Jennifer Hahn-Holbrook, PhD
Zentrale Lerninhalte
Bedeutung des Stillens für das Wohlergehen von Mutter und Kind
Psychische Auswirkungen des Stillens auf die Mutter und ihren Säugling
Was die Entscheidung einer Mutter für das Stillen beeinflusst
Das Stillen bringt für Mutter und Kind einen großen psychischen Nutzen mit sich. Während Muttermilch allgemein als ideale Nahrungsquelle für den sich entwickelnden Säugling gilt, wird der psychische Nutzen des Stillens noch häufig übersehen. Schwangere werden mit Meinungen und Fakten über die Kosten und den Nutzen des Stillens geradezu bombardiert. Diese Informationen beziehen sich zumeist auf die kindliche Gesundheit, weshalb Müttern oftmals gar nicht bewusst ist, welchen psychischen Nutzen das Stillen mit sich bringt. Studien haben gezeigt, dass Frauen den potenziellen Nutzen des Stillens für die Intelligenz und Immunfunktion ihres Kindes in der Regel kennen. Sie wissen jedoch nicht, dass das Stillen die Stressreaktion der Mutter dämpft und die Länge der Tiefschlafphasen (sogenannter Slow-Wave-Schlaf) verdoppelt [1], [2]. Ironischerweise gilt das Stillen als schweres Opfer, das Mütter für ihre Kinder erbringen. Indessen zeigen neue wissenschaftliche Erkenntnisse, wie das Stillen Müttern in der ersten Zeit hilft, die Herausforderungen der Elternschaft zu bewältigen.
Das vorliegende Kapitel befasst sich mit neuen Erkenntnissen aus der experimentellen, epidemiologischen und vergleichenden Forschung und bietet einen evidenzbasierten Überblick über die Auswirkungen des Stillens auf Mütter. Neben einigen psychischen Auswirkungen des Stillens auf den Säugling und die Mutter-Kind-Dyade werden auch die erheblichen kulturellen und psychisch bedingten Stillhindernisse behandelt und Vorschläge zu deren Überwindung unterbreitet.
Zu Beginn des Kapitels wird in einem kurzen Überblick dargestellt, wie Hormone die mütterliche Psyche während des Stillens allgemein beeinflussen. In den folgenden Abschnitten steht die Mutter im Mittelpunkt. Dabei geht es um die Auswirkungen des Stillens auf die mütterliche Stressregulation, das Risiko einer postpartalen Depression, den Bindungsaufbau, die Sensibilität für Signale des Säuglings, Schlafstörungen und die instinktive Schutzhaltung gegenüber dem Säugling. Es folgt ein Überblick über die Auswirkungen des Stillens auf die kindliche Psyche. Das Themenspektrum reicht vom Bindungsaufbau durch den Säugling bis hin zur Prägung des kindlichen Naturells durch bioaktive Hormone in der Muttermilch. Anschließend steht abermals die Mutter im Mittelpunkt und es werden psychische Stillhindernisse erörtert. Hierzu zählen kulturelle Tabus in Bezug auf das Stillen in der Öffentlichkeit, eine Ablehnung des Stillens durch den Partner bzw. die Partnerin, die postpartale Depression sowie mütterliche Schuldgefühle im Hinblick auf ein „Versagen“ beim Stillen. Das Kapitel schließt mit einer Zusammenfassung des psychischen Nutzens, den das Stillen Müttern und ihren Säuglingen bieten bzw. nicht bieten kann.
Der Nutzen des Stillens für die Mutter ist zu einem beträchtlichen Teil auf die hormonellen und biologischen Veränderungen während der Laktation zurückzuführen. Biologisch betrachtet ist die Laktation eine ganz besondere Phase im Leben einer Frau, die durch hormonelle Veränderungen, eine Unterdrückung der Reproduktionsfunktion und veränderte Stoffwechselprozesse gekennzeichnet ist. Die beiden wichtigsten Hormone im Zusammenhang mit der Laktation sind Oxytocin und Prolaktin. Oxytocin vermittelt die Kontraktionen der glatten Muskulatur während der Wehen und ermöglicht die Milchabgabe während der Laktation. Prolaktin ist hauptsächlich für die Bildung der Muttermilch verantwortlich. Im Laufe der Schwangerschaft steigt der Prolaktinspiegel kontinuierlich an und induziert Veränderungen im Brustgewebe, welche die Milchproduktion anregen. Der Oxytocinspiegel steigt ebenfalls an und vervierfacht sich letztendlich, um die Wehentätigkeit auszulösen [3]. Kurz nach der Entbindung und vor Beginn des Stillens unterstützt Oxytocin die Milchejektion [4].
Es scheint so, dass vom Säugling ausgehende Reize im Körper der Mutter evolutionär bedingt als Signale für die Oxytocinfreisetzung in Vorbereitung auf das Stillen fungieren: Bei Müttern, die vor Aufnahme des Stillens von ihren Neugeborenen getrennt wurden, kommt es nicht zu dieser antizipativen Oxytocinausschüttung [5]. Mit der taktilen Stimulierung der Brustwarze während des Stillens werden Oxytocin und Prolaktin stoßweise ausgeschüttet, gesteuert von Nervenfasern, die mit dem Hypothalamus verbunden sind [6]. Im Vergleich zu nicht stillenden Frauen weisen stillende Mütter in der Regel höhere Prolaktinspiegel auf, was darauf hindeutet, dass der Prolaktinspiegel durch die Stillhäufigkeit und den Milchbedarf des Säuglings reguliert wird [7]. Der Oxytocinspiegel bleibt nach jedem Stillvorgang für kurze Zeit erhöht, sinkt jedoch relativ schnell wieder auf den Ausgangswert ab [6].
Auch wenn Oxytocin und Prolaktin allgemein als biologische Schlüsselmediatoren für Geburt und Laktation gelten, beginnt die Forschung gerade erst zu verstehen, welche Bedeutung diese Hormone für die Psyche und das Verhalten der Mutter haben. Oxytocin und Prolaktin zirkulieren im Gehirn, wo sie spezialisierte Rezeptoren in verschiedenen Hirnregionen aktivieren. Daher ist zu erwarten, dass sie sowohl psychische als auch körperliche Funktionen beeinflussen [8], [6]. In der Tat weisen vergleichende Studien mit Tieren auf die Bedeutung von Oxytocin und Prolaktin für zentrale mütterliche Verhaltensweisen wie Körperpflege, defensive Aggression und Sensibilität für kindliche Signale hin [8], [6]. Vieles spricht also dafür, dass die beiden Hormone auch beim Menschen Auswirkungen auf mütterliche Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen haben.
Die Mutter-Kind-Bindung (Bonding) wird von Frauen als eine der Hauptmotivationen für das Stillen angegeben [9]. Dieselbe Auffassung findet sich häufig auch in der wissenschaftlichen Literatur. Viele AutorInnen gehen davon aus, dass Stillen den Bindungsaufbau seitens der Mutter unterstützt (z.B. [10]). Nichtsdestotrotz wurde dieser Aspekt in erstaunlich wenigen Studien tatsächlich untersucht. In diesem Abschnitt wird die überschaubare Zahl an Arbeiten zum Thema Laktation und Mutter-Kind-Bindung erörtert. Aufgrund der wenigen Untersuchungen am Menschen liegt der Schwerpunkt auf tierexperimentellen Studien. Im Folgenden geht es zunächst um den Bindungsaufbau seitens der Mutter. In den nachfolgenden Abschnitten stehen die Auswirkungen des Stillens auf die Bindung des Säuglings an die Mutter im Zentrum.
Artenübergreifend hat sich die Laktation als entscheidender Auslöser für mütterliches Verhalten erwiesen, da sie die Ausschüttung von Oxytocin und Prolaktin anregt [11]. Wird weiblichen Ratten Oxytocin [12] oder Prolaktin [13] ins Gehirn injiziert, so zeigen diese mütterliche Verhaltensweisen. Umgekehrt schwächt sich das mütterliche Verhalten signifikant ab, wenn Ratten kurz nach dem Wurf Oxytocin- oder Prolaktin-Antagonisten ins Gehirn injiziert werden [14], [15]. Bei Primaten scheinen laktationsbedingte hormonelle Veränderungen jedoch weniger entscheidend für die Auslösung mütterlicher Verhaltensweisen zu sein. Bei diesen Tierarten spielen frühe entwicklungsbezogene und soziale Erfahrungen eine größere Rolle [16]. Bei Rhesus-Affen werden durch ins Gehirn eingebrachte Oxytocin-Antagonisten ebenfalls bestimmte mütterliche Verhaltensweisen gehemmt, andere bleiben jedoch intakt [17].
