdacht sein. Gibt es einen Weg, eine Milchbank für eine bestimmte Situation zu konzipieren? Das wird zunehmend zu einem großen Thema. Wir haben bisher keine guten Werkzeuge, um die richtige Lösung für das Problem zu gestalten.

João Aprigio: In Brasilien standen der Einführung von Gesetzen und Leitlinien mehrere Hindernisse im Weg. Erstens gab es keinen Referenzrahmen für die Evaluation. In Zusammenarbeit mit der psychologischen Abteilung des Krankenhauses entwickelten wir ein Versorgungsmodell, das vor allem auf die Mütter ausgerichtet war. Es sollte die Mütter dabei unterstützen, für ihr Baby dazusein und die Bindung zu ihm auszubauen; sich bewusst zu machen, dass es nicht ihre Schuld ist, wenn das direkte Stillen nicht möglich ist; und zu lernen, Muttermilch abzupumpen bzw. auszustreichen. Zugleich sollten unsere Muttermilchbanken Milch von anderen Müttern sammeln, sicher aufbereiten und nach entsprechenden Qualitätssicherungsmaßnahmen an Frühgeborene ausgeben, die noch nicht mit der Milch ihrer leiblichen Mutter versorgt werden konnten.

Zweitens mussten Protokolle für den Umgang mit der Spenderinnenmilch erarbeitet werden. Da Fiocruz für das brasilianische Gesundheitsministerium Forschungs- und technologische Entwicklungsarbeit leistet, formulierten wir unsere Problemstellungen zu technologischen Forschungsprojekten um. Beispielsweise haben uns die hohen Verpackungskosten veranlasst, die Abfüllung der Milch in spezielle Glasflaschen zu untersuchen, und nach Analyse der chemischen, physikalisch-chemischen und mikrobiologischen Eigenschaften gelangten wir zu unserem „Goldstandard“.

Drittens mussten wir die Ausrüstung für die Pasteurisierung der Milch für viel Geld aus den USA, Deutschland oder Frankreich importieren. Also entwickelten wir eine eigene Technik mit einem Ultra-Thermostat-Wasserbad, das wir in Brasilien für rund 1000 USD herstellen.

Viertens mussten wir uns mit dem Thema Qualitätssicherung befassen. Das europäische Modell ist extrem auf Sicherheit bedacht und mit keinerlei Risiken für das Kind verbunden. Da Muttermilch dort als Körperflüssigkeit behandelt wird, wird sie umfassend klinisch getestet, um die gewünschte Produktqualität zu gewährleisten. Wir zogen es jedoch vor, mit der Lebensmitteltechnologie als Referenz zu arbeiten. Ausgehend von der Prämisse, dass Milch ein funktionelles Lebensmittel ist, dessen Zusammensetzung stark variiert, definierten wir Verarbeitungsprotokolle und Qualitätskontrollen (chemische, physikalisch-chemische, diätetische und mikrobiologische), um im Interesse des Kindes für die hohe Qualität der Milch zu sorgen. Mittels bakterieller Analysen (Vorliegen und Artenbestimmung von Bakterien) wird evaluiert, ob von dem Produkt ein Risiko ausgeht. Bei diesem Modell kann es vorkommen, dass Proben verworfen werden, die für den Verzehr geeignet gewesen wären. Keinesfalls aber wird Milch akzeptiert, die nicht für den Verzehr geeignet ist.

Auf diesen Grundlagen entwickelten wir unser Qualitätssicherungssystem, unsere Protokolle und Gesetze. Das gesammelte Wissen aus akademisch validierter Forschung wurde in eine Leitlinie gegossen, die dann an andere Krankenhäuser in ganz Brasilien verteilt wurde. Es wurden regionale Exzellenzzentren für Muttermilchbanken eingerichtet, um sicherzustellen, dass alle Regionen vollständig abgedeckt waren.

Im Jahr 1987 begann das Gesundheitsministerium mit der Finanzierung dieser Zentren, und die WHO sowie die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO) erstellten Protokolle und Rechtsvorschriften. Im Jahr 1988 wurde das brasilianische Protokoll von der WHO bezüglich des Risikos von HIV in der Muttermilch als sicher akkreditiert und die Leitlinie wurde zum regionalen Referenzmodell. Ende der 1990er Jahre waren in Brasilien 150 Einrichtungen in Betrieb. Im Jahr 2000 evaluierte die WHO Initiativen auf der ganzen Welt im Rahmen der Kampagne „Health for All by the Year 2000“, die besonders auch auf die Gesundheitsförderung für Frauen, Kinder und ältere Menschen abzielte. Der Aufbau des brasilianischen Netzwerks von Muttermilchbanken galt als eines der Projekte, die in den 1990er Jahren am meisten zum Rückgang der weltweiten Kindersterblichkeit beigetragen haben. Die Arbeit der brasilianischen Muttermilchbanken erregte weltweit Aufmerksamkeit und die internationale Zusammenarbeit der Milchbanken begann.

Im Jahr 2005 war Brasilien dann soweit, die internationale Kooperation aufzunehmen. Es wurden gemeinsame Grundsätze für den Aufbau eines Muttermilchnetzwerks in Lateinamerika formuliert. Daraus ging ein Dokument hervor, das als „Carta de Brasília“ bekannt wurde und in dem sich die Unterzeichnerstaaten das Ziel setzten, ein Netzwerk von Muttermilchbanken aufzubauen. Die Erklärung wurde von VertreterInnen der Gesundheitsministerien von 13 Ländern unterzeichnet, ebenso von VertreterInnen der UNICEF, PAHO, IBFAN (International Baby Food Action Network) und WABA (World Alliance for Breastfeeding Action). Die brasilianische Regierung beschloss, das Thema Muttermilchbanken auf die internationale Agenda zu bringen und nahm es in ihr außenpolitisches Portfolio auf. Erste Kooperationsprojekte wurden etabliert, und wir bauten die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern in derselben Weise auf wie zuvor jene mit den brasilianischen Bundesstaaten.

Im September 2015 kamen VertreterInnen von 20 Ländern in Brasília zusammen, um die Ergebnisse für den Zeitraum 2010–2015 auszuwerten, wie es auch in der Carta de Brasília von 2010 vorgesehen war. Am Ende dieses Treffens wurde der Beitrag hervorgehoben, den Muttermilchbanken zum Erreichen der Milleniums-Entwicklungsziele 4 und 6 durch die Gesundheitssysteme der Länder geleistet hatten. Außerdem hatte man sich auf eine gemeinsame Strategie geeinigt, um die Anforderungen der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung zu erfüllen.

Und – nicht zu vergessen – war das zentrale Ergebnis des Treffens die Gründung des internationalen Netzwerks „Global Networks of Human Milk Banks“, formell festgeschrieben in der Carta de Brasília von 2015. Diese wurde neben den VertreterInnen der Gesundheitsministerien der 20 Teilnehmerländer auch von der PAHO/WHO, UNICEF, SEGIB (Secretaría General Iberoamericana) und der brasilianischen Behörde für Zusammenarbeit (ABC) unterzeichnet.

