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7 Muttermilch: bioaktive Komponenten und ihre Auswirkungen auf den Säugling und darüber hinaus

Published onJul 01, 2018
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7 Muttermilch: bioaktive Komponenten und ihre Auswirkungen auf den Säugling und darüber hinaus
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7 Muttermilch: bioaktive Komponenten und ihre Auswirkungen auf den Säugling und darüber hinaus


Donna Geddes, PhD, PostGrad Dip (Sci), DMU; Foteini Kakulas, PhD, BSc, Research Fellow

Zentrale Lerninhalte

  • Hauptbestandteile der Muttermilch und womit sie den Säugling versorgen

  • Bedeutung des Kolostrums (der ersten Muttermilch nach der Entbindung)

  • Die Wichtigkeit, möglichst immer frische Muttermilch der leiblichen Mutter bereitzustellen

  • Überlegenheit von Muttermilch gegenüber Säuglingsmilchnahrung

7.1. Muttermilch aus wissenschaftlicher Sicht

Muttermilch enthält ein enorm breites Spektrum an molekularen und zellulären Bestandteilen, die den Säugling mit Nährstoffen versorgen, ihn schützen und ihm Entwicklungssignale vermitteln. Der menschliche Säugling ist bei der Geburt im Vergleich zu Neugeborenen anderer Säugetierarten noch nicht ausgereift. Mit dem Kolostrum erhält er Immunstoffe und bioaktive Faktoren in konzentrierter Dosis, die ihn vor Krankheitserregern schützen und die Entwicklung des Immunsystems und anderer Systeme fördern. Während des etablierten Stillens liefert die Muttermilch weiterhin wesentliche Ernährungskomponenten. Hierzu zählen Proteine (> 900 Arten), die in hohem Maße bioverfügbar sind und den Säugling schützen; Fette, insbesondere langkettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die für die kognitive Funktion von Bedeutung sind; Peptide, z. B. die Hormone Leptin und Ghrelin, die an der langfristigen Steuerung des Hunger- und Sättigungsgefühls beteiligt sind; sowie Zucker, z. B. Oligosaccharide (> 200 Arten), die einerseits Krankheitserreger anlocken und binden und andererseits das Wachstum nützlicher Bakterien fördern. Diese einzigartige Flüssigkeit enthält darüber hinaus unzählige Vitamine und Mineralstoffe, die zum Teil durch die Ernährung der Mutter beeinflusst werden. Außerdem enthält die Muttermilch lebensfähige Zellen. Dabei handelt es sich um Stammzellen, die in das Körpergewebe des Säuglings integriert werden. Diese entwickeln sich zu vollständig ausdifferenzierten milchbildenden Zellen und Immunzellen, die Infektionen bei Mutter und Kind bekämpfen.

Diese zahlreichen Vorteile für Mutter und Säugling sind der Grund für die deutliche Überlegenheit der Muttermilch gegenüber Säuglingsmilchnahrung, welche hauptsächlich auf Basis von Kuhmilch bzw. pflanzlichen Quellen wie Soja hergestellt wird. Die Vorteile für Stillkinder im Vergleich zu den mit Säuglingsmilchnahrung gefütterten Säuglingen sind ganz erheblich. Stillkinder wachsen und entwickeln sich besser und weisen zudem eine niedrigere Inzidenz und Intensität von Infektionen auf. Des Weiteren kommt es bei ihnen seltener zu Erkrankungen wie Diabetes, Lymphom, Leukämie, Adipositas und Allergien. Zudem wirkt sich die Laktation auch günstig auf die Gesundheit der Mutter aus, in der Frühphase etwa durch eine zügige Involution der Gebärmutter, Gewichtsabnahme sowie Amenorrhö. Außerdem vermindert sich ihr Risiko im Hinblick auf Brust- und Eierstockkrebs, Osteoporose und Hüftfrakturen, Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen. Psychisch profitiert die stillende Mutter von einem höheren Selbstwertgefühl und einer engeren Bindung zu ihrem Kind.

Viele der mit dem Stillen verbundenen Vorteile lassen sich auf die Komponenten der Muttermilch zurückführen, deren Konzentration je nach Spezies variiert.

7.2. Zentrale Bestandteile der Muttermilch und ihre Funktionen

Die Muttermilch enthält Makro- und Mikronährstoffe, bioaktive Moleküle, Zellen sowie Mikrobiota. Dies macht sie zu einer dynamischen, lebendigen Flüssigkeit, die sich an die Bedürfnisse des Säuglings anpasst. Die molekularen Bestandteile werden entweder von den Laktozyten synthetisiert oder gelangen über die Blutversorgung der Brust in die Milch [1].

Die Makronährstoffe – also Fette, Proteine und Kohlenhydrate – sind in genau den richtigen Mengen in der Muttermilch enthalten, um das Wachstum des Säuglings optimal zu fördern. Sie haben oftmals mehrere verschiedene Funktionen. So schützen sie den Säugling etwa vor Infektionen und fördern die Organ- und Systementwicklung (Tab. 7.1).

Tab. 7.1 Molekulare Hauptbestandteile der Muttermilch und ihre Funktionen

Wichtige Makronährstoffe in der Muttermilch

Funktionen

Fett

Allgemein

  • wichtigste Energiequelle (50–60% der Kalorienaufnahme)

  • hochvariable Komponente

  • Transfer fettlöslicher Vitamine

  • manche Fettsäuren besitzen antimikrobielle Eigenschaften

Kurzkettige Fettsäuren

  • Energiequelle

  • Reifung des Gastrointestinaltrakts

Mittelkettige Fettsäuren

  • Energiequelle

  • periphere Glukoseverwertung

  • Reifung des Gastrointestinaltrakts

Langkettige Fettsäuren

  • Energiequelle

  • visuelle und neurale Entwicklung des Säuglings

  • antivirale und antiprotozoische Effekte

  • Modulierung des Immunsystems

Sphingomyeline (in der Membran der Milchfettkügelchen)

  • Myelinisierung des zentralen Nervensystems

  • verbesserte verhaltensneurologische und visuelle Entwicklung von Säuglingen mit niedrigem Geburtsgewicht

Protein

Casein

  • Aminosäuren sind nutritiv

  • wichtigste Kalzium- und Phosphorquelle

  • Käsebruch von weicherer Konsistenz, der den Verdauungstrakt schneller durchläuft als Säuglingsmilchnahrung

Peptide (entstanden bei der Verdauung von Casein)

  • antimikrobielle, immunmodulatorische, antithrombotische, antihypertone und opioide Effekte

Molke

Lactoferrin

  • bindet Eisen

  • schützt vor eisenabhängigen Krankheitserregern

  • sein Nebenprodukt Laktoferricin hat direkte antimikrobielle Effekte

Lysozym

  • bakteriostatische und bakterizide Eigenschaften

  • unterstützt beim Säugling das Wachstum kommensaler Bakterien

  • kann das Wachstum des Säuglings fördern, insbesondere bei einer Frühgeburt

Sekretorisches IgA

  • antipathogene Wirkung

  • neutralisiert Toxine und Viren

α-Lactalbumin

  • Laktosesynthese

  • bindet Zink und Kalzium

  • deckt den Aminosäurenbedarf des Säuglings

  • Immunschutz

  • Darmreifung und -entwicklung

Gallensalzstimulierte Lipase (BSSL, Bile Salt-stimulated Lipase)

  • Fettverdauung

  • Säuglingswachstum

Muzine

  • hemmen die Bindung von Krankheitserregern

Sonstige Proteine

Osteopontin

  • Darmbarrierefunktion

  • Immunantwort

Amylase

  • Verdauung von Oligo- und Polysacchariden

  • antibakterielle Funktionen

Haptocorrin

  • Resorption von Vitamin B12

  • antimikrobielle Aktivität

Zytokine

  • entzündungshemmende Wirkung, mindern den Schweregrad von Infektionen

  • haben, wie kürzlich erwiesen, Einfluss auf den Körperbau des Säuglings

Wachstumsfaktoren

  • stimulieren das Zellwachstum

  • am intestinalen Wachstum des Säuglings beteiligt

  • regulieren die Entwicklung mehrerer Organe

  • entzündungshemmende Eigenschaften

Kohlenhydrate

Laktose

  • 30–40% der Gesamtenergie

  • Kalziumresorption

  • Präbiotikum für die Darmbesiedelung

Oligosaccharide in der Muttermilch

  • schützen vor Infektionen, besitzen antimikrobielle und antiadhäsive Eigenschaften und verändern die Antwort der Wirtszellen

  • Hirnentwicklung beim Säugling

  • Präbiotikum für die Darmbesiedelung

7.2.1. Fett

Der Fettgehalt in der Muttermilch macht einen Großteil der Kalorienaufnahme des voll ausgetragenen Säuglings aus (50–60%) [2]. Der Fettgehalt der Muttermilch schwankt beträchtlich und liegt im Durchschnitt bei 41 g/l, wobei dieser Wert intra- und interindividuell um das 3-Fache variieren kann (22–62 g/l) [3]. Das entspricht einem Fettgehalt von etwa 1–20%. Der Fettgehalt ändert sich während eines Stillvorgangs. Von Anfang bis Ende nimmt er allmählich zu und ist von der Milchmenge in der Brust abhängig [4]. Interessanterweise scheint der Fettgehalt seinen Höchstwert ca. 30 Minuten nach dem Ende des Stillvorgangs zu erreichen, was möglicherweise das Muster der Milchsynthese abbildet [5]. Dies stellt bei Probenahmen für Messungen oder wissenschaftliche Forschungsprojekte ein Problem dar, da der Fettanteil der Muttermilch entsprechend der Milchmenge von Frau zu Frau schwankt. Des Weiteren weiß man, dass der Fettgehalt durch Faktoren wie Stadium der Schwangerschaft, Laktationsphase, Anzahl der vorhergehenden Schwangerschaften, Alter der Mutter, Ernährungsweise und Ernährungszustand beeinflusst wird. So geht eine geringe Kalorienaufnahme mit einem erhöhten Palmitinsäuregehalt der Muttermilch (C16) einher [6], [7].

Die Milchfettkügelchen werden von den Laktozyten freigesetzt. Diese Kügelchen enthalten einen Kern, der fast vollständig aus Triglyzeriden (Triacylglycerolen, TAG, 98–99%) besteht, sowie einer äußeren Membran aus Phospholipiden, Cholesterin, Glykolipiden, Proteinen und Glykoproteinen. Bei den TAG handelt es sich entweder um gesättigte oder ungesättigte Fettsäuren, also kurz-, mittel- oder langkettige Fettsäuren [8], [9]. Laktozyten können lediglich kurzkettige (SCFA) und mittelkettige Fettsäuren (MCFA) synthetisieren. Langkettige Fettsäuren (LCFA) und langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren (LCPUFA) werden aus der mütterlichen Blutbahn eingebracht. Hierzu zählen die Docosahexaensäure (DHA), eine Omega-3-Fettsäure, und die Arachidonsäure (AA), eine Omega-6-Fettsäure. LCFA machen den überwiegenden Teil der Fette aus (85%), gefolgt von MCFA (13%); der Rest setzt sich aus LCPUFA und SCFA zusammen. Der Gesamtfettgehalt der Muttermilch ist weitgehend unabhängig von der Ernährung der Mutter [10], [11], [12]. Dies gilt jedoch nicht für die Zusammensetzung der Fettsäuren. So ist die DHA-Konzentration in der Muttermilch von Frauen höher, deren Ernährung reich an Fisch ist, [13], während die Milch von Frauen, die sich fettarm und kohlenhydratreich ernähren, eine höhere MCFA-Konzentration aufweist.