Zahlreiche Beobachtungen bei Primaten lassen darauf schließen, dass sich mütterliche Verhaltensweisen auch laktationsunabhängig ausbilden können, etwa in Fällen, in denen weibliche Tiere ohne eigene Nachkommen Jungtiere herumtragen und putzen [18]. Beim Menschen ist das Stillen für den Bindungsaufbau seitens der Mutter nicht erforderlich. Dies zeigt sich in der außergewöhnlichen Fürsorge durch Mütter, Väter, Adoptiveltern und andere Familienangehörige für Säuglinge, die Säuglingsmilchnahrung erhalten. Theoretisch ist jedoch denkbar, dass die Laktation bestimmte fürsorgliche Verhaltensweisen verstärkt, vor allem unter schwierigen Bedingungen.
Studien am Menschen belegen, dass Oxytocin den Bindungsaufbau seitens der Mutter fördert. Die in der Schwangerschaft und nach der Entbindung gemessenen Oxytocinspiegel im Plasma sind prädiktiv für Verhaltensweisen in Verbindung mit dem mütterlichen Bonding, u. a. Vokalisierungen der Mutter, positive Affekte, auf den Säugling gerichteter Blick, liebevolles Berühren des Säuglings und bindungsbezogenes Denken [19]. Auch weisen Mütter, die ihre Kinder beim Spielen häufiger liebevoll berühren, erhöhte Oxytocinspiegel auf, verglichen mit Müttern, welche dies seltener tun [20]. Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass das Stillen positive mütterliche Verhaltensweisen insoweit verstärken kann, als durch die Laktation die Oxytocinausschüttung angeregt wird. So wurden in 4 von 5 Studien gewisse Belege dafür gefunden, dass Stillen das mütterliche Bonding fördert (ein Nullresultat findet sich bei Martone & Nash 1988 [21]).
Else-Quest und MitarbeiterInnen beobachteten die Interaktionen zwischen Mutter und Säugling 4 und 12 Monate nach der Entbindung. Dabei zeigten stillende Frauen nach 12 Monaten (jedoch nicht nach 4 Monaten) mehr positive und ergiebigere Mutter-Kind-Interaktionen als Mütter, die niemals zu stillen begonnen hatten [22]. In einer weiteren Studie berichteten Mütter, die ihren Säugling in den ersten 5 Monaten nach der Entbindung überwiegend mit Muttermilch ernährten, über eine stärkere emotionale Bindung zu ihrem Kind als Mütter, die den Ernährungsbedarf ihres Säuglings weniger als zur Hälfte durch Stillen abdeckten oder die überhaupt nicht stillten [23]. Außerdem berichteten Mütter, die 3 Monate nach der Entbindung nicht stillten, über eine geringere Sensibilität für die Bedürfnisse ihres Kindes als Frauen, die ihr Kind zu diesem Zeitpunkt stillten [24]. Laut einer aktuellen Studie von Jonas und MitarbeiterInnen waren Frauen, die 3 Monate nach der Entbindung stillten, sensibler gegenüber den kindlichen Bedürfnissen als Mütter, die ihr Kind 3 Monate nach der Entbindung nicht stillten. Dies wurde im Rahmen einer 30-minütigen Interaktion mit dem Säugling 6 Monate nach der Entbindung durch unabhängige BeobachterInnen festgestellt [25]. Interessanterweise wurde der Zusammenhang zwischen dem Stillen und einer erhöhten mütterlichen Sensibilität nur bei Müttern beobachtet, die eine hohe psychische Belastung angaben. Mütter, die nach eigenen Angaben unter einem sehr geringen psychischen Stress standen, zeigten ein hohes Maß an mütterlicher Sensibilität unabhängig von ihrem Stillverhalten 3 Monate nach der Entbindung. Demnach besteht also die Möglichkeit, dass das Stillen für die mütterliche Sensibilität besonders dann von großer Bedeutung ist, wenn Mütter Belastungen ausgesetzt sind, welche die elterlichen Verhaltensweisen unterdrücken können.
Die oben aufgeführten Erkenntnisse stehen zwar im Einklang mit der Hypothese, dass das Stillen den Bindungsaufbau seitens der Mutter und ihr Fürsorgeverhalten fördert. Dennoch ist hier Vorsicht geboten, da das mütterliche Verhalten nur in wenigen Studien objektiv beobachtet wird. Zudem ist nicht auszuschließen, dass Mütter, die sich für das Stillen entscheiden, veranlagungsbedingt bereits stärker auf ihr Kind eingestimmt sind oder eher dazu neigen, eine höhere Sensibilität anzugeben. Übereinstimmend mit dieser alternativen Interpretation hat sich in Studien Folgendes herausgestellt: Mütter, die während der Schwangerschaft die Absicht äußerten, ihr Kind stillen zu wollen, gaben auch 3 Monate nach der Entbindung eine höhere mütterliche Sensibilität an [24]; darüber hinaus korrelierte die Bereitschaft zu stillen mit der Intensität der Mutter-Kind-Bindung. Beispielsweise hat sich die 2 Tage nach der Entbindung beobachtete Qualität des Bindungsverhaltens zwischen Mutter und Kind als Prädiktor für das ausschließliche Stillen 6 Monate nach der Geburt erwiesen [27]. Auch wenn das Stillen möglicherweise die mütterliche Sensibilität begünstigt, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch Mütter, die niemals gestillt haben, in den oben aufgeführten Studien ein Maß an mütterlicher Sensibilität zeigten, das klar im normalen klinischen Bereich lag [22]. Daher lautet die Frage nicht, ob das Stillen notwendig, sondern ob es hilfreich ist, insbesondere dann, wenn die Mutter Belastungen ausgesetzt ist.
Insgesamt wird die Hypothese, dass Stillen den mütterlichen Bindungsaufbau fördert, durch die vorliegenden Daten nur bedingt gestützt. Um diese wichtige Frage zu klären, sind prospektive und experimentelle Studien sowie objektive Messungen mütterlichen Bindungsverhaltens erforderlich.
Sich um einen Säugling zu kümmern, kann extrem belastend sein. Die Stressfaktoren für die Mutter reichen dabei von psychosozialen Aspekten wie Zweifeln, eine „gute“ Mutter zu sein [28], bis zu körperlichen Problemen wie sexuellen Funktionsstörungen und Schlafentzug [29]. Mütter von Neugeborenen fühlen sich nicht nur für das Wohlergehen ihres Babys verantwortlich, sondern versuchen gleichzeitig, auch den Bedürfnissen von PartnerInnen und möglichen weiteren Kindern sowie ihren eigenen und beruflichen Belangen gerecht zu werden [30]. Auch wenn diese Anforderungen durch die mit der Elternschaft verbundenen „Belohnungen“ häufig aufgewogen werden, scheint bei Müttern eine ständig erhöhte Wachsamkeit gegenüber potenziellen Gefahren für ihre Kinder zu bestehen. Dies ist auf eine Aktivierung der neurobiologischen Stress-Systeme zurückzuführen [31]. Angesichts der Anforderungen, die die Elternschaft mit sich bringt, überrascht es wenig, dass rund 20 % der frisch gebackenen Mütter im 1. Jahr nach der Entbindung über depressive Symptome klagen [32]. Glücklicherweise hat es die Natur wohl so eingerichtet, dass Stillen der Mutter hilft, diese belastende Phase zu überstehen [33], [34].
Übereinstimmende Belege deuten darauf hin, dass die mütterliche Stressreaktion durch das Stillen moduliert wird [34], [35], [36]. Die ersten Hinweise stammten aus Studien mit Nagetieren, in denen laktierende Ratten deutlich stressresistenter waren als nicht laktierende Ratten. Dies äußerte sich in verminderten hormonellen und kardiovaskulären Anzeichen von Angst in Reaktion auf Elektroschocks, bedrohliche Raubtiere oder komplexe Labyrinthe [37].
Untersuchungen am Menschen haben eine vergleichbare negative Korrelation zwischen Stillen und Stress ergeben. Stillende Mütter zeigen bei körperlicher Anstrengung eine signifikant geringere hormonelle Stressreaktion (d. h. niedrigere Spiegel von Cortisol und adrenokortikotropem Hormon) als nicht stillende oder kinderlose Frauen [38].