17.6. Eröffnung einer Milchbank

17.6.1. Gemeinsame Stellungnahme der ExpertInnen

Was sind die größten Herausforderungen rund um die Einrichtung einer Muttermilchbank?

Die wohl größte Herausforderung liegt weltweit darin, dass Milchbanken eingerichtet werden, ohne dass sich das Projekt auf ein Fundament der Stillunterstützung und -förderung stützen kann. Dadurch ist es für die Milchbanken oft schwierig, genug Spenderinnen zu finden, um die Nachfrage zu decken. Daher empfiehlt sich eine „verlangsamte“ Herangehensweise, denn wenn man von heute auf morgen eine Milchbank eröffnet, fehlt in der Regel die notwendige Unterstützung.

In Brasilien setzte ein grundsätzliches Umdenken über den Wert von Muttermilch ein, als die Stillförderung und -unterstützung zu einer Priorität gemacht wurden. Mit diesem ganzheitlicheren Ansatz, bei dem man darauf achtet, dass zunächst einmal die notwendige Basis der Stillförderung gegeben ist, kann es ein paar Monate länger dauern, bis eine Milchbank eröffnet wird. Aber dann existiert eine Kultur, in der eine Milchbank funktionieren kann und die einer staatlichen Unterstützung bedarf.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Akzeptanz von Milchbanken in Regionen, in denen die Weitergabe von Muttermilch (und damit auch die Spende an eine Milchbank) tabu ist. Das Gesundheitsministerium der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal betrachtet Milchbanken als Priorität. Die Behörde war der globalen Entwicklung einen Schritt voraus, da sie sich schon seit Jahren mit HIV und komplexen Problemen der Säuglingsernährung auseinandersetzen musste. Genau wie in Brasilien geht ihre Vision über die einer reinen Milchbank hinaus und zielt darauf ab, dem Stillen zu neuer Bedeutung zu verhelfen. Über die sozialen Medien und durch die Auftritte einer Laientheatergruppe auf der Station für die Känguru-Methode und außerhalb der Klinik wird das Stillen als erste Wahl bei der Säuglingsernährung beworben. Darüber hinaus werden Mütter aber auch über Spenderinnenmilch und Milchbanken aufgeklärt.

Die Sicherheit der Milch darf nicht außer Acht gelassen werden; eine effiziente Qualitätskontrolle ist unabdingbar.

Die Kosten sind eine der größten Hürden auf dem Weg zur Eröffnung einer Milchbank. Gerade in Zeiten einer allgemeinen Wirtschaftskrise ist es nicht leicht, Geldgeber für eine neue Muttermilchbank zu gewinnen. Um den Wert einer solchen Einrichtung zu vermitteln, muss hervorgehoben werden, dass der langfristige gesundheitliche Nutzen und die Kosteneffizienz die hohen Investitionskosten für die Eröffnung einer Milchbank überwiegen.

Das Vorgehen bei der Eröffnung einer neuen Milchbank ist alles andere als klar definiert. In einem ersten Schritt ist zu ermitteln, ob eine Milchbank die passende Lösung für ein gegebenes Problem ist. Danach muss die Milchbank so konzipiert werden, dass sie die passende Lösung für dieses Problem darstellt. Oft werden die ExpertInnen bei PREM Milk Bank erst dann um Rat bezüglich der Sicherheit und Effizienz gefragt, wenn die Einrichtung der Milchbank schon beschlossene Sache bzw. die Milchbank bereits in Betrieb ist. In diesen Fällen wurden die grundlegenden ersten Schritte des Prozesses übersprungen. Bei jedem Projekt muss zuerst die Frage beantwortet werden, welches konkrete Problem gelöst werden soll, ob eine Milchbank eine geeignete Lösung für das Problem darstellt und, wenn ja, wie sie aufgebaut sein muss, um genau dieses Problem zu lösen. Das wird oft außer Acht gelassen. Viele meinen, man bräuchte nur einen Pasteurisierer, einen Tiefkühlschrank, etwas Material und einen Screening-Prozess für potenzielle Spenderinnen, und denken nicht darüber nach, welches übergeordnete Ziel sie überhaupt erreichen wollen.

Ist die Eröffnung einer Milchbank grundsätzlich immer sinnvoll oder sollte das auf der Grundlage einer Bedarfsermittlung entschieden werden?

Überall auf der Welt sollte zunächst der Bedarf geprüft werden. In den meisten Fällen wird ein Bedarf vorliegen, aber er muss näher definiert werden. Auch in Perth haben wir zuerst das Problem und den Lösungsansatz definiert, also einen Geschäftsplan entwickelt. In entwickelten Ländern liegt der Fokus auf der Hochrisikogruppe der Frühgeborenen und der Senkung des NEC-Risikos. In anderen Situationen sind möglicherweise keine sicheren Alternativen zur Muttermilch verfügbar oder würde eine Unterstützung des Stillens der öffentlichen Gesundheit im weiteren Sinne zugutekommen. Durch eine genaue Definition des Bedarfs erhält man auch ein klareres Bild der potenziellen EmpfängerInnen, die je nach Projekt ganz unterschiedlich sein können. Daraus wiederum ergeben sich die zu berücksichtigenden Risiken und die gewünschten Ergebnisse. Die Verantwortlichkeiten der Milchbankbetreiber sollten so definiert werden, dass überprüfbar ist, ob die Milchbank sicher, ethisch und effektiv arbeitet und die gewünschten Ergebnisse mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell erzielt. Das sind die grundlegenden Verantwortlichkeiten, die für alle Milchbanken gleichermaßen gelten.

Eine Milchbank ist nicht einfach nur eine Einrichtung, für die man nichts weiter benötigt, als die richtige Ausstattung – wie etwa einen Pasteurisierer und einen Tiefkühlschrank. Welche Ressourcen und Ausstattung im konkreten Fall benötigt werden, ist eine nachrangige Frage; an erster Stelle steht eine umfassendes Assessment des Systems. Um effektiv zu sein, muss das gesamte System durchdacht konzipiert und überprüft werden – und die Stillförderung ebenso einschließen wie die Integration der Milchbank in die Versorgung von Neugeborenen und den Stillprozess. Im Idealfall wird eine Stiftung gegründet, die regelmäßige Versammlungen sämtlicher Stakeholder einberuft. Ebenfalls wünschenswert ist die staatlich geförderte Zusammenarbeit von NeonatologInnen, MikrobiologInnen und Fachpersonal für Laktations- und Ernährungsberatung sowie Infektionskontrolle bei der Erarbeitung von Leitlinien für das jeweilige Setting. Lange bevor die Muttermilchbank eröffnet wird, sind auch Beratungsgremien vor Ort erforderlich. Und wenn die Stillförderung gewährleistet ist, wird es der Milchbank auch nicht an Spenderinnen mangeln. Außerdem wird eine Strategie für die Öffentlichkeitsarbeit benötigt, um sich ein Bild von den herrschenden Ansichten zum Thema Muttermilch und Muttermilchbanken zu machen und die Menschen für deren Nutzen zu sensibilisieren. In Brasilien ist dieses Marketing sehr erfolgreich; die Bevölkerung wird umfassend mit Botschaften zum Thema Milchbanken eingedeckt.