Der Säugling nimmt das Fett aus der Muttermilch besser auf als aus der Milch anderer Säugetierarten. Dies liegt wahrscheinlich an Unterschieden in der Triglyzeridstruktur [14] und an der Aktivität der gallensalzstimulierten Lipase (BSSL, Bile Salt-stimulated Lipase), die das Muttermilchfett aufspaltet. Auch wenn die Muttermilch einen hohen Fettanteil besitzt, gibt es keine Belege dafür, dass die Fettaufnahme in den ersten beiden Lebensjahren mit einer späteren Neigung zu Übergewicht oder Adipositas in Zusammenhang steht. Eine erhöhte Proteinaufnahme dagegen ist mit rapidem Wachstum [15] und späterer Adipositas assoziiert. Auch gibt es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen der Fettaufnahme in den ersten beiden Lebensjahren und der Entwicklung nicht übertragbarer Krankheiten [16]. Zudem ermöglichen Fette den Transfer von fettlöslichen Vitaminen von der Mutter auf den Säugling.

Neben dem Umstand, dass bestimmte Fette in der Muttermilch (z. B. Omega-3-Fettsäuren) das Hirnwachstum beim Säugling anregen, sprechen die genannten Faktoren eher für eine positive als für eine negative Wirkung der Muttermilchfette auf den Säugling. Die in der Muttermilch enthaltenen Fette spielen für die gesunde Entwicklung des Säuglings eine wichtige Rolle, da DHA und AA für die Funktion der Nervenzellen von Bedeutung sind und in das Netzhaut- und Hirngewebe integriert werden [13]. Tatsächlich weisen Stillkinder höhere DHA- und AA-Spiegel in Blut und Hirngewebe (in der grauen und weißen Substanz sowie in der Hirnrinde) auf als Babys, die Säuglingsmilchnahrung erhalten [17]. Ein besseres Sehvermögen [17] und ein höherer IQ sind ebenfalls charakteristisch für Menschen, die als Säuglinge gestillt wurden [17].

Es wurden erhebliche Unterschiede zwischen gestillten und mit Säuglingsmilchnahrung ernährten Säuglingen dokumentiert: Stillkinder weisen höhere DHA- und AA-Plasmaspiegel, einen höheren DHA-Spiegel im Hirngewebe bei Autopsie, ein besseres Sehvermögen [17] sowie einen höheren IQ (bis zu einem Alter von 15 Jahren) auf als Kinder, die Säuglingsmilchnahrung erhalten haben [17]. Diese Vorteile werden dem einzigartigen Fettsäurenprofil der Muttermilch zugeschrieben. Vor kurzem konnten außerdem positive Effekte der in der Muttermilch enthaltenen Sphingomyeline auf Frühgeborene nachgewiesen werden. Sphingomyeline sind an der Myelinisierung des Nervensystems beteiligt und verbessern die Werte von Frühgeborenen bei verhaltensneurologischen Tests und Sehkraftuntersuchungen [18]. Manche Fettsäuren schützen den Säugling außerdem speziell vor lipidbeschichteten Mikroorganismen [19], [20], [21]. Des Weiteren wird ein höherer Gehalt an mehrfach ungesättigten Omega-6-Fettsäuren (n6 PUFAs) in der Muttermilch mit einem geringeren Risiko der Übertragung des HI-Virus von der Mutter auf das Kind in Zusammenhang gebracht [22].

7.2.2. Protein

Der in der Muttermilch enthaltene Stickstoff (1,71 g/l ± 0,31) besteht zu ca. 75% aus Protein- und zu ca. 25% aus Nicht-Protein-Komponenten [23].

Nicht-Protein-Stickstoff besteht aus Molekülen wie freien Aminosäuren, Peptiden, Kreatin, Kreatinin, Nukleinsäuren, Nukleotiden, Harnstoff, Harnsäure, Ammoniak, Aminozuckern, Polyaminen und Carnitin [24]. Diese funktionellen Bestandteile fördern das Wachstum und die Entwicklung des Säuglings und haben auch eine schützende Wirkung. Nukleotide und Nukleoside bspw. sind aus ernährungsphysiologischer Sicht an einem schnellen Wachstum (etwa bei Frühgeborenen) [25], an der Entwicklung von Darm und Darmflora sowie an der Immunfunktion beteiligt [26], [27]. Carnitin und Taurin sind für den Fettsäurestoffwechsel unverzichtbar: Carnitin spielt bei der Lipolyse, Ketogenese und Thermogenese eine Rolle, während Taurin an der Fettresorption, der Sezernierung von Gallensäure sowie der Leber- und Netzhautfunktion beteiligt ist [28]. Im Hinblick auf die Immunfunktion bieten verschiedene Proteine und ihre Abbauprodukte Schutz vor bakteriellen und viralen Krankheitserregern und fördern die Reifung des Immunsystems [29], [30]. In der Regel besitzen viele dieser Komponenten mehrere Funktionen.

Der Proteingehalt der Muttermilch ist relativ gering (im Durchschnitt ca. 1%), die Proteine sind jedoch in hohem Maß bioverfügbar und spezifisch auf den menschlichen Säugling abgestimmt. Sie werden hauptsächlich von den Laktozyten produziert [27]. Der Proteingehalt ist unmittelbar nach der Entbindung am höchsten (durchschnittlich 15,8 ± 4,2 g/l) und sinkt in der reifen Milch auf relativ konstante Werte (durchschnittlich 6,9 ± 1,2 g/l) [31]. Die Proteine in der Muttermilch decken 5% des kindlichen Energiebedarfs, d.h. den durchschnittlichen Proteinbedarf eines 6 Monate alten Säuglings von 5,6 PE% (prozentuale Proteinenergie). Säuglinge benötigen somit kein zusätzliches Protein, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine zusätzliche Proteinaufnahme zu Beginn des Lebens mit der späteren Entwicklung von Adipositas in Zusammenhang steht [32], [33]. Mit dem Wachstum des Säuglings sinkt der Proteinbedarf auf durchschnittlich 3,8 PE%, wobei der als unbedenklich geltende obere Grenzwert bei 5,2 PE% liegt. Ein PE%-Wert zwischen 5 und 20 gilt für Kinder im Alter von 1–3 Jahren als vertretbar [34]. Allerdings wird dieser Wert häufig um das 3- bis 4-Fache überschritten. Die Hauptproteinquelle ist dabei Kuhvollmilch mit einem PE%-Wert von 20 [35].

Sowohl die Qualität als auch die Quantität des in den ersten beiden Lebensjahren aufgenommenen Proteins beeinflussen das Wachstum des Säuglings, seine neuronale Entwicklung und die langfristige Gesundheit. Eine hohe Proteinaufnahme in den ersten beiden Jahren wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus [36]. Bei Säuglingen, die industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung erhalten, ist die Proteinaufnahme normalerweise erhöht. Außerdem unterscheiden sich Muttermilch und Säuglingsmilchnahrung in ihrer Zusammensetzung, insbesondere in ihrem Gehalt an Aminosäuren. Aufgrund dieses eklatanten Unterschieds waren die Hersteller gezwungen, den Proteinanteil in ihrer Säuglingsmilchnahrung zu senken, um Wachstumsraten zu erzielen, die denjenigen gestillter Kinder entsprechen [37], [38]. Dennoch ist es extrem schwierig, die gleiche Proteinzusammensetzung zu erreichen.

Die Proteine in der Muttermilch lassen sich in 3 Hauptgruppen gliedern:

  • Caseine, als mizellare Strukturen in Lösung suspendiert

  • Molke, wasserlösliche Proteine

  • Muzine, in der Membran von Milchfettkügelchen enthalten

Casein

Caseine gehören zu den wichtigsten Proteinen in der Milch von Säugetieren und machen 13% des Gesamtproteins aus [27]. Die Kuhmilch verdankt ihre charakteristische weiße Farbe dem hohen Anteil an Caseinen. Muttermilch hingegen erscheint aufgrund ihres niedrigen Gehalts an Caseinen blassblau. Caseine besitzen vorwiegend nutritive Eigenschaften und liefern dem Säugling essenzielle Aminosäuren und Mineralstoffe. Die Casein-Mizelle ist als wichtigste Kalzium- und Phosphorquelle für die Knochenmineralisierung des Säuglings erforderlich [39]. Durch das Enzym Protease in der mütterlichen Brust und im kindlichen Magen wird das Casein in kleinere Peptide aufgespalten, die vielfältige Wirkungen besitzen, u. a. antimikrobielle, immunmodulatorische, antithrombotische, antihypertone und opioide Wirkungen. Der niedrige Caseingehalt der Muttermilch ist außerdem für die geringere Wachstumsrate des menschlichen Säuglings im Vergleich zum Nachwuchs anderer Säugetierarten verantwortlich [40].

Casein wird im Magen nur geringfügig verdaut [41]. Caseine fallen anschließend aus und werden langsamer verdaut als Molkenproteine. Da Muttermilch einen niedrigeren Caseinanteil aufweist als Kuhmilch, bildet sich im Magen ein weicherer, leicht verdaulicher Caseinbrei. Dieser durchläuft den Verdauungstrakt somit schneller als industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung und ermöglicht ein häufiges Stillen [42], [43], [44]. Der Caseingehalt von Kuhmilch ist um mehr als ein 10-faches höher als der von Muttermilch [45]. Aus diesem Grund muss Säuglingsmilchnahrung auf Kuhmilchbasis [46] Molkenprotein zugesetzt werden, um einigen Effekten des hohen Caseingehalts entgegenzuwirken, etwa der Bildung einer festen Käsebruchmasse im Magen des Säuglings.

Molke

Molkeproteine machen den größten Anteil des Proteins in der Muttermilch aus (90% des Gesamtproteins im Kolostrum bzw. 60% in reifer Milch) [41]. Molke enthält eine Vielzahl verschiedener Proteine. Reichlich in der Molke vorhanden sind die wesentlichen Immunproteine Lactoferrin, Lysozym und sekretorisches IgA (sIgA). Zudem finden sich α-Lactalbumin und gallensalzsstimulierte Lipase, die nutritive Funktionen haben [47], [48].

Lactoferrin liegt in der Muttermilch in höherer Konzentration vor als in Kuhmilch und bindet einen Großteil des Eisens in der Muttermilch [49]. Die Eisenaufnahme beim Säugling wird durch Lactoferrin unterstützt, das an Rezeptoren der Enterozyten (Epithelzellen in der Darmschleimhaut) andockt [50], [51]. Der Zusatz von bovinem Lactoferrin zu industriell hergestellter Säuglingsmilchnahrung führt beim Säugling weder zu einem Anstieg der Eisenresorption noch beeinflusst er das Wachstum [52], [53]. Dies legt den Schluss nahe, dass bovines Lactoferrin entweder nicht an den humanen Lactoferrin-Rezeptor andockt oder verarbeitungsbedingt deaktiviert wird [54]. Die Eisensequestrierung durch Lactoferrin schaltet eisenabhängige Krankheitserreger aus und schützt damit den Säugling. Zudem wirkt Lactoferrin über das Laktoferricin, ein bei seiner Verdauung entstehendes Nebenprodukt, aber auch direkt auf Krankheitserreger [55]. Laktoferricin besitzt eine starke antimikrobielle Wirkung, antivirale Eigenschaften und eine antitumorale Aktivität [56], [57]. Darüber hinaus wirkt Lactoferrin entzündungshemmend, insbesondere in den Enterozyten des Gastrointestinaltrakts, wobei das Zellwachstum dosisabhängig zu sein scheint.