In nachfolgenden Studien wurden die kardiovaskuläre und die hormonelle Stressreaktion mit Hilfe des Trier Social Stress Test (TSST) untersucht, bei dem die Teilnehmenden vor einem kritischen Publikum eine öffentliche Rede halten und kopfrechnen müssen. Bei diesen Untersuchungen lässt sich anhand von hormonellen Markern häufig keine niedrigere Stressreaktivität nachweisen. Stillende Mütter zeigen jedoch wiederholt niedrigere kardiovaskuläre Stressreaktionen als Mütter, die ihre Säuglinge mit Säuglingsmilchnahrung füttern. Altemus und MitarbeiterInnen beobachteten bei stillenden Müttern im TSST niedrigere kardiovaskuläre Stressmarker (z. B. eine stärkere parasympathische Steuerung der Herzfunktion, niedrigere Ausgangswerte für den systolischen Blutdruck) als bei Müttern, die ihre Säuglinge mit Säuglingsmilchnahrung fütterten, oder bei kinderlosen Frauen [39]. In einer ergänzenden Studie zeigte sich bei stillenden Müttern während der Phase nervöser Anspannung vor dem sozialen Stresstest ein vergleichbarer kardiovaskulärer Nutzen [40]. Die mit dem Stillen verbundene Abschwächung der Stressreaktion kann in der Phase unmittelbar nach einem Stillvorgang besonders augenfällig sein, da die Abschwächung wohl durch das Stillen an sich und nicht durch das reine Halten des eigenen Kindes bedingt ist. So zeigte sich bei Müttern, die vor dem TSST stillten, tatsächlich eine schwächere Cortisolreaktion als bei stillenden Müttern, die angewiesen wurden, ihr Kind lediglich zu halten [41].
Über den sozialen Bereich hinaus scheint sich die stressmildernde Wirkung des Stillens auch auf andere Arten von Herausforderungen zu erstrecken. In einer wegweisenden Studie wurden die kardiovaskulären Reaktionen auf das Eintauchen der Hand in schmerzhaft kaltes Eiswasser bei Frauen verglichen, die entweder ausschließlich stillten, ausschließlich Säuglingsmilchnahrung fütterten, stillten und Säuglingsmilchnahrung fütterten oder kinderlos waren [42]. Mütter, die täglich häufiger stillten, zeigten beim schmerzhaften Eintauchen der Hand ins Wasser eine geringere sympathische Reaktivität als Mütter, die weniger häufig stillten, was auf eine dosisabhängige Beziehung zwischen Stillen und Stressreduktion schließen lässt. Interessanterweise nahm die stressmildernde Wirkung der Laktation im Laufe der Zeit ab: Stillende Frauen mit Kindern im Alter von über 1 Jahr schienen von einer geringeren Stressminderung zu profitieren als stillende Frauen mit jüngeren Kindern. Dies lässt vermuten, dass die positiven Wirkungen des Stillens für Mütter zeitlich gesehen der Phase der stärksten Vulnerabilität und Abhängigkeit des Kindes entsprechen. Möglicherweise spiegelt dies die evolutionäre Strategie wider, die Mutter eines Neugeborenen bei der Bewältigung ihrer neuen Situation zu unterstützen.
Weitere wissenschaftliche Studien untermauern den theoretischen Nutzen des Stillens im Hinblick auf Stresssituationen im Alltag. Mütter, die Säuglingsmilchnahrung füttern, berichten über weniger positive Stimmungslagen, eine geringere emotionale Gelassenheit und stärkere Ängste als stillende Mütter [43], [33], [44], [45], [41]. Diese Unterschiede bleiben auch nach statistischer Bereinigung um wahrscheinliche Störfaktoren (Confounder) wie Alter, Einkommen, Gesundheitsverhalten und Beschäftigungsstatus der Mutter bestehen [46], [47], [48].
Die mit dem Stillen verbundene Stressreduktion ist theoretisch auf die Hormone Oxytocin und Prolaktin zurückzuführen. Experimentelle Studien an Nagetieren belegen zwar eindeutig, dass die laktationsbedingte Stressreduktion durch Oxytocin [49], [50] und Prolaktin vermittelt wird [8], [51], jedoch sind die Ergebnisse beim Menschen unterstützender, aber korrelativer Natur. So sind in der frühen postpartalen Phase gemessene höhere Oxytocin- und Prolaktinspiegel im Plasma prädiktiv für ein geringeres Ausmaß an selbstberichteten Ängsten [52], [53], und stillende Mütter, bei denen in Reaktion auf das Saugen mehr Oxytocin ausgeschüttet wird, weisen niedrigere Cortisolspiegel auf [54]. Auch zeigen stillende Mütter mit höheren Oxytocinspiegeln vor dem TSST deutlich geringere Anzeichen von Stress als stillende Mütter mit niedrigeren Oxytocinspiegeln [40].
Insgesamt weisen sowohl Untersuchungen am Menschen als auch vergleichende Studien mit verschiedenen Tierarten darauf hin, dass die physiologischen Stressreaktionen durch die Laktation abgemildert werden. Diese Effekte scheinen mit erhöhten Spiegeln der Hormone Oxytocin und Prolaktin assoziiert zu sein. Allerdings gibt es kaum direkte Belege dafür, dass diese Hormone beim Menschen eine Stressreduktion vermitteln. Auch bei menschlichen Müttern scheinen die stressmindernden Effekte der Laktation in der frühen postpartalen Phase oder unmittelbar nach einem Stillvorgang am stärksten ausgeprägt zu sein. In kardiovaskulären Assessments zur Aktivität des sympathischen und parasympathischen Nervensystems zeigen sich zwischen laktierenden Frauen und einer Kontrollgruppe konsistentere Unterschiede bezüglich der Stressreaktivität als beim Assessment der Hormonaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (z. B. von Cortisol).
Die unkomplizierteste Art und Weise, die Auswirkungen des Stillens auf Stress, Stimmung und Affekt zu messen, stellen wohl Selbsteinschätzungen dar. Im Einklang mit den biologischen Daten berichten stillende Mütter über weniger Stress und negative Affekte im Alltag als Mütter, die ihre Kinder mit Säuglingsmilchnahrung füttern.
Die postpartale Phase ist geprägt durch schwere Schlafstörungen, konstante Bemühungen, die Bedürfnisse des Säuglings zu verstehen, und häufige Sorgen um die Sicherheit und das Wohlergehen des Kindes. Diesen Herausforderungen stellen sich laktierende Säugetiere seit Jahrmillionen. Die Wissenschaft geht davon aus, dass sich über Generationen Anpassungen vollzogen haben, die stillenden Müttern helfen, besser zu schlafen, die Signale des Säuglings zu verstehen und ihr Kind zu schützen [55].
Stillende Mütter bekommen nachts doppelt so viel Tiefschlaf (Slow-Wave-Schlaf) wie kinderlose Frauen oder Mütter, die Säuglingsmilchnahrung füttern. In einer Studie von Blyton und Mitarbeiterinnen erfolgte ein Vergleich der Schlafmuster von 12 ausschließlich stillenden Müttern, 12 kinderlosen Frauen und 7 Müttern, die ihre Säuglinge mit der Flasche fütterten [56]. Auch wenn die Gesamtschlafdauer und der Anteil an REM-Schlafphasen in allen Gruppen ähnlich ausfielen, waren stillende Mütter mit durchschnittlich 182 Minuten Tiefschlaf klar im Vorteil. Ihre Werte waren mehr als doppelt so hoch wie bei kinderlosen Frauen (86 Minuten) und bei Müttern, die ihre Säuglinge mit der Flasche fütterten (63 Minuten). In der Gruppe der stillenden Frauen fand sich eine kompensatorische Reduktion des leichten Nicht-REM-Schlafs. Das bei stillenden Frauen veränderte Schlafmuster war höchstwahrscheinlich auf die hohen Spiegel von zirkulierendem Prolaktin zurückzuführen. Die durch das Stillen bedingte längere Dauer der Tiefschlafphasen könnte eine Anpassung darstellen, die es jungen Müttern ermöglicht, das durch den Säugling verursachte häufige nächtliche Erwachen zu bewältigen.
Andere Studien weisen darauf hin, dass stillende Mütter im Schnitt etwas mehr Schlaf bekommen als Mütter, die Säuglingsmilchnahrung füttern – trotz der Tatsache, dass Stillkinder häufiger aufwachen, um zu trinken, da Muttermilch schneller verdaut wird als Säuglingsmilchnahrung. Dies liegt vermutlich daran, dass Stillkinder rascher wieder in den Schlaf finden als Flaschenkinder [57].