Erst wenn all diese Vorkehrungen getroffen wurden, kann allmählich mit der Einrichtung der eigentlichen Milchbank begonnen werden. Sobald sie in Betrieb ist, sollten auch jegliche Veränderungen dokumentiert werden, vor allem wenn es sich um die erste Milchbank in einer Region handelt und voraussichtlich weitere hinzukommen sollen. Da die meisten Einrichtungen hierfür kein Budget haben, ist es allerdings eine Herausforderung, Daten zur Ausgangslage, zu Veränderungen bei der Stillpraxis und in den neonatologischen Abteilungen und zu den Auswirkungen zu erfassen.

Je mehr Gruppen den Prozess des Milchbankaufbaus durchlaufen, desto deutlicher wird sich zeigen, dass es keinen guten Referenzrahmen für die Planung von Milchbanken gibt. Wir brauchen Tools oder Workshops, um eine Prozessstrukur für die Eröffnung einer Milchbank zu definieren. Dann könnten geeignete Milchbanken eingerichtet werden, und es könnte evaluiert werden, ob die entwickelte Prozessstruktur der jeweiligen Situation angemessen ist. Sehr hilfreich wären zudem Tools für die Erhebung, Analyse und Auswertung von Daten, um evaluieren zu können, wie eine Einrichtung optimiert werden kann.

Gibt es bestimmte zentrale Prozesse und Vorgehensweisen, die zu berücksichtigen sind?

Das Wichtigste ist die Sicherheit der Spenderinnenmilch. Im Rahmen des Assessment-Prozesses ist es daher von hoher Bedeutung, dass die Milchbank die Verantwortung für die Sicherheit der Milch übernimmt, also für den gesamten Prozess der Gewinnung, Lagerung und Aufbereitung der Spenderinnenmilch, einschließlich einer klinischen Risikobewertung der Spenderinnen und EmpfängerInnen. Diese individuelle Sicherheitsbewertung ist unbedingt notwendig, weil jeder Prozess anders ist. Derzeit werden Ideen für Tools entwickelt, mit deren Hilfe Milchbanken solche Risikobewertungen durchführen können. Vieles hiervon ist bereits bekannt. Wenn eine Gruppe die Eröffnung einer Milchbank anstrebt, kann PREM Milk Bank oder eine andere Organisation eine Risikobewertung für das jeweilige Projekt vornehmen, die sich danach richtet, wer die EmpfängerInnen des Produktes sein sollen. Dieser Prozess würde jedoch erheblich vereinfacht, wenn es ein Template für den Aufbau von Milchbanken gäbe, auch wenn dieses dann natürlich jeweils an das konkrete Projekt angepasst werden müsste.

Die Pasteurisierung erfolgt heutzutage in praktisch allen Muttermilchbanken mittels Wärme. Hierbei wird die Muttermilch für 30 Minuten auf 62,5 °C erwärmt. Bei dieser Temperatur werden alle in der Milch vorhandenen Viren deaktiviert und die Bakterien werden vernichtet. Nach diesem Verarbeitungsschritt ist die Milch aus mikrobiologischer Sicht unbedenklich für Säuglinge. Die Wärmebehandlung der Milch hat allerdings auch Nachteile, da hierdurch auch andere Bestandteile deaktiviert oder zerstört werden, z.B. einige Immun- und Nährstoffkomponenten. Deshalb werden derzeit neue Technologien evaluiert, mit denen sich die Qualität der Muttermilchprodukte einer Milchbank erhöhen lässt. Eines dieser Verfahren ist die HTST-Pasteurisierung (High Temperature Short Time) oder Kurzzeiterhitzung, bei der die Milch für 5–15 Sekunden auf eine Temperatur von 72 °C gebracht wird. Mit der HTST-Methode behandelte Milch ist nachweislich von höherer immunologischer und ernährungsphysiologischer Qualität als Milch, die mit einem anderen Verfahren pasteurisiert wurde.

Ein Screening der Muttermilch ist bei der Auswahl von Spenderinnen für eine Muttermilchbank sehr wichtig. Mütter, die Milch spenden möchten, müssen ein Formular zu ihrer medizinischen Vorgeschichte und ihren Ernährungs- und Lebensgewohnheiten ausfüllen. Dann folgen eine klinische Untersuchung sowie Bluttests auf Hepatitis B und C sowie HIV, die negativ sein müssen. Durch Pasteurisierung werden diese Viren zwar zerstört, aber dennoch ist diese Vorsichtsmaßnahme notwendig, um das Risiko einer Kontamination der in der Bank gesammelten Milch durch infizierte Spenderinnenmilch möglichst gering zu halten. Eine Bakterienbelastung ist laut den entsprechenden Richtlinien innerhalb spezifischer Grenzen zulässig. Überschreitet allerdings die Zahl der Mikroben diese Grenzen, muss die Milch verworfen werden. Die meisten Leitlinien schreiben vor, bakteriologische Analysen bei der ersten Spende, vor und nach dem Pasteurisieren und danach in regelmäßigen Abständen durchzuführen.

Für das Pooling, also die Zusammenführung mehrerer Milchspenden, gibt es 2 grundlegende Ansätze. Manche Banken poolen jeweils nur Milch von derselben Spenderin, andere Banken mischen die Milch von 2 bis maximal 6 Spenderinnen. Der Vorteil der Milch von nur einer Spenderin ist, dass deren Identität und die Eigenschaften ihrer Milch bekannt sind. Die Milch von mehreren Spenderinnen mit unterschiedlichen Eigenschaften zeichnet sich hingegen dadurch aus, dass der Protein- und Nährstoffgehalt ausgeglichener ist als in der Milch von nur einer Spenderin. Der Prozess des mikrobiologischen Screenings ist bei beiden Ansätzen gleich.

Woher kommt die Finanzausstattung für Milchbanken?

Kiersten Israel-Ballard: Das ist eine echte Herausforderung. Ich halte es für unverzichtbar, sich zumindest teilweise eine staatliche Unterstützung zu sichern. Im Fall einer Milchbank, die z. B. an ein Krankenhaus angeschlossen ist, wird man in der Regel Räumlichkeiten und Geld vom Staat bekommen. Krankenhauspersonal ist sehr wichtig; man muss sicherstellen, dass Systeme eingerichtet sind. Wenn es sich um ein Krankenhaus in privater Trägerschaft handelt, gilt es sicherzustellen, dass der Träger eine Milchbank wünscht und personell unterstützen wird. Eine mangelhafte Personalausstattung ist ein klassisches betriebliches Hemmnis. In staatlichen Einrichtungen werden Aufgaben oft von wechselnden Mitarbeitenden übernommen.