Lysozym ist eines der 3 Hauptproteine im Molkeanteil der Milch. Es besitzt bakteriostatische und bakterizide Eigenschaften. Seine Funktionen umfassen die Zerstörung der äußeren Zellwand grampositiver Bakterien [58], die Inhibition gramnegativer Bakterien in Gegenwart von Lactoferrin [59], die Inhibition von Amöben [60] und die HIV-Abwehr [61]. Zudem scheint das in der Muttermilch enthaltene Lysozym kommensale Bifidobakterien in der Milch zu unterstützen und gleichzeitig das Wachstum solcher Bifidobakterienstämme zu hemmen, die üblicherweise nur bei Erwachsenen vorkommen [62]. Darüber hinaus gibt es Belege dafür, dass Futtermitteln zugesetztes Lysozym das Wachstum von Ferkeln steigert [63] und ein positiver Zusammenhang zwischen dem Lysozymgehalt der Muttermilch und dem Wachstum Frühgeborener besteht [64]. Mit der Renaissance der pasteurisierten Spenderinnenmilch als Alternative zur Säuglingsmilchnahrung für Frühgeborene in jenen Fällen, in denen keine Milch der Kindsmutter verfügbar ist, kann die aufgrund der Holder-(Wärme-)Pasteurisierung verminderte Konzentration von Lysozym (und gallensalzstimulierter Lipase) Auswirkungen auf das Wachstum des Frühgeborenen haben. Vor kurzem wurde nachgewiesen, dass die UV-C-Pasteurisierung den Verlust der Bioaktivität reduziert und die Retention von Proteinen (d. h. von Lysozym, Lactoferrin und sIgA) erhöht. Dies macht das Verfahren zu einer interessanten Alternative, um die Qualität von Spenderinnenmilch zu erhalten [65].

α-Lactalbumin macht ca. 10–20% des Gesamtproteins in der Muttermilch aus [66]. Es ist an der Laktosesynthese beteiligt [67] und bindet außerdem Zink [68] und Kalzium [69]. Bei Affen, die mit bovinem α-Lactalbumin angereicherte Säuglingsmilchnahrung erhielten, verbesserte sich die Zink- und Eisenresorption [70], jedoch wurden bislang keine Studien zur Beurteilung der Mineralstoffresorption bei Stillkindern durchgeführt. Ferner entspricht die Aminosäurenzusammensetzung des α-Lactalbumins in der Muttermilch genau dem Aminosäurenbedarf des Säuglings [71]. α-Lactalbumin schützt den Säugling nachweislich vor verschiedenen Mikroben, z. B. Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Staphylococcus aureus und S. epidermis [72]. Allerdings wurde die antimikrobielle Aktivität bislang nicht eingehend erforscht. Außerdem wird auch eine mögliche Beteiligung von α-Lactalbumin an der Reifung und Entwicklung des Gastrointestinaltrakts diskutiert [73].

Sekretorisches Immunglobulin A (sIgA) ist mit einem Anteil von bis zu 25% des Gesamtproteingehalts das meistverbreitete Immunglobulin in der Muttermilch [74]. Im Kolostrum liegt sekretorisches IgA in höherer Konzentration (7–8 g/l) vor, während die Werte im weiteren Verlauf der Laktation auf 1–2 g/l absinken [75]. Es unterstützt beim Säugling die Reifung und funktionelle Entwicklung des Immunsystems [27]. Die Schutzmechanismen des Säuglings werden durch das enterobroncho-mammäre System der Mutter vermittelt. IgA-produzierende Lymphozyten aus den Bronchien und dem Darm der Mutter werden während der Laktation zur laktierenden Milchdrüse transportiert und gelangen so in die Muttermilch [76]. sIgA schützt den Säugling in mehrfacher Hinsicht. Es verhindert, dass sich Krankheitserreger an der Oberfläche des Darmepithels festsetzen, und neutralisiert Toxine und Viren [77]. Zudem kann es aufgrund seiner Verdauungsresistenz Schutzwirkungen im Darm des Säuglings entfalten [78].

Gallensalzstimulierte Lipase (BSSL, Bile Salt-stimulated Lipase) (BSSL; 1-2% des Gesamtproteins in der Milch) spielt eine wichtige Rolle bei der Verdauung von Nahrungsfetten. Sie kommt in Kuhmilch vor, aufgrund des Herstellungsprozesses jedoch nicht in industriell hergestellter Säuglingsmilchnahrung. Im Darmlumen wird BSSL durch Gallensalze aktiviert und kann dann Lipidsubstrate wie kurz- und langkettige Triglyzeride hydrolysieren [79]. Durch das Pasteurisieren der Muttermilch wird BSSL inaktiv. Man geht davon aus, dass hierdurch die Fettresorption bei Frühgeborenen vermindert wird [80], [81]. Bei der UV-C-Pasteurisierung von Muttermilch bleibt ein Großteil der BSSL-Aktivität nachweislich erhalten [82]. Hierdurch könnte die Fettresorption bei Frühgeborenen möglicherweise verbessert werden; klinische Untersuchungen hierzu liegen allerdings nicht vor.

Muzin

Zu den Proteinen in der Membran von Milchfettkügelchen zählen u. a. Laktadherin, Butyrophilin, Xanthinoxidase und Muzine. Bislang wurden nur wenige Muzine untersucht. Muzin 1 scheint die Bindung von Krankheitserregern an die Oberfläche von Wirtszellen zu hemmen und bindet spezifisch Rotaviren.

Sonstige Proteine

Osteopontin Der Osteopontingehalt in der Muttermilch ist höher als in Kuhmilch (Verhältnis ca. 10:1) [73]. Osteopontin spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Darmbarriere. Darüber hinaus moduliert es den Wachstumsfaktor TGF-β1 und proinflammatorische Zytokine bei Mäusen mit induzierter Kolitis und wirkt so entzündungshemmend [83]. Es wurde nachgewiesen, dass sowohl humanes als auch bovines Osteopontin die Genexpression der humanen Caco-2-Darmzelllinie beeinträchtigen, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Nach Anreicherung von Säuglingsmilchnahrung mit humanem oder bovinem Osteopontin hat sich bei neugeborenen Rhesusäffchen gezeigt, dass beide Osteopontine die Signalwege in Zusammenhang mit Entwicklung, Immunantwort, Galaktosestoffwechsel und dem Umbau des Zytoskeletts unterschiedlich beeinflussen [84]. In einer aktuelleren Studie mit menschlichen Säuglingen besaß mit Osteopontin angereicherte Säuglingsmilchnahrung keinen Einfluss auf das Wachstum, reduzierte jedoch im Vergleich zur üblichen Säuglingsmilchnahrung die Inzidenz von Infektionen. Dies legt nahe, dass Osteopontin die Immunfunktion beeinflusst [85].

α-Amylase liegt in der Muttermilch in höherer Konzentration vor als in der Duodenalflüssigkeit. Ihre Aktivität ist im Kolostrum am höchsten (wenn die Aktivität der α-Amylase in Speichel und Bauchspeicheldrüse gering ist) und nimmt während der etablierten Laktation (15.–90. Tag) ab [86]. α-Amylase ist bei einem niedrigen pH-Wert, wie im Magen des Säuglings (5,3), aktiv und daher verdauungsresistent [86]. Sie ist an der Verdauung von Oligo- und Polysacchariden beteiligt [72] und kann durch Aufspaltung von Polysacchariden in der Zellwand von Bakterien außerdem antibakterielle Funktionen übernehmen [87].

Haptocorrin bindet den Großteil des in der Muttermilch vorhandenen Vitamins B12 [88]. Es gibt Belege dafür, dass Haptocorrin verdauungsresistent ist und über die Bindung von Holo-Haptocorrin an den intestinalen Bürstensaum durch humane Darmzellen resorbiert wird [89]. Somit nimmt der Säugling bereits früh im Leben Vitamin B12 auf. Darüber hinaus zeigt Haptocorrin eine antimikrobielle Aktivität [72].

Zytokine Die Zytokine in der Muttermilch, von denen 80 verschiedene Arten bestimmt wurden, besitzen immunmodulatorische Eigenschaften. Hierzu zählen Interleukin (IL)1β, IL-6, IL-8, IL-10, Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), transformierender Wachstumsfaktor-β (TGF-β) sowie Interferon Gamma (IFN-γ) [90]. Viele Zytokine wirken entzündungshemmend und verringern wahrscheinlich den Schweregrad von Infektionen bei gestillten Säuglingen. Zudem werden bestimmte Zytokine (IL-6 und TNF-α) mit der Körperzusammensetzung des Säuglings in Zusammenhang gebracht. Ein höherer IL-6-Spiegel scheint dabei mit einer geringeren Gewichtszunahme, einem niedrigeren Körperfettanteil und einer geringeren Fettmasse, TNF-α mit einer niedrigeren Magermasse assoziiert [91].

Wachstumsfaktoren in der Muttermilch umfassen u. a. den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF), die insulinähnlichen Wachstumsfaktoren I und II (IGF) sowie Insulin und Relaxin. Wachstumsfaktoren regen das Zellwachstum an. Man geht davon aus, dass die oben genannten Faktoren bei der Stimulierung und Regulierung des Darmwachstums beim Säugling eine Rolle spielen [92]. Der EGF besitzt vielfältige Funktionen. Er reguliert u. a. die Entwicklung von Brustdrüse, Leber, Bauchspeicheldrüse und Lunge [91]. Der Spiegel von TGF-β ist im Kolostrum höher als in reifer Muttermilch. Niedrigere Spiegel wurden jedoch auch in der Milch von Müttern Frühgeborener gefunden, deren Säuglinge an nekrotisierender Enterokolitis litten. Aufgrund des geringen Stichprobenumfangs der entsprechenden Studie steht eine Bestätigung dieses Befundes allerdings noch aus [93]. Gleichwohl ist eine solche klinische Wirkung von TGF-β denkbar, da der Schweregrad einer nekrotisierenden Enterokolitis durch die enterale Gabe von TGF-β gemindert werden kann [94]. Dieser Effekt wird der entzündungshemmenden Wirkung des Moleküls zugeschrieben.

Angesichts der Bedeutung der in der Muttermilch enthaltenen Zytokine und Wachstumsfaktoren für den Schutz und die Entwicklung des Säuglings, insbesondere des Frühgeborenen, ist es wichtig zu wissen, inwieweit diese Faktoren in der Spenderinnenmilch erhalten bleiben. Spenderinnenmilch wird bei Frühgeborenen zunehmend als Alternative zu industriell hergestellter Säuglingsmilchnahrung eingesetzt, wenn Milch der leiblichen Mutter nicht oder nur in unzureichender Menge zur Verfügung steht. Spenderinnenmilch wird meist pasteurisiert, um bakterielle und virale Krankheitserreger abzutöten, wobei am häufigsten die Holder-Methode zum Einsatz kommt (30 Minuten bei 62,5 °C). Die Spiegel einer Vielzahl von Faktoren, u. a. EGF, IL-4, IL-6, IL-8, IL-10, TNF-α, MIP-1α (Macrophage Inflammatory Protein-α), MCP (Monocyte chemotactic Protein) und IP-10 (Interferon Gamma-inducible Protein-10), scheinen durch den Pasteurisierungsprozess nicht beeinflusst zu werden. Inwieweit aber ihre Funktionsfähigkeit erhalten bleibt, ist noch unklar [95]. An dieser Stelle ist anzumerken, dass industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung keinen dieser Faktoren enthält.