Außerdem wird das Stillen mit einer höheren Sensibilität für Signale des Säuglings in Verbindung gebracht. Ob die höhere Sensibilität der Mutter unmittelbar durch Stillhormone vermittelt wird oder aber eine Folge des häufigeren engen Mutter-Kind-Kontakts beim Stillen darstellt, ist nicht bekannt. In einer Studie wurden mittels funktioneller MRT die Gehirne von 17 ausschließlich stillenden und ausschließlich Säuglingsmilchnahrung fütternden Müttern beobachtet, während die Frauen dem Schreien ihrer eigenen und fremder Säuglinge ausgesetzt waren [58]. Im ersten Monat nach der Entbindung wurden Hirnregionen, die für die Mutter-Kind-Bindung und Empathie zuständig sind, bei stillenden Müttern in Reaktion auf das Schreien ihrer eigenen Säuglinge stärker aktiviert als bei Müttern, die Säuglingsmilchnahrung fütterten. Eine große Längsschnittstudie mit 675 Mutter-Kind-Paaren [59] hat zudem ergeben, dass Mütter mit einer längeren Stilldauer 14 Monate nach der Entbindung sensibler gegenüber Stresssignalen des Säuglings waren als Mütter mit einer kürzeren Stilldauer [59]. In der frühen postpartalen Phase könnte eine hohe Sensibilität der stillenden Mutter für die Signale ihres Kindes dazu beitragen, dass die Mutter (insbesondere eines Neugeborenen) die kindlichen Bedürfnisse besser versteht. Es sind weitere wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich, um die spezifische Bedeutung der Laktation für die Abstimmung des mütterlichen Gehirns auf das eigene Kind zu klären.
Außerdem spricht einiges dafür, dass die Laktation Mütter dabei unterstützt, ihre Säuglinge gegen Angriffe zu verteidigen. Vielen Menschen ist die Redewendung „Stell dich niemals zwischen eine Bärenmutter und ihre Jungen!“ geläufig, obwohl die Formulierung „Stell dich niemals zwischen eine säugende Bärenmutter und ihre Jungen!“ zutreffender wäre. Gelegentlich als mütterlicher Verteidigungsinstinkt, maternale Aggression oder Laktationsaggression bezeichnet, richtet sich die verstärkte defensive Aggression von Muttertieren in dieser postpartalen Phase gegen rivalisierende Artgenossen und Beutegreifer und folgt typischerweise dem Verlauf der Laktation [60]. Die maternale defensive Aggression wurde bei Ratten und Mäusen [60], Präriewühlmäusen [61], Hamstern [62], Löwen [63], Hauskatzen [64], Kaninchen [65], Eichhörnchen [66] und Hausschafen dokumentiert [67]. Bei Primaten zeigen laktierende Japan- und Rhesusmakaken ein höheres Maß an Aggression als weibliche Tiere in jeder anderen Reproduktionsphase [68], [69], [70].
Um der Frage nachzugehen, ob menschliche Mütter in der Stillzeit ein erhöhtes Aggressionsniveau aufweisen, wurde bei stillenden, Säuglingsmilchnahrung fütternden und kinderlosen Frauen die Bereitschaft verglichen, sich gegenüber einer feindlich gestimmten Geschlechtsgenossin lautstark ablehnend zu äußern [71]. Der Vergleich beruhte auf einer Art Wettbewerb, bei dem das Maß der Aggression anhand der Lautstärke in Kombination mit der Dauer der Geräuschsalve gemessen wurde, die die Teilnehmerinnen auf ihre Geschlechtsgenossin „abfeuerten“, die zuvor wiederum alle anderen mehrmals lautstark angegangen war [72]. Wie vermutet, „feuerten“ die stillenden Frauen signifikant aggressivere Geräuschsalven ab als kinderlose Frauen oder Frauen, die Säuglingsmilchnahrung fütterten.
Bei Ratten führt die Ausschüttung von stressmindernden Hormonen (Oxytocin und Prolaktin) während der Laktation zu einem enthemmten aggressiven Verhalten gegenüber potenziell bedrohlichen Artgenossen. Es wird angenommen, dass die Ausschüttung dieser Hormone bei der Mutter die Angst während eines Angriffs reduziert [73], [74]. Entsprechend waren Mütter mit einem niedrigeren systolischen Blutdruck (als Surrogatmarker für geringeren körperlichen Stress) bei einem aggressiven Aufeinandertreffen tendenziell aggressiver [71]. Außerdem wiesen stillende Mütter während des Aufeinandertreffens einen niedrigeren systolischen Blutdruck auf als kinderlose Frauen oder Mütter, die Säuglingsmilchnahrung fütterten. Zudem zeigten sie eine geringere Blutdruckreaktivität gegenüber dem Ausgangswert. Letztlich stellte sich heraus, dass das höhere Aggressionsniveau von stillenden Müttern im Vergleich zu kinderlosen Frauen oder Müttern, die Säuglingsmilchnahrung fütterten, größtenteils auf die stressmindernden Eigenschaften der Laktation zurückzuführen war.
Insgesamt scheint das Stillen die Bereitschaft der Mutter zu erhöhen, in für sie selbst oder ihren Nachwuchs bedrohlichen Situationen aggressiv zu reagieren. Allerdings begeben sich stillende Frauen nicht aktiv in Konfliktsituationen. Vielmehr scheint die Laktationsaggression lediglich defensive Formen der Aggression zu Schutzzwecken zu fördern.
Eine postpartale Depression tritt bei etwa 13 % aller Frauen im westlichen Kulturkreis innerhalb der ersten 3 Monate nach der Entbindung auf [75]. Die weltweite Prävalenzrate ist unbekannt, scheint aber interkulturell sehr stark zu schwanken [76]. Die postpartale Depression ist nicht zu verwechseln mit dem relativ kurz anhaltenden postpartalen Stimmungstief („Baby-Blues“), von dem 50–80 % der Mütter im westlichen Kulturkreis betroffen sind [77], [78], oder der postpartalen Psychose, einer schwerwiegenden, wenn auch seltenen Erkrankung [79]. Die postpartale Depression ist durch Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Distanz, Ängste und Schuldgefühle gekennzeichnet. Infolge des gestörten Elternverhaltens in dieser kritischen Phase der frühkindlichen Entwicklung kann eine postpartale Depression negative langfristige Auswirkungen auf die kognitive, emotionale und verhaltensbezogene Entwicklung des Kindes haben [80], [81]. In Anbetracht der positiven Effekte des Stillens auf die mütterliche Stressregulation und Sensibilität wurden die Zusammenhänge zwischen Laktation und postpartaler Depression untersucht.
Bei systematischen Auswertungen der einschlägigen Literatur wurden zahlreiche Studien ermittelt, in denen der Anteil von Frauen mit postpartaler Depression unter den Müttern, die Säuglingsmilchnahrung fütterten, größer war als unter stillenden Müttern [82], [83]. Auch wenn diese Daten die Prämisse stützen, dass Stillen vor einer postpartalen Depression schützen kann, sind weitere Studien nötig, um den Kausalzusammenhang zu untersuchen: Steigt durch die Entwöhnung das Depressionsrisiko der Mutter an, oder führt die Depression dazu, dass Mütter abstillen? Stillende Mütter mögen zwar vor einer postpartalen Depression geschützt sein, allerdings könnte die Stillwahrscheinlichkeit bei Müttern geringer sein, die in der Schwangerschaft oder in der ersten Zeit nach der Entbindung depressiv sind. Ersteres wird im folgenden Abschnitt erörtert, das 2. Szenario im Abschnitt „Psychische Stillhindernisse“.
Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Stillen vor einer postpartalen Depression schützt. Das Stillen induziert eine Ausschüttung von Oxytocin, und bei nicht depressiven Müttern wurden höhere Oxytocinspiegel festgestellt als bei depressiven Müttern [84]. Mütter, die ihre Kinder sowohl mit Muttermilch als auch mit Säuglingsmilchnahrung füttern, schätzen ihre Stimmung unmittelbar nach dem Stillen weniger negativ ein als nach dem Füttern von Säuglingsmilchnahrung. Dies steht in Einklang mit der Vorstellung, dass ein kurzzeitiger Anstieg des Oxytocinspiegels durch Stillen negative Affekte unterdrücken kann [48]. Unabhängig davon, ob diese günstige Wirkung durch Oxytocin vermittelt wird, ist Stillen eindeutig mit vermindertem Stress assoziiert [36], und Stress gehört zu den größten Risikofaktoren für eine postpartale Depression [85]. Darüber hinaus können gesundheitliche Probleme des Säuglings eine erhebliche Stressquelle für die Mutter darstellen, und Säuglinge, die Säuglingsmilchnahrung erhalten, neigen langfristig eher zu Gesundheitsproblemen [86]. Daher können die negativen Auswirkungen der Säuglingsmilchnahrung auf die Gesundheit des Säuglings die Belastung der Mutter indirekt steigern und damit das Risiko einer postpartalen Depression erhöhen.