Kurzfristig steuern oft internationale Organisationen wie der Rotary Club Mittel zur Einrichtung einer Milchbank bei. Auch Spenden aus der Wirtschaft und von Privatpersonen sind möglich, gegebenenfalls unter öffentlicher Bekanntgabe der SpenderInnen. Das kann eine Möglichkeit für die Anschubfinanzierung sein; die Kosten des laufenden Betriebs und eines etwaigen Ausbaus hingegen muss in der Regel der staatliche oder private Träger selbst aufbringen. Die Finanzierung muss stehen, bevor man politischen EntscheidungsträgerInnen den potenziellen Nutzen näherbringt, denn dann ist es für sie eine ganz einfache Entscheidung, das Projekt unter „sonstige Posten“ in den Haushaltsplan aufzunehmen, weil es gar nicht mehr so teuer ist.

Guido Moro: Wir haben am Macedonio-Melloni-Krankenhaus in Mailand einmal ausgerechnet, was die Produktion von 1 Liter Muttermilch in unserer Milchbank kostet. Dabei haben wir einen ganz ähnlichen Betrag ermittelt, wie das Meyer-Krankenhaus in Florenz, wo im Jahr 1971 die erste Muttermilchbank Italiens eingerichtet wurde. Diese Kosten belaufen sich auf 80–100 EUR pro Liter. Auf der Grundlage der Anzahl an Litern Muttermilch, die verarbeitet werden, und der für die Ernährung Frühgeborener verwendeten Milchmenge, lassen sich die Gesamtbetriebskosten einer Muttermilchbank errechnen. In dieser Berechnung berücksichtigt sind die Ausstattung, das Personal und die Materialien, die in der Muttermilchbank eingesetzt werden.

Solche Zahlen kann man gut Personen vorlegen, die in Gesundheitsbehörden tätig oder für Veränderungen verantwortlich sind. Sie werden zweifellos sehr beeindruckt sein.

Guido Moro: Das sind die Berechnungen, die ich für mein Land angestellt habe, um sie PolitikerInnen vorzulegen. Aus der Datenerhebung ging auch hervor, dass 2 Drittel aller Frühgeborenen in Italien nicht mit Muttermilch ernährt wurden. Auch diese Zahlen legten wir dem Gesundheitsministerium vor und erklärten den Leuten in der Verwaltung, dass sie Leben retten und dabei Kosten senken könnten, wenn sie uns helfen würden, unsere Ziele zu erreichen. Das Gesundheitsministerium willigte ein und so begann die Zusammenarbeit zwischen unserem Verband und dem Personal des Ministeriums. Innerhalb von 6 Monaten hatte diese Zusammenarbeit zur Einrichtung einer neuen Muttermilchbank geführt.

Das Prinzip ist also, Informationen zu nutzen, um Regierungen in die Position zu versetzen, Veränderungen herbeizuführen?

Guido Moro: Genau. Man kann in jedem Land Daten zu den Gegebenheiten vor Ort sammeln und die entsprechenden Zahlen berechnen.

Welche Ressourcen und welche Ausstattung braucht man, um eine Muttermilchbank einzurichten?

Guido Moro: Um über den Nutzen sprechen zu können, müssen auch die Kosten in Betracht gezogen werden. Wenn einer Krankenhausleitung vorgeschlagen wird, angesichts des großen Nutzens eine Muttermilchbank zu eröffnen, wird sich diese zuerst nach den Kosten erkundigen. Egal, wie lange man sich Zeit nimmt, den Nutzen zu erläutern – die erste Frage wird immer die nach den Kosten der Milchbank sein. Bei der Kostenaufstellung müssen sämtliche Posten berücksichtigt werden, die für die Eröffnung einer Milchbank nötig sind – vom Pasteurisierer über Kühl- und Tiefkühlschränke bis hin zum Personal. Dabei ist mit Kosten von rund 50 000 EUR zu rechnen. Diesen initialen Ausgaben muss man jedoch gegenüberstellen, dass man nicht nur Leben rettet, sondern letztlich auch Kosten reduziert. Es werden weniger Säuglinge an NEC erkranken, wodurch entsprechende Behandlungs- und Operationskosten eingespart werden. Außerdem werden weniger Kinder an einer Sepsis erkranken, womit der Antibiotikabedarf zurückgeht. Und nicht zuletzt wird sich die Dauer der stationären Aufenthalte von Säuglingen auf der NICU verkürzen. Es ist eine der zentralen positiven Auswirkungen einer Muttermilchbank, dass ab dem Moment der NICU-Aufnahme eines Säuglings Kosten eingespart werden, auch infolge der geringeren NEC- und Infektionsraten. Wenn es um die Kosten für die Einrichtung einer Milchbank geht, so ist mit initialen Kosten von rund 50 000 EUR für Ausstattung und Personal zu rechnen, aber diesen Kosten müssen der Nutzen und die Einsparungen gegenübergestellt werden, die sich aus der Ernährung von VLBW-Säuglingen mit gespendeter Muttermilch ergeben.

Ben Hartmann: Die erste Frage, die ich immer zu hören bekomme, ist die nach den Kosten. Darauf antworte ich stets, dass ich nur sagen kann, was unsere Milchbank kostet. Wir müssen Milchbanken wie ein Unternehmen betrachten, um sie so effizient und effektiv wie irgend möglich zu gestalten. Wir sollten Milchbanken mit Tools ausstatten, damit sie selbst bessere Grundlagen für Kostenentscheidungen erstellen können, denn von Dritten lassen sich diese Fragen meiner Ansicht nach schlecht beantworten. Ich finde es immer schwierig, wenn mich aus einem Land, über das ich nicht viel weiß, Anfragen erreichen, wie viel eine geplante Milchbank wohl kosten wird. Wir kennen nur die Patientenpopulation unseres eigenen Krankenhauses. Wir wissen, wie viele Geburten es dort je Schwangerschaftsalter gibt (wie viele Kinder also nach 23 Schwangerschaftswochen geboren werden, wie viele nach 24 usw.). Entsprechend wissen wir auch, wie viel Milch wir zu jedem gegebenen Zeitpunkt brauchen. Aber diese Geburtenraten und Geburtszeitpunkte sind von Land zu Land unterschiedlich. Wir wissen auch recht gut, wie unser Milchbankangebot von unseren EmpfängerInnen gemäß unseren Kriterien für den Bezug von Spenderinnenmilch genutzt wird, aber auch diese Parameter sind nicht unbedingt mit jenen unter einer anderen Gerichtsbarkeit vergleichbar.