7.3. Kohlenhydrate: Laktose

Laktose macht als wichtigstes Kohlenhydrat in der Muttermilch 30–40% der Gesamtenergie aus [96] und spielt bei der Kalziumresorption eine Rolle. Ihre Konzentration steigt von 19 g/l im Kolostrum auf 54 g/l zu Beginn der Laktation an [97]. Die Laktose wird durch das Enzym Laktase in Monosaccharide, Glukose und Galaktose aufgespalten. Die Galaktose wird anschließend in der Leber zu Glukose umgewandelt. Galaktose und Glukose dienen als Treibstoff für das Gehirn, und es wird vermutet, dass die Galaktose zu einer raschen Hirnentwicklung beiträgt. Gemeinsam mit den Oligosacchariden in der Muttermilch unterstützt Laktose die Darmbesiedlung des Säuglings [98].

7.3.1. Oligosaccharide in der Muttermilch (HMO)

Muttermilch-Oligosaccharide (HMO) stellen den dritthäufigsten Milchbestandteil dar. Die höchste Konzentration findet sich im Kolostrum (20–25 g/l), in reifer Milch liegt der Wert bei 5–20 g/l. In der Muttermilch kommen insgesamt über 200 verschiedene Oligosaccharide vor, die Anzahl der unterschiedlichen Arten schwankt jedoch von Frau zu Frau und liegt zwischen 23 und 130 [99]. Die Zusammensetzung der HMO lässt sich weiterhin in Sekretoren und Nichtsekretoren unterteilen; Erstere sind Lewis-positiv, Letztere Lewis-negativ. Die Oligosaccharide in der Muttermilch sind im Magen nur schwer verdaulich und nur ein geringer Anteil wird resorbiert. Daher leisten sie keinen nennenswerten Beitrag zur Ernährung des Säuglings, sondern übernehmen stattdessen vielfältige Schutzfunktionen [100], [101]. Manches deutet allerdings darauf hin, dass die Zusammensetzung der Oligosaccharide in der Muttermilch eine Rolle für das Wachstum und den Körperbau des Säuglings in den ersten 6 Lebensmonaten spielen könnte [102]. Außerdem stellen sialylierte HMO wichtige Nährstoffe für die Hirnentwicklung des Säuglings dar, und der Sialinsäurespiegel im Gehirn ist bei Stillkindern höher als bei Babys, die Säuglingsmilchnahrung erhalten [103].

HMO besitzen eine antiadhäsive antimikrobielle Wirkung. Dadurch wird der Säugling vor Krankheitserregern geschützt, die Durchfälle verursachen, z.B. E. coli, Campylobacter jejuni, Norovirus und Rotavirus. Die schützenden Wirkungen sind dosisabhängig, d. h. je höher der Gehalt an Oligosacchariden in der Muttermilch ist, desto geringer ist das Diarrhö-Risiko [101]. HMO sind außerdem mit einem geringeren Risiko einer HIV-Übertragung [104] sowie von Atem- und Harnwegsinfektionen [100] assoziiert. Zudem verleihen sie über eine veränderte Genexpression in Darmzellen vermutlich einen gewissen Schutz vor spezifischen Protozoen wie etwa Entamoeba histolytica [105]. HMO hemmen die Proliferation von B-Streptokokken [106] und die Besiedlung unreifer Darmzellen durch Candida albicans [107].

Des Weiteren besitzen HMO präbiotische Eigenschaften: Sie liefern Stoffwechselsubstrate für das Wachstum von Bakterien wie Bifidobakterien und Laktobazillen [101], [108]. Die Oligosaccharide in der Muttermilch sind in der Tat das erste Präbiotikum, mit dem der Säugling bei oder unmittelbar nach der Entbindung in Kontakt kommt. Angesichts der von Frau zu Frau sehr unterschiedlichen HMO-Zusammensetzung dürften sich die präbiotischen Wirkungen auf die Darmflora und die Darmgesundheit der jeweiligen Säuglinge ebenfalls unterscheiden [106].

7.4. Vitamine und Mineralstoffe

Mit der Muttermilch erhält der Säugling ein umfassendes Spektrum an wasser- und fettlöslichen Vitaminen und Mineralstoffen [109]. Der Vitamingehalt der Muttermilch wird durch die mütterlichen Vitaminspiegel beeinflusst, insbesondere im Hinblick auf wasserlösliche Vitamine. Es ist wichtig, dass die Mutter genügend Thiamin (B1), Riboflavin (B2), Vitamine B6 und B12, Vitamin A, Eisen und Jod zu sich nimmt, um zu gewährleisten, dass der Säugling über die Muttermilch ausreichend mit diesen Vitaminen versorgt wird [110]. Die Gesamtspiegel von Kalzium (250 mg/l) und Phosphat (150 mg/l) in der Muttermilch sind hingegen unabhängig von der mütterlichen Ernährungsweise.

Vitamin D wird in der Haut produziert, wenn diese UV-Licht ausgesetzt wird. Vitamin D ist von zentraler Bedeutung für die Knochengesundheit, da es an der Regulierung der Kalzium- und Phosphatresorption durch den Säugling beteiligt ist. Weiterhin spielt es eine wichtige Rolle für die Gesundheit des angeborenen und des erworbenen Immunsystems. Die Konzentration von Vitamin D (25-Hydroxyvitamin D) in der Muttermilch steht in direktem Zusammenhang mit dem mütterlichen Serumspiegel: Ein niedriger Vitamin-D-Gehalt in der Milch ist mit einem niedrigen mütterlichen Serumspiegel assoziiert [111], [112], [113]. Aufgrund des erhöhten Hautkrebsrisikos bestehen Bedenken, dass die Vorsichtsmaßnahmen gegen eine übermäßige Sonneneinstrahlung zu einem Anstieg der Fälle von mütterlichem Vitamin-D-Mangel geführt haben. Dies kommt in einer erhöhten Rachitisinzidenz zum Ausdruck [114]. Bei Verdacht auf einen mütterlichen Vitamin-D-Mangel führt eine Vitamin-D-Supplementierung unmittelbar zu einer Erhöhung sowohl der Vitamin-D-Konzentration in der Muttermilch als auch des 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegels beim Säugling [115]. Unabhängig davon empfiehlt die American Academy of Pediatrics aktuell bei Stillkindern ab der Geburt eine orale Supplementierung mit 400 IE Vitamin D pro Tag [116].

Eisen Das Eisen aus der Muttermilch wird vom Säugling gut resorbiert, weshalb eine Supplementierung in den ersten 6 Monaten in der Regel nicht erforderlich ist. Ausnahmen bilden u. a. Säuglinge, die mit niedrigen körpereigenen Eisenreserven geboren werden, wie etwa Neugeborene mit niedrigem Geburtsgewicht und Säuglinge von Müttern mit Diabetes [117]. Vor kurzem wurde in einer Studie nachgewiesen, dass 36% der gesunden, voll gestillten, 5 Monate alten Säuglinge an Eisenmangel litten [118]. Man stellte fest, dass eine tägliche Supplementierung mit 7,5 mg Eisensulfat, einem elementaren Eisen, bei Stillkindern im Alter von 1–6 Monaten sowohl den Hämoglobinspiegel als auch das mittlere Erythrozyteneinzelvolumen gegenüber nicht supplementierten Stillkindern erhöhte [119]. Die Supplementierung scheint auch die Sehschärfe sowie die mentale und psychomotorische Neuroentwicklung des Säuglings zu verbessern. Diese Studien hat die American Academy of Pediatrics veranlasst, für ausschließlich gestillte voll ausgetragene Säuglinge sowie für Säuglinge, die ab einem Alter von 4 Monaten mehr als die Hälfte ihrer täglichen Nahrung in Form von Muttermilch erhalten, eine orale Eisensupplementierung von 1 mg/kg/Tag zu empfehlen [120].

Die Muttermilch enthält ein breites Spektrum an Spurenelementen (d. h. Kupfer, Zink, Barium, Cadmium, Cäsium, Kobalt, Cerium, Lanthan, Mangan, Molybdän, Nickel, Blei, Rubidium, Zinn und Strontium), die vom Säugling gut aufgenommen werden. Die Spiegel dieser Spurenelemente in der Muttermilch werden durch die mütterliche Ernährungsweise beeinflusst, es gibt jedoch keine globalen Referenzwerte für die jeweiligen Spiegel in der Muttermilch.

Zink Zinkmangel ist keine Seltenheit (> 20%) [121], [122], wobei die Hälfte aller Kleinkinder mit Zinkmangel jünger als 5 Jahre ist. Zinkmangel äußert sich in Symptomen wie Wachstumsverzögerung, eingeschränkter Immunfunktion und gastrointestinalen Störungen wie Durchfällen. Für ein schnelles Wachstum und eine rasche Gewebebildung sind hohe Zinkwerte erforderlich. Ein besonders hohes Risiko für einen Zinkmangel besteht somit bei Frühgeborenen, Neugeborenen mit niedrigem Geburtsgewicht oder Säuglingen, die Muttermilch in Kombination mit pflanzlichen Nahrungsmitteln mit niedrigem Zinkgehalt erhalten [123]. Die Zinkkonzentration in der Muttermilch ist nicht von der Ernährungsweise der Mutter abhängig, und eine Supplementierung wird in der Regel nur empfohlen, wenn der Säugling Beikost mit niedrigem Zinkgehalt erhält oder in einem ressourcenarmen Umfeld aufwächst [123].

7.5. Muttermilchmikrobiom

Neuere Erkenntnisse zeigen, dass sich eine Darmbesiedlung mit Mikroben in den ersten Lebensmonaten günstig auf die langfristige Darmgesundheit auswirkt. Des Weiteren geht man davon aus, dass das Darmmikrobiom in den ersten beiden Lebensjahren relativ plastisch ist und Interventionen erlaubt, während Veränderungen im Erwachsenenalter sehr viel schwieriger erreichbar sind. Bislang wurde angenommen, der Säugling komme steril zur Welt und die bakterielle Besiedlung setze erst nach der Entbindung ein. Neuere Hinweise belegen jedoch, dass eine erste Darmbesiedlung bereits in der Gebärmutter über Plazenta und Fruchtwasser erfolgt, und dass die Zusammensetzung durch die Form der Entbindung beeinflusst wird [124]. Unmittelbar nach der Entbindung und bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres oder sogar darüber hinaus gelangen über die Muttermilch kontinuierlich kommensale, mutualistische und potenziell probiotische Bakterien in den Darm des Kindes. Tatsächlich wurden zwischen Stillkindern und Säuglingen, die Säuglingsmilchnahrung erhielten, erhebliche Unterschiede bei der Genregulation von Darmzellen nachgewiesen. Heraufreguliert werden u. a. Gene, die beim gestillten Säugling an der Steuerung der Zelldifferenzierung und -proliferation sowie an der Barrierefunktion beteiligt sind. Zu den herunterregulierten Genen bei gestillten Säuglingen zählen u. a. solche zur Steuerung von Hypoxie und Apoptose [125].

Normalerweise enthält die Muttermilch ein breites Spektrum an Bakterienarten, von denen der Säugling täglich Hunderttausende bis zu mehreren Millionen aufnimmt [3]. Der Ursprung dieser Bakterien ist noch immer ungeklärt, liegt wahrscheinlich jedoch im mütterlichen Darm [124]. Die Bakterien gelangen über dendritische Zellen in die Lymphe oder Blutbahn und von dort aus in die Muttermilch. Als andere Quellen für die Besiedlung werden die Haut der Mutter und die Mundhöhle des Säuglings diskutiert.