Einige der stärksten Belege, die für eine Schutzwirkung des Stillens vor einer postpartalen Depression sprechen, stammen aus einer Studie mit 205 Müttern, die vor der Entbindung Angaben zu depressiven Symptomen machten. Nach der Entbindung wurden diese Frauen über einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten mehrmals zu ihrem Stillverhalten und zu depressiven Symptomen befragt [87]. Mütter, die 3 Monate nach der Entbindung häufiger am Tag stillten, zeigten einen stärkeren Rückgang der depressiven Symptomatik als Frauen, die nach 3 Monaten seltener am Tag stillten, selbst wenn etwaige depressive Symptome vor der Entbindung berücksichtigt wurden. Die Studie spricht für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, wobei ein vermehrtes frühzeitiges Stillen in höherem Maße vor späteren depressiven Symptomen schützt. In anderen Studien wurden ähnliche schützende Wirkungen des Stillens vor später eintretenden depressiven Symptomen festgestellt [83]. Sowohl das frühe Abstillen [23] als auch der Verzicht auf das Stillen [88], [89] haben sich als Prädiktoren für eine postpartale Depression erwiesen. Allerdings spielt die Stilldauer ebenfalls eine Rolle. In einer prospektiven Studie hat sich zwischen dem Stillverhalten 1 Woche nach der Entbindung und der Entwicklung depressiver Symptome 4 und 8 Wochen nach der Entbindung kein Zusammenhang gezeigt [90].
Zusammengefasst sprechen aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen dafür, dass Stillen vor einer postpartalen Depression schützen kann. Es sind jedoch experimentelle Studien erforderlich, um einen Kausalzusammenhang nachzuweisen und potenzielle Mediatoren dieses Zusammenhangs zu beurteilen. Wie an späterer Stelle in diesem Kapitel erörtert, kann eine Depression in der Schwangerschaft oder in der frühen postpartalen Phase auch ein Stillhindernis darstellen. Die Beziehung zwischen Stillen und postpartaler Depression ist äußerst komplex und wechselseitig. Ironischerweise fällt die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen mit dem Stillen beginnen und dieses beibehalten, gerade bei solchen Frauen geringer aus, die von der antidepressiven Wirkung des Stillens am stärksten profitieren würden (d. h. Frauen mit Depression in der Schwangerschaft).
Das Stillen bietet dem sich entwickelnden Säugling weit mehr als nur eine gute Ernährung. Das Stillen sorgt für direkten Hautkontakt zwischen Mutter und Kind, fördert deren sozialen Austausch und löst den natürlichen Saugreflex aus, was eine beruhigende Wirkung auf den Säugling hat. Aus all diesen Gründen postulieren WissenschaftlerInnen, dass Stillen den kindlichen Bindungsaufbau zur Mutter fördert. Erstaunlich wenige Studien haben sich mit den Auswirkungen des Stillens auf den kindlichen Bindungsaufbau befasst. Und in diesen wenigen Studien ergaben sich tendenziell keine langfristigen Auswirkungen des Stillens [10]. In einer Studie mit 152 Mutter-Kind-Paaren wurde der Zusammenhang zwischen Stillbeginn/-dauer und der Qualität der Bindung 12 Monate alter Säuglinge zur Mutter beurteilt. Zwischen gestillten Säuglingen und Kindern, die Säuglingsmilchnahrung erhielten, waren keine Unterschiede hinsichtlich ihrer sicheren Bindung zur Mutter zu erkennen [24]. Dies ist vielleicht nicht verwunderlich, da der menschliche Säugling zu vielen Bezugspersonen Bindungen aufbauen muss, die ihn nicht mit Muttermilch versorgen (Vater, Großeltern usw.). Dies heißt jedoch im Umkehrschluss nicht, dass das Stillen für die Mutter-Kind-Bindung keine Bedeutung besitzt. Die Studie hat nämlich auch ergeben, dass stillende Mütter für die Signale ihrer Säuglinge sensibler waren als Mütter, die Säuglingsmilchnahrung fütterten.
Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Stillen die Entwicklung der kindlichen Präferenz für und das Erkennen der Mutter möglicherweise beschleunigt. In einer Reihe von Studien wurde die Präferenz für den Geruch der eigenen Mutter gegenüber dem einer fremden stillenden Mutter zwischen 2 Wochen alten Stillkindern und Flaschenkindern verglichen [91]. Hierbei wurde je ein Mulltupfer links und rechts neben dem Kopf des Säuglings platziert, der zuvor von der Mutter bzw. einer dem Säugling fremden stillenden Frau 8 Stunden lang in der Achselhöhle getragen wurde. Die gestillten Babys drehten den Körper eher in Richtung des Geruchs der eigenen Mutter, während Säuglinge, die Säuglingsmilchnahrung erhielten, keine Präferenz zeigten. Dies legt nahe, dass Stillkinder den Duft ihrer Mutter früher erkennen. Die AutorInnen stellten die Hypothese auf, dass das Stillen mit mehr Hautkontakt zwischen Mutter und Kind einhergeht als das Füttern mit der Flasche, wodurch Stillkinder den einzigartigen olfaktorischen Signalen der Mutter stärker ausgesetzt sind. Dies wiederum fördert ihre Präferenz für die Mutter gegenüber anderen Bezugspersonen.
Der Zusammenhang zwischen Stillen und dem Temperament des Säuglings ist komplex, und die Daten sind widersprüchlich. In einer Querschnittstudie mit 655 Säuglingen im Alter von 6–24 Monaten erzielten ausschließlich gestillte Kinder laut Angaben der Mütter ein höheres Maß an sozioemotionaler Entwicklung als Säuglinge, die ausschließlich Säuglingsmilchnahrung erhielten (gemessen anhand der Selbstregulation und der Fähigkeit, Bedürfnisse zu äußern und soziale Bindungen aufzubauen) [92]. In einer anderen Studie dagegen hat sich herausgestellt, dass die Säuglinge von stillenden Müttern fordernder waren, häufiger schrien und weniger lächelten als die Kinder von Müttern, die Säuglingsmilchnahrung fütterten [93]. Die Tatsache, dass stillende Mütter ihre Babys als schwieriger empfanden, könnte auf die energischeren und intensiveren Reaktionen der Stillkinder zurückzuführen sein [94], was sich durch den besseren Nährstoffgehalt der Muttermilch und die schnellere Gewichtszunahme von Stillkindern im Gegensatz zu Flaschenkindern erklären lässt. Ein anderer Grund könnte darin bestehen, dass Muttermilch zügiger verdaut wird als Säuglingsmilchnahrung, und dass das Milchvolumen durch das kindliche Saugen reguliert wird [93]. Dies führt dazu, dass Stillkinder häufiger Hunger signalisieren, um den Stillvorgang einzuleiten, als Säuglinge, die Säuglingsmilchnahrung erhalten. Eine große Längsschnittstudie mit 30 466 norwegischen Müttern hat ergeben, dass Stillen das spätere Temperament bzw. ein schwieriges Temperament das spätere Stillen nur unwesentlich beeinflussten [95].
Auch wenn sich in der Literatur bis dato keine Belege für einen langfristigen Zusammenhang zwischen dem Stillen und dem Temperament des Säuglings finden, legen prospektive Studien nahe, dass Stillen den Kindern einen gewissen Langzeitschutz vor psychischen Erkrankungen verleihen könnte. Oddy und MitarbeiterInnen beobachteten 2900 Kinder von der Geburt bis zum Alter von 14 Jahren. Dabei wurden geburtshilfliche Risikofaktoren für psychische Erkrankungen (Frühgeburt, fortgeschrittenes Alter der Mutter), die Exposition gegenüber Stressoren zu Beginn des Lebens, der psychische Gesundheitszustand der Mutter nach der Entbindung sowie Veränderungen der Familienkonstellation und des Einkommens dokumentiert [96]. Nach Bereinigung um diese Störvariablen (Confounder) neigten Kinder, die länger als 6 Monate gestillt wurden, im Alter von 14 Jahren weniger zu internalisierenden (z. B. Rückzugsverhalten, Angst/Depression oder körperliche Beschwerden) und externalisierenden Störungen (Straffälligkeit oder aggressives Verhalten) als Kinder, die weniger als 6 Monate lang gestillt wurden.
Darüber hinaus legen neuere Forschungsergebnisse nahe, dass das Temperament des Säuglings auch durch die Einwirkung von bioaktiven Hormonen in der Muttermilch beeinflusst werden könnte. Die Muttermilch enthält eine Reihe von Hormonen, die die psychische Entwicklung des Kindes prägen könnten [97], [98]. Die Stillzeit kann somit als ein „4. Trimenon“ betrachtet werden, in dem die Hormonsysteme von Mutter und Säugling über die Muttermilch biologisch direkt miteinander verbunden sind.