Die Ausstattung hat natürlich einen genau zu beziffernden Preis, aber unserer Erfahrung nach scheint es nicht besonders schwierig zu sein, hierfür Mittel zu beschaffen. Am schwierigsten ist es in der Regel, die Personalausstattung für den Betrieb der Milchbank sicherzustellen, das habe ich bei Milchbanken überall auf der Welt festgestellt. Oft ist es so, dass die Milchbanken von Menschen aufgebaut werden, die mit viel gutem Willen und Engagement dabei sind und die viel von ihrer eigenen Zeit in den Betrieb der Milchbank stecken. Ich hatte das große Glück, meine Energien in die Leitung einer Milchbank in Australien investieren zu dürfen.

Aber um auf die Frage nach den Kosten zurückzukommen: Meiner Meinung nach müssen zuerst einmal das Konzept und das Ziel einer Milchbank festgelegt werden, erst dann wird man wissen, was sie kosten wird. Danach können diese Kosten gegen den angestrebten Nutzen abgewogen werden. In den meisten Fällen kommt dabei heraus, dass eine Milchbank auch wirtschaftlich sinnvoll ist.

Man prüft also wie bei einer klassischen Kosten-Nutzen-Rechnung, welche Investitionen erforderlich sind und welche Ergebnisse wir erzielen werden. Letzteres können wir jedoch nicht mit Sicherheit voraussagen ; es handelt sich also um eine langfristige Investition, die sich auch erst langfristig bezahlt macht.

Ben Hartmann: Genau. Es kommt auf das Geschäftsmodell der Milchbank an. In Australien sind wir als öffentliches Krankenhaus staatlich finanziert. Ich sehe unsere Milchbank daher in der Verantwortung, mit den Steuergeldern gut zu wirtschaften und eine Leistung zu erbringen, die den klinischen Ergebnissen unserer Patientinnen und Patienten zugutekommt. Mit unserer Spenderinnenmilch versorgen wir daher eine sehr klar definierte Gruppe von PatientInnen, bei denen der Nutzen klar belegt ist. Zugleich wollen wir aber auch zum Wohle der Allgemeinheit die Kosten des Gesundheitswesens in Australien senken. Unsere Milchbank dient nachweislich beiden Zielen. Wir haben unsere Bezugskriterien so gewählt, dass sie primär auf Kinder mit hohem NEC-Risiko ausgelegt sind. Wenn wir jedoch den Zugang zu unserer Spenderinnenmilch auf einen größeren Personenkreis ausweiten, würde sich das Kosten-Nutzen-Verhältnis unserer Milchbank verschlechtern, weil wir keinen Nutzennachweis für PatientInnen erbringen können, die unsere aktuellen Bezugskriterien nicht erfüllen. Das ist natürlich ein echtes Dilemma für eine Milchbank, denn aus einer idealistischen Perspektive würden wir natürlich am liebsten alle Säuglinge versorgen, die keine Muttermilch bekommen können. Dies ist jedoch weder realistisch noch machbar, und so müssen wir unser Angebot auf diejenigen beschränken, für die es am besten geeignet ist.

Ihre Antworten auf die letzte Frage zeigen, dass die Eröffnung einer Milchbank keine so einfache und schnelle Lösung ist, wie manche zuerst dachten. Sie erfordert eine sorgfältige Abwägung und Prüfung und muss in ein umfassendes Unterstützungsangebot für die Mütter eingebettet sein, um nachhaltig erfolgreich zu sein. Da sind auch die Krankenhausleitung, die Gesellschaft und der Staat gefragt.

Überall auf der Welt wurden und werden Milchbanken eingerichtet. Was halten Sie davon?

Kiersten Israel-Ballard: Ich finde das ganz hervorragend, solange dabei mit Umsicht und Verstand gehandelt wird. Viele Gruppen haben jedoch keinerlei Vorstellung davon, worauf es bei der Einrichtung einer Milchbank ankommt. Es ist gut, wenn Milchbanken eingerichtet werden, solange den Beteiligten klar ist, welchen Aufwand es bedeutet, sie nachhaltig und unter angemessener Kontrolle zu betreiben, die Qualitätssicherung zu gewährleisten und sie ins Gesamtsystem einzubinden. Oft wird dieser Aufwand unterschätzt und es herrscht eine gewisse Diskrepanz zwischen der schnellen und mühelosen Eröffnung einer Milchbank und der eigentlich gebotenen Vorgehensweise. Ein unerlässlicher erster Schritt besteht in einer realistischen Bedarfsprüfung. Ist eine Milchbank wirklich das, was gerade am dringendsten gebraucht wird? Oder ist es sinnvoller, erst einmal die Stillförderung zu stärken und zu verbessern? Die Eröffnung einer Muttermilchbank mag ein aufsehenerregendes und attraktives Event sein, aber das solide Fundament zu legen, auf dem sie erfolgreich arbeiten kann, erfordert Arbeit und Planung. Am schwierigsten ist häufig nicht die Inbetriebnahme der Milchbank selbst, sondern ihre Integration. Neue Milchbanken sind also grundsätzlich zu begrüßen, aber wir befürchten, dass es manchmal zu schnell geht, und ein einziges Negativbeispiel kann unter Umständen bereits ausreichen, um Milchbanken weltweit in Verruf zu bringen. Freude und Sorge gehen hier also Hand in Hand.

Guido Moro: Der europäische Milchbankverband EMBA (European Milk Bank Association) arbeitet derzeit daran, ein Netzwerk europäischer Muttermilchbanken aufzubauen. Die meisten Muttermilchbanken gehören diesem Verband an. Wenn man in einem europäischen Land eine Muttermilchbank eröffnen will, hat man mehrere Möglichkeiten. Als erste Option kann Kontakt zu ExpertInnen im eigenen Land aufgenommen werden. Politische EntscheidungsträgerInnen und KrankenhausleiterInnen können sich an Fachleute vor Ort wenden und mit diesen klären, wann, wie und wo sie starten können. Der zweite mögliche Anlaufpunkt ist ein regionaler Verband, wie wir ihn in Italien haben. Der Verband spricht dann mit dem Gesundheitsministerium, woraufhin die Zusammenarbeit beginnt. Als dritte Möglichkeit, wenn es weder ExpertInnen noch Verbände vor Ort gibt, kann man sich an den europaweiten Verband EMBA wenden. Wir können Unterstützung leisten, weil wir die meisten in Europa tätigen Fachleute kennen. Einen dieser 3 Wege sollte man einschlagen.

Ben Hartmann: Wir sollten immer diejenigen sein, die die Beteiligten fragen, ob eine Milchbank die richtige Lösung für ihre Problemstellung ist: Ist die Milchbank effektiv? Können die Beteiligten messbar überprüfen, ob sie leisten und bewirken, was sie sich vorgenommen haben? Jede Milchbank sollte diese Fragen nicht nur beantworten können, sondern sie sich auch selbst stellen.