Zudem weisen gestillte Säuglinge im Intestinaltrakt eine geringere mikrobielle Diversität auf als Säuglinge, die Säuglingsmilchnahrung erhalten. Andererseits ist die Anzahl der Zellen von Bifidobacterium spp. bei Stillkindern doppelt so hoch. Bifidobakterien sind in Stuhlproben von Stillkindern und von Babys verbreitet, die Säuglingsmilchnahrung erhalten. Bei Letzteren ist ihre Konzentration jedoch nur etwa halb so hoch wie bei gestillten Säuglingen [126]. Man nimmt an, dass dies auf bioaktive Bestandteile der Muttermilch zurückzuführen ist, welche diese Bakterienarten unterstützen. Allerdings scheinen sich die mikrobiellen Muster der Muttermilch individuell stark zu unterscheiden. Der prozentuale Anteil der jeweiligen Bakteriengattungen bleibt in den ersten 9 Monaten der Laktation jedoch weitgehend unverändert.

Es ist nicht bekannt, welche Faktoren für die interindividuellen Schwankungen verantwortlich sind [127]. Eine Rolle könnte aber die Ausgewogenheit der mütterlichen Ernährung spielen, die sich kurzfristig auf die Darmflora auswirkt [128]. Neben der Ernährungsweise der Mutter wird die individuelle Bakterienvielfalt in der Muttermilch, sowohl im Kolostrum als auch in der reifen Milch, auch durch andere Faktoren bestimmt. Hierzu zählen Adipositas der Mutter [129] und die Art der Entbindung (Vaginalentbindung gegenüber elektivem Kaiserschnitt). Die mit der Art der Entbindung verbundenen Unterschiede lassen darauf schließen, dass die bakterielle Vielfalt der Muttermilch durch die Wehentätigkeit und die Passage durch den Geburtskanal beeinflusst wird [129]. Die Einnahme von Antibiotika durch die Mutter scheint eine nachteilige Wirkung auf das Mikrobiom des Säuglings zu haben [130]. Diese kann durch das Stillen teilweise abgemildert werden [130], [131], [132]. Antibiotika haben auch negative Auswirkungen auf das Mikrobiom der Muttermilch. Sie verringern die Zahl an Laktobazillen und Bifidobakterien, was mit Koliken beim Säugling in Verbindung gebracht wurde [133].

Muttermilch enthält Oligosaccharide (HMO), die nicht in Kuhmilch vorkommen und als Präbiotika fungieren. Sie senken den pH-Wert im kindlichen Darm und erhöhen den Anteil nützlicher Bakterien, z. B. Bifidobacterium longum, während sie gleichzeitig E. coli und Clostridium perfringens verringern [134]. Auch konnte im Tiermodell nachgewiesen werden, dass sIgA, das in der Muttermilch in großen Mengen vorkommt, am Erhalt einer gesunden Darmflora beteiligt ist [135]. Diese Erkenntnisse unterstreichen die einzigartigen Eigenschaften der Muttermilch. Zahlreiche Bestandteile wirken synergistisch und stellen so eine optimale Gesundheit und Entwicklung des Säuglings sicher. Die spezifischen Aufgaben der in der Muttermilch vorkommenden Bakterien sind bislang noch ungeklärt. In vitro konnte jedoch gezeigt werden, dass einige Stämme sogar HIV hemmen [136].

7.6. Faktoren, die das Hunger- und Sättigungsgefühl steuern

Das Stillen wird mit niedrigeren Adipositasraten im späteren Leben in Verbindung gebracht (Risikoreduktion um 12–24%) [137]. Ein kausaler Zusammenhang lässt sich hieraus jedoch nicht ableiten, da keine Bereinigung um Störfaktoren (Confounder) erfolgt ist. Hierzu zählen der Body-Mass-Index der Mutter, der sozioökonomische Status, die ethnische Zugehörigkeit sowie Unterschiede zwischen den Studien bezüglich Methodik und Datenanalyse. Im Zusammenhang mit der frühen postnatalen Programmierung des Hunger- und Sättigungsgefühls werden mehrere Faktoren diskutiert, etwa die Zusammensetzung der Muttermilch, das Stillverhalten und die Art der Ernährung (Brust oder Flasche) [32]. So ist gut dokumentiert, dass Säuglinge die Milchaufnahme selbst steuern, wenn sie nach Bedarf gestillt werden [3], [32], da sie die Brust selten komplett entleeren. Die Säuglinge trinken auch dann keine größere Menge an Milch, wenn die Milchbildung durch Abpumpen gesteigert ist [138].

Außerdem sind die Milchaufnahmemuster ausgesprochen individuell: Säuglinge, die über einen 24-Stunden-Zeitraum eine vergleichbare Milchmenge trinken, zeigen dennoch unterschiedliche Stillmuster [3]. Demgegenüber scheinen mit der Flasche gefütterte Säuglinge dazu zu neigen, die Flasche vollständig zu leeren. Auch werden auf längere Sicht offenbar Verhaltensweisen gefördert (z. B. den Teller ganz leer zu essen), welche die Fähigkeit zur Selbstregulation der Nahrungsaufnahme vermindern können [139]. Dies steht in Einklang mit der höheren Gewichtszunahme bei Flaschenkindern, unabhängig davon, ob sie Säuglingsmilchnahrung oder Muttermilch erhalten [140]. Dies spricht auch dafür, dass die Form der Säuglingsernährung nicht nur die aufgenommene Nahrungsmenge beeinflusst, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die Regulation von Hunger- und Sättigungssignalen hat.

Ungeachtet ihrer intra- und interindividuell stark variierenden Zusammensetzung enthält die Muttermilch außerdem Hormone, die das Hunger- und Sättigungsgefühl steuern, etwa Insulin, Leptin, Ghrelin und Adiponektin [141]. Diese Bestandteile sind höchstwahrscheinlich bioaktiv und für den Säugling über eine Reihe von Mechanismen bioverfügbar, u. a. aufgrund des hohen pH-Wertes und der Durchlässigkeit des kindlichen Darms[142], [143], dank derer Moleküle gut resorbiert werden können. Außerdem finden sich im Gastrointestinaltrakt Adipokinrezeptoren, an denen die Moleküle andocken können [144]. Eine Proteolyse dieser Bestandteile ist eher unwahrscheinlich, da die Funktion der Bauchspeicheldrüse beim Säugling noch nicht ausgereift ist und die Muttermilch eine hohe Konzentration von Proteaseinhibitoren enthält [145]. Ein weiterer Resorptionsmechanismus besteht in der parazellulären Diffusion, die in der Kindheit stärker ausgeprägt ist [146].

Hormone, die den Appetit steuern, werden hauptsächlich in Fettzellen (Adipozyten) [147], aber auch in anderen Zellarten synthetisiert [148], [149]. Muttermilchhormone, die das Hunger- und Sättigungsgefühl steuern, z. B. Insulin, Leptin, Ghrelin und Adiponektin, stammen vermutlich aus der mütterlichen Blutbahn und werden außerdem im Brustdrüsenepithel endogen gebildet [150], [151], [152]. Unbekannt ist jedoch, zu welchem Anteil diese Hormone aus der mütterlichen Blutbahn stammen bzw. in der Brustdrüse gebildet werden. Ihre Gewichtung variiert von Frau zu Frau, aber auch intraindividuell. Eine durch die Ernährung bedingte Adipositas der Mutter kann sich auf die Spiegel einiger Hormone, die an der Steuerung von Hunger- und Sättigungsgefühl beteiligt sind (z. B. Leptin), im mütterlichen Serum und in der Muttermilch auswirken [153]. Für andere das Hunger- und Sättigungsgefühl steuernde Hormone, etwa Adiponektin, wurde bislang jedoch kein derartiger Zusammenhang festgestellt [154].

7.7. Metaboliten

Der aktuelle Forschungsansatz in der Biologie ist die Systembiologie, die den Gesamtorganismus in den Blick nimmt. Seit Beginn der postgenomischen Ära konzentriert sich die Forschung auf Veränderungen der mammären Genexpression auf RNA-Ebene (Transkriptomik) und auf Ebene der kleinmolekularen Metaboliten (Metabolomik). Das Ziel besteht darin, neue Erkenntnisse und ein besseres Verständnis der biologischen Funktionen von Zellen und Organismen zu erlangen [155]. Endprodukte von Zellfunktion und Zellstoffwechsel sind Metaboliten mit einer Größe von weniger als 1,5 kDa [156]. Unter den sogenannten „Omik-Technologien“ dürfte daher die Metabolomik, also die Erforschung von Metaboliten, am ehesten „funktionelle” Informationen liefern, die den physiologischen, evolutionären und pathologischen Zustand eines biologischen Systems reflektieren. Veränderungen des Transkriptoms und Proteoms führen nicht immer zur Ausbildung eines biochemischen Phänotyps (Metaboloms) [157].

Technologische und technische Fortschritte, u. a. im Bereich der Magnetresonanztomografie (MRT), Kapillarelektrophorese (CE), Gaschromatografie (GC) und Flüssigkeitschromatografie (LC), haben dazu beigetragen, das Metabolom von verschiedenen Biofluiden zu entschlüsseln, etwa von Urin, Plasma und Serum [158]. Allerdings wurde erst vor kurzem versucht, ein Profil des Muttermilch-Metaboloms zu erstellen. Marincola et al. haben Muttermilch und Säuglingsmilchnahrung bei Frühgeborenen mittels Protonen-MRT (1H-MRT) und GC-Massenspektrometrie (MS) verglichen. In der statistischen Analyse ergaben sich deutliche Unterschiede zwischen Muttermilch und Säuglingsmilchnahrung, wobei in der Säuglingsmilchnahrung höhere Werte an Olein- und Linolensäure gemessen wurden [159]. Darüber hinaus waren Unterschiede im metabolischen Milchprofil bei Müttern von Frühgeborenen mit unterschiedlichem Gestationsalter (23–25 Wochen bzw. ≥ 29 Wochen) [160] sowie Unterschiede der HMO hinsichtlich des Sekretorstatus festzustellen [161]. Außerdem wurden in unbehandelter und in pasteurisierter Milch (entweder hitze- oder hochdruckbehandelt) mittels CE-MS Nukleotide nachgewiesen, die eine wichtige Rolle bei der Verschlüsselung der genetischen Informationen und der Signalübertragung spielen [162]. Mit Hilfe dieses Verfahrens wurden HMO-Profile sowohl in der Muttermilch als auch im Stuhl von gestillten Säuglingen beschrieben [163].

Nach Entwicklung eines einfachen und schnellen Extraktionsverfahrens für Muttermilch wurde eine umfassende Untersuchung des Muttermilch-Metaboloms durchgeführt. Dieses Verfahren erforderte lediglich eine kleine Menge Muttermilch (50 µl) und ermöglichte eine Analyse auf verschiedenen Geräteplattformen (GC-MS und LC-MS) [164]. Auf Grundlage dieses Ansatzes wurden Hunderte von Verbindungen verschiedener Stoffklassen (z. B. Glyzerolipide, Sphingolipide und Kohlenhydrate) nachgewiesen, was den komplementären Charakter der Verfahren zur Erstellung eines Muttermilchprofils veranschaulicht. In einer weiteren Studie kamen verschiedene Extraktionslösungsmittel (Chloroform/Methanol und MTBE) und Analyseverfahren (GC-MS, LC-MS, CE-MS und 1H-MRT) zum Einsatz. Mit über 700 Verbindungen, die in der Milch von Müttern termingeborener Säuglinge nachgewiesen wurden, verdeutlichte diese Studie die Komplexität des Stoffwechselprofils von Muttermilch [165]. In Anbetracht der Komplexität des Muttermilch-Metaboloms stecken die Erstellung metabolomischer Muttermilchprofile und die Erforschung der Wirkungen der einzelnen Metaboliten auf den Säugling jedoch noch in den Kinderschuhen.