Menschliche Säuglinge, die höheren Cortisolspiegeln in der Muttermilch ausgesetzt waren, zeigten höhere Werte für negative Affekte als Säuglinge, die niedrigeren Spiegeln ausgesetzt waren. Diese Korrelation fiel jedoch bei Mädchen stärker aus als bei Jungen [99]. Diese Korrelation war weder auf Umwelteinflüsse (z. B. Bildungsniveau, Alter und sozioökonomischer Status der Mutter) noch auf eine negative Affektlage der Mutter (z. B. Depression und wahrgenommener Stress) 3 Monate nach der Entbindung zurückzuführen. Vergleichbare Ergebnisse wurden bei Rhesusaffen berichtet [100]. Konkret war ein höherer Cortisolspiegel in der Milch von Makaken ein Prädikator für ein selbstbewussteres Naturell, sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Nachkommen, und unabhängig von der verfügbaren Energie aus Milch. In einer weiteren Studie am Menschen hat sich bei Mutter-Kind-Paaren, bei denen der Säugling gestillt wurde, eine stärkere Korrelation zwischen den Cortisolspiegeln im zirkulierenden Blut von Mutter und Kind gezeigt als bei Mutter-Kind-Paaren, bei denen das Kind mit Säuglingsmilchnahrung gefüttert wurde [101].
Insgesamt sprechen diese Befunde dafür, dass erhöhte Cortisolspiegel in der Muttermilch Auswirkungen auf das Temperament menschlicher Säuglinge haben und dass somit Mütter durch die Übertragung biologisch aktiver Milchbestandteile das Temperament ihres Säuglings beeinflussen können.
Die Entscheidung einer Mutter für oder gegen das Stillen ist für die Familie und darüber hinaus von großer Bedeutung. Bei der Wahl der Ernährungsform spielen soziale, psychische, emotionale und Umweltfaktoren eine Rolle, die sich zudem wechselseitig beeinflussen [9].
Die folgenden 5 Gründe wurden von Müttern in den USA am häufigsten als Argumente für das Stillen genannt [9]:
gesundheitlicher Nutzen für den Säugling
Natürlichkeit des Stillens
Förderung des kindlichen Bindungsaufbaus
Unkompliziertheit
gesundheitlicher Nutzen für die Mutter
Umgekehrt wurden folgende Hauptgründe für das Füttern mit Säuglingsmilchnahrung angegeben [9]:
Einwände des Vaters
Sorge, dass das Baby unzureichend ernährt wird
karrierebezogene/berufliche Anforderungen
körperliche Beschwerden beim Stillen
der Glaube, dass sich das Stillen ungünstig auf das Erscheinungsbild der Brust auswirkt
Auch wenn die überwiegende Mehrheit der Mütter mittlerweile anerkennt, dass Muttermilch für das Kind optimal ist, gibt es eine Reihe von psychischen Faktoren, die bei der Entscheidung einer Frau für oder gegen das Stillen eine Rolle spielen. Im folgenden Abschnitt geht es um die Stillhindernisse, mit denen Mütter konfrontiert sind. Diese reichen von gesellschaftlicher Stigmatisierung bis hin zur Befürchtung des Partners bzw. der Partnerin, das Stillen könne zu „Hängebrüsten“ führen.
Obwohl das Stillen in den meisten Ländern weltweit zunehmend gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung erfährt, entstehen oftmals soziale „Kosten“. So müssen Säuglinge bspw. gefüttert werden, während Mütter außer Haus sind, und in vielen westlichen Ländern geben Mütter an, dass ihnen das Stillen in der Öffentlichkeit unangenehm oder peinlich ist. Derzeit ist das Stillen in der Öffentlichkeit in 5 amerikanischen Bundesstaaten gesetzlich verboten. Im Bundesstaat Missouri äußerten einkommensschwache Schwangere den Eindruck, dass das Stillen in der Öffentlichkeit weniger akzeptiert sei als zu Hause in Gegenwart von BesucherInnen. Ihrer Meinung nach solle jedoch in beiden Situationen versucht werden, durch Bedecken der Brüste den Anstand zu wahren [102]. Außerdem berichten Mütter, sich beim Stillen in der Öffentlichkeit verletzlich zu fühlen und negativen Reaktionen ausgesetzt zu sein [103]. In kulturellen Umfeldern, in denen das Stillen stigmatisiert ist, können Mütter fortwährendem Druck ausgesetzt sein, ihr Kind in der Öffentlichkeit mit der Flasche zu füttern. Sie haben möglicherweise weniger Selbstvertrauen, sich für das Stillen zu entscheiden, und schämen sich, in Gegenwart anderer zu stillen [104].
Eine solche ungünstige gesellschaftliche Wahrnehmung kann Frauen nicht nur vom Stillen im öffentlichen Raum abhalten, sondern auch das Arbeitsleben von stillenden Frauen negativ beeinflussen. So wurden stillende Frauen im Rahmen einer hypothetischen Stellensuche als weniger kompetent und mit geringeren Einstellungschancen bewertet als kinderlose Frauen oder nicht stillende Mütter [105]. Bemerkenswerterweise wurden die negativen Auswirkungen des Stillens von den Beurteilenden als ebenso schädlich für den beruflichen Erfolg betrachtet wie die Entscheidung, die eigenen Brüste gezielt zu sexualisieren. Diese Einschätzung wurde von Männern und Frauen geteilt [105].
Die Tabuisierung des Stillens in der Öffentlichkeit scheint größtenteils der Vorstellung geschuldet zu sein, dass entblößte Brüste sexuell stimulierend oder anstößig sind [106]. Der Anblick einer stillenden Mutter gilt in Gesellschaften, in denen die weibliche Brust hauptsächlich sexuell wahrgenommen wird, als obszön. Als anekdotisches Beispiel sei hier der Fall genannt, in dem Facebook seinen NutzerInnen das Posten von Bildern stillender Mütter untersagt hat, weil solche Bilder gegen den Sittlichkeitskodex des Unternehmens verstoßen [107].
Das Ausmaß der gesellschaftlichen Tabuisierung, Tolerierung oder Förderung des Stillens schwankt nicht nur nach geografischer Region, sondern auch nach der ethnischen Zugehörigkeit [108]. Bei Immigrantinnen aus Gesellschaften, in denen das Stillen die Regel darstellt, sind die Stillraten höher als in der einheimischen Bevölkerung. So äußern farbige Immigrantinnen aus karibischen Herkunftskulturen, in denen das Stillen die Regel ist, eher die Absicht, ausschließlich zu stillen, als afroamerikanische Frauen [109]. Der Einfluss der Herkunftskultur auf einwandernde Mütter scheint sich mit der Zeit abzuschwächen; bei puertoricanischen Müttern korrelierte die Länge des Aufenthalts in den USA negativ mit der Aufnahme des Stillens [110].
Zudem herrschen in den einzelnen Gesellschaften auch sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, in welchem Alter abgestillt werden sollte. Verstoßen Mütter gegen diese Erwartungshaltung, so kann dies negative soziale Konsequenzen haben. Beispielsweise erfahren viele Frauen in westlichen Ländern gesellschaftliche Ablehnung, wenn sie ihr Kind über die ersten Lebensmonate hinaus stillen [111]. In den USA berichtet rund jede 3. Mutter, die ihr Kind länger als 6 Monate stillt, über ein negatives soziales Feedback in Bezug auf ihre Stillpraxis [111]. Ab einer Stilldauer von 2 Jahren berichten sogar 3 von 5 Müttern über derartige Erfahrungen. In den USA und den meisten westlichen Ländern herrscht keine einheitliche Auffassung darüber, welche Stilldauer beim Menschen als normal gelten kann. In traditionellen Gesellschaften stillen Mütter üblicherweise über einen durchschnittlichen Zeitraum von rund 2,5 Jahren [112]. Einerseits kann das Stillen einen gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Preis haben, andererseits ist aber auch anzuerkennen, dass das Füttern von Säuglingsmilchnahrung ebenfalls mit gesellschaftlichen „Kosten“ verbunden ist [113].