Meine Einschätzung ist, dass das Ansehen der Milchbanken leidet, wenn wir diese Fragen nicht stellen. In Australien ist es z.B. so: Wenn wir nicht belegen können, dass wir die gesteckten Ziele erreichen, oder wenn wir nicht klar benennen können, welche Ziele wir uns setzen, dann haben wir einen sehr schweren Stand, wenn wir den Staat auffordern, unser Angebot zu finanzieren. Das ist natürlich nicht einfach, aber um diese Ziele zu erreichen, könnten sich Milchbanken untereinander noch erheblich mehr austauschen und unterstützen. Eine stärkere Koordinierung der weltweit tätigen Milchbanken und ein verstärkter Austausch von Informationen, Unterstützung und Ressourcen sind von unschätzbarem Wert. Viele Erkenntnisse rund um das Thema Muttermilchbanken finden keine angemessene Beachtung. Wenn Milchbanken kooperieren statt jede für sich zu arbeiten, können sie potenziell noch viel mehr erreichen.

Was sind also dann Ihre zentralen Herausforderungen?

Ben Hartmann: Eine große Herausforderung liegt meiner Meinung nach darin, anzuerkennen, dass 2 verschiedene Milchbanken unter 2 verschiedenen Gerichtsbarkeiten auf ganz unterschiedliche Weise aufgebaut sein können, da sie beide ganz speziell auf ihr jeweiliges Umfeld ausgerichtet sind. Für den Betrieb einer Milchbank gibt es eben keine allgemeingültige „goldene Regel“. Wir müssen bei der Konzeption und Evaluation von Milchbanken differenzierter und klüger vorgehen.

17.7. Länder mit niedrigem bis mittlerem Pro-Kopf-Einkommen

17.7.1. Gemeinsame Stellungnahme der ExpertInnen

Welche grundsätzlichen Überlegungen gibt es im Hinblick auf Milchbanken in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Pro-Kopf-Einkommen?

Überall auf der Welt werden derzeit Milchbanken eingerichtet. In entwickelten Ländern waren Milchbanken von Anfang an reguliert; jede Initiative muss die Vorschriften einhalten, die speziell für die Eröffnung von Milchbanken gelten. In manchen Ländern mit niedrigem bis mittlerem Pro-Kopf-Einkommen gibt es unter Umständen keine derartigen Vorschriften, und bisweilen mangelt es auch an der nötigen Infrastruktur. Zunächst einmal ist jede Bemühung zu begrüßen, die darauf abzielt, dass Säuglinge bei Bedarf mit Muttermilch ernährt werden können. Sodann muss die Aktivität von Milchbanken reguliert werden, um die Sicherheit der EmpfängerInnen zu gewährleisten.

Das Wichtigste ist aber, Mütter über den Nutzen des Stillens aufzuklären und sich nach Kräften zu bemühen, die Stillraten zu steigern. Muttermilchbanken und Spenderinnenmilch spielen eine nachgeordnete Rolle. Waisenkinder brauchen in der Regel Muttermilch, aber die Bedeutung von Milchbanken muss auch auf das jeweilige Land abgestimmt sein, z.B. in Weltregionen mit sehr hohen HIV-Infektionsraten.

Kann eine Milchbank auch mit einem sehr kleinen Budget eingerichtet werden?

Jede Milchbank muss so gestaltet werden, wie es ihrer jeweiligen konkreten Zielsetzung entspricht. Wenn ein Problem formuliert wurde und man zu der Einschätzung gelangt, dass eine Milchbank zur Lösung dieses Problems beitragen kann, dann gibt es zweifellos Spielräume im Hinblick auf die Ausstattung und den Betrieb.

Eine kostengünstige Milchbank kann genauso angemessen sein wie eine mit hohem Budget, und der grundlegende Ansatz ist derselbe. Der Grundsatz lautet, dass Milchbanken stets sicher, ethisch, effektiv und nachhaltig arbeiten sollten. Der Leistungsumfang von Milchbanken kann unterschiedlich sein, aber diese Grundprinzipien für den Betrieb einer Milchbank gelten an jedem Ort der Welt.

Ein zentrales Element der Milchbanken ist Schlichtheit. Die Organisation PATH hat Überlegungen angestellt, wie sich der Prozess vereinfachen lässt. Dieser Prozess ist kostengünstig für kleine, spezialisierte Milchbanken, eignet sich aber genauso für große Einrichtungen mit sehr guter Finanzausstattung. In Südafrika hat PATH gemeinsam mit der Human Milk Banking Association of South Africa das kostengünstige, Smartphone-basierte Monitoringsystem FoneAstra entwickelt. Dieses führt das Personal durch den Prozess der Pasteurisierung und erfasst und übermittelt dabei die Temperaturen. Während ein herkömmlicher Pasteurisierer etwa 2 Stunden braucht, um seinen Zyklus zu durchlaufen und die Flaschen gebrauchsfertig zu machen, dauert es mit diesem System nur 17 Minuten, die Abkühlung bereits eingerechnet. Eine kleine Einrichtung braucht nicht immer große Zahlen.

Außerdem setzt PATH auf Schnelldiagnostik anstelle des Versands von Proben an kostspielige Labore für Mikrobiologie. Laborkosten sind eine große Belastung; wenn die TechnikerInnen einer Milchbank Schnelltests vor Ort durchführen können, spart das viel Geld.

Des Weiteren lassen sich Einsparungen erzielen, indem man auf eine optimale Personalplanung achtet und Personal mit anderen Einrichtungen teilt, denn Personalkosten sind der größte Posten. In Brasilien sind unterschiedliche Modelle im Einsatz, aber das Kernteam jeder Milchbank umfasst Fachpersonal für Laktationsberatung und eine Technikerin bzw. einen Techniker. In einer kleinen Milchbank arbeiten 2 Personen jeweils halbtags.

Neben der Muttermilchbank selbst können bei der Einrichtung begleitende Zusatzangebote mit eingeplant werden. So wurde in einem Projekt in Mosambik zu Bildungszwecken eine Bibliothek zum Thema Frauen-, Kinder- und Jugendgesundheit eingerichtet, außerdem ein Tele-Gesundheitslabor, in dem Prozesse in Echtzeit verfolgt werden können. Die Bibliothek ist an die Hausbibliothek des Maputo Central Hospital in Mosambik angeschlossen, und wenn man sich im Bibliothekssystem des Maputo Central Hospital anmeldet, hat man automatisch auch Zugriff auf die Bibliothek in Rio de Janeiro mit ihren Büchern und Fachzeitschriften. Ein Team geschulter Bibliothekare hat hier volle Handlungsfreiheit. Durch diese Zusatzangebote fielen die Kosten des Projekts in Mosambik höher aus als bei den üblichen Projekten dieser Art. Die zusätzlichen Mittel wurden von Define und der brasilianischen Behörde für Zusammenarbeit bereitgestellt. Diese beiden AkteurInnen haben die Finanzierung des Projekts gesichert, und die bereits mit Mosambik getroffene Vereinbarung konnte eingehalten werden, ohne in die Grundlagen der technischen Zusammenarbeit einzugreifen.