Verschiedene Faktoren wie der Zeitpunkt der Entnahme (insbesondere in Bezug auf die Fütterung), die Laktationsphase und die mütterliche Ernährung können die metabolische Zusammensetzung von Muttermilch beeinflussen. Diese Faktoren erschweren nicht nur die Analyse, sondern lassen sich auch nur schwer steuern bzw. standardisieren. Weitere Wechselwirkungen im Rahmen der Mutter-Kind-Dyade, bspw. bezüglich der Darmflora und der Glykanverdauung durch Mikroben, können die Gesundheit des Säuglings ebenfalls stark beeinflussen und erfordern weitere Untersuchungen [166], [167]. In Kombination mit anderen Omik-Technologien werden metabolomische Analysen wertvolle Einblicke in die funktionelle Kapazität der menschlichen Laktation als biologisches Gesamtsystem liefern.

7.8. Neue Entdeckungen

7.8.1. Zellen

Seit über einem Jahrhundert ist der Wissenschaft bekannt, dass es sich bei Milch um eine zelluläre Flüssigkeit handelt, die verschiedene mütterliche Zellen, offenbar hauptsächlich Epithel- und Immunzellen, enthält [168], [169], [170] Abb. 7.1. Aktuelle Studien mit modernen Analyseverfahren, wie etwa Einzelzell- und Genexpressionsanalysen, zeigen eine vielfältige zelluläre Zusammensetzung der Muttermilch. Das Spektrum reicht von einer Epithelzellhierarchie, die die laktierende Brustdrüse widerspiegelt (d. h. Stammzellen, Vorläuferzellen, stärker differenzierte milchsezernierende Zellen sowie Myoepithelzellen), bis hin zu Immunzellen aus dem mütterlichen Blut, die dem Schutz von Brustdrüse und Säugling dienen [171], [172], [173], [174], [175].

Abb. 7.1

Abb. 7.1 Frisch isolierte Muttermilchzellen, zur Darstellung der Zellviabilität mit Trypanblau angefärbt. Bei dunkel-blau gefärbten Zellen handelt es sich um abgestorbene oder absterbende Zellen.

Man weiß, dass zahlreiche mütterliche und kindliche Faktoren den Zellgehalt der Muttermilch beeinflussen, u. a.

  • die Brustfülle,

  • die Laktationsphase,

  • der Gesundheitszustand von Mutter und Säugling sowie

  • der Entwicklungsstatus des Brustepithels [176], [172], [175], [174], [177].

Die Angaben zu den Anteilen der verschiedenen Zellarten in der Muttermilch weichen voneinander ab. Dies ist Umwelteinflüssen und normalen biologischen Schwankungen geschuldet, sowohl in Bezug auf die einzelne Frau als auch zwischen Frauen und anderen weiblichen Säugetieren, aber auch auf methodische Unterschiede zwischen Studien und den Einsatz unspezifischer Markertechnologien zurückzuführen [180]. Während in reifer Muttermilch (ab der 3. Woche nach der Entbindung) Epithelzellen vorherrschend sind, enthält das Kolostrum entsprechend den Bedürfnissen des immunologisch noch unausgereiften Neugeborenen einen hohen Anteil an Immunzellen [172]. Die Anzahl der Immunzellen steigt im Fall einer Infektion der Mutter und/oder des Säuglings deutlich an, um sowohl die Brustdrüse als auch den Säugling bei Bedarf spezifisch zu schützen [175]. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass Muttermilch und die Milch anderer Säugetierarten reich an Stammzellen sind. Diese sind lebensfähig, überleben im kindlichen Gastrointestinaltrakt und werden in verschiedene Gewebe integriert, wo sie unterschiedliche Funktionen wahrnehmen [173].

Stammzellen in der Muttermilch

Bis vor kurzem dachte man, dass Stammzellen zum Schutz ihrer Identität und Funktion lediglich tief in Geweben vorkommen, weit entfernt von äußeren chemischen Einflüssen. Außer beim Embryo finden sich in postnatalen Organen tatsächlich Stammzellen, wobei diese im Verlauf des Lebens speziell der Gewebereparatur und -regeneration dienen. Stammzellen wurden jedoch auch in Körperflüssigkeiten wie Blut, Speichel, Urin und Milch gefunden [179], [30], [180], [181]. Insbesondere in der Muttermilch wurde dabei eine Zellhierarchie beschrieben. Hierzu zählen frühe Stammzellen, die in der Lage sind, sich selbst zu erneuern und zu Zelltypen aller 3 Keimschichten auszudifferenzieren, sowie ihre aus der Brustdrüse stammenden Tochterzellen. Bei den letztgenannten handelt es sich um stärker differenzierte Epithelzellen, z. B. Laktozyten (milchsezernierende Zellen) und Myoepithelzellen [181], [172], [173]. Diese Stammzellen in der Muttermilch und ihre Tochterzellen stellen eine neuartige, nichtinvasiv zugängliche Quelle von Epithelzellen der laktierenden Brust dar, die neue Wege für die Erforschung der Biologie der laktierenden Brustdrüse beim Menschen und damit verbundener Störungen eröffnet, z. B. geringe Milchbildung.

In vitro konnte gezeigt werden, dass es sich bei den Stammzellen in der Milch um pluripotente Zellen ohne tumorigenes Potenzial handelt. Das bedeutet, dass sie die Fähigkeit besitzen, sich in Kultur zu verschiedenen Zelltypen zu entwickeln, etwa zu Brustdrüsenzellen, die Milchbestandteile produzieren, sowie zu Hirn-, Leber-, Bauchspeicheldrüsen-, Knochen-, Gelenk- und Herzzellen [181]. Darüber hinaus überleben sie im Gastrointestinaltrakt der Nachkommen in vivo [182]. In aktuellen Untersuchungen an einem Mausmodell konnten im Magen sowie in Thymusdrüse, Leber, Bauchspeicheldrüse, Niere, Milz und Gehirn säugender Mausjungen zahlreiche intakte Stammzellen aus der Muttermilch nachgewiesen werden. Dort schienen sie sich aus sich selbst heraus zu erneuern, zu gewebespezifischen Zellen auszudifferenzieren und sich in verschiedene Organe zu integrieren, deren Funktion sie vermutlich unterstützten [182]. Zudem wurden sie sowohl während als auch nach der Säugephase im Blut der Jungtiere und bis ins Erwachsenenalter in einer Konzentration von bis zu 1,2% der Gesamtzellzahl nachgewiesen. Dieses Phänomen der Übertragung und Integration von allogenen Zellen in Wirtsgewebe (in diesem Fall von der Mutter auf den Nachwuchs) wird als Mikrochimärismus bezeichnet. Dieser Vorgang des Mikrochimärismus findet auch während der Schwangerschaft zwischen Mutter und Fötus statt [183], [184]. Die funktionelle Bedeutung des Mikrochimärismus zwischen Mutter und Nachkommen in utero sowie über das Stillen bzw. Säugen ist bislang unbekannt. Allerdings wird eine entwicklungsbiologische Rolle für jene Zellen diskutiert, die aktiv auf den Wirt übertragen werden, lebensfähig bleiben, in Wirtsgewebe integriert werden und dort bis zum Erwachsenenalter verbleiben. Auch für in der Muttermilch enthaltene Immunzellen konnte gezeigt werden, dass sie im Gastrointestinaltrakt gesäugter Nachkommen überleben und in verschiedene Organe migrieren, wo sie die Entwicklung der Immunfunktionen zu Beginn des Lebens unterstützen [185], [186].

Protektive Zellen in der Muttermilch

Der immunologische Schutz, den die Mutter dem Fötus in der Gebärmutter bietet, die Versorgung mit nützlichen Mikrobiota und Nährstoffen sowie die Entwicklungssignale setzen sich postnatal während des Stillens fort. Der Nutzen des Stillens im Sinne eines verminderten kurz- und langfristigen Erkrankungs- und Infektionsrisikos und einer erheblichen Senkung der Säuglings- und Kindersterblichkeit wurde in zahlreichen Studien belegt [187], [188], [189]. Diese Effekte sind auf immunmodulatorische Biomoleküle in der Muttermilch zurückzuführen, bspw. sIgA, Lactoferrin, α-Lactalbumin, Oligosaccharide und Zytokine. Sie beruhen aber auch auf immunkompetenten Zellen, die aus dem mütterlichen Blutkreislauf stammen, eine bedeutende Komponente der Muttermilch darstellen und mit immunmodulatorischen Biomolekülen synergistisch wirken.

Über die Muttermilch wird der Säugling Tag für Tag mit Tausenden bis Milliarden lebensfähiger Immunzellen versorgt [175], [174]. Laut neueren Untersuchungen mittels moderner Verfahren wie der Durchflusszytometrie, die eine präzise markerspezifische (nicht rein morphologische) Einzelzellanalyse ermöglicht, sind Immunzellen in reifer Muttermilch nicht so vorherrschend wie bislang angenommen. Der Gehalt an Immunzellen in der Muttermilch ist in den ersten Tagen nach der Entbindung deutlich höher als in reifer Muttermilch [175]. Dies entspricht einer Phase, in der das Infektionsrisiko für den Säugling aufgrund des noch unreifen Immunsystems besonders hoch ist [190] und die Immunzellen häufig den Großteil der in der Muttermilch vorkommenden Zellen ausmachen. Etwa 2 Wochen nach der Entbindung fällt der Anteil an Immunzellen in der Muttermilch jedoch auf ca. 1–2,5% der Gesamtzellen ab. Dieser geringe Anteil bleibt über den Rest der Laktationsphase unverändert – außer in Phasen, in denen Mutter, Säugling oder beide an einer Infektion leiden [175]. Und dennoch entspricht dieser geringe Anteil einer sehr hohen Anzahl von Immunzellen, die der Säugling tagtäglich mit der Muttermilch aufnimmt (ca. 94 000–351 000 000 [175]). Die Immunzellen bestehen aus Zellarten, die üblicherweise im Blut vorkommen (Monozyten, Makrophagen, Granulozyten, T- und B-Lymphozyten), wobei in der Immunzellkomponente der Muttermilch üblicherweise Monozyten vorherrschen.

Im Fall einer Infektion können sich jedoch sowohl die Gesamtzahl an Immunzellen in der Muttermilch als auch der Anteil der jeweiligen Subkategorien verändern. Bei einer Infektion der Brustdrüse oder eines anderen Organs, oder aber bei einer systemischen Infektion, nimmt die Zahl der Immunzellen in der Muttermilch rapide zu und spiegelt dabei die konkrete Infektion und ihren Schweregrad wider [175], [174] (Abb. 7.2). Im Zuge der Genesung normalisiert sich die Zahl der Immunzellen in der Muttermilch und erreicht schließlich das für die Mutter-Kind-Dyade charakteristische Ausgangsniveau. Diese rapide zelluläre Immunantwort der Muttermilch hat sich als konsistenter und dynamischer erwiesen als die humoral vermittelte Immunantwort ihrer Faktoren. Sie könnte somit als Parameter herangezogen werden, um zu überwachen, ob und wie eine stillende Mutter auf eine Behandlung anspricht, was sich bei der Therapie der Mastitis als besonders hilfreich erweisen könnte [175]. Bemerkenswerterweise reagiert die Muttermilch nicht nur auf Infektionen der Mutter, sondern auch auf Infektionen des Säuglings, selbst wenn die Mutter keinerlei Symptome zeigt [174], [177], [191]. Es wurde die These aufgestellt, dass diese Antwort der Immunzellen durch den Rückfluss von Milch während der Milchejektion ermöglicht wird und damit eine spezifische Immunität gegen die Infektion des Säuglings sowie einen auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmten immunologischen Schutz vermittelt [174]. In der Tat überleben Immunzellen der Muttermilch, ebenso wie Stammzellen, im Gastrointestinaltrakt des Säuglings und migrieren in verschiedene Gewebe. Dies untermauert ihre Rolle bei der Stärkung der kindlichen Immunität zu Beginn des Lebens [175], [185], [186].