Da in der medizinischen Fachwelt kein Zweifel daran besteht, dass Muttermilch die optimale Nahrungsquelle für Säuglinge darstellt, empfinden Mütter häufig einen enormen Druck, ihr Kind zu stillen. Mütter befürchten daher, von Fachleuten, Familienmitgliedern oder anderen Müttern in ihrem Umfeld als „schlechte Mutter“ abgestempelt zu werden, wenn sie nicht stillen können oder möchten [114]. Mütter von Neugeborenen geben an, dass sie ausgeprägte Schuldgefühle, Selbstzweifel und Verwirrung empfinden, wenn die von ihnen gewählte Form der Ernährung ihres Kindes nicht den Erwartungen anderer entspricht [113]. Es wurde sogar darüber berichtet, dass durch Nichtstillen bedingte Schuld- und Schamgefühle bei Müttern, die eigentlich stillen wollten, Vorläufer einer postpartalen Depression sein können [115].
Ob eine Mutter ihr Kind mit Muttermilch oder Säuglingsmilchnahrung füttert, wird in akademischen und medizinischen Fachkreisen häufig als eine rein persönliche Entscheidung der Mutter dargestellt. In Wirklichkeit aber möchten viele Mütter unbedingt stillen, sehen sich jedoch aus einer Reihe von Gründen nicht in der Lage, ihre Entscheidung umzusetzen. Obwohl rund 96% der Mütter körperlich stillfähig sind [116], kann es sein, dass Mütter ohne fachgerechte Schulung und professionelle Stillberatung zu wenig Milch bilden, um ihren Säugling zu ernähren. Bei Frauen, die keinen Zugang zu fachlich kompetenten StillberaterInnen haben, besteht ein sehr viel höheres Risiko von schmerzhaften Brustinfektionen (z. B. Mastitis), Brustdrüsenschwellungen oder rissigen und blutenden Brustwarzen [3]. Zudem wird berufstätigen Müttern häufig weder ein Raum zum Abpumpen und Aufbewahren ihrer Milch noch eine praktische bzw. flexible Pausenregelung angeboten, um die Muttermilch abzupumpen. Unter solchen Umständen sind Mütter gezwungen, arbeiten zu gehen, um für die Bedürfnisse ihres Kindes finanziell aufkommen zu können. Zudem ist aus den USA bekannt, dass Frauen bestimmter Ethnien während ihres Krankenhausaufenthalts mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine grundlegende Unterstützung beim Stillen erhalten. Afroamerikanischen Müttern wird im Krankenhaus 9-mal häufiger Säuglingsmilchnahrung angetragen als weißen Frauen. Diese Praxis erklärt weitgehend, weshalb afroamerikanische Frauen insgesamt über kürzere Zeit stillen als weiße Mütter [117]. Diese Beispiele verdeutlichen, welche Rolle strukturelle Stillhindernisse für das Fütterungsverhalten von Müttern spielen. Egal wie groß der Druck oder die Schuldgefühle im Zusammenhang mit dem Stillen auch sein mögen – solche sehr realen Stillhindernisse können Mütter nicht überwinden. Die Aufklärung von Müttern über den Nutzen des Stillens ist unzweifelhaft von zentraler Bedeutung. Dabei sollte das Fachpersonal im Gesundheitswesen jedoch mit einer gewissen Sensibilität vorgehen und anerkennen, dass es Situationen geben kann, in denen das Stillen nicht möglich oder praktikabel ist.
Aus der Forschung wissen wir, dass eine Aufklärung der Mütter allein nicht ausreicht, um das Stillen zu fördern. Aufklärungsinitiativen, die sich an PartnerInnen und Familien richten, sowie soziale Unterstützungsangebote, müssen ebenfalls Teil eines umfassenden Programms zur Förderung des Stillens sein. Außerdem ist ein gesellschaftlicher Wandel nötig, der den Wert der Säuglingsgesundheit und das Recht der Mutter, ihr Kind zu stillen, in den Mittelpunkt rückt. In der Folge könnten gesetzliche Regelungen die ArbeitgeberInnen zur Bereitstellung von Ressourcen verpflichten, die es den Müttern ermöglichen, ganztags zu arbeiten und dennoch zu stillen.
Wenn sich Mütter mit der Entscheidung für oder gegen das Stillen beschäftigen, beziehen sie dabei häufig auch die möglichen Auswirkungen auf ihre persönlichen Beziehungen mit ein. Das Stillen ist ein intimes Erlebnis zwischen Mutter und Kind, von dem sich manche PartnerInnen ausgeschlossen fühlen. Einige Väter haben den Eindruck, dass ihr Bindungsaufbau zum Säugling durch das mütterliche Stillen beeinträchtigt wird [118]. Selbst Väter, die das Stillen befürworten, geben gelegentlich zu, Gefühle der Eifersucht zu verspüren [119]. Aus qualitativen Interviews geht hervor, dass solche Gefühle des Vaters dazu führen können, dass dieser erst nach dem Abstillen eine aktive Beziehung zum Säugling aufbaut [120]. Im Zusammenhang mit dem Stillen auftretende Gefühle des Ausgeschlossenseins können auch Familien betreffen, in denen 2 Frauen die Elternschaft übernehmen, aber nur eine von beiden stillt.
Es gibt jedoch Möglichkeiten, negative Reaktionen des Partners bzw. der Partnerin abzumildern: So lässt sich das Stillen als gemeinschaftliches Projekt betrachten und nicht stillende Eltern können über den Nutzen des Stillens besser informiert werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dem nicht stillenden Elternteil andere Formen der Unterstützung aufzuzeigen, etwa das Unterhalten von BesucherInnen, während das Kind gestillt wird [120]. In Familien, in denen Milchpumpen zum Abpumpen von Muttermilch verwendet werden, kann der nicht stillende Elternteil den Säugling ebenfalls mit Muttermilch füttern.
Die Auswirkungen des Stillens auf die Sexualität der Mutter können ebenfalls zu einer geringeren Unterstützung des Stillens durch den Partner bzw. die Partnerin führen [119]. Das Stillen kann das sexuelle Verlangen von Müttern verringern und durch das Absinken des Östrogenspiegels kurz nach der Geburt [7] kann es zu Scheidentrockenheit und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr [121] kommen. In Einklang mit dieser frühen Östrogensuppression berichten stillende Mütter 3 Monate nach der Entbindung, nicht jedoch nach 6 Monaten, über stärkere vaginale Schmerzen beim Geschlechtsverkehr [122]. Laut übereinstimmender Evidenz geht das Stillen gegenüber der Fütterung von Säuglingsmilchnahrung 3 Monate nach der Entbindung mit einer geringeren Häufigkeit des Sexualverkehrs sowie einer verminderten sexuellen Befriedigung und Libido einher. Sechs Monate nach der Entbindung sind zwischen den beiden Gruppen jedoch keine Unterschiede mehr festzustellen [123]. Auch wenn stillende Mütter in den ersten Monaten nach der Entbindung offenbar weniger sexuell aktiv sind, ist die Verringerung der sexuellen Aktivität nicht groß und hat zumeist keine nennenswerten Auswirkungen auf die sexuelle Beziehung zum Partner bzw. zur Partnerin [124].
Häufig entscheiden sich Frauen gegen das Stillen, weil sie befürchten, dass sich dies ungünstig auf das Erscheinungsbild ihrer Brust auswirken könnte [9]. Es kommt auch vor, dass der Partner bzw. die Partnerin derartige Bedenken hat, was manchmal dazu führt, dass er bzw. sie vom Stillen abrät [118]. Diese Bedenken lassen sich empirisch nicht belegen. In einer Studie mit 93 Frauen, die die Form ihrer Brüste durch eine Schönheitsoperation verbessern wollten, fand sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Grad der Erschlaffung des Brustgewebes und dem Einsetzen der Laktation bzw. der Stilldauer [125]. Die Vorstellung, dass Stillen zum Absacken der Brust führt, rührt wahrscheinlich daher, dass eine Schwangerschaft mit Veränderungen im Brustgewebe einhergeht. In dieser Studie wurde ebenfalls festgestellt, dass die Zahl der Schwangerschaften, das Alter, der Body-Mass-Index, eine größere Körbchengröße vor der Schwangerschaft und Tabakkonsum in der Vorgeschichte positiv mit dem Absacken der Brust korrelierten. In einer italienischen prospektiven Studie wurde festgestellt, dass Mütter nach der Geburt häufig über Veränderungen der Größe und Form ihrer Brüste berichteten, diese Veränderungen jedoch unabhängig von der Form der Säuglingsernährung waren [126].