Sehr wichtig ist auch, dass die Arbeit des gesamten Netzwerks durch die beteiligten Länder überwacht wird. Es werden internationale Benchmarks für globale Gesundheitsfragen herangezogen; so wurde das Netzwerk im Jahr 2010 als Strategie für Lebensmittel- und Ernährungssicherheit geführt, wobei die Millenniumsziele als Referenz dienten.

17.8. Grundsatzüberlegungen

Zum Abschluss: Welche wichtigen grundsätzlichen Überlegungen sind bei der Einrichtung einer Milchbank anzustellen?

Kiersten Israel-Ballard:

  • Die Eröffnung einer Muttermilchbank ist immer auch eine Chance, der Muttermilch innerhalb der ganzen Einrichtung zu neuer Wertschätzung zu verhelfen, die Stillförderung zu stärken und letztlich einen kulturellen Wandel herbeizuführen.

  • Eine Milchbank muss ein solides Fundament haben und sich auf eine ganze Infrastruktur rund um die Stillförderung stützen können.

  • Beim Aufbau einer Milchbank sollte ein integrativer, ganzheitlicher Ansatz verfolgt werden – mit einem etablierten Netzwerk und einer Anbindung an die Känguru-Methode, Ernährungsberatung und Stillförderung. Milchbanken sollten nicht nach einem vertikalen Modell als reine Einrichtung zur Verarbeitung von Muttermilch konzipiert werden.

  • Es ist von entscheidender Bedeutung, dass jede Milchbank Leitlinien speziell für ihr Gebiet und ihre Einrichtung entwickelt, nach Rücksprache mit entsprechenden Fachleuten und unter Berücksichtigung der spezifischen Risiken und Ressourcen der Einrichtung. Dies gewährleistet ihren nachhaltigen Betrieb. Eine ordentliche Arbeit von Anfang an erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Prozesse zu den Ressourcen passen und weder Materialengpässe noch -überschüsse auftreten.

  • Das Gebot für die Zukunft lautet, als Gemeinschaft zusammenzuhalten, sich besser zu vernetzen, Transparenz zu fördern und eine interaktive Plattform für den Austausch von Ressourcen, Materialien und Informationen zu schaffen. Wir müssen unsere weltweite Community besser unterstützen, indem wir diese Dinge teilen und für den Aufbau neuer Milchbanken und Netzwerke zur Verfügung stellen. Und wir brauchen innovative Ideen, wie wir das erreichen können.

  • Wir müssen den Dialog mit politischen EntscheidungsträgerInnen suchen. Selbst die kleinste Milchbank hat den Auftrag, sich in ihrer Region im Namen der Weltgemeinschaft für Milchbanken stark zu machen, und dazu gehört u.a., etwaige Unterschiede zu messen und zu dokumentieren. Es wäre z.B. hilfreich, mehr Daten über die verschiedenen Modelle zu haben, die unter bestimmten Umständen funktionieren oder eben nicht. Darüber liegen mehr Informationen vor als über die Ergebnisse, und vielleicht benötigen wir hier einen Handlungsaufruf für ein Milchbankprogramm, in dessen Rahmen diese Daten gesammelt und veröffentlicht werden, damit alle daraus lernen können.

Guido Moro:

  • Das Stillen ist der Goldstandard für alle Säuglinge, Termin- wie Frühgeborene. Wenn eine Mutter ihr Kind nicht stillen kann, vor allem wenn das Kind unreif geboren wurde oder krank ist, muss auf Muttermilch aus einer Milchbank zurückgegriffen werden. Die Regierungen müssen Geld in den Betrieb von bestehenden und in den Aufbau von neuen Milchbanken investieren, damit diese eine Alternative zum Stillen bieten können.

  • Wenn die Milch der leiblichen Mutter keine Option ist, muss Spenderinnenmilch verfügbar sein. Das bedeutet: Es darf keine Kaufanreize oder Werbung für Säuglingsmilchnahrung oder sonstige Muttermilchersatzprodukte geben. Hier wären regionale Initiativen extrem wichtig, wenn sich die Ärzteschaft eines Krankenhauses nicht für die Muttermilchfütterung einsetzt. Denn diese ÄrztInnen erzählen Müttern, die keine Milch geben können, dass viele Säuglingsmilchprodukte genauso gut sind, dass viele Kinder mit Säuglingsmilchnahrung aufwachsen und dass sie sich daher keine Sorgen machen müssen. KinderärztInnen, WissenschaftlerInnen sowie EntscheidungsträgerInnen in Verwaltung und Politik sollten dieser Einstellung auf der ganzen Welt entgegentreten.

  • Die Aktivitäten von Muttermilchbanken müssen unter Aufsicht stehen, andernfalls könnte dies sehr negative Folgen haben. Ich beziehe mich hier auf das bereits erwähnte Beispiel der Milchbanken in Italien, die lediglich 20 Liter Muttermilch pro Jahr sammeln, während es bei anderen 2000 Liter sind. Banken mit einem derart geringen Volumen müssen entweder ihre Leistung steigern oder geschlossen werden.

  • Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Muttermilchbank auch mit Kosten verbunden ist – mit hohen Kosten. Aber man spart auch sehr viel Geld, wenn man Kinder mit Muttermilch statt mit Säuglingsmilchnahrung füttert, und sorgt dabei für eine bessere Gesundheit und höhere Lebensqualität im späteren Leben.

  • Verbände sind für alle Länder wichtig, in denen darüber nachgedacht wird, neue Muttermilchbanken einzurichten. Denn Verbände können die Milchbanken im laufenden Betrieb kontrollieren; sie können beraten, wo und wie neue Milchbänke eingerichtet werden sollten; und sie erhalten leichter Zugang zu Verwaltungen, Behörden und politischen EntscheidungsträgerInnen, die ihre Zustimmung geben müssen.

Ben Hartmann:

  • Unter dem Begriff Muttermilchbanken wird eine breite Palette unterschiedlicher Praktiken zusammengefasst, mit denen oft ganz unterschiedliche Ziele erreicht werden sollen. Der Begriff „Milchbank“ kann also für jeden etwas anderes bedeuten.

  • Eine Muttermilchbank sollte so gestaltet sein, dass sie sicher, effektiv, ethisch und nachhaltig arbeitet.

  • Jede Milchbank sollte klar definieren, welche Leistung sie anbieten und welchen Nutzen sie damit erzielen will. Das oberste Ziel sollte stets sein, für den größtmöglichen Stillerfolg der Mütter zu sorgen.

  • Ein Problem stellen die zahlreichen Praktiken dar, die sich negativ auf die Glaubwürdigkeit von Muttermilchbanken auswirken können, die an eine Klinik angeschlossen sind. So werden institutionalisierte Muttermilchbanken etwa mit Milchbörsen oder der informellen Weitergabe von Muttermilch in Verbindung gebracht, die weniger wissenschaftlich fundiert sind.