Abb. 7.2

Abb. 7.2 Veränderungen des Gehalts an Immunzellen (CD45+) in der Muttermilch vom Kolostrum bis zur Woche 10 nach der Entbindung sowie zwischen Muttermilchproben von gesunden und infizierten Mutter-Kind-Dyaden. Infektionen der Mutter und des Säuglings induzieren eine rasche Leukozytenantwort in der Muttermilch. (Modifiziert nach Hassiotou et al. Clin Translat Immunol 2013; 2: e3.)

7.8.2. Mikro-RNA

Die Immunität des Säuglings wird nicht nur durch immunkompetente Immunzellen und Moleküle in der Muttermilch wie Immunglobuline, Lactoferrin und Lysozyme angekurbelt, sondern auch durch kleine RNA-Moleküle, sogenannte Mikro-RNA (miRNA). Hierbei handelt es sich um nicht kodierende lange RNA-Stränge mit ca. 22 Nukleotiden. Diese sind in Geweben, Organen und Körperflüssigkeiten wie Plasma, Urin, Speichel, Sperma, Tränen- und Zerebrospinalflüssigkeit sowie in der Milch reichlich vorhanden [192] (Abb. 7.3). Man weiß, dass sie eine zentrale Rolle bei der Regulierung der Genexpression auf posttranskriptionaler Ebene spielen und an sämtlichen maßgeblichen biologischen Prozessen, u. a. Zelldifferenzierung, Zellzyklus, Apoptose, Immunität und Entwicklung sowie an Krankheitsprozessen beteiligt sind [193], [194]. Seit ihrer Entdeckung in der Muttermilch und in der Milch anderer Säugetierarten wurde wenig getan, um ihren Ursprung, ihre Konzentration, Eigenschaften und Funktion in der laktierenden Brust sowie ihren Verbleib im Organismus des gestillten Säuglings aufzuklären. Neuere Studien belegen eindeutig, dass die miRNA-Zusammensetzung in der Muttermilch spezifisch für die Mutter-Kind-Dyade ist [195] – wie es auch bei anderen Muttermilchbestandteilen der Fall ist, etwa bei HMO.

Abb. 7.3

Abb. 7.3 Das aktuelle Modell der miRNA-Biogenese und das vorgeschlagene Modell der Regulierung der Genexpression. Hierbei verarbeiten die RNA-Polymerasen II/III primäre miRNA (pri-miRNA), entweder aus unabhängigen spezifischen Genen (miRNA-Genen) oder aus Introns (proteinkodierenden Genen). Im Zellkern verarbeitet der Drosha– DGCR8-Komplex dann die pri-miRNA und generiert miRNA-Vorläufermoleküle (pre-miRNA). Anschließend wird die pre-miRNA durch Exportin 5 ins Zytoplasma transportiert, wo das Enzym Dicer doppelsträngige miRNA verarbeitet. Lediglich ein trang der doppelsträngigen miRNA (als reife miRNA bezeichnet) heftet sich an den RISCKomplex (RNA-induced Silencing Complex), bindet so an sein Zielmolekül (mRNA) und führt damit entweder zur Repression der Translation oder zur Desadenylierung der mRNA.

Bislang sind 2.588 reife miRNA beim Menschen bekannt (miRBase Version 21.0, Veröffentlichung 2014) [196], von denen über die Hälfte in der Muttermilch gefunden wurde [195]. Neben diesen bereits bekannten miRNA-Arten wurden vor kurzem Tausende bisher unbekannte miRNA-Arten in verschiedenen Fraktionen der Muttermilch nachgewiesen. Die Zellfraktion der Muttermilch hat sich als eine der reichsten Quellen von miRNA erwiesen, dicht gefolgt von in die Milchfettkügelchen eingebetteten miRNA [195], [197]. In der Milch, speziell in der Muttermilch, finden sich in allen wesentlichen Fraktionen miRNA, u. a. in Zellen, Lipiden und in Magermilch sowie innerhalb von Mikrovesikeln, z. B. Exosomen [195]. Neben dem stärker alkalischen pH-Wert im Magen des Säuglings [198] und der im Vergleich zum Erwachsenen höheren Darmdurchlässigkeit [143] begünstigt die spezifische „Verpackung“ der miRNA das Überleben der Muttermilch-miRNA im Organismus des gestillten Säuglings, die Resorption in die Blutbahn und den Transport in verschiedene Organe. Dort übernimmt sie vermutlich immunmodulatorische und entwicklungsfördernde Funktionen [195].

So hat sich in neueren Studien zur Sequenzierung kleiner RNAs in verschiedenen Muttermilchfraktionen gezeigt, dass bekannte und bislang unbekannte miRNA-Moleküle reichlich in der Muttermilch vorkommen und eine Schlüsselrolle bei der Regulierung der Immunantwort, des Flüssigkeitshaushalts, von Hunger und Durst sowie bei der Systementwicklung spielen, u. a. des Nerven- und Immunsystems. Daher vermutet man, dass miRNA im Säuglingsorganismus eine funktionelle Bedeutung haben [195]. Zudem wurde die Resorption exogener miRNAs aus Nahrungsmitteln und Kuhmilch im Gastrointestinaltrakt Erwachsener untersucht. Demnach weisen miRNAs (im Gegensatz zu Boten-RNAs) selbst im adulten Darm eine hohe Stabilität auf, werden in die Blutbahn aufgenommen und besitzen eine Funktion in bestimmten Organen, etwa der Leber [199], [200], [201], [202], [203], [204].

Die erst kürzlich optimierte Methode zur Extraktion von miRNA aus verschiedenen Muttermilchfraktionen untermauert die Bedeutung einer Standardisierung und Optimierung der Milchgewinnung, -lagerung und -aufbereitung für vergleichende miRNA-Studien [195], [199]. Insbesondere bei Studien zur Untersuchung des miRNA-Gehalts verschiedener Milchfraktionen lässt sich durch eine Milchfraktionierung vor dem Einfrieren (anstelle der Aufbewahrung von Vollmilch) sicherstellen, dass der miRNA-Gehalt in den einzelnen Milchfraktionen erhalten bleibt und während des Einfrierens eine Kreuzkontamination zwischen den einzelnen Fraktionen vermieden wird [195]. Außerdem ist für jede Milchfraktion ein etwas anderes Verfahren erforderlich, um eine optimale miRNA-Extraktion zu gewährleisten. Das Verfahren der filtersäulenbasierten Extraktion bietet gegenüber anderen publizierten Methoden, etwa auf Phenol- bzw. Chloroformbasis, eine bessere miRNA-Ausbeute und -qualität [197]. Diese Optimierungsstudien liefern die Grundlage für umfassendere miRNA-Profilanalysen der Muttermilch und der Milch anderer Säugetierarten.

Die Faktoren, welche den Gehalt und die Zusammensetzung der miRNAs in der Muttermilch beeinflussen, sind bislang nur unzureichend dokumentiert. Gleichwohl hat sich in kürzlich durchgeführten Studien gezeigt, dass sich die Entleerung der Brust während des Stillens sowie die Laktationsphase auf die Zusammensetzung der miRNAs in der Muttermilch auswirken können. Bekannt ist, dass die gegen Ende des Stillvorgangs produzierte Milch (Hintermilch) mehr Zellen enthält als die Milch, die zu Beginn des Stillvorgangs gebildet wird (Vordermilch) [5]. Außerdem enthalten die Zellen in der Hintermilch mehr miRNAs, wobei einige von ihnen nach dem Stillen hochreguliert werden [205]. Viele der hochregulierten miRNAs wurden mit der Synthese von Milchbestandteilen in Verbindung gebracht. Dies wiederum spiegelt Veränderungen in der Brustdrüse wider, die in Reaktion auf das Trinken des Säuglings an der Brust eintreten. Neben diesen kurzfristigen Veränderungen wurden auch langfristige Veränderungen der miRNA-Zusammensetzung in der Muttermilch im Laufe der Laktation nachgewiesen. In einer Untersuchung des miRNA-Profils in der Muttermilch in den ersten 6 Monaten der Laktation wurde ca. ein Drittel der miRNAs unterschiedlich reguliert, trotz einer vergleichbaren Expression von 70% der gemeinhin identifizierten miRNAs in Milchzellen und Lipiden. Die meisten Veränderungen traten etwa im 4. Monat der Laktation auf, während der Übergangsphase vom ausschließlichen zum nicht ausschließlichen Stillen [206]. Es sind weitere Studien erforderlich, um die dynamischen kurz- und langfristigen Veränderungen des miRNA-Gehalts in der Muttermilch zu ermitteln. Zudem gilt es zu klären, inwieweit diese zu einem tieferen Verständnis und einer besseren Beurteilung der Funktion der laktierenden Brust und der vielfältigen Funktionen der Muttermilch beim Säugling beitragen können.

7.9. Wie sieht die Zukunft aus?

Von den verschiedenen Bestandteilen der Muttermilch, die im Organismus des Säuglings bioaktiv sind, lassen sich Zellen, miRNA und Metaboliten als neuartige diagnostische Marker für den Gesundheitsstatus und die Leistung der laktierenden Brust nutzen. Beispielsweise wurde unlängst eine Genexpressionsstudie mit Stamm- und anderen Zellen der laktierenden Brust durchgeführt, die aus Muttermilch gewonnen wurden. Dabei zeigten sich Unterschiede in der Reifung des Brustdrüsenepithels zwischen Müttern von voll ausgetragenen Säuglingen und Müttern von Frühgeborenen, sowie zwischen adipösen und nicht adipösen Müttern [207]. Die Ergebnisse könnten die geringe Milchbildung, wie sie häufig bei Müttern von Frühgeborenen und adipösen Müttern zu beobachten ist, möglicherweise auf molekularer Ebene erklären. Genexpressionsanalysen der Zellen in der Muttermilch könnten daher potenziell als indirekter Indikator für die Reifung der Brust dienen und zur Behandlung einer unzureichenden Milchbildung herangezogen werden [207], [178].

Im Rahmen von neueren Studien zu miRNAs in Brustdrüse und Muttermilch wurden außerdem miRNA-Kandidaten als potenzielle Biomarker für die Laktationsleistung ermittelt. Neben ihrer Rolle bei der Entwicklung der Brustdrüse [208], [209] gibt es zwischen der laktierenden und der nicht laktierenden Brustdrüse erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Arten und das Expressionsniveau von miRNAs [210]. Insbesondere stellte man fest, dass miR-29 wichtige laktationsbezogene Gene in Brustepithelzellen der Milchkuh regulieren. Hierbei war eine verminderte Expression von miR-29 mit niedrigeren Laktoprotein-, Triglyzerid- und Laktosespiegeln assoziiert [211]. Ferner wurde nachgewiesen, dass aus der Muttermilch gewonnene miRNAs der Milchdrüse vorwiegend aus dem Milchdrüsenepithel stammen [195] und bei der Synthese und Regulierung der Nährstoffkomponenten der Milch (wie Laktose, Triglyzeriden, Fettsäuren, Wachstumshormonen und Insulinrezeptoren) im Rahmen von Immunantworten und bei der Entwicklung eine Rolle spielen [195]. Diese Befunde machen miRNAs in der Muttermilch zu attraktiven Zielstrukturen für die Funktionsdiagnostik der laktierenden Brust.