Eine umfassende Evidenzlage deutet klar darauf hin, dass Frauen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit überhaupt mit dem Stillen beginnen und insgesamt kürzer stillen, wenn sie in der Schwangerschaft oder in den ersten Wochen nach der Entbindung an einer Depression leiden [82], [83]. Mütter mit einer postpartalen Depression erleben das Stillen subjektiv als schwieriger [127], [128], weisen eine höhere Inzidenz von missglückten Stillversuchen auf [129] und empfinden sich selbst als weniger in der Lage, effektiv zu stillen [130]. So stillen Frauen, die 2 Wochen nach der Entbindung über depressive Symptome berichten, nach 2 Monaten mit höherer Wahrscheinlichkeit ab [131]. Darüber hinaus stellen depressive Symptome, über die 7 Wochen nach der Entbindung berichtet wird, einen Prädiktor für höhere Entwöhnungsraten 6 Monate nach der Entbindung dar [132]. Ähnliche Muster scheinen für Frauen zu gelten, die bereits vor der Entbindung an einer Depression gelitten haben. Werdende Mütter, die in der Schwangerschaft an einer Depression leiden, fangen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit nach der Entbindung an zu stillen [133]. In einer Studie stillten solche Frauen zudem durchschnittlich 2,3 Monate früher ab als Mütter ohne präpartale Depression [87].
Es scheint plausibel, dass typische Symptome einer Depression wie gedrückte Stimmung, geringes Selbstwertgefühl und Ängste dazu führen, dass depressive Mütter weit verbreitete Stillprobleme als schwieriger zu bewältigen oder schwerwiegender wahrnehmen als nicht depressive Mütter. Zu den weit verbreiteten Stillproblemen zählen bspw. Schmerzen, das Anlegen des Säuglings in der richtigen Position oder eine befürchtete unzureichende Milchbildung [90]. Ebenso können Ängste die Milchbildung und den Milchspendereflex beeinträchtigen [134] und damit bei depressiven Müttern zu mehr Stillproblemen führen [135]. Außerdem reagieren depressive Mütter tendenziell weniger sensibel auf Signale des Säuglings [136], was wiederum Probleme beim Anlegen und bei der Entwicklung einer Stillroutine verursachen kann.
Und schließlich wird während der Stillzeit von der Einnahme von Antidepressiva und Psychopharmaka vielfach abgeraten. Dies wiederum veranlasst manche Frauen mit einer Depression oder einer anderen schwerwiegenden psychischen Erkrankung, ihren Säuglingen Säuglingsmilchnahrung zu geben, um eine medikamentöse Behandlung erhalten zu können. In künftigen Studien sollten Mediatoren untersucht werden, die dem Zusammenhang zwischen Depression und Stillerfolg zugrunde liegen.
Insgesamt legen wissenschaftliche Erkenntnisse nahe, dass die Ermittlung und Behandlung von Müttern mit prä- oder postpartaler Depression die Stillrate erhöhen könnte. Auch benötigen depressive Mütter unter Umständen zusätzliche Unterstützung durch Angehörige und Fachpersonal im Gesundheitswesen, um ihre Stillziele zu erreichen.
Das Stillen leitet eine in psychischer und physiologischer Hinsicht einzigartige Phase ein, die für Mutter und Kind mit großem Nutzen verbunden ist. Vieles spricht dafür, dass das Stillen die physiologische Stressreaktion der Mutter verändert und das parasympathische Nervensystem stärkt. Dementsprechend berichten stillende Mütter im Vergleich zu Frauen, die Säuglingsmilchnahrung füttern, über ein geringeres Stressniveau.
In neueren Forschungsarbeiten wird Stillen auch mit einem verminderten Risiko einer postpartalen Depression in Verbindung gebracht. In manchen Studien hat sich gezeigt, dass das Stillen eine dosisabhängige Wirkung auf das Risiko einer Depression besitzen könnte, wobei eine höhere Stillfrequenz bzw. -intensität mit einem besseren Schutz der Mutter einhergeht. Zwischen Stillen und postpartaler Depression besteht ein komplexer Zusammenhang, da eine Depression auch die Fähigkeit oder Motivation einer Frau beeinträchtigen kann, ihr Kind zu stillen – was wiederum sowohl psychisch als auch biologisch bedingt sein kann.
Deutlich weniger Studien haben sich direkt mit der Frage beschäftigt, ob Stillen den Bindungsaufbau seitens der Mutter fördert. Dennoch gibt es gute indirekte Belege dafür, dass der mütterliche Bindungsaufbau höchstwahrscheinlich durch das Stillen gefördert wird. Hier ist in erster Linie der Zusammenhang zwischen den Stillhormonen Oxytocin und Prolaktin und elterlichem Verhalten zu nennen. Allerdings sind experimentelle Untersuchungen der Beziehung zwischen Stillen und mütterlichem Bindungsaufbau nur schwer durchzuführen. Zudem unterliegen Korrelationsstudien einer Verzerrung, da der Bindungsaufbau seitens der Mutter auch für höhere Stillraten verantwortlich sein kann.
Verglichen mit Müttern, die auf Säuglingsmilchnahrung zurückgreifen, zeigen stillende Mütter zudem längere Tiefschlafphasen, eine stärkere Aktivierung bestimmter Hirnregionen in Reaktion auf kindliche Signale und unter Umständen eine gesteigerte defensive Aggressivität, falls sie selbst oder ihre Säuglinge bedroht sind.
Die Säuglingsforschung hat sich insbesondere auf den körperlichen gesundheitlichen Nutzen des Stillens konzentriert, weshalb zahlreiche Fragestellungen zu den psychischen Auswirkungen des Stillens noch zu wenig erforscht sind. Das Stillen aktiviert den kindlichen Saugreflex und führt damit zu einer Entspannung und Aktivitätsverminderung während des Stillvorgangs. Die Frage, ob das Stillen zu einer intensiveren Entspannung des Säuglings führt als das Füttern mit der Flasche oder ein Schnuller, verdient wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Laut Studien, die sich auf Angaben der Mutter stützen, sind Stillkinder schwieriger als Flaschenbabys. Große Längsschnittstudien haben dagegen keine solchen Unterschiede bzw. ein geringeres Maß an negativer Affektivität von gestillten Säuglingen ergeben.
Die für einen Zusammenhang zwischen dem Stillen und dem Temperament des Säuglings sprechenden Daten sind allgemein wenig aussagekräftig. In einer großen prospektiven Studie hat sich jedoch gezeigt, dass Stillen über mindestens 6 Monate Kinder vor psychischen Erkrankungen in der Adoleszenz schützte. Die Beziehung zwischen Stillen und dem Temperament des Säuglings ist komplex, da die Forschung zeigt, dass mütterliche Hormone über die Muttermilch auf das Kind übergehen und sich die Zusammensetzung der Muttermilch von Mutter zu Mutter unterscheidet. Säuglinge, die höheren Cortisolspiegeln in der Muttermilch ausgesetzt sind, zeigen sich ängstlicher als Säuglinge, die niedrigeren Spiegeln ausgesetzt sind. Die Muttermilch weist zahlreiche bioaktive Bestandteile auf. Durch die individuelle Kombination dieser Bestandteile könnte das Temperament des Säuglings so „justiert“ werden, dass eine stärkere Synchronität zwischen Mutter und Kind gefördert wird.
Im Rahmen von Initiativen zur Stillförderung müssen die zahlreichen psychischen und gesellschaftlichen Stillhindernisse berücksichtigt werden, mit denen Mütter von Neugeborenen konfrontiert sind. Ein gesellschaftlicher Aspekt besteht darin, dass sich manche Mütter ans Haus gebunden fühlen, da ihnen das Stillen in der Öffentlichkeit unangenehm ist. Zudem sinkt die Wahrscheinlichkeit des Stillens, wenn Personen aus dem engeren Umfeld der Mutter dem Stillen skeptisch gegenüber stehen und der Arbeitsplatz wenig stillfreundlich ist. Auch wenn daher außer Frage steht, dass eine Förderung des Stillens mit günstigen psychischen Auswirkungen auf Mütter, ihre Kinder und die Gesellschaft insgesamt einhergeht, müssen die Bedürfnisse und individuellen Umstände von Müttern respektiert und beachtet werden.
Die positiven Auswirkungen des Stillens für die Mutter bestehen in einer verstärkten Sensibilität, einer verminderten Stressreaktivität, längeren Tiefschlafphasen (Slow-Wave-Schlaf) und einem reduzierten Risiko einer postpartalen Depression. Wenn Mütter unter Stress stehen oder an einer Depression erkrankt sind, kann sich dies auch ungünstig auf das Stillen auswirken.
Beim Säugling sorgt das Stillen für Entspannung, und einige Bestandteile der Milch prägen wahrscheinlich das kindliche Verhalten und Temperament.
Die Entscheidung einer Mutter für das Stillen wird häufig durch Personen in ihrem unmittelbaren Umfeld stark beeinflusst; diese können sowohl einen negativen als auch einen positiven Einfluss ausüben.