  • Um Milchbanken trotz der je nach Gerichtsbarkeit unterschiedlichen Praktiken zu vereinheitlichen, könnte es hilfreich sein, sich über die Grundzüge der Konzeption und Evaluation von Milchbanken zu verständigen, statt über die konkrete Umsetzung. Mit diesem Lösungsansatz wäre es möglich, den Besonderheiten der jeweiligen Gerichtsbarkeit und den daraus resultierenden Unterschieden in der Praxis Rechnung zu tragen. Hierbei muss nachgewiesen werden, dass diese Unterschiede jeweils dem gewünschten Zweck dienen. Wir sollten also mehr darauf schauen, wie eine Milchbank konzipiert und aufgebaut wird und was damit erreicht werden soll, und uns weniger auf die Unterschiede in der praktischen Ausführung versteifen.

17.8. Fazit

Eine Mutter, die ihr eigenes Kind stillt, ist die biologische Norm; alles andere ist suboptimal. Spenderinnenmilch aus einer Muttermilchbank ist die zweitbeste Option, wenn die Mutter nicht selbst stillen kann oder nicht genug Milch für ihr Kind bildet, oder wenn das Kind unreif geboren oder krank ist. Erst wenn diese Optionen ausgeschöpft sind, sollte über Alternativen zu Muttermilch nachgedacht werden.

Das übergeordnete Ziel von Milchbanken ist es, die biologische Norm der stillenden Mutter zu unterstützen. Spenderinnenmilch sollte so wenig eingesetzt werden wie irgend möglich, sodass der Fokus klar auf dem natürlichen Stillen liegt. Jede Mutter sollte darin unterstützt werden, ihr Kind erfolgreich zu stillen, und auf Spenderinnenmilch aus einer Milchbank sollte nur dann zurückgegriffen werden, wenn es angezeigt und notwendig ist.

Kernpunkte

  • Muttermilchbanken gewährleisten eine sichere und unbedenkliche Sammlung, Untersuchung, Lagerung und Ausgabe von Muttermilchspenden. Spenderinnenmilch sollte immer nur als Überbrückung dienen, bis die Mutter in der Lage ist, ihr Kind mit ihrer eigenen Milch zu ernähren.

  • Die Erfahrung zeigt, dass kranke und schwache Säuglinge überdurchschnittlich stark von der Ernährung mit Muttermilch profitieren.

  • Vor der Eröffnung einer Milchbank ist es unerlässlich, die Voraussetzungen genau zu prüfen, um sicherzugehen, dass die geplante Milchbank den Anforderungen vor Ort entspricht und nachhaltig arbeiten kann. Durch einen ganzheitlichen Ansatz, der auch Maßnahmen zur Stillförderung vorsieht, wird der langfristige Nutzen der Milchbank für die Gemeinschaft deutlich erhöht.

  • Den Anfangsinvestitionen für die Einrichtung einer Milchbank und den laufenden Betriebskosten sollte der unmittelbare finanzielle Nutzen gegenübergestellt werden, der sich aus den geringeren NICU-Kosten für die Behandlung und chirurgische Versorgung von Krankheiten ergibt, wenn Säuglinge mit Muttermilch ernährt werden.

  • Die Zusammenführung der vielen verschiedenen nationalen Leitlinien zu gemeinsamen globalen Standards und Tools wird die Einrichtung von integrierten Milchbanken erheblich erleichtern, die sicher, effektiv, ethisch und nachhaltig arbeiten.

Prof. João Aprigio Guerra de Almeida ist Gründer und Koordinator des brasilianischen Milchbank-Netzwerks Rede-BLH (Rede Brasileira de Bancos de Leite Humano) und Koordinator des brasilianischen Gesundheitsinformationszentrums ICICT/Fiocruz (Instituto de Comunicação e Informação Científica e Tecnológica em Saúde da Fundação Oswaldo Cruz). Er ist außerdem als Berater für das brasilianische Gesundheitsministerium und Ansprechpartner weiterer internationaler Gesundheitsministerien tätig, um weltweit erfolgreich Milchbanken und einzelne Projekte zu implementieren. Er hat ein erfolgreiches Netzwerk von über 290 Milchbanken weltweit etabliert, aufbauend auf seiner Initiative zur Integration von Stillförderung und Milchbanken.

Ben Hartmann, PhD, ist Manager der PREM Milk Bank, Department of Health (Westaustralien). Nach seiner Promotion an der University of Western Australia im Jahr 2001 und einer Qualifikation im Bereich Small Business Management leitete er sein eigenes Unternehmen. Seit 2005 ist er am King Edward Memorial Hospital tätig und richtete dort die PREM Milk Bank ein, die er bis heute leitet und die die erste Muttermilchbank in Australien war. Ziel von PREM Milk ist es, evidenzbasierte Best Practices für Milchbanken in Australien zu etablieren und dazu beizutragen, dass Muttermilchbanken in Australien wieder stärker verbreitet werden. Das übergeordnete Prinzip der Einrichtung lautet, dass Muttermilchbanken Mütter darin unterstützen müssen, ihr Kind mit ihrer eigenen Milch zu ernähren, sodass Milchbanken letztlich mehr nicht gebraucht werden.

Kiersten Israel-Ballard, DrPH, ist Associate Director des PATH Maternal Newborn, Child Health and Nutrition Program. Sie hat einen Abschluss als DrPH der University of California, Berkeley, School of Public Health, und verfügt über mehr als 15 Jahre internationale Erfahrung in der Evaluation und Förderung von Ansätzen zur optimalen Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern. Aktuell leitet sie die Muttermilchbank-Initiative von PATH. In dieser Funktion hat sie globale Teams aufgebaut, die in Zusammenarbeit mit örtlichen Regierungen nachhaltige Muttermilchbanken implementieren. Außerdem hat sie innovative Technologien für Settings mit begrenzten Ressourcen entwickelt. Darüber hinaus hat sie im Auftrag regionaler Regierungen Programme zur Einführung von Ernährungsprogrammen geleitet und beschäftigt sich insgesamt mit innovativen Ansätzen zur Verbesserung der Gesundheit von Kindern.

Prof. Guido E. Moro, MD/PhD, ist Professor für Neonatologie an der Postgraduate School of Paediatrics der Universität Mailand, Italien. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Säuglingsernährung; er hat über 250 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht und ist Vortragsredner bei internationalen Kongressen. Er ist Vorsitzender des italienischen Milchbankverbands AIBLUD (Associazione Italiana delle Banche del Latte Umano Donato) und war der erste Präsident des europäischen Dachverbands EMBA (European Milk Bank Association). Im Jahr 2005 wurde er für seinen Einsatz für Wissenschaft und Gesellschaft mit der Goldmedaille der Stadt Mailand ausgezeichnet.

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