Es wurde festgestellt, dass miRNAs in der Milch auf Infektionen des laktierenden Euters bei der Milchkuh reagieren [212], [213], was auf eine Beteiligung an dynamischen Immunantworten auf Drüseninfektionen hinweist. Zusammen mit der Reaktion der in der Milch enthaltenen miRNAs könnte die schnelle Antwort der Immunzellen in der Muttermilch auf eine Brustinfektion (Mastitis) einen neuartigen Ansatz darstellen, um das Ansprechen der Mutter auf eine Behandlung zu beurteilen. Bei der Mastitis handelt es sich um eine schwerwiegende Infektion der laktierenden Brust, die mit Schmerzen, Entzündung und Reizzuständen einhergeht. Häufig halten diese Symptome über längere Zeit an und führen zu einem vorzeitigen Abbruch des Stillens. Das Immunzellenprofil in der Muttermilch verändert sich während einer Mastitis auf spezifische Art und Weise; aber auch bei Abklingen der Entzündung finden weiterhin Veränderungen statt [174]. Dies macht das Immunzellenprofil zu einem leicht zugänglichen Marker für die Überwachung von Infektionen, der frühe und wirksame therapeutische Interventionen und eine Fortsetzung des Stillens ermöglicht.

Ein besseres Verständnis der Faktoren, welche die Zusammensetzung der Muttermilch beeinflussen, kann neue Möglichkeiten einer gezielten und patientenspezifischen Behandlung von anfälligen Säuglingen, z. B. Frühgeborenen, oder von speziellen Erbkrankheiten oder Mangelzuständen eröffnen. So ist noch immer nicht vollständig geklärt, inwieweit sich die mütterliche Ernährung auf die Zusammensetzung der Muttermilch auswirkt. Bislang wurde über die Wirkungen auf Fettsäuren berichtet. Darüber hinaus können sich ÄrztInnen die dynamische Zusammensetzung der Muttermilch zunutze machen, um das Wachstum und die Entwicklung von Frühgeborenen zu unterstützen. Seit langem ist bspw. bekannt, dass die gegen Ende des Stillvorgangs gebildete Milch (Hintermilch) deutlich fettreicher ist als die zu Beginn des Stillvorgangs produzierte Milch (Vordermilch). Ein selektives Stillen des Frühgeborenen mit Hintermilch könnte demnach die Entwicklung begünstigen, was in weiteren Studien abzuklären wäre. Zudem haben neue Erkenntnisse über die Bedeutung des Muttermilchmikrobioms für die Entwicklung des kindlichen Darms und Immunsystems sowie über dessen Spezifität für die jeweilige Mutter-Kind-Dyade zu Untersuchungen geführt, in deren Rahmen die Anreicherung von Spenderinnenmilch mit der Milch der leiblichen Mutter beurteilt wurde [214].

Im Laufe der Jahre wurde immer deutlicher, dass die einzelnen Muttermilchfraktionen (Zellen, Lipide und Magermilch) unterschiedliche Eigenschaften besitzen und aus verschiedenen Komponenten bestehen, die jeweils einzigartige und wichtige Funktionen im Organismus des Säuglings übernehmen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die funktionelle Integrität dieser Komponenten erhalten bleibt, wenn der Säugling mit abgepumpter Muttermilch gefüttert wird. Dies lässt sich besser erreichen, wenn der Säugling frische Muttermilch erhält (also keine zuvor eingefrorene oder weiterverarbeitete Milch). Anfällige Säuglinge, z. B. Frühgeborene, erhalten auf Neugeborenen-Intensivstationen (NICU) aufgrund von organisatorischen Zwängen und Sicherheitsbedenken in der Regel zuvor eingefrorene und pasteurisierte Milch. Allerdings gehen in den letzten Jahren weltweit einige NICUs dazu über, Frühgeborene ausschließlich mit frischer, nicht gefrorener und nicht pasteurisierter Milch der leiblichen Mutter zu füttern – mit positiven Ergebnissen. Diese Praxis gewährleistet die Versorgung des Säuglings mit lebenden Zellen, Stammzellen und schützenden Immunzellen, die ansonsten in der Säuglingsnahrung fehlen würden. Hinzu kommt, dass die Zellen und anderen Bestandteile der Muttermilch miRNAs enthalten, die vermutlich wichtige regulatorische, immunprotektive und entwicklungsfördernde Funktionen übernehmen.

Der Nutzen und die Sicherheit einer Ernährung von Frühgeborenen mit frischer, nicht eingefrorener und nicht pasteurisierter Muttermilch müssen noch weiter erforscht werden, um zu klären, wie sich eine Entfernung der vorgenannten Muttermilchbestandteile aus der Ernährung Frühgeborener auswirkt. Dies ist von besonderer Bedeutung, da sie sich potenziell positiv auf die Entwicklung des Säuglings auswirken, zusätzlichen Immunschutz bieten und außerdem Infektionen, die Sterblichkeit sowie die Hospitalisierungsdauer verringern [178]. So hat sich in tierexperimentellen Studien gezeigt, dass das Säugen einen erheblichen Schutz vor nekrotisierender Enterokolitis [215] bietet, der möglicherweise durch Stammzellen, Immunzellen und andere Bestandteile der Muttermilch vermittelt wird [178].

Abgesehen von Frühgeborenen könnten die in der Muttermilch enthaltenen Stammzellen auch für Säuglinge mit genetisch bedingten oder lebensbedrohlichen Erkrankungen sowie für Erwachsene von medizinischem Nutzen sein [172]. Die regenerative Medizin ist eine sich schnell entwickelnde Fachrichtung, die sich mit der Nutzung der Eigenschaften pluripotenter Stammzellen zu therapeutischen Zwecken befasst. Mit der kürzlichen Entdeckung von induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen), d. h. Körperzellen, die auf Genexpressionsebene künstlich so verändert werden, dass sie die Eigenschaften von Stammzellen annehmen, eröffnen sich völlig neue Horizonte. Diese iPS-Zellen könnten in erkranktes Wirtsgewebe transplantiert werden, mit dem Ziel, eine Regeneration des Gewebes und funktionelle Wiederherstellung zu erreichen [216], [217].

Bevor diese Technologie jedoch im klinischen Rahmen routinemäßig und sicher eingesetzt werden kann, sind noch zahlreiche Hürden zu nehmen. Hierzu zählen die Herstellung genetisch identischer Zellen, die ihre Pluripotenz über mehrere Passagen hinweg beibehalten, sowie ihre zuverlässige Differenzierung in vitro und in vivo, aber auch ihre Transplantation beim Patienten ohne das Risiko einer Krebserkrankung oder Teratombildung [218]. Die Immunogenität von iPS-Zellen (selbst bei syngenen Zelltransplantaten), deren unvollständige Transformation und Differenzierung sowie das erhaltene epigenetische Gedächtnis der transformierten Zellen, stellen noch immer große Probleme dar, die gelöst werden müssen, bevor klinische Studien zur iPS-Zelltechnologie realistisch erscheinen [219], [220], [221]. Die wesentlichen Vorzüge der iPS-Zelltechnologie bestehen derzeit weniger in der klinischen Anwendung als vielmehr darin, die Laborforschung zu inspirieren. Vor kurzem hat sich herausgestellt, dass Studien zu pluripotenten Zellen mit klinischem Potenzial nicht auf iPS-Zellen beschränkt bleiben müssen: Pluripotente Stammzellen finden sich auch im Organismus von Erwachsenen, wo sie typischerweise Regenerations- bzw. Reparatursignale vermitteln und in Geweben mit hohem Zellumsatz die Homöostase unterstützen. Zu diesen zählen auch pluripotente Stammzellen mit nicht tumorigenen Eigenschaften in der Muttermilch, die im Organismus des Säuglings natürlicherweise überleben, in diesen integriert und von diesem toleriert werden. Dies alles legt die Vermutung nahe, dass sich diese Zellen als hervorragende Kandidaten für Stammzellentherapien bei Säuglingen und/oder Erwachsenen erweisen könnten [173].

Die Muttermilch ist eine der komplexesten lebenden Biofluide überhaupt und bietet ganz erheblichen Nutzen für Mutter und Kind. Zahlreiche Moleküle in der Muttermilch und ihre Funktionen werden gerade erst entdeckt. Ein eingehenderes Wissen wird die Möglichkeit eröffnen, bestimmte Bestandteile der Muttermilch gezielt zu beeinflussen, die für die anfälligsten Säuglinge von essenzieller Bedeutung sind. Dies ermöglicht eine Weiterentwicklung im Bereich der Laktationsdiagnostik und damit die Bereitstellung eines dringend benötigten Beratungsangebots für stillende Frauen, die an Stillproblemen und Erkrankungen der Brustdrüse leiden. Aktuelle Forschungsergebnisse lassen außerdem erkennen, dass die Muttermilch in der Zukunft Aussicht auf neuartige therapeutische Anwendungen zum Wohle der Menschheit bietet.

Kernpunkte

  • Die Muttermilch enthält Makro- und Mikronährstoffe, bioaktive Moleküle, Zellen sowie Mikrobiota. Dies macht sie zu einer lebendigen Flüssigkeit, die sich rasch an die Bedürfnisse des Säuglings anpasst und diesem Nahrung, Schutz und Entwicklungssignale bietet.

  • Das Kolostrum ist trotz seiner geringen Menge von besonders hohem Wert, da es in konzentrierter Dosis Immunstoffe und bioaktive Faktoren enthält, die das Neugeborene in den ersten Lebenstagen schützen.

  • Wann immer möglich, wird frische Milch der leiblichen Mutter empfohlen, da die bioaktiven Bestandteile durch Einfrieren oder Pasteurisieren zerstört werden, wodurch ein Teil ihres Nutzens verloren geht.

  • Die Muttermilch ist eine der komplexesten lebenden Biofluide überhaupt und optimal an die jeweilige Mutter-Kind-Dyade angepasst. Ihre Eigenschaften können in Säuglingsmilchnahrung auf Kuhmilchbasis daher nicht reproduziert werden.

Associate Prof. Donna Geddes, PhD, Post Grad Dip (Sci), DMU, ist Associate Professor an der University of Western Australia, wo sie die menschliche Laktation sowohl im Rahmen der Grundlagen- als auch der anwendungsbezogenen Forschung untersucht. Ihre Forschungsinteressen sind breit gefächert. Insbesondere nutzt sie ihre Kompetenzen im Bereich der Ultraschallbildgebung zur Untersuchung der laktierenden Brust (Anatomie, Milchejektion und Durchblutung) sowie des voll ausgetragenen Säuglings und des Frühgeborenen (Saug-Schluck-Reflex, Magenentleerung und Körperbau). In ihrer aktuellen Arbeit erforscht sie die Auswirkungen der Milchzusammensetzung auf die Physiologie des Säuglings.

Foteini Kakulas (ehemals Hassiotou), PhD, BSc, ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der University of Western Australia. Sie hat an der University of Western Australia ein Biologiestudium abgeschlossen und hält 2 Doktortitel (PhD). Im Rahmen ihrer Grundlagen- und anwendungsbezogenen Forschung leitet sie das Cell Biology Team der Arbeitsgruppe Hartmann. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das Vorkommen mütterlicher Zellen in der Muttermilch, deren Bedeutung für Gesundheit und Krankheit sowie die Einblicke, die sie in biologische Zusammenhänge in Bezug auf die Brustdrüse und das Stillensgeben. Kakulas' Forschungsergebnisse sind allgemein anerkannt, und für ihre Arbeit im Tiermodell zu Stammzellen in der Muttermilch und deren Transfer auf den Säugling wurde sie ausgezeichnet.

Danksagungen

Wir möchten Mohamed Alsaweed für die Entwicklung von Abb. 7.3 und Dr. Melvin Gay für seinen Beitrag zum Abschnitt über Metabolomik im vorliegenden Kapitel danken.